Zumutbarkeit von Geruchsbeeinträchtigungen durch Putenmastvorhaben

Gericht

OVG Lüneburg


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

06. 12. 2001


Aktenzeichen

1 MA 3356/01


Leitsatz des Gerichts

  1. Zur Beurteilung der Zumutbarkeit von Geruchsbeeinträchtigungen durch ein Putenmastvorhaben ist der Rückgriff auf die VDI-Richtlinie 3472 (Tierhaltung - Hühner) ohne eine Umrechnung der Mastplätze von Hühner auf Puten zulässig.

  2. Im Bereich der Landwirtschaft ist die ergänzende Heranziehung der GIRL vom 14. 11. 2000 (NdsMinBl 2001, 224) nicht erforderlich, wenn eine unproblematische Fallkonstellation vorliegt (hier entschieden für den Fall, dass die in der VDI-Richtlinie angegebenen Abstände eingehalten werden).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Ast. begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die dem Beigel. von dem Ag. unter dem 1. 6. 2001 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Putenaufzucht- und Putenmaststalles mit 8500 Hennenplätzen auf dem Flst. X. der Fl. 8 der Gemarkung R. Der Ast. betreibt in der Nachbarschaft des Vorhabens Vollerwerbslandwirtschaft. Die Hofstelle und das am 3. 7. 2001 genehmigte Altenteilerhaus liegen auf der Westseite der K. Straße.

Der Zulassungsantrag, der auf § 124 II Nrn. 1 bis 5 i.V. mit § 146 IV VwGO gestützt wurde, blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Voraussetzungen des § 124 II Nr. 1 i.V. mit § 146 IV VwGO sind nicht gegeben. Der Ast. hat keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung dargelegt (vgl. zum Maßstab: OVG Lüneburg, NVwZ 1999, 431 = NdsVBl 1999, 93).

Der Rüge des Ast., das Vorhaben des Beigel. unterliege der Umweltverträglichkeitsprüfung nach den Vorschriften des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. 7. 2001 BGBl I 2001, 1950) - UVPG -, braucht nicht weiter nachgegangen zu werden. Weder das UVPG in der zitierten Fassung noch die Richtlinie 85/337/EWG des Rates der EG vom 27. 6. 1985 (NVwZ 1987, 305), geändert durch die Richtlinie 97/11/ EG des Rates vom 3. 3. 1997, verleihen dem Nachbarn einen Anspruch auf Durchführung des Verfahrens (vgl. BVerwGE 100, 238 = NVwZ 1996, 788 = DVBl 1996, 677 [681], zum Planfeststellungsrecht; OVG Lüneburg, v. 3. 12. 2001 - 1 MB 2768/01; Schmidt/Preuß, DVBl 1995, 485, 494; Hien, NVwZ 1997, 422).

Soweit der Ast. gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung vorbringt, das VG gehe zu Unrecht im Rahmen seiner Prüfung von einem landwirtschaftlichen Vorhaben i.S. des § 35 I Nr. 1 BauGB aus, greift dieser Einwand nicht durch. Das VG lässt im Hinblick auf die beschränkten Einwendungsmöglichkeiten des Ast. als Nachbar ausdrücklich offen, ob der Putenstall des Beigel. nach § 35 I Nr. 1 BauGB als einem landwirtschaftlichen Betrieb dienendes Vorhaben oder als Vorhaben der Intensivtierhaltung gem. § 35 I Nr. 4 BauGB, das wegen seiner nachteiligen Auswirkungen auf die Umgebung im Außenbereich auszuführen ist, privilegiert ist. Diese Vorgehensweise begegnet keinen rechtlichen Bedenken, weil es für den Drittschutz ohne Bedeutung ist, nach welcher Vorschrift des § 35 I BauGB ein Vorhaben privilegiert ist. Dass für das Vorhaben des Beigel. an anderer Stelle im Bereich der Samtgemeinde für die von dem Ast. unterstellte gewerbliche bzw. industrielle Nutzung geeignete Flächen zur Verfügung stehen, ist im Übrigen in dem Zulassungsantrag nicht substanziiert dargelegt worden.

