Zumutbarkeit einer Hundezucht neben Wohnhäusern

Gericht

OVG Lüneburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

30. 09. 1992


Aktenzeichen

6 L 129/90


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. wandte sich gegen ein bauaufsichtsbehördliches Nutzungsverbot des Bekl., mit dem ihr das ungenehmigte Halten von mehr als zwei Hunden auf ihrem Wohngrundstück untersagt und die Entfernung aller bisherigen dortigen Zuchtdackel aufgegeben wurde. Das 32 m tiefe und bis zu 30 m breite Hausgrundstück der Kl. ist im Bebauungsplan als Teil eines zweigeschossig in offener Bauweise bebaubaren allgemeinen Wohngebiets ausgewiesen und seit 1977 mit einem Einfamilienhaus bebaut. Hier betrieb die Kl. seit Jahren ohne Baugenehmigung eine Zucht von Rauhhaardackeln mit einem Hundezwinger südlich hinter ihrer Garage, gut 5 m von dem Wohngrundstück des Beigel. nordöstlich entfernt. Die Tiere wurden in der Tageszeitung zum Verkauf angeboten. Auf den Betrieb wies ein Werbeschild vor dem Grundstück hin. Der 4,40 m x 3,90 m große Zwinger ist mit Zementbodenplatten befestigt und mit einem 1,10 m hohen Maschendraht umgeben. Er dient als Auslauf für die Tiere in dem Nebengebäude der Kl. Mit Verfügung forderte der Bekl. die Kl. auf, alle Hunde (bis auf zwei nicht der Zucht dienende Tiere) von dem Grundstück zu entfernen, und untersagte zugleich die künftige entsprechende Haltung von Zuchthunden.

Die Klage blieb auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Zwar ist der Kl. darin beizupflichten, dass zwischen lauten und leisen Hunden unterschieden werden muss. So können in einem allgemeinen Wohngebiet mit eher ländlichem Charakter zwei Hundezwinger für je einen Kaninchenrauhhaardackel durchaus zulässig sein (vgl. VGH Mannheim, BRS 52 Nr. 49). Auch das vom VG zitierte Urteil des Senats vom 14. 7. 1989 (6 A 94/88, n. v.) ist hier nicht ohne weiteres einschlägig, weil es eine Hovawart-Zucht mit zwei großen Rüden, zwei Hündinnen und sechs Welpen ... betraf und die damalige Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO wegen fehlenden Feststellungsinteresses von vornherein keinen Erfolg haben konnte.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Nutzungsverbots kann aber im übrigen nicht nur der Bebauungsplan ... i. V. mit den §§ 4, 14 und 15 I 2 BauNVO und dem bebauungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme sein (vgl. BVerwGE 67, 334 = NJW 1984, 183 und BVerwG, NVwZ 1985, 652 f.; VGH Mannheim, BRS 49 Nr. 88 = BauR 1989, 697 f. zur Unterbringung von zwei Schäferhunden in offenen Zwingern nahe der Nachbargrenzen in einem allgemeinen Wohngebiet), sondern auch das landesrechtliche Belästigungsverbot:

Nach § 1 I 3 NdsBauO dürfen unzumutbare Belästigungen durch bauliche Anlagen (und ihre Nutzung) nicht entstehen. Belästigend können auch Störungen durch Geräusche sein, die das Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit oder Lebensfreude von Menschen beeinträchtigen, ohne schon die Gesundheit zu bedrohen (vgl. § 1 I 2 NdsBauO; Grosse=Suchsdorf-Schmaltz-Wiechert, NdsBauO, 5. Aufl. (1992), § 1 Rdnr. 19). Unzumutbar sind u. a. solche Lärmbelästigungen, die nach der in der Bevölkerung vorherrschenden Auffassung objektiv nicht hinzunehmen sind. Dabei kommt es im Einzelfall auf die Art, Stärke und Dauer der Störung, aber auch auf den Gebietscharakter der näheren Umgebung an. In einem Garten eines reinen Wohngebiets ist daher ein Hundezwinger für mehrere große Hunde (sechs Deutsche Doggen hinter einem Wohnhaus) auch dann unzulässig, wenn diese aus reiner Liebhaberei gehalten werden (vgl. OVG Münster, BRS 30 Nr. 29). Aber auch in einem allgemeinen Wohngebiet kann das Halten zweier Schäferhunde zur Nachtzeit außerhalb des Wohnhauses wegen der Störung der Nachtruhe durch das Bellen untersagt werden (BVerwG, NVwZ 1993, 268 = UPR 1992, 111). Dazu bedarf es weder der Vernehmung betroffener Nachbarn als Zeugen noch eines gerichtlichen Ortstermins (BVerwG, NVwZ 1993, 268 = UPR 1992, 111).

