Sittenwidrig überteuerte Eigentumswohnung

Gericht

OLG Hamm


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

12. 07. 2001


Aktenzeichen

22 U 90/00


Leitsatz des Gerichts

  1. Zu den Voraussetzungen einer Sittenwidrigkeit eines Eigentumswohnungskaufvertrages.

  2. Zur Haftung aus culpa in contrahendo und § 826 BGB bei Sittenwidrigkeit eines Eigentumswohnungskaufvertrages.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 18. 2. 1997 erwarben die Kl. vom Bekl. eine Eigentumswohnung zu einem Kaufpreis von 240000 DM. In § 3 des Vertrages wurde der Notar angewiesen, vom eingehenden Kaufpreis nach Ablösung von Belastungen 111300 DM an die Fa. F auszuzahlen und über den Restbetrag nach Weisung des Verkäufers zu verfügen. Gem. § 15 des Vertrages sollten die Kosten des Vertrages und seiner Durchführung einschließlich der Grunderwerbsteuer sowie die Kosten der Verwalterzustimmung die Käufer tragen.

Gleichfalls am 18. 12. 1997 schlossen die Kl. einen Darlehensvertrag zur Finanzierung des Kaufpreises von 240000 DM und, da die Tilgung der Darlehn durch eine an die Bank abzutretende Kapitallebensversicherung erfolgen sollte, einen Lebensversicherungsvertrag mit einer monatlichen Prämie von 328 DM ab. Da die Kl. kein Eigenkapital hatten, überwies das Immobilienbüro F an die Kl., das für sie vermittelnd tätig war, am 12./13. 3. 1997 insgesamt 28675 DM als Darlehen zur Erlangung der Finanzierung. Daraufhin zahlte die Bank am 11. 4. 1997 unter Treuhandauflage 238930,34 DM an den Notar aus, der daraus weisungsgemäß zunächst sämtliche Kosten, die die Kl. aus dem Kaufvertrag zu leisten hätten, insbesondere die Grunderwerbsteuer beglichen.

Die Kl. wurden am 26. 6. 1997 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben vom 28. 7. 1997 und 15. 8. 1997 forderte die Maklerin mit Kündigung das Darlehen von 28675 DM von den Kl. zurück. Mit Schreiben vom 18. 9. 1997 forderten die Kl. den Bekl. unter Hinweis, dass der Kaufpreis von 240000 DM sittenwidrig überteuert und der Vertrag deshalb nichtig sei, zur Rückzahlung des Kaufpreises von 240000 DM Zug um Zug gegen Rückübertragung der Wohnung auf. Der Bekl. lehnte die Rückzahlung ab.

Die Kl. haben behauptet, die Eigentumswohnung sei bei Kaufvertragsschluss höchstens 130000 DM wert gewesen. Vergleichbare Wohnungen in demselben Haus würden für 99000 DM von Maklern angeboten. Die Zahlung der Maklerin in Höhe von 28675 DM könne vom Kaufpreis von 240000 DM nicht abgesetzt werden, da dieser Betrag als Darlehen gegeben und von der Maklerin nach Abschluss des Kaufvertrages zurückverlangt worden sei. Die sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises sei dem Bekl. schon deshalb bekannt gewesen, weil er aus dem Kaufpreis nur einen annähernd dem tatsächlichen Wert der Wohnung entsprechenden Betrag erhalten habe. Die Kl. verlangen außerdem aus sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB Ersatz der Zahlung von 8388,25 DM an die Wohnungseigentümergemeinschaft (Wohngeld monatlich 405 DM) und 4920 DM Lebensversicherungsprämien (monatlich zu zahlen 328 DM). Weiter stehe ihnen ein Anspruch auf Ersatz der Darlehenszinsen von 6,55% seit 11. 4. 1997 und der Feststellung der Verpflichtung des Bekl. zu, sie von allen Kosten aus der Rückabwicklung des Vertrages freizustellen. Der Bekl. ist der Meinung, der Kaufvertrag sei nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Er hat bestritten, dass die Wohnung nur einen Wert von 130000 DM habe. Darüber hinaus könne als Kaufpreis nicht 240000 DM zu Grunde gelegt werden: von ihm seien die Zahlung der Grunderwerbsteuer, der Gerichts- und Notargebühren sowie die Zahlungen an die Makler abzuziehen, so dass ein Kaufpreis von 198900 DM in die Bewertung von Leistung und Gegenleistung einzustellen sei.

Das LG hat der Klage nach Abzug von Nutzungsvorteilen, die den Kl. von April 1997 bis 23. 2. 2000 in Höhe von monatlich 682,50 DM Mietwert angerechnet werden müssten, weitgehend stattgegeben. Es hat das Vorliegen eines Rückzahlungsanspruchs aus § 812 BGB Zug um Zug gegen Rückübereignung der Wohnung wegen Sittenwidrigkeit bejaht, wobei es von einem Verkehrswert der Wohnung bei Kaufvertragsabschluss in Höhe von 120000 DM und einem Kaufpreis von 240000 DM ausgegangen ist. Der Kaufpreis sei nicht um die Kosten des Vertrages und der Grunderwerbsteuer zu vermindern, da diese gem. § 15 des Vertrages von den Kl. neben dem Kaufpreis zu tragen seien. Der Betrag von 28675 DM sei bereits deshalb nicht vom Kaufpreis abzuziehen, da er als Darlehen von dem Büro hingegeben worden sei und zurückgefordert werde. Darüber hinaus hat das LG bezüglich der weiteren Zahlungsanträge, des Zinsantrages und des Feststellungsbegehrens einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bejaht.

Gegen dieses Urteil hat der Bekl. Berufung eingelegt und die Abweisung der Klage begehrt. Die Kl. fordern im Wege der Anschlussberufung weitere 18948,28 DM und die Feststellung, dass der Bekl. sich mit der Rückübertragung der Wohnung in Annahmeverzug befindet und ihnen allen aus dem Wohnungskauf entstehenden weiteren Schaden zu ersetzen hat.

Erfolg hatte nur die Anschlussberufung der Kl.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

A. I. 1. Aus §§ 812, 138 BGB rechtfertigt sich der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises wegen Sittenwidrigkeit des Wohnungskaufvertrages, weil der Kaufpreis den Wert der Wohnung mit 96,7% in besonders grobem Missverhältnis übersteigt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist der Vertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt. Das bejaht die Rechtsprechung, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung ist. Ein solches grobes Missverhältnis lässt i.d.R. den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (BGH, NJW 2001, 1127; NJW 2000, 1487; NJW 1996, 1204; NJW 1994, 1344 [1346]; NJW 1992, 899). Dieses grobe Missverhältnis hat der BGH bereits bei Prozentsätzen von 77,7% (BGH, WM 1980, 597), 81,8% (NJW-RR 1991, 589) und 82,9% (WM 1984, 874) bejaht.

a) Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen der Leistung, der Übertragung von Miteigentum am Grundstück und Sondereigentum an der Wohnung, und dem Kaufpreis liegt vor.

aa) Der Wert der Leistung betrug im Zeitpunkt des Vertragsschlusses 122000 DM. (Wird ausgeführt.)

bb) Der Wert der Gegenleistung der Kl. beläuft sich auf einen Kaufpreis von 240000 DM. Dieser übersteigt mit 96,7% den Wert der Leistung. Damit liegt der Kaufpreis quasi doppelt so hoch wie der Wert der Wohnung. Nach dem Inhalt der Vertragsurkunde und dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat ist die Behauptung des Bekl. widerlegt, zwischen den Kl. und dem Bekl. sei von Anfang an bei Vertragsschluss unter Berücksichtigung, dass aus dem Kaufpreis die Vertragskosten nebst Grunderwerbsteuer und ein Betrag von 28675 DM an den Zeugen F zurückgezahlt werden sollte, nur ein Kaufpreis von rund 198900 DM vereinbart worden und deshalb entfalle eine Sittenwidrigkeit. (Wird ausgeführt.)

cc) Übersteigt der Wert des Kaufpreises den des Grundstücks um 96,3% nahezu um das Doppelte, lässt dieses den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Bekl. zu. Nach der Entscheidung des BGH, NJW 2001, 1127, ist der Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung sogar dann zulässig, wenn er keine Kenntnis von dem Wertverhältnis gehabt hätte; auf eine Kenntnis von einem außergewöhnlichen Zugeständnis kommt es nicht an. Besondere Umstände, die diese Vermutung erschüttern, liegen nicht vor. Im Gegenteil sprechen folgende Umstände für eine Kenntnis des Bekl. von dem Wertverhältnis. (Wird ausgeführt.)

2. Der Höhe nach ist der Anspruch aus §§ 812, 138 BGB auf 216253,71 DM begrenzt. Zug um Zug gegen Rückzahlung haben die Kl. das Sondereigentum an der Wohnung nebst Keller samt den Miteigentumsanteilen am Grundstück lastenfrei um die in Abt. III lfd. Nrn. 4 bis 5 eingetragenen Grundpfandrechte zurück zu gewähren. Demgegenüber brauchen die Kl. die in Abt. III lfd. Nr. 6 zu Gunsten der Wohnungseigentümergemeinschaft wegen des Wohngeldes eingetragene Sicherungshypothek über 18948,28 DM deshalb nicht zu beseitigen, weil sie im Wege des Schadensersatzes Freistellung bezüglich des Wohngeldrückstandes von dem Bekl. verlangen können (s. u. C).

Die Kl. haben mit ihrer Anschlussberufung ihren Zug-um-Zug-Antrag in einem anderen Punkt umgestellt: da ihnen ein Stellplatz nicht verkauft wurde, beantragen sie zu Recht, die vom LG insoweit ausgesprochene Rückgewährpflicht entfallen zu lassen.

Der Bekl. hat Gegenansprüche aus Wohnnutzungsvorteilen. Da angesichts des Vorliegens von § 138 BGB nicht die Saldotheorie gilt, findet keine automatische Ermittlung des Bereicherungsüberschusses statt (BGH, NJW 2001, 1127). Der Bekl. hat aber mit Ansprüchen auf Erstattung von Wohnnutzungsvorteilen bereits in erster Instanz die Aufrechnung erklärt. In Wahrheit handelt es sich um die Anrechnung von Vorteilen; abgesehen davon, dass der Anspruch der Kl. nicht nur aus unerlaubter Handlung, sondern auch aus § 812 BGB folgt, steht § 393 BGB dieser Anrechnung im Wege des Vorteilsausgleichs nicht entgegen (Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. § 393 Rdnr. 2). Der vom LG in seinem Urteil bis 23. 2. 2000 ermittelte Betrag von 23746,29 DM - ausgehend von einem durch das Gutachten des Gutachterausschusses ermittelten Mietwert von 682,50 DM monatlich - ist in der Berufungsinstanz weder angegriffen noch erweitert worden. Da die Kl. angegeben hat, die Wohnung werde durch sie und ihren Mann nicht mehr genutzt, vermochte der Senat auch aus dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung keine weitere Nutzungsvorteilsberechnung vornehmen.

II. Aus Verschulden bei Vertragsschluss und § 826 BGB steht den Kl. ein Schadensersatzanspruch zu, der die Rückzahlungsforderung rechtfertigt. Dessen Voraussetzungen sind unten im Kapitel C des Urteils dargelegt.

B. Die Feststellungsklage bezüglich des Annahmeverzugs ist zulässig und begründet. Annahmeverzug ist eingetreten, weil der Bekl. die ihm angebotene Rückauflassung abgelehnt hat. Verlangt der Grundstückskäufer bereits vorprozessual Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückauflassung - Schreiben vom 18. 9. 1997 - und lehnt der Verkäufer dieses ab - Schreiben vom 3. 11. 1997 -, so kommt er durch das wörtliche Angebot im Zahlungsantrag mit Klagezustellung in Annahmeverzug (BGH, NJW-RR 1992, 201; Hagen/Brambring, Der Grundstückskauf, 7. Aufl., Rdnr. 145).

C. Aus Verschulden bei Vertragsschluss und § 826 BGB hat der Bekl. zum einen die auf 216253,71 DM verminderte Kaufpreisforderung zurück zu gewähren; darüber hinaus steht den Kl. ein Schadensersatzanspruch auf Freistellung von der Inanspruchnahme aus der Forderung der Wohnungseigentümergemeinschaft in Höhe von 18948,28 DM zu. Die Rechtsprechung des BGH bejaht eine Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens desjenigen, der einen sittenwidrigen, einseitig ihn begünstigenden Vertrag zum Nachteil des anderen verwendet und daran festhält. Der Haftungsgrund besteht in der Verletzung vorvertraglicher Rücksichtnahmepflichten gegenüber dem Vertragspartner (BGH, NJW 1996, 1204; NJW 1987, 639; Palandt/Heinrichs, § 276 Rdnr. 77). Der Anspruch besteht unabhängig von § 826 BGB (BGH, NJW 1987, 639). Der Bekl. wusste, dass die Kl. die Wohnung mit einem Kaufpreis von 240000 DM bei weitem überteuert erwarben. Aus diesem Grunde haftet der Bekl. auch aus § 826 BGB. Der Bekl. hat den Kl. in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt, indem er ohne Rücksicht auf die Vermögensinteressen der Kl. diesen eine weitaus überteuerte Wohnung veräußerte, für deren Kauf sie unter Zugrundelegung des Marktpreises nur wenig mehr als die Hälfte des Kaufpreises hätten aufwenden dürfen. Die sittenwidrige Überteuerung und der bei den Kl. eingetretene Schaden waren vom Vorsatz des Bekl. umfasst.

Da der Schadensersatzanspruch der Kl. auf die Rückgängigmachung des Vertrages und seiner Folgen gerichtet ist, können die Kl. die Freistellung von der Inanspruchnahme aus der Forderung des F (Verwalter) der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Wohngeld in Höhe von 18948,28 DM nebst Zinsen gemäß dem Beschluss des AG Hamm vom 29. 12. 1999 verlangen. Auch der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Die Kl. können den weitergehenden entstandenen und entstehenden Schaden bislang nicht abschließend beziffern. Aus der Rückabwicklung des Vertrages, zumal aus der vorzeitigen Auflösung des Darlehensvertrages, der Pflicht zur Zahlung öffentlich-rechtlicher Grundabgaben und des zukünftigen Wohngeldes, sind den Kl. möglicherweise weitergehende Schäden als in den übrigen Verurteilungsaussprüchen berücksichtigte entstanden oder drohen ihnen. Auch gegen diesen Anschlussberufungsantrag trägt der Bekl. Einwände nicht vor.

Rechtsgebiete

Maklerrecht