Die Geruchsimmissionen überschreiten das Maß noch zumutbarer Belästigung nicht. Es ist nicht zu beanstanden, dass sich der Ag. zur Beurteilung der Zumutbarkeit von Geruchsbeeinträchtigungen durch das Vorhaben des Beigel. auf die VDI-Richtlinie 3472 (Immissionsminderung Tierhaltung - Hühner) gestützt hat. Da es für Belästigungen durch Putenaufzucht und -haltung keine besonderen Regelwerke gibt, ist der Rückgriff auf die genannte Richtlinie zulässig (Senat, BRS 57, Nr. 106 = UPR 1996, 74). Entgegen der Ansicht des Ast. ist die Anwendung der Verwaltungsvorschrift zur Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen - GIRL - vom 14. 11. 2000 (NdsMinBl 2001, 224) im vorliegenden Fall zur Überprüfung der Immissionssituation nicht erforderlich. In der genannten Richtlinie (vgl. Vorbemerkungen und „1. Allgemeines“) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für den Bereich der Landwirtschaft unter anderem die VDI-Richtlinie 3472 im Rahmen ihres Geltungsbereichs anzuwenden ist. Erst wenn sich damit die in der Praxis auftretenden Problemkonstellationen nicht lösen lassen, sollen die weiteren Verfahrensschritte der GIRL zur Anwendung kommen. Unproblematisch sind die Fälle, in denen die in der VDI-Richtlinie 3472 angegebenen Abstände eingehalten werden (vgl. Anl. 2, Begründung und Auslegungshinweise zur GIRL i.d.F. Niedersachsen, Stichwort „Vorgehen im landwirtschaftlichen Bereich“). Erst bei Nichteinhaltung der Abstände ist in der Regel eine Prüfung nach der GIRL durchzuführen. Nach dem von dem Ag. im Baugenehmigungsverfahren eingeholten Gutachten der Landwirtschaftskammer W. vom 12. 1. 2001 hält das Vorhaben des Beigel. die erforderlichen Abstände nach der VDI-Richtlinie 3472 ein. Mit den gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens angeführten Gründen wird die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht ernstlich in Frage gestellt.

Entgegen der Annahme des Ast. legt die Landwirtschaftskammer ihrer fachlichen Stellungnahme nicht einen 100-Punkte-Stall, sondern einen 80-Punkte-Stall zu Grunde. Die Bemessung orientiert sich an den in Tabelle 5 der VDI-Richtlinie 3472 vorgegebenen Kriterien. Zur Erläuterung des Ansatzes von 20 Punkten hinsichtlich der Sommerluftrate nach DIN 18910 gibt die Landwirtschaftskammer an, dass sich bei der Putenmast in Offenställen wegen der Entlüftung über die gesamte Seitenlänge der Ställe ohne Zwangslüftung günstigere Verdünnungsverhältnisse mit der Außenluft ergäben. Da Putenställe regelmäßig (jeden 2. Tag) intensiv mit zum Teil gehäckseltem Stroh eingestreut werden, bewertet die Landwirtschaftskammer das Kotverfahren mit 60 Punkten, zusammen also mit 80 Punkten. Beide Bewertungsfaktoren greift der Ast. in seiner Zulassungsschrift nicht mit schlüssigen Gegenargumenten an.

Eine Umrechnung der Mastplätze von Hühner auf Puten kommt nach der zitierten Rechtsprechung des Senats nicht in Betracht (OVG Lüneburg, BRS 57, Nr. 106 = UPR 1996, 74). Es begegnet deshalb keinen durchgreifenden Bedenken, dass die Landwirtschaftskammer zur Ermittlung der insgesamt vorhandenen Großvieheinheiten (1 GVH entspricht 500 kg Tierlebendgewicht) den maximalen Besatz mit Hähnen und Hennen, multipliziert mit dem Mastgewicht und dividiert durch 500 kg Lebendgewicht zu Grunde gelegt hat. Zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung reicht es nicht aus, dass der Ast. auf andere Umrechnungsverfahren verweist. Warum diese geeigneter sein sollen, legt der Ast. nicht dar. Der von ihm anhand anderer Umrechnungsverfahren ermittelte Mindestabstand ist im Übrigen in Frage zu stellen, weil fehlerhaft ein 60-Punkte-Stall zu Grunde gelegt wird. Außerdem bleibt unklar, ob es sich bei den von dem Ast. errechneten Abständen zwischen 223,27 m und 403,87 m - je nach Umrechnungsmethode - jeweils um die vollen Richtlinienabstände oder um reduzierte Richtlinienabstände handelt, die hier wegen der Lage der vor unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigungen zu schützenden Gebäude im Außenbereich anzusetzen sind.

Nach den Berechnungen der Landwirtschaftskammer muss der Ast. auf seiner Hofstelle nicht mit unzumutbaren Geruchsimmissionen rechnen. Die Landwirtschaftskammer hat für das Vorgehen des Beigel. einen halbierten Richtlinienabstand von 126 m errechnet. Er basiert auf der von dem Ast. nicht näher angegriffenen Annahme, 70% des vollen Richtlinienabstands nach der VDI-Richtlinie 3472 als Mindestabstand zu einem allgemeinen Wohngebiet sei ausreichend, weil mit Putenställen geringere Emissionen als mit Hähnchenmastställen verbunden seien. Für das Vorhaben des Beigel. ergebe sich somit bei einem Tierbesatz von 158 GVH und einer Bewertung der Stallanlage mit 80 Punkten ein voller Richtlinienabstand von 360 m, ein modifizierter 70%iger Richtlinienabstand von 252 m und somit ein auf die zuletzt genannten Entfernung bezogener halber Richtlinienabstand von 126 m. Da nach dem von dem Ag. vorgelegten Kartenmaterial der geringste Abstand zwischen dem neuen Stallgebäude und der Hofstelle des Ast. bzw. dem Altenteilerhaus mehr als 180 m beträgt, ist dort nicht von unzumutbaren Geruchsbelästigungen auszugehen.

Der Ast. rügt weiter ohne Erfolg, das VG habe die bereits bei ihm und seinen Familienangehörigen realisierte Gesundheitsgefahr durch luftgetragene Mikroorganismen, Stäube und Endotoxine aus den schon bestehenden Ställen des Beigel. nicht hinreichend berücksichtigt. Die Aussagen in dem von dem VG zitierten Beschluss des Senats vom 19. 8. 1999 (NVwZ-RR 2000, 91) haben nach wie vor Gültigkeit. Nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sind schädliche Wirkungen von Luftverunreinigungen durch Stallluft in einer Entfernung von 180 m außerhalb der Hauptwindrichtung nicht nachgewiesen. Der von dem Ast. angenommene Zusammenhang zwischen der bei ihm aufgetretenen Erkrankung im Bereich der Nasenneben- bzw. Stirnhöhle und der benachbarten Intensivtierhaltung des Beigel. ist nicht belegt. Der Direktor des HNO-Zentrums am Evangelischen Krankenhaus in O. spricht in der vorgelegten Pressemitteilung vom 13. 8. 2001 lediglich von einer Vermutung, dass Intensivtierhaltungsanlagen ein erheblicher Risikofaktor für chronische Erkrankungen der Nasennebenhöhlen seien.

Der Einwand des Ast., die von dem Vorhaben des Beigel. emittierten Schadstoffe beeinträchtigten seine benachbarten Ackerbauflächen im Hinblick auf den Kartoffel- und Gemüseanbau in erheblicher Weise, greift ebenfalls nicht durch. Den Anbau von Kartoffeln im Nahbereich des geplanten Putenaufzucht- und Putenmaststalles stuft die Landwirtschaftskammer W. in ihrer Stellungnahme vom 8. 8. 2001 als unproblematisch ein, weil dieses Erntegut vor dem Verzehr noch weiter behandelt werde. Hinsichtlich des Anbaus von Pflanzen, die als Ganzes oder in Teilen dem direkten menschlichen Verzehr dienten (z.B. Kohl, Erdbeeren) empfiehlt die Landwirtschaftskammer aus Vorsorgegründen einen Abstand von mindestens 50 m. Der Ast., der nach eigenen Angaben über rd. 35 ha Ackerland verfügt, hat nicht dargelegt, dass er darauf angewiesen ist, in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem streitigen Stallgebäude Gemüse zum direkten Verkauf oder Eigenverzehr anzubauen. Die anlässlich eines Ortstermines des Ag. vom 25. 7. 2001 festgestellte Gemüseanbaufläche von 10 m × 60 m lag im Übrigen mehr zur K Straße und damit weit außerhalb des von der Landwirtschaftskammer als bedenklich eingestuften Abstands von 50 m. Beeinträchtigungen der Tonkuhle sind schon deshalb nicht zu erwarten, weil das Vorhaben des Beigel. von diesem naturschutzrechtlich geschützten Bereich selbst nach den Angaben des Ast. rd. 350 m Abstand hält.