Der landesrechtliche Begriff der unzumutbaren Belästigungen findet sich nicht nur in der Grundnorm des § 1 I 3 NdsBauO, sondern auch in mehreren Einzelvorschriften, z. B. in den §§ 19, 21 II, 40 V, VII und IX, 42 III NdsBauO. Nach § 46 I 2 NdsBauO müssen Kraftfahrzeug-Stellplätze ebenfalls so angeordnet und beschaffen sein, dass ihre Benutzung nicht zu unzumutbaren Belästigungen führt. Hierzu gibt es inzwischen eine reichhaltige Einzelfall-Rechtsprechung. Diese Vorschrift kann insbesondere dann verletzt sein, wenn mehrere Garagen oder Stellplätze im Innern von Wohnkomplexen oder im Hintergelände von Wohngrundstücken errichtet werden sollen, wo sie einen erheblichen Störfaktor für die Bewohner der umliegenden Häuser bilden und damit eine unzumutbare Minderung der Wohnqualität bewirken können (vgl. Senat, BRS 52 Nr. 115 = BauR 1992, 55 = MDR 1992, 619 = ZMR 1992, 37 = ZfBR 1992, 47 = NdsRpfl 1991, 280). Auch hierbei kommt es für die Beurteilung der Störintensität auf die örtliche Situation an: Das Maß dessen, was den Nachbarn an Belästigungen zumutbar ist, beurteilt sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls, wobei insbesondere die Art und das Maß der baulichen Nutzung des Grundstücks und seiner Umgebung, Standort, Zahl und Benutzungsart der Einstellplätze sowie Lage und Beschaffenheit ihrer Verbindungswege zur öffentlichen Straße von Bedeutung sein können. Das spricht gegen eine Verallgemeinerung beim Anwenden des bauordnungsrechtlichen Begriffes der unzumutbaren Belästigungen überhaupt. Das gilt auch für Störungen durch Tierhaltungen neben Wohnhäusern: Ein nur 5 m von dem nächstgelegenen Wohngrundstück entferntes Gehege für persische Wölfe in einem städtischen Tiergarten wurde trotz des damit verbundenen, auch nächtlichen Wolfsgeheuls für zumutbar gehalten, weil der betroffene Nachbar mit der Errichtung seines Wohnhauses direkt am Zoo auf derartige Tier-Lärmbelästigungen gefasst sein musste und die Standortwahl des Geheges sachgerecht erschien (OVG Saarlouis, BRS 46 Nr. 183). Ebenso kann eine Vogelvoliere für eine Zucht von Wellensittichen bei Beachtung nachbarschützender Auflagen für benachbarte Wohnhäuser zumutbar sein (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 12. 7. 1989 - 1 M 38/89).

Hundezwinger begegnen nach der bisherigen Rechtsprechung in der Nähe sonst ungestörter Wohngrundstücke erheblichen Bedenken, weil eine Mehrzahl von Hunden auf engem Raum in einem offenen Zwinger typischerweise zu einer Lärmpotenzierung führt, z. B. durch gegenseitiges Anbellen, Mitbellen beim Anschlagen von Artgenossen, und zwar auch während der besonders schutzbedürftigen Abend-, Nacht- und frühen Morgenstunden (Senat, NVwZ-RR 1993, 400 L (in diesem Heft) = RdL 1993, 56 = DWW 1993, 142 = UPR 1993, 226). Sogar im unbeplanten Außenbereich wurde eine Hundezuchtanlage in einem 132 qm großen Gebäude für drei Stammhündinnen mit Jungtieren und Welpen (zusammen rd. 15 Tiere) für unzulässig gehalten, weil die davon zu erwartenden Lärmbelästigungen für ein 40 m entferntes Wohnhaus unzumutbar seien (Senat, Beschl. v. 29. 10. 1990 - 6 A 209/88, n. v.; vgl. auch 1. Senat, Urt. v. 27. 9. 1990 - 1 L 169/89, n. v.).

Vergleicht man die bisherigen Entscheidungen mit dem vorliegenden Sachverhalt, so fällt die unmittelbare Nähe zum Wohngrundstück des Beigel. ins Gewicht. Sein Hausgarten reicht bis ca. 5 m an den Hundeauslauf der Kl. heran. Seine Aufenthaltsräume liegen nur ca. 10 m entfernt. Sonst ist die Umgebung frei von so nahen Lärmstörungen durch Tiergeräusche. Der nächste landwirtschaftliche Betrieb liegt 150 m entfernt. Auch das Hundegebell von Dackeln der auf dem Grundstück der Kl. gehaltenen Rasse ist für ein unmittelbar benachbartes Wohnen besonders lästig, weil es das Ruhebedürfnis der betroffenen Anlieger nicht angemessen berücksichtigt. Nicht nur wenn die Tiere unbeaufsichtigt vor sich her winseln und heulen, sondern auch wenn sie vor Freude oder aus besonderem Anlass laut bellen, kann der Schlaf und das Wohlbefinden von Nachbarn auf die Dauer stark beeinträchtigt werden, selbst wenn es sich um erzogene und geprüfte Dackel handelt, die in einem ländlichen Wohngebiet nicht gewerblich, sondern nur als Hobby gehalten und gezüchtet werden. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, außer dem Beigel. habe sich bisher niemand über das Gebell beschwert, zumal die Wahrung des nachbarlichen Friedens andere Nachbarn von entsprechenden Anzeigen abgehalten haben kann. Die Ansicht der Kl., ihr Grundstück liege faktisch in einem Dorfgebiet, weil mehrere landwirtschaftliche Betriebe in der Nähe lägen, zielt offenbar auf eine Anwendbarkeit des § 5 BauNVO. Dies verbietet sich jedoch angesichts des vorliegenden Bebauungsplans, der hier ein relativ dicht bebautes Wohngebiet festsetzt und damit den dortigen Bewohnern ein höheres Maß an Lärmschutz zubilligt als in einem Dorfgebiet nach § 5 BauNVO. Hinzu kommt, dass andere Höfe mit Hundegebell keineswegs so nahe benachbart sind wie die Dackelzucht der Kl.

Der gerügte Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung kann schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil andere Züchter mit mehr als zwei Hunden in der Nähe nicht benannt worden sind und der Bekl. daher auch keinen Anlass hatte, dagegen in gleicher Weise einzuschreiten, während hier ausführlich begründete Nachbarbeschwerden des Beigel. vorlagen, denen nachzugehen war. Der Vorwurf eines willkürlichen Vorgehens ist deshalb unberechtigt.

Der Bekl. hat seine Befugnis, die baurechtswidrige Nutzung des Grundstücks der Kl. zu untersagen, auch nicht etwa durch verspätetes Einschreiten verwirkt. Insbesondere hat er der Kl. gegenüber nicht erklärt, die Dackelzucht dort genehmigen oder dulden zu wollen. Außerdem kommt eine Verwirkung bauaufsichtsbehördlicher Befugnisse in Fällen dieser Art ohnehin nicht in Betracht (vgl. Grosse = Suchsdorf-Schmaltz-Wiechert, NdsBauO, 5. Aufl. (1992), § 89 Rdnr. 45).

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht