Unbilligkeit des Unterhaltsbezugs

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

03. 02. 1982


Aktenzeichen

IV b ZR 654/80


Leitsatz des Gerichts

  1. Hat das Gericht ein schwerwiegendes Fehlverhalten des unterhaltsberechtigten Ehegatten festgestellt, so sind im Rahmen der Prüfung, ob es sich um ein einseitiges, klar bei diesem liegendes Fehlverhalten handelt (§ 1579 I Nr. 4 BGB), nur konkrete Vorwürfe von einigem Gewicht gegen den anderen Ehegatten zu berücksichtigen.

  2. Zur Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 1579 I Nr. 4 BGB.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Nach ihrer Ehescheidung im Jahre 1964 heirateten die Parteien einander erneut am 29. 7. 1966; seit dem 16. 7. 1977 leben sie getrennt. Gemeinschaftliche Kinder sind aus ihrer Verbindung nicht vorhanden. Die Kl. hat am 7. 6. 1975 das Kind P und am 10. 4. 1978 das Kind R geboren, die von demselben außerehelichen Vater D abstammen und deren Nichtehelichkeit rechtskräftig festgestellt worden ist. Mit einem anderen Manne (S) lebte die Kl. in der Zeit vom 1. 7. bis 30. 11. 1978 in einem eheähnlichen Verhältnis zusammen. Die Kl., die nicht erwerbstätig ist, hat den Bekl., der seit 1. 9. 1976 über ein monatliches Nettoeinkommen von mindestens 1783,50 DM verfügt, auf Zahlung eines Trennungsunterhalts von 556 DM monatlich ab 1. 9. 1977 in Anspruch genommen. Das AG hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Anspruch der Kl. sei wegen grober Unbilligkeit ausgeschlossen. In der Berufungsinstanz hat die Kl. ihren Unterhaltsanspruch weiterverfolgt und zusätzlich die Verurteilung des Bekl. zur Auskunft über seine Einkünfte in dem Zeitraum zwischen dem 1. 1. und dem 31. 12. 1979 begehrt, verbunden mit dem Antrag, ab 2. 1. 1980 auf einen sich daraus ergebenden erhöhten Unterhalt zu erkennen. Das OLG hat durch Teilurteil den Bekl. zur Zahlung rückständigen Unterhalts von 16575 DM nebst Zinsen sowie laufenden Unterhalts von monatlich 556 DM ab 1. 3. 1980 verurteilt und dem Auskunftsanspruch stattgegeben.

Die - zugelassene - Revision der Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... 1. Die prozessuale Rüge, das BerGer. habe nicht durch Teilurteil für die Zeit ab 1. 1. 1980 auf eine Unterhaltsrente erkennen dürfen, weil ungewiss sei, wie die begehrte Auskunft über die Einkünfte des Bekl. ausfalle, greift nicht durch. Das BerGer. hat festgestellt, dessen monatliches Nettoeinkommen von 1783,50 DM habe sich in späterer Zeit nicht ermäßigt. Die von ihm zuerkannte Unterhaltsrente ab 1. 1. 1980 stellt danach eine Mindestrente dar, die sich im weiteren Verfahren aufgrund der Auskunft des Bekl. allenfalls noch erhöhen kann. § 301 ZPO ist nicht verletzt, weil die durch Teilurteil bereits zuerkannte Unterhaltsrente von dem Ergebnis des weiteren Verfahrens unberührt bleibt.

2. Das BerGer. ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kl. grundsätzlich nach § 1361 I 1 BGB den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt verlangen kann. Ihre Unterhaltsberechtigung ist nicht dadurch entfallen, dass sie am 1. 7. 1978 eine eheähnliche Gemeinschaft mit einem anderen Mann begründet hat; eine Gleichstellung mit dem Fall der Wiederverheiratung und dem damit gem. § 1586 I BGB verbundenen Erlöschen des Unterhaltsanspruchs scheidet aus (BGH, NJW 1980, 124 = FamRZ 1980, 40 (41); Senatsurt., NJW 1981, 1782 = FamRZ 1981, 752 (753)).

3. Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg dagegen, dass das BerGer. zu dem Ergebnis gelangt ist, die Kl. könne nach den gegebenen Umständen nicht auf eine Erwerbstätigkeit verwiesen werden, § 1361 II BGB. Das BerGer. hat entscheidend darauf abgehoben, dass der Kl. eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden könne, weil sie zwei Kleinkinder zu betreuen habe. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dass auch die Pflege und Erziehung nicht gemeinschaftlicher Kinder zu den zu berücksichtigenden persönlichen Verhältnissen eines Ehegatten i. S. von § 1361 II BGB gehört, ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt (NJW 1979, 1348 = LM § 1579 BGB Nr. 1 = FamRZ 1979, 569 (571) und NJW 1979, 1452 = LM § 1579 BGB Nr. 2 = FamRZ 1979, 571 (572); Senatsurt., NJW 1981, 448 = FamRZ 1981, 17 (18)). Dem Umstand, dass es sich hier um nichteheliche Kinder der Kl. handelt, kommt im Rahmen der Prüfung der Härteregelung nach § 1361 III BGB i. V. mit § 1579 BGB Bedeutung zu, die nach Absatz 2 dieser Vorschrift nur ausgeschlossen ist, wenn es sich um gemeinschaftliche Kinder handelt.

4. Die Voraussetzungen der Härteklausel des § 1579 I Nr. 3 BGB (mutwillige Herbeiführung der Bedürftigkeit) hat das BerGer. verneint mit der Erwägung, zwar möge die Kl. bei dem intimen Umgang mit dem Vater ihrer Kinder mit Schwangerschaften gerechnet haben, doch könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie diese bewusst herbeigeführt habe, um an einer Erwerbstätigkeit gehindert zu sein. In seinem nach Erlass des Berufungsurteils verkündeten Urteil vom 8. 7. 1981 (NJW 1981, 2805 = FamRZ 1981, 1042-1044 f.) hat der Senat entschieden, dass nicht nur ein vorsätzliches, sondern auch ein leichtfertiges Verhalten des Unterhaltsberechtigten die Annahme der Mutwilligkeit i. S. der Vorschrift begründen kann. Zur Frage der Leichtfertigkeit hat das BerGer. bisher keine Feststellungen getroffen. Es wird dies gegebenenfalls nachzuholen haben.

5. Nach Ansicht des BerGer. kann sich der Bekl. auch nicht auf die Härteklausel des § 1579 I Nr. 4 BGB (grobe Unbilligkeit aus anderen schwerwiegenden Gründen) berufen, weil er insgesamt nicht hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt habe, dass ein schwerwiegendes, klar bei der Kl. liegendes und evidentes Fehlverhalten vorliege. Zwar treffe die Kl. ein erhebliches eheliches Fehlverhalten, weil sie mit dem Erzeuger ihrer Töchter - wenn auch ohne mit ihm zusammenzuleben - die Ehe gebrochen und weil sie nach der Trennung der Parteien fünf Monate mit einem anderen Manne in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe. Ungeklärt sei jedoch, ob die Ehe der Parteien bis zur Trennung „durchschnittlich“ verlaufen sei und das Verschulden an dem Scheitern der Ehe nur auf seiten der Kl. liege. Bereits in den drei Jahren vor der Trennung der Parteien sei es nicht mehr zum ehelichen Verkehr gekommen, ohne dass der Bekl. Gründe hierfür vorgetragen habe. Aufgrund der Zeugenaussage der Mutter der Kl. stehe fest, dass der Bekl. der Kl. ihren ersten Fehltritt, der zur Geburt der Tochter P geführt habe, verziehen habe. Ferner habe die Kl. substantiiert vorgetragen, dass der Bekl. sehr oft völlig betrunken nach Hause gekommen sei und sie dann beschimpft, sich in der Wohnung übergeben und Wasser und Kot ins Bett gelassen habe. Dieses Vorbringen habe der Bekl. nicht ausgeräumt, obwohl er beweispflichtig dafür sei, dass das Verschulden am Scheitern der Ehe klar auf seiten der Kl. liege. Diese Ausführungen halten nicht in allen Teilen den Angriffen der Revision stand.

a) Ihr rechtlicher Ausgangspunkt entspricht der Rechtsprechung des BGH, dass ein schwerwiegendes und klar bei einem der Ehegatten liegendes Fehlverhalten geeignet ist, die Voraussetzungen des § 1579 I Nr. 4 BGB zu erfüllen (BGH, NJW 1979, 1348 und NJW 1979, 1452; Senatsurt., NJW 1980, 1686 (1687) = FamRZ 1980, 665 (666,); NJW 1981, 1214 = FamRZ 1981, 439, (440 f.) und NJW 1981, 1782). Ein solches Fehlverhalten kann insbesondere in der Aufnahme eines nachhaltigen, auf längere Dauer angelegten intimen Verhältnisses mit einem anderen Partner liegen, weil darin eine so schwerwiegende Abkehr von den ehelichen Bindungen zu sehen ist, dass nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit, der dem ehelichen Unterhaltsrecht zugrunde liegt, die Inanspruchnahme des anderen Ehegatten auf Unterhalt grob unbillig erscheint (vgl. Senatsurt., NJW 1981, 1214; zust. Soergel-Häberle, BGB, 11. Aufl., § 1579 Rdnr. 14; Griesche, FamRZ 1981, 1028). Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das BerGer. in den außerehelichen Beziehungen der Kl. zu anderen Männern ein schwerwiegendes Fehlverhalten in diesem Sinne gesehen hat. Ob bei der Prüfung dieser Frage ins Gewicht fällt, dass aus diesen Beziehungen zwei Kinder hervorgegangen sind, die die Kl. an einer Erwerbstätigkeit hindern und damit ihre Unterhaltsbedürftigkeit begründen, braucht der Senat in diesem Zusammenhang nicht zu entscheiden.

b) Das Berufungsurteil hält jedoch den Angriffen der Revision nicht stand, soweit es zu dem Ergebnis gelangt, der Bekl. habe insgesamt nicht hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, dass ein einseitiges, klar bei der Kl. liegendes Fehlverhalten vorliege. Aus der grundsätzlichen Abkehr des Gesetzgebers vom Schuldprinzip ist zu folgern, dass im Rahmen der Prüfung der Einseitigkeit des Fehlverhaltens nicht jeglichen Vorwürfen nachzugehen ist, die gegen den unterhaltspflichtigen Ehegatten erhoben werden, sondern dass nur konkret vorgebrachte Verfehlungen von einigem Gewicht Bedeutung erlangen können, die dem Unterhalt begehrenden Ehegatten das Festhalten an der Ehe erheblich erschwert haben und sein eigenes Fehlverhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen. Die Beurteilung des beiderseitigen Verhaltens einschließlich seiner Abwägung ist wesentlich Sache der tatrichterlichen Würdigung. Daher ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das BerGer. vom Bekl. verlangt hat, den Vortrag der Kl. in Bezug auf seine oftmalige Trunkenheit und die damit zusammenhängenden Vorgänge auszuräumen. Es geht hier nicht von einer unzutreffenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast aus. Die tatsächlichen Voraussetzungen des § 1579 I Nr. 4 BGB - einer rechtsvernichtenden Einwendung - hat der Unterhaltspflichtige darzulegen und zu beweisen (vgl. Göppinger-Häberle, UnterhaltsR, 4. Aufl., Rdnr. 1716; Palandt-Diederichsen, BGB, 41. Aufl., § 1579 Anm. 1), wozu grundsätzlich gehört, dass er Vorbringen der Gegenpartei, das im Falle der Richtigkeit gegen die Annahme einer groben Unbilligkeit sprechen würde, zu widerlegen hat. Soweit er ein derartiges Vorbringen lediglich in Abrede stellen kann, sind allerdings an die Substantiierung seiner Darlegungen nach dem auch das Prozessrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben keine hohen Anforderungen zu stellen, da es sich wesentlich um die Behauptung so genannter negativer Tatsachen handelt (vgl. BGH, NJW 1981, 577 m. w. Nachw.). Dies hat das BerGer. verkannt, wenn es hinreichende Darlegungen des Bekl. zur Ausräumung der Vorwürfe der Kl. vermisst hat. Dafür musste genügen, dass der Bekl. mit Schriftsatz vom 9. 9. 1977 vorgebracht und durch die Zeuginnen R und S unter Beweis gestellt hat, die Kl. habe ihn aus Laune und Willkür aus der Wohnung geworfen, obwohl er sich während der Ehe einwandfrei verhalten habe und sich nie etwas habe zuschulden kommen lassen. Das Beweisthema lief darauf hinaus, dass der Bekl. alles leugnete, was die Kl. ihm als Fehlverhalten angelastet hat, ohne dass nach der Art dieser Vorwürfe eine weitere Substantiierung möglich und zumutbar war. Die Revision rügt daher zu Recht, dass das BerGer. ohne Erhebung der insoweit angebotenen Beweise den Bekl. nicht habe für beweisfällig ansehen dürfen. Das angefochtene Urteil konnte schon deswegen keinen Bestand haben. Das BerGer. wird im weiteren Verfahren die Beweise erheben und die Frage eines Ausschlusses oder einer Minderung des Unterhaltsanspruches der Kl. nach § 1579 I Nr. 4 BGB erneut prüfen müssen. Da davon auch abhängt, ob eine Auskunft des Bekl. zur Feststellung des Unterhaltsanspruchs ab Januar 1980 erforderlich ist (§§ 1361 IV 4, 1605 BGB), musste das angefochtene Urteil insgesamt aufgehoben werden, soweit zum Nachteil des Bekl. erkannt worden ist.

6. Im weiteren Verfahren wird ferner der Bekl. Gelegenheit haben, seine Angriffe gegen die Würdigung der Aussage der Zeugin R erneut geltend zu machen. Weiterhin kann es jedenfalls hinsichtlich der Höhe des Anspruchs der Kl. auf ein Beweisangebot des Bekl. ankommen, dessen Übergehung die Revision ebenfalls zu Recht rügt. Mit Schriftsatz vom 20. 2. 1980 wurde durch den Zeugen V und die Parteivernehmung der Kl. unter Beweis gestellt, dass diese seit Februar/März 1979 erneut eine ähnliche Gemeinschaft eingegangen ist. Wenn der Bekl. in der Berufungsverhandlung erklärt hat, der Zeuge könne zu dem Beweisthema nichts angeben, wie im Berufungsurteil ausgeführt wird, so liegt darin zwar eine Zurücknahme des Beweisantrages auf Vernehmung des Zeugen, nicht aber des Antrages auf Parteivernehmung der Kl. Das Beweisthema ist erheblich, weil für den fraglichen Zeitraum zumindest die Anrechnung einer Vergütung für die bei der Haushaltsführung und sonstigen Versorgung geleisteten Dienste der Kl. in Betracht kommt, wie sie das BerGer. für den Zeitraum vom 1. 7. bis 30. 11. 1978 bereits vorgenommen hat (vgl. dazu Senatsurt., FamRZ 1980, 879 (880) m. w. Nachw.).

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht; Unterhaltsrecht