Die Zulassungsrüge gem. § 124 II Nr. 2 i.V. mit § 146 IV VwGO ist unbegründet. Die Rechtssache weist nach dem Vorgesagten keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf. Mit dem Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 10. 8. 2000 (NuR 2001, 101) werden die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes nicht dargelegt. Die Entscheidung bezog sich auf die Gefahr einer Übertragung von Krankheitserregern aus einer geplanten Entenstallanlage durch die Luft und über vergleichbare Wege (z.B. Schadnager) auf einen in der Nachbarschaft vorhandenen Putenbestand. Das in jenem Fall vom Senat angenommene Gefährdungspotenzial im Verhältnis Enten- zu Putenstall ist hier nicht gegeben, weil der Ast. keine Enten hält, sondern nach seinen eigenen undifferenzierte Angaben Schweine und (anderes) Geflügel . Zudem hat der Senat in jenem Verfahren auf den Abänderungsantrag gem. § 80 VII VwGO des Entenstallbetreibers die stattgebende Entscheidung des VG im Beschwerdeverfahren mit der Begründung bestätigt, dass auf Grund der neuen sachverständigen Äußerungen die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von Krankheitserregern aus dem Entenbestand in die Putenhaltungsställe deutlich geringer sei als bisher angenommen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 - 1 MB 2257/01).

Die Grundsatzrüge bleibt ebenfalls erfolglos. In Eilverfahren kann die grundsätzliche Bedeutsamkeit einer Rechtsfrage gem. § 124 II Nr. 3 i.V. mit § 146 IV VwGO nur sehr eingeschränkt geltend gemacht werden. Eilverfahren sind grundsätzlich nicht dazu bestimmt, bestimmte Rechtsfragen abschließend und damit in einer der grundsätzlichen Klärung zugänglichen Weise zu beantworten (OVG Lüneburg, Beschl. v. 14. 4. 1999 - 1 M 1382/99). Der Zulassungsantrag enthält nicht Darlegungen dazu, dass hier ausnahmsweise Anlass besteht, von dem dargestellten Grundsatz abzuweichen.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache im Übrigen nur dann, wenn eine bisher ungeklärte Frage bezeichnet wird, die im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung in einem künftigen Beschwerdeverfahren mit Bedeutung über den Einzelfall hinaus geklärt werden könnte. Hieran fehlt es.

Die Voraussetzungen gem. § 124 II Nr. 4 i.V. mit § 146 IV VwGO sind nicht gegeben. Das zu der Grundsatzrüge im Eilrechtsschutzverfahren Gesagte gilt auch hier. Außerdem ist die Darlegung erforderlich, dass im Einzelnen zu formulierende, von dem VG in seine Entscheidung gebildete, abstrakte Rechtssätze bestimmten Rechtsgrundsätzen in der genau zu bezeichnenden Divergenzentscheidung widersprechen. Nicht ausreichend ist das Vorbringen, das VG habe divergenzfähige Rechtssätze nicht ausreichend beachtet, namentlich die Vorinstanz gelange bei ihrer einzelfallbezogenen Tatsachenfeststellung und -würdigung zu einem anderen Ergebnis als das Obergericht in vergleichbaren Fällen (Berlit, in: GK-AsylVfG, Loseblslg., Stand: März 2001, § 78 Anm. 616). Hieran gemessen genügt das Zulassungsvorbringen des Ast. nicht den Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes. Der Zulassungsantrag arbeitet nicht heraus, welchen abstrakten, fallübergreifenden Rechts- oder Tatsachensatz das VG gebildet und seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 II Nr. 5 i.V. mit § 146 IV VwGO) führt nicht zur Zulassung der Beschwerde. Zur Darlegung des Verfahrensmangels genügt es nicht, dass der Ast. den Sachverhalt schildert, er muss den Mangel auch in rechtlicher Hinsicht substanziiert darlegen. Hieran fehlt es. Abgesehen davon sind Anhaltspunkte dafür, dass das VG seiner Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts nicht nachgekommen ist oder dem Ast. pflichtwidrig das rechtlichen Gehör versagt hat, nicht erkennbar.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BauGB § 35 I Nrn. 1, 4; VDI-Richtlinie 3472; GIRL; UVPG