Verkehrssicherheitspflicht bei Spielgeräten auf öffentlichem Spielplatz

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

28. 04. 1987


Aktenzeichen

VI ZR 127/86


Leitsatz des Gerichts

  1. An die Sicherheit, insbesondere an den Erhaltungszustand der Spielgeräte eines öffentlichen Kinderspielplatzes sind besonders strenge Anforderungen zu stellen.

  2. Zu den Pflichten eines Gärtnermeisters, der bei einem städtischen Gartenbauamt beschäftigt ist und es übernommen hat, die seinem Dienstherren Spielplatzbenutzern gegenüber obliegende Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die damals 12jährige Kl. erlitt am Sonntag, dem 28. 3. 1982 auf einem öffentlichen Kinderspielplatz in B. erhebliche Verletzungen an Augen, Nase und Kiefer, als ein dort aufgestellter Rundlaufdrehpilz, an dessen Haltegriffe sowohl sie als auch ein Junge sich gehängt hatten, nach einigen Umdrehungen abbrach und die Kl. unter sich begrub.

Das Dach des Drehpilzes war an einem Stahlrohrmast mit einem Durchmesser von etwa 108 mm und einer Wandstärke von etwa 5 mm befestigt. Dieser Mast diente auch zur Verankerung des Drehpilzes. Zu diesem Zweck war er in der Erde in einen Betonblock von 1,5 m Höhe und 1,2 m Durchmesser etwa 50 cm tief einbetoniert. Der Betonblock, dessen obere Fläche nach innen zum Stahlrohrmast hin eine Neigung besaß, war etwa 16 cm hoch mit Sand bedeckt. Der Drehpilz ist abgebrochen, weil sein Stahlrohrmast unmittelbar im Bereich seines Austrittes aus dem Betonsockel durchgerostet war. Das Bezirksamt Ch. (im folgenden Bezirksamt) hatte den Pilz im Jahre 1974 aufstellen lassen. Das Gartenbauamt, dessen (beamteter) Leiter der frühere Zweitbekl. ist, war mit der Unterhaltung des Spielplatzes und der Wartung und Kontrolle der Spielgeräte beauftragt. Im Jahre 1980 waren außer dem Drehpilz sämtliche auf dem Spielplatz aufgestellten Spielgeräte ausgebaut und überprüft worden. Im September 1981 hatte das Bezirksamt den aus der Sandfläche herausragenden Teil des Stahlrohrmastes mit einem neuen Farbanstrich versehen lassen. Der Erstbekl., ein bei dem Gartenbauamt angestellter Gärtnermeister, hatte seit dem 1. 5. 1980 die laufenden Pflege- und Unterhaltungsarbeiten auf dem Spielplatz auszuführen und die Spielgeräte werktäglich zu überprüfen. Die letzte Überprüfung hatte er zwei Tage vor dem Unfall der Kl. vorgenommen. Er hatte dabei auch den Drehpilz auf einen einwandfreien Lauf untersucht und danach das Gerät einer Belastungsprobe unterzogen, indem er an dem unterhalb des Pilzes umlaufenden Rohrrahmen gerüttelt bzw. versucht hat, zu schieben oder zu ziehen, ohne Schwingungen oder Veränderungen an dem Rohrmast feststellen zu können.

Die Kl. hat in einem anderen Rechtsstreit ein (rechtskräftiges) Urteil erwirkt, wonach B. verpflichtet ist, an sie ein Schmerzensgeld von 38000 DM zu zahlen und ihr alle künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr durch den Unfall noch entstehen werden, soweit ihre Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Gegen die beiden Bekl. dieses Rechtsstreits hat die Kl. die gleichen Ansprüche geltend gemacht. Das LG hat der Klage auch gegen den Erstbeklagten (im folgenden Bekl. genannt) stattgegeben. Die Berufung des Bekl. hatte keinen Erfolg. Seine Revision führte zur Klageabweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat festgestellt, dass der Bekl. die Konstruktion des Drehpilzes und die erheblichen Kräfte kannte, die infolge der Drehbewegungen des Pilzes beim Spielen der Kinder auf dessen Stahlrohrmast einwirkten, und dass ihm auch bekannt war, dass dieser bereits längere Zeit vor dem 1. 5. 1980 in Benutzung genommen worden war.

Das BerGer. ist der Auffassung, diese Umstände hätten es nahe gelegt, dass bei der ständigen Benutzung des Drehpilzes auch Beeinträchtigungen seiner Standsicherheit durch eine Lockerung des Stahlrohrmastes unterhalb der Erdoberfläche entstehen können. Es meint, der Bekl. habe den Bereich unter der Erdoberfläche in seine Kontrollen miteinbeziehen müssen. Im Übrigen sei die Rostanfälligkeit von Stahl bei im Erdboden vorhandener und dort eindringender Feuchtigkeit allgemein bekannt. Der Bekl. habe die notwendigen Sicherungsvorkehrungen zur Kontrolle der Standfestigkeit des Drehpilzes fahrlässig unterlassen. Bei einer ihm zumutbaren Freilegung des Betonblockes und einer Untersuchung des Bereiches am unmittelbaren Austritt des Mastes aus dem Betonblock würde der Bekl. den gefährlichen Zustand des Stahlrohrmastes festgestellt haben.

II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Rechtsfehlerfrei bestimmt das BerGer. allerdings die objektiven Sicherungspflichten, die der Stadt B. bzw. ihrem Bezirksamt auf dem Spielplatz oblagen, auf dem die Kl. den Unfall erlitten hat.

a) Der erkennende Senat folgt dem BerGer. darin, dass sich der Inhalt und der Umfang der Verkehrssicherungspflicht sowohl nach der Konstruktion des Drehpilzes richtet als auch nach der starken und ständigen Beanspruchung dieses Gerätes durch spielende Kinder. Wenn das BerGer. daraus die Pflicht zu einer regelmäßigen Wartung und Kontrolle des Drehpilzes auf seine Standfestigkeit ableitet, die sich nicht nur auf seine aus der Erdoberfläche herausragenden Teile beschränken durfte, so ist auch dagegen aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Wie schon das LG im Parallelprozess gegen B zu Recht hervorgehoben hat, sind an die Sicherheit, insbesondere an den Erhaltungszustand der Spielgeräte eines öffentlichen Kinderspielplatzes besonders strenge Anforderungen zu stellen. Grundsätzlich müssen Kinder und ihre Eltern uneingeschränkt darauf vertrauen können, dass sich die Spielgeräte in einem ordnungsgemäßen Zustand befinden und dass vor allem so schwere Verletzungen, wie sie aufgrund der hier festgestellten Mängel des Drehpilzes zu erwarten waren und eingetreten sind, ausgeschlossen bleiben. Das BerGer. konnte deshalb auch unbedenklich davon ausgehen, dass es erforderlich war, die Überprüfungsmaßnahmen auch auf den in der Erde befindlichen und nicht sichtbaren Teil des Drehpilzes auszudehnen.

b) Entgegen der Annahme der Revision wäre es den Bediensteten des Gartenbauamtes auch durchaus zumutbar gewesen, jedenfalls gelegentlich, die unterhalb der Erdoberfläche befindlichen Teile des Drehpilzes zu überprüfen. Dies wäre mit geringen zusätzlichen Mitteln möglich gewesen, da dazu nur die etwa 16 cm starke Sandschicht von dem Betonsockel entfernt zu werden brauchte.

2. Aufgrund der vom BerGer. getroffenen Feststellungen kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass es der Bekl. fahrlässig unterlassen hat, die notwendigen Sicherungsvorkehrungen zur Kontrolle der Standfestigkeit des Drehpilzes zu treffen.

a) Zutreffend nimmt das BerGer. allerdings an, dass es der Bekl. im Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben grundsätzlich übernommen hatte, die seinem Dienstherren gegenüber den Benutzern der auf den Spielplätzen aufgestellten Spielgeräten obliegende Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen und in diesem Zusammenhang alle erforderlichen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, die zumutbar waren, um die Benutzer vor den Gefahren zu schützen, die über das übliche, bei bestimmungsgemäßer und zweckgerichteter Benutzung der Spielgeräte vorhandene Risiko hinauszugehen.

Indes zieht das BerGer. den Kreis der dem Bekl. damit zugewachsenen Eigenverantwortung zu weit, wenn es sie auch auf die Ausschaltung der Umstände bezieht, die hier zu dem Unfall geführt haben. Grundsätzlich bestimmt der Inhalt der übernommenen Aufgaben das Maß der Sorgfalt, das der Beauftragte zu beachten hat. Das BerGer. verlangt deshalb auch mit Recht von dem Bekl., dass er auf Gefahren achten muss, die aus einer Lockerung des Stahlrohrmastes des Drehpilzes für dessen Standfestigkeit entstehen konnten. Er hätte, wenn er damit rechnen musste, dass der Mast des Drehpilzes beim Austritt aus dem Betonsockel durchrosten konnte, ferner auch diese Gefahrenstelle von Zeit zu Zeit freischaufeln und in Augenschein nehmen müssen. Der Bekl. musste aber nicht davon ausgehen, dass er von seiner Anstellungsbehörde ohne entsprechende Anweisung auch mit der Kontrolle der Spielgeräte auf die spezifischen Gefahren einer Kontaktkorrosion bzw. Lokalelementbildung unterhalb der Erdoberfläche beauftragt worden war, die zwar den für die Aufstellung der Spielgeräte Verantwortlichen, nicht aber ihm als Gärtnermeister bekannt sein mussten.

b) In den damals maßgebenden DIN-Vorschriften über Kinderspielgeräte war die Korrosionsgefährdung von Stahlteilen, die in Beton verankert und dann teilweise mit Sand bedeckt werden, durch Kontaktkorrosion bzw. Lokalelementbildung nicht erwähnt (vgl. DIN 7926 Teil 1 vom Dezember 1976) und es gab auch keine Anweisungen des Gartenbauamtes an die zur Überwachung der Spielgeräte eingesetzten Personen, in der diese auf Gefahren einer Kontaktkorrosion hingewiesen und im Hinblick darauf angehalten wurden, in bestimmten Zeitabständen die Verbindungsstelle zwischen Stahl und Beton freizulegen und die Stabilität des Stahlrohrmastes zu überprüfen. Die allgemein gehaltenen Prüfanweisungen in DIN 7926, Teil 1, die sich in Abschnitt 9, der die gesamte Instandhaltung betrifft, befinden, waren, wie schon in dem Gutachten der Bundesanstalt für Materialprüfung vom 14. 4. 1982 (...) ausgeführt worden ist, ohne Hinweis auf die besondere Gefährdung der Grenzflächen zwischen Beton und Erdboden und auf die Lokalelementbildung in diesem Bereich nicht ausreichend, „da sie für das auf Korrosionsprobleme nur unzureichend vorbereitete Personal der in Frage kommenden Überwachungsinstitute kaum Anhaltswerte für eine stärkere Überwachung gerade dieser Bereiche lieferten“.

Die Dienstanweisung hätte deshalb dem Bekl. erläutern müssen, worauf er besonders zu achten hatte (vgl. BGH, NJW 1965, 815 zur Verpflichtung von Straßenwärtern, den Standfuß der an einer Bundesstraße stehenden Bäume bis zum Erdboden genau zu besichtigen und dazu nötigenfalls Straßenkehricht, Unkraut, Gras und ähnliche Sichtbehinderungen zu entfernen). Von einem Gärtnermeister, wie es der Bekl. ist, sind dagegen die vom BerGer. vorausgesetzten Spezialkenntnisse über Korrosionsgefahren ohne einen solchen Hinweis nicht zu erwarten. Er durfte darauf vertrauen, dass die Zuständigkeit für derartige spezifische Gefahren entsprechenden Fachleuten übertragen war, nicht aber ihm, wenn seine Anstellungsbehörde ihn als Gärtnermeister ohne detaillierte Anweisung ließ. Von untergeordneten Mitarbeitern eines Betriebes oder einer Verwaltungsstelle kann nämlich im allgemeinen nicht verlangt werden, dass sie über den Stand oder die Ergebnisse der für ihre Tätigkeit einschlägigen wissenschaftlichen Diskussion oder bestimmter schwieriger technischer Zusammenhänge informiert sind, sondern nur von Arbeitnehmern, die in diesem Bereich Leitungsfunktionen haben (vgl. Schmidt=Salzer, Produkthaftung, 1973, Rdnr. 217). Sie handeln deshalb grundsätzlich nicht fahrlässig, wenn sie ihre Tätigkeit nach den ihnen erteilten Anweisungen und betrieblichen Vorschriften ausrichten (Senat, VersR 1978, 963 betreffend Montagearbeiten an einer Verkehrssignalanlage).

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht