Unzulässige Lärmbelästigung durch ein Gemeinschaftshaus
Gericht
LG Aachen
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
26. 02. 1986
Aktenzeichen
4 O 49/85
Zur Beantwortung der Frage, in welchem Ausmaß Lärmbelästigungen der Umgebung zuzumuten sind, können die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ v. 16. 7. 1968 und die VDI-Richtlinie 2058 „Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft“, denen die Qualität von „antizipierten Sachverständigengutachten“ zukommt, als Orientierungshilfen dienen und zur Beurteilung von Geräuschimmissionen im Rahmen des § 906 BGB herangezogen werden.
Zwar muss es grundsätzlich dem Störer überlassen bleiben, wie er die Einwirkung beseitigt. Kommen jedoch andere Abhilfemaßnahmen nicht in Betracht, so ist dem Gestörten ein umfassender Unterlassungsanspruch zuzubilligen. Der Schutz der Nachtruhe erfordert hierbei eine Einstellung des Betriebes ab 21.30 Uhr, um sicherzustellen, dass die letzten Gäste bis 22.00 Uhr das Gemeinschaftshaus verlassen haben.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. sind zu je 1/2 Anteil Miteigentümer eines in einer Bergmannssiedlung gelegenen Hausgrundstücks. Seit März 1982 ist schräg gegenüber ein Gemeinschaftshaus fertiggestellt, das von der Bekl. zu 1 (Stadt) errichtet und durch längerfristigen Pachtvertrag v. 28. 1. 1983 an den Bekl. zu 2 (Siedlergemeinschaft) zum Zwecke der Durchführung von Gemeinschaftsveranstaltungen verpachtet wurde.
Mit der Klage begehren die Kl., die Bekl. als Gesamtschuldner zu verurteilen, es zu unterlassen, in dem Gemeinschaftshaus Veranstaltungen abzuhalten bzw. Veranstaltungen Dritter zuzulassen, die länger als 20 Uhr dauern, mit Ausnahme der Bastelstunden, hilfsweise begehren sie das Verbot der Benutzung bestimmter Geräte der Schallerzeugung und -wiedergabe. Ferner verlangen sie, dass den motorisierten Benutzern des Gemeinschaftshauses auferlegt wird, den vor dem Gemeinschaftshaus gelegenen Wendehammer nicht als Zufahrt und Parkplatz zu benutzen. Sie machen geltend: Seit Mitte 1984 hätten sich die zunächst nur sporadisch durchgeführten Festveranstaltungen in einer so dichten Folge weiterentwickelt, dass sie - die Kl. - unter übermäßigen Lärmeinwirkungen zu leiden hätten. Es seien zahlreiche Veranstaltungen abgehalten worden, die zum Teil bis 3.00 Uhr nachts angedauert und einen Lärmwert von über 60 dB (A) erreicht hätten. Das Gemeinschaftshaus sei im übrigen auch in baulicher Hinsicht für Feste mit Musikveranstaltungen unter Mikrophonverstärkung nicht geeignet. Die Bekl. machen geltend: Aufgrund der in den letzten Monaten vorgenommenen baulichen Veränderungen dringe kein erheblicher Lärm mehr nach außen.
Die Klage hat im wesentlichen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Die Kl. haben gegen die Bekl. als Gesamtschuldner aus § 1004 I 2 BGB i. V. mit § 421 BGB einen Anspruch auf Unterlassung von Veranstaltungen in dem Gemeinschaftshaus ab 21.30 Uhr.
Bedenken gegen die Störereigenschaft der Bekl. zu 1 und 2 sind nicht ersichtlich. Als derjenige, der das Gemeinschaftshaus angemietet hat und betreibt, ist der Bekl. zu 2 Handlungsstörer. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Geräuschbelästigung unmittelbar nicht von dem Gemeinschaftshaus, sondern von seinen Gästen ausgeht. Die Störereigenschaft ist nämlich auch dann zu bejahen, wenn die Beeinträchtigungen adäquat kausal durch den Betrieb der Anlage veranlasst werden (vgl. BGH, NJW 1983, 2020; BGH, NJW 1982, 440). Da auch der Lärm, der von Besuchern auf dem Grundstück des Gemeinschaftshauses und in dessen näherer Umgebung, vor allem auf der Zufahrt und dem Parkplatz beim An- und Abfahren, verursacht wird, eine adäquate Folge des Betriebs des Gemeinschaftshauses ist, hat der Bekl. zu 2 hierfür als mittelbarer Störer einzustehen. Auch die Bekl. zu 1 besitzt Störereigenschaft; sie ist ebenfalls mittelbare Handlungsstörerin (sog. Zweckveranlasserin), da etwaige Geräusche und Störungen aus dem Gemeinschaftshaus letztlich auf ihre Willensbetätigung zurückgehen; sie hat das Gemeinschaftshaus nämlich dem Bekl. zu 2 zu den entsprechenden Zwecken zur Verfügung gestellt.
Eine Pflicht der Kl. nach § 1004 II BGB i. V. mit § 906 BGB, die Lärmbelästigungen zu dulden, besteht nicht, weil die von dem Gemeinschaftshaus ausgehenden Geräusche und Lärmbelästigungen die Benutzung ihres Grundstückes wesentlich beeinträchtigen und nicht ortsüblich sind.
Soweit die Bekl. bestreiten, dass von dem Gemeinschaftshaus mehr als nur unwesentliche Lärmbelästigungen ausgehen, werden sie durch das eingeholte schallmesstechnische Gutachten widerlegt. Aus dem insgesamt überzeugenden Gutachten des Sachverständigen ergibt sich nämlich, dass die Geräusche das zulässige Maß weit übersteigen. Zur Beantwortung der Frage in welchem Ausmaß Lärmbelästigungen der Umgebung zuzumuten sind, können die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ v. 16. 7. 1968 und die VDI-Richtlinie 2058, „Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft“, denen die Qualität von „antizipierten Sachverständigengutachten“ zukommt (vgl. BVerwG, Buchholz 406. 25 § 48 BImSchG Nr. 1), als Orientierungshilfe dienen und zur Beurteilung von Geräuschimmissionen im Rahmen des § 906 BGB herangezogen werden (vgl. BGHZ 46, 35 (40) = NJW 1966, 1858; BGH, NJW 1983, 751; Säcker, in: MünchKomm, § 906 Rdnr. 32). Hiernach erfordert die Wahrung der Nachtruhe, die um 22.00 Uhr beginnt, nach der genannten VDI-Richtlinie 2058 im Wohngebiet die Einhaltung eines Richtwertes von 40 dB (A) und im Mischgebiet eines solchen von 45 dB (A). Diese Werte werden im vorliegenden Fall erheblich überschritten. Der Sachverständige hat festgestellt, dass, wenn die in dem Gemeinschaftshaus vorhandene Lautsprecheranlage - wie auch bei Veranstaltungen - auf einen Pegelwert von 95 dB (A) eingestellt wird, sich vor dem geöffneten Fenster des der Schallquelle am nächsten liegenden Raumes des Hauses der Kl. bei in Kippstellung geöffneten Fenstern des Gemeinschaftshauses (Messung nach VDI 2058) ein Lärmwert von 53 dB (A) ergibt. Da bereits eine Erhöhung um 10 dB (A) eine Verdoppelung der Lautstärke bedeutet, geht es nicht an, die Überschreitung der Richtwerte als nur verhältnismäßig geringfügig anzusehen. Wie der Sachverständige weiter ausgeführt hat, sind die Außenwandkonstruktionen, insbesondere auch die zu leichte Dachkonstruktion, aber auch die Fensterkonstruktion des Gemeinschaftshauses nicht geeignet, eine ausreichende Lärmminderung zu gewähren; die Dachkonstruktion ist im Hinblick auf Schallschutz unterdimensioniert; es fehlt auch eine notwendige Schallschleuse zwischen dem lärmbelasteten Innenraum und dem Eingangsbereich des Gemeinschaftshauses. Insgesamt ist die Schalldämmung des Hauses ungeeignet, um bei Veranstaltungen entstehende Geräuschimmissionen so weit zu mindern, dass bei der Nachbarbebauung keine unzumutbaren Belästigungen mehr entstehen. Für die Frage, ob die Beeinträchtigung wesentlich ist, ist es hierbei ohne Bedeutung, ob durch Schließen der Fenster die Wesentlichkeitsgrenze unterschritten werden kann, da keine Verpflichtung besteht, eine solche Maßnahme zu ergreifen (vgl. BGH, LM § 906 BGB Nr. 32). Ein weiters kommt noch hinzu. Eine besondere Lästigkeit ergibt sich hierbei durch den Verkehrslärm von an- und abfahrenden Personenkraftwagen auf der Zufahrt und dem Parkplatz vor dem Gemeinschaftshaus. So werden erfahrungsgemäß kurzzeitig hohe Schalldrücke durch Schlagen von Kraftfahrzeugtüren, Anfahrvorgänge, lautes Gelächter und Gespräche vor dem Gemeinschaftshaus verursacht. Derartige Einzelgeräusche sind regelmäßig in besonders hohem Maße geeignet, den Schlaf der Nachbarn ungünstig zu beeinflussen und fallen deshalb erfahrungsgemäß besonders ins Gewicht.
Die von dem Gemeinschaftshaus ausgehenden Störungen können auch nicht mehr als ortsüblich i. S. des § 906 II BGB angesehen werden. Ortsüblich ist nur eine Benutzung, die in dem betreffenden Gebiet keine stärkeren Immissionen erzeugt, als sie dort auch sonst vorzukommen pflegen (vgl. BGH, NJW 1962, 234). Wie aus den vorgelegten Fotos zu ersehen ist, sind in der Umgebung keine Grundstücke gelegen, die mit einer nach Art und Maß in etwa gleich beeinträchtigenden Einwirkung benutzt werden (vgl. BGHZ 30, 273 (277, 279) = NJW 1959, 1867 = LM § 906 BGB Nr. 12/13). Anhaltspunkte dafür, dass schon das Gemeinschaftshaus als solches den Gebietscharakter prägt (vgl. BGH, LM § 906 BGB Nr. 49), sind ebenfalls nicht gegeben. Ergibt sich hieraus zum einen, dass die tatsächliche Bebauung der Grundstücke in der näheren Umgebung eher den Charakter eines reinen Wohngebietes als den eines Mischgebietes aufweist - für ein Wohngebiet beträgt der Richtwert nachts nur 40 dB (A) -, und zum anderen, dass das Gemeinschaftshaus in der näheren und weiteren Umgebung der einzige Betrieb ist, der nächtliche Ruhestörungen verursacht, so muss dem Interesse der Nachbarn an einem ungestörten Schlaf vor dem Interesse der Bekl., in dem Gemeinschaftshaus auch noch während der Nachtzeit Veranstaltungen durchzuführen, den Vorrang eingeräumt werden.
Die Kl. haben auch einen Anspruch auf die von ihnen begehrten konkreten Unterlassungsmaßnahmen; sie können allerdings das Verbot von Veranstaltungen erst ab 21.30 Uhr - und nicht, wie beantragt, schon ab 20.00 Uhr - verlangen. Zwar kann der Gestörte grundsätzlich nur Unterlassung der rechtswidrigen Lärmbeeinträchtigungen verlangen; dem Störer muss allgemein überlassen bleiben, wie er die Einwirkung beseitigt; der Urteilsausspruch kann daher in der Regel nur allgemein auf Unterlassung von Störungen bestimmter Art laufen (vgl. BGHZ 67, 252 (253) = NJW 1977, 146 = LM § 1004 BGB Nr. 141; BGH, NJW 1983, 751 (752)). Eine bestimmte Maßnahme kann jedoch dann verlangt werden, wenn sich anders die Beeinträchtigung nicht vermeiden lässt. Um einen solchen Fall handelt es sich hier. Es kommen im vorliegenden Fall nämlich andere denkbare Abhilfemaßnahmen nicht in Betracht, da - wie vom Sachverständigen in seinem Gutachten festgestellt worden ist - die gesamte bauliche Konstruktion des Gemeinschaftshauses nicht geeignet ist, eine ausreichende Lärmminderung zu gewähren. Auch die angeblich von Seiten der Bekl. vorgenommenen Umbaumaßnahmen haben insoweit in keiner Richtung Abhilfe geschaffen. Unter diesen besonderen Umständen ist den Kl. der umfassende Unterlassungsanspruch zuzubilligen. Das Unterlassungsgebot bereits ab 21.30 Uhr rechtfertigt sich, um sicherzustellen, dass die letzten Gäste bis 22.00 Uhr das Gemeinschaftshaus verlassen haben. Eine weitere zeitliche Vorverlegung des Unterlassungsgebotes auf 20.00 Uhr - wie es die Kl. beantragen - kommt nicht in Betracht, da die Nachtruhe erst ab 22.00 Uhr geschützt ist. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus § 9 I des Landesimmissionsschutzgesetzes - NRWImSchG -, wonach (lediglich) von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr Betätigungen verboten sind, welche die Nachtruhe zu stören geeignet sind. Das Verlangen der Kl. nach Unterlassung der Durchführung von Veranstaltungen nach 21.30 Uhr kann auch - ohne Hinzutreten weiterer Umstände - nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Wie sich nämlich aus der in § 906 BGB zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ergibt, hat das Interesse des Eigentümers an der störungsfreien Nutzung seines Eigentums Vorrang vor den Interessen des Störers jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Störung auf einer nicht ortsüblichen Benutzung des Grundstückes beruht.
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