Einstellung des Betriebs eines Drogenhilfezentrums - mittelbarer Störer
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
07. 04. 2000
Aktenzeichen
V ZR 39/99
Der Betreiber eines Drogenhilfezentrums und der Vermieter des Grundstücks, auf dem der Betrieb stattfindet, können als mittelbare Störer für die Behinderung des Zugangs zu dem Nachbargrundstück durch die Drogenszene verantwortlich sein, die sich auf der öffentlichen Straße vor den benachbarten Grundstücken bildet.
Der Anspruch des Nachbarn auf Einstellung des Betriebs eines Drogenhilfezentrums wegen Behinderung des Zugangs zu seinem Grundstück kann wegen des Allgemeininteresses an der Aufrechterhaltung des Betriebs ausgeschlossen sein; in diesem Falle steht dem Nachbarn ein Ausgleichsanspruch in Geld zu, der sich an den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung ausrichtet.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. ist Eigentümer eines im Bahnhofsviertel von Frankfurt a.M. gelegenen, zur gewerblichen Nutzung bebauten Grundstücks. Die Bekl. zu 1 ist Eigentümerin des Nachbaranwesens, in dem bis 1989 ein Bordell betrieben wurde. Sie hat die Liegenschaft zum Betrieb eines Drogenhilfezentrums, das die Tagesstätte „Café Fix“, einen Straßenschalter zum kostenlosen Spritzenaustausch, das Frauen-Café „Kassandra“ sowie eine ärztliche Ambulanz umfasst, an den Bekl. zu 2 vermietet. Der Kl. hat von den Bekl. in erster Linie die Einstellung des Betriebs des Drogenhilfezentrums verlangt. Hilfsweise hat er deren Verurteilung beantragt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit Nutzer des Drogenhilfezentrums und Drogendealer (a) sein Grundstück nicht betreten und (b) nicht verunreinigen, (c) Bewohner und Besucher nicht am Betreten hindern sowie (d) vor dem Grundstück keine gebrauchten Spritzen zurücklassen und (e) keine Menschenansammlungen bilden. Mit dem weiteren Hilfsantrag hat er wegen Beeinträchtigung der Erträgnisse des Grundstücks ab 1. 3. 1992 einen nachbarrechtlichen Ausgleich in Höhe von monatlich 15000 DM geltend gemacht.
Das LG hat dem Hilfsantrag auf Vornahme der zu (a) bis (c) begehrten Maßnahmen stattgegeben. Den Hauptantrag und die weitergehenden Hilfsanträge hat es abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kl. den Hauptantrag sowie die Hilfsanträge zu (d) und (e) mit der Maßgabe weiterverfolgt, dass die Verhinderung von Menschenansammlungen schlechthin begehrt werde. Zusätzlich hat er unter den Gesichtspunkten des Schadensersatzes und des nachbarrechtlichen Ausgleichs die Zahlung von 128245 DM nebst Zinsen wegen Ertragsminderung in den Jahren 1992 bis 1996 und die Feststellung verlangt, dass die Bekl. den durch den Betrieb des Drogenhilfezentrums weiter entstandenen und entstehenden Schaden zu ersetzen haben. Das OLG hat die Berufung des Kl. und die Berufung der Bekl., die die volle Abweisung der Klage zum Ziel hatte, zurückgewiesen. Die Revision des Kl. und die Anschlussrevision der Bekl. hatten teilweise Erfolg und führten insoweit zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Auszüge aus den Gründen:
I. Das Berufungsurteil geht davon aus, dass Drogensüchtige und Drogendealer das Grundstück des Kl. betreten, verunreinigen und den Zugang der Bewohner und Besucher behindern. Die Drogenszene erstrecke sich auf den Gehweg vor dem Grundstück des Kl. und habe abträgliche Auswirkungen auf die Vermietbarkeit des Anwesens. Die Menschenansammlungen und die von diesen hinterlassenen Verunreinigungen des Gehsteiges hätten ihre Ursache im Betrieb des Drogenhilfezentrums. Daher sei eine umfassende und dauernde Beseitigung der Beeinträchtigungen nur durch dessen Einstellung zu erreichen. Dies könne der Kl. aber nicht verlangen, denn das Drogenhilfezentrum diene unmittelbar dem öffentlichen Interesse, nämlich der Drogenpolitik der Stadt Frankfurt a.M.
Es könne dahinstehen, ob in einem solchen Falle ein Beseitigungsanspruch überhaupt ausscheide oder ausnahmsweise dann bestehe, wenn sich nur durch Schließung des Betriebs wesentliche Beeinträchtigungen abwehren ließen. Zur Beseitigung der physischen Einwirkungen auf den Zugang zum Grundstück des Kl. durch Ansammlung von Drogensüchtigen auf dem Gehsteig reiche es aus, wenn die Bekl. durch geeignete Maßnahmen den Zugang freihielten. Die Bekl. könnten eigene Kräfte oder einen privaten Sicherheitsdienst damit beauftragen, die Passage vor dem Drogenhilfezentrum wie auch den Zugang zum Anwesen des Kl. zu sichern. Dies könne - soweit es sich um Kunden des Drogenhilfezentrums handele - notfalls unter Einsatz körperlichen Zwanges geschehen. Da der Kl. die Einstellung des Drogenhilfezentrums nicht verlangen könne, schieden auch Ansprüche auf Schadensersatz oder nachbarrechtlichen Ausgleich aus.
Dies hält den Rechtsmitteln der Parteien nur teilweise stand.
II. Ohne Erfolg bleibt die Revision des Kl., soweit sie sich gegen die Abweisung des Hauptantrags auf Einstellung des Betriebs des Drogenhilfezentrums wendet.
1. Der Anspruch scheitert allerdings, wovon das BerGer. rechtsfehlerfrei ausgeht, nicht daran, dass die Voraussetzungen des Abwehranspruchs aus § 1004 I BGB nicht erfüllt wären.
a) Die vom BerGer. festgestellten Übergriffe auf das Grundstück des Kl. und die Behinderung des Zugangs zu diesem stellen Beeinträchtigungen des Eigentums i.S. des § 1004 I BGB dar. Sie gehen über bloß ideelle oder ästhetische Einwirkungen, die nur begrenzt abwehrfähig sind (BGHZ 54, 56 [59] = NJW 1970, 1541 = LM § 906 BGB Nr. 39a; BGHZ 95, 307 [309] = NJW 1985, 2823 = LM § 1004 BGB Nr. 167), hinaus. Dass der Zugang über einen öffentlichen Weg, hier den Gehsteig vor den benachbarten Grundstücken, verläuft, steht dem Anspruch des Eigentümers auf Beseitigung der Störung nicht entgegen (Senat, NJW 1998, 2058 = LM H. 11/1998 § 1004 BGB Nr. 234).
b) Die Beeinträchtigungen sind den Bekl. als Störern zuzurechnen. Allerdings werden die Übergriffe auf das Grundstück des Kl. und die Behinderung des Zuganges nicht unmittelbar durch Handlungen der Bekl. bewirkt. Unmittelbare Handlungsstörer sind die Teilnehmer der Drogenszene, die sich vor den benachbarten Grundstücken bildet. Handlungsstörer i.S. des § 1004 I BGB ist aber auch derjenige, der die Beeinträchtigung des Nachbarn durch einen anderen in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht (mittelbarer Störer; Senat, BGHZ 49, 340 [347] = NJW 1968, 1281 = LM § 1004 BGB Nr. 98). Ein adäquater Zusammenhang besteht dann, wenn eine Tatsache im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen (BGHZ 57, 137 [141] = NJW 1972, 36 = LM § 812 BGB Nr. 97; BGHZ 137, 11 [19] = NJW 1998, 138 = LM H. 4/1998 § 53b FGG Nr. 11).
aa) Diese Voraussetzungen sind durch den Betrieb des Drogenhilfezentrums seitens des Bekl. zu 2 erfüllt. Die Ansammlung von Drogensüchtigen und von Drogendealern sowie die damit einhergehenden Übergriffe auf das Grundstück des Kl. und die Verunreinigung des Gehsteigs durch Fixerutensilien, Blut und Fäkalien sind adäquate Folgen des Betriebs des Drogenhilfezentrums. Ähnlich wie der Lärm von Besuchern eines Clubs, der auf der Straße beim An- und Abfahren verursacht wird (BGH, NJW 1963, 2020), oder Beeinträchtigungen durch an einer Bushaltestelle wartende Fahrgäste (Senat, NJW 1960, 2335 = LM § 1004 BGB Nr. 51 = JZ 1961, 498) sind derartige Umstände mit dem Drogenhilfezentrum typischerweise verbunden und ihm daher zuzurechnen.
bb) Mittelbare Handlungsstörerin ist auch die Bekl. zu 1. Grundlage hierfür ist ihre Rechtsstellung als Eigentümerin und Vermieterin des Grundstücks, auf dem der störende Betrieb stattfindet. Das RG ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Eigentümer eines Grundstücks für Störungshandlungen seines Mieters verantwortlich gemacht werden kann, wenn er sein Grundstück dem Mieter mit der Erlaubnis zu jenen Handlungen überlassen hat oder wenn er es unterlässt, den Mieter von dem nach dem Mietvertrag unerlaubten, fremdes Eigentum beeinträchtigenden Gebrauch der Mietsache abzuhalten (RGZ 47, 162 [163f.]; RGZ 97, 25 [26]; RGZ 134, 231 [234]; RGZ 159, 129 [136]). Der Senat ist dem im Grundsatz gefolgt und hat für den Fall der Überlassung zum störenden Gebrauch hervorgehoben, dass der Anspruch auf Beseitigung nicht an entgegenstehenden vertraglichen Bindungen des Störers scheitern muss (BGHZ 129, 329 [335] = NJW 1995, 2036 = LM H. 9/1995 § 15 WohnungseigentumsG Nr. 4; Senat, NJW 1967, 246 = LM § 1004 BGB Nr. 90 = WM 1966, 1300 [1302]; vgl. auch LM § 1018 BGB Nr. 14 = WM 1966, 343 [345f.]; NJW 1998, 3273 = LM H. 4/1999 § 1004 BGB Nr. 238 = WM 1998, 2203). Der Vorbehalt hat, wie sich aus den Entscheidungen im Näheren ergibt, nicht die Störereigenschaft des Überlassenden, sondern dessen Vermögen zum Gegenstand, der Störung abzuhelfen (dazu nachfolgend c). Die Rüge der Bekl., es fehle an der Feststellung, dass der Mietvertrag über die Betriebsräume der Bekl. zu 1 überhaupt eine Handhabe biete, auf den Bekl. zu 2 zum Zwecke der Beseitigung der Beeinträchtigung einzuwirken, ist für den Tatbestand der Störung i.S. des § 1004 I BGB mithin nicht maßgeblich.
c) Allerdings scheidet eine Haftung aus § 1004 I BGB aus, wenn feststeht, dass der Kl. einen ihm zuerkannten Beseitigungsanspruch unter keinen Umständen durchzusetzen vermag. Zu einer Leistung, die unstreitig nicht möglich ist, darf niemand verurteilt werden (BGHZ , 388 [393] = NJW 1974, 1552 = LM § 21 WohnungseigentumsG Nr. 2). Zu diesem Punkte bedurfte indessen das Berufungsurteil, entgegen der Meinung der Bekl., keiner weiteren tatsächlichen Grundlagen. Dass der Bekl. zu 2 durch Einstellung des von ihm unterhaltenen Betriebs den Störungen ein Ende setzen kann, liegt auf der Hand. Das Unvermögen der Bekl. zu 1, auf den Bekl. zu 2 im Sinne der Abstellung der Störungen einzuwirken, steht nicht fest. Auf Tatsachenvortrag, wonach der Betrieb des Drogenhilfezentrums ausdrücklich Gegenstand des vertraglichen Gebrauchs war, vermag die Anschlussrevision nicht zu verweisen. Aber auch wenn dies der Fall wäre, stünde nicht fest, dass der Bekl. zu 1 ein Recht zur ordentlichen Lösung des Mietvertrags verschlossen wäre, das die vom Kl. verlangte Abhilfe ermöglichte. Im Übrigen hat es der Senat genügen lassen, dass die Möglichkeit, auf dem Verhandlungswege der Verurteilung des Vermieters aus § 1004 I BGB Rechnung zu tragen, nicht ausgeschlossen ist. Dies läge im Verhältnis der beiden Bekl. besonders nahe. Vor allem sind aber auch die Einwirkungen der Verurteilung des Bekl. zu 2 auf das bestehende Mietverhältnis in Rechnung zu stellen (BGH, NJW 1967, 246 = LM § 1004 BGB Nr. 90). Ein Interesse des Bekl. zu 2 an einer mietrechtlichen Gestattung reduziert sich ohne weiteres im Umfang seiner eigenen Verurteilung.
2. Der Abwehranspruch scheitert aber an dem an der Drogenhilfeeinrichtung bestehenden Allgemeininteresse. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kann ein Abwehranspruch, der die Einstellung eines Betriebs oder einer Anlage zur Folge hätte, ausgeschlossen sein, wenn die störenden Einwirkungen der Erfüllung von Aufgaben dienen, die im Allgemeininteresse liegen und von öffentlich-rechtlichen Trägern oder, wie hier, von unmittelbar dem öffentlichen Interesse verpflichteten gemeinwichtigen Einrichtungen ausgehen (BGHZ 29, 314 [317] = NJW 1959, 936 = LM § 2 Allg. KriegsfolgenG Nr. 4 [Autobahn]; Senat, NJW 1960, 2335 = LM § 1004 BGB Nr. 51 = JZ 1961, 498 [Omnibushaltestelle]; BGHZ 48, 98 [104] = NJW 1967, 1857 = LM § 906 BGB Nr. 24 [Autobahn]; BGHZ 60, 119 [122] = NJW 1973, 508 = LM § 1004 BGB Nr. 123 [Hochspannungsleitung]; BGH, NJW 1980, 770 = LM Art. 14 [Ba] GrundG Nr. 52 [Mülldeponie]; BGHZ 91, 20 [23] = NJW 1984, 1876 = LM Art. 14 [Ca] GrundG Nr. 32 [Kläranlage]; zust. Soergel/Baur, BGB, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 121; Palandt/Bassenge, BGB, 59. Aufl., § 906 Rdnr. 41; Augustin, RGRK, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 69; Staudinger/Gursky, BGB, 1999, § 1004 Rdnr. 185; Bender/Dohle, Nachbarschutz im zivilen VerwaltungsR, 1972, Rdnr. 124; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, Rdnr. 223). Dies ist zwar, vor allem mit dem Argument, die Beschränkung des Abwehranspruchs bedürfe hinsichtlich jedes vorrangigen Interesses einer spezialgesetzlichen Regelung, auf Kritik gestoßen (Säcker, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 906 Rdnr. 132; Staudinger/Roth, BGB, 1996, § 906 Rdnr. 30; Papier, NJW 1974, 1797; Kleinlein, Das System des NachbarR, S. 229; Martens, in: Festschr. f. Schack, 1966, S. 85 [90]). Ihr vermag sich der Senat in dieser Allgemeinheit aber nicht anzuschließen. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind, solange eine umfassende gesetzliche Regelung fehlt, unverzichtbar (zutreffend Soergel/Baur, § 903 Rdnr. 123). Hat zudem, wie hier, das Allgemeininteresse gesetzlichen Ausdruck gefunden (nachstehend aa), ist einem wesentlichen Anliegen der Kritik Rechnung getragen. Bei einer am Eigentum orientierten, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Mindesteingriffs wahrenden (nachstehend zu bb) und die Duldungspflicht (§ 1004 II BGB) durch Ausgleichsleistungen (unten zu IV) kompensierenden Handhabung ist die Begrenzung des Abwehranspruchs am Allgemeininteresse rechtsstaatlich unbedenklich.
aa) Bei der Abwägung außer Betracht zu bleiben hat die Frage der Zweckmäßigkeit der zur Lösung des Drogenproblems konzipierten und praktizierten Mittel. Ein gemeinwichtiges Ziel, das sowohl von Vertretern einer vorwiegend suchtpräventiven und abstinenzorientierten Richtung als auch von den Befürwortern einer konsumbegleitenden Hilfeleistung verfolgt wird, ist die Eindämmung der Sucht und die Hilfe für die Drogenabhängigen. An der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs hält auch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom 28. 3. 2000 (BGBl I, 302) fest, das die Vermittlung ausstiegsorientierter Angebote der Beratung und Therapie als Mindeststandard für die Sicherheit und Kontrolle beim Verbrauch von Betäubungsmitteln in Drogenkonsumräumen anordnet (§ 10a II 2 Nr. 4 BtMG i.d.F. der Gesetzesänderung; vgl. auch Vermittlungsausschuss, BR-Dr 14/2796). Das Drogenhilfezentrum der Bekl. richtet sich, was im Tatsächlichen unter den Parteien nicht streitig ist, an der bisher geltenden Gesetzeslage aus und verzichtet darauf, den Drogenabhängigen Gelegenheit zum Drogenkonsum in geschlossenen Räumen zu geben. Das „Café Fix“ und die ambulante Arztpraxis dienen dazu, Suchtkranken Hilfe bei der Ernährung, Bekleidung und Hygiene (Dusche, Haarpflege, Ungezieferbekämpfung) zu bieten und für eine Betreuung (Substitution, HIV-Therapie) zu sorgen. Die Abgabe steriler Einmalspritzen am Straßenschalter, die Ansteckungsgefahren vorbeugen soll, ist durch die Gesetzesänderung vom 9. 9. 1992 (BGBl I, 1593) aus den Straftatbeständen des § 29 BtMG herausgelöst worden (§ 29 I 2 BtMG).
bb) Die Abweisung des Hauptantrags wird auch den Erfordernissen der Verhältnismäßigkeit und des Mindesteingriffs gerecht. Denn sie wird durch die Verurteilung der Bekl. nach den Hilfsanträgen zu a und b flankiert, gegen die sich die Anschlussrevision der Bekl. vergebens wendet (unten zu V). Der Kl. ist damit in der Lage, Beeinträchtigungen, die mit dem Fortbestand des Drogenhilfezentrums nicht unausweislich verbunden sind, abzuwehren.
III. Keinen Erfolg hat das Rechtsmittel des Kl. auch insoweit, als es die hilfsweise zum Anspruch auf Einstellung des Betriebs verfolgten Anträge zu d und e zum Gegenstand hat. Die Ablehnung des Antrags zu d ist rechtsfehlerfrei darauf gestützt, dass die Herkunft der Spritzen ungeklärt geblieben ist. Den Antrag zu e, Maßnahmen zu ergreifen, damit sich keine Menschenansammlungen vor dem Grundstück des Kl. bilden, hat das BerGer. inhaltlich zu Recht dem Antrag zu c, die Behinderung des Zugangs durch Menschenansammlungen zu beseitigen, zugeordnet. Ein solcher, an sich nach Abschnitt II 1a und b gegebener Anspruch scheitert am Unvermögen der Bekl., ihn zu erfüllen (vgl. zu c). Weder Kräften der Bekl. selbst noch privaten Sicherheitsdiensten steht, entgegen der Auffassung des BerGer., die Befugnis zu, den Gehsteig vor den Grundstücken der Parteien von Menschenansammlungen freizuhalten. Sie sind auf die „Jedermannsrechte“ der Notwehr und Nothilfe (§ 227 BGB), des Notstandes (§§ 228, 904 BGB) und der Festnahme nach § 127 StPO beschränkt. Die allgemeinen polizeilichen Befugnisse zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die zur Durchsetzung des ungehinderten Gemeingebrauchs an der öffentlichen Straße erforderlich werden, sind ihnen verschlossen. Der abgewiesene Hilfsantrag zu e ist mithin, ebenso wenig wie die Verurteilung zum Hilfsantrag c, die die Anschlussrevision mit Erfolg bekämpft (unten zu V), geeignet, die Zugangshindernisse zu beseitigen. Hierüber sind sich die Parteien im Tatsächlichen auch einig. Die Bekl. vertreten zudem ausdrücklich den Standpunkt, nur Maßnahmen der Ordnungspolizei, die sich indessen zurückhalte, könnten eine Besserung bringen.
IV. Erfolg hat die Revision des Kl. dagegen, soweit sie die Ansprüche auf Zahlung und auf Feststellung der Pflicht der Bekl. zu weiterem Ausgleich in Geld wegen der nicht abwehrbaren Zugangsbehinderungen zum Gegenstand hat.
1. Ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 BGB kommt allerdings nicht in Betracht. Die den Bekl. auch im Sinne dieser Vorschrift zuzurechnende Verletzung des Eigentums des Kl. geschah nicht widerrechtlich. Dies folgt aus der im Allgemeininteresse begründeten Duldungspflicht gem. § 1004 II BGB.
2. Rechtsirrig ist hingegen die Auffassung des BerGer., an der Duldungspflicht scheitere auch der Anspruch auf nachbarrechtlichen Ausgleich. Dieser Anspruch ist vielmehr Teil des rechtlichen Gefüges, das sich aus der Versagung des vollen Abwehrrechts (Hauptantrag auf Stillegung des Betriebs), den verbleibenden Abwehrbefugnissen (Hilfsanträge a und b) und der Kompensation der Abwehrlücke durch Geldausgleich zusammensetzt (vgl. oben zu II 2). Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch tritt in diesem Zusammenhang an die Stelle des primären Abwehrrechts nach § 1004 I BGB. Der Senat hält dabei an einer gefestigten Rechtsprechung fest, die dem Eigentümer, der sich aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen daran gehindert sieht, den Abwehranspruch durchzusetzen, einen Ausgleich in Geld gewährt (BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 = LM § 1004 BGB Nr. 151 L [Ausschachtungen]; BGHZ 85, 375 = NJW 1983, 872 = LM § 909 BGB Nr. 28 L [Grundstücksvertiefung]; BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 = LM § 823 [Aa] BGB Nr. 70 [verunreinigtes Niederschlagswasser]; BGHZ 111, 158 NJW 1990, 1910 = LM § 906 BGB Nr. 84 [Schrotblei]). Der Inhalt des Ausgleichsanspruchs richtet sich an den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung aus (BGHZ 85, 375 [386] = NJW 1983, 872 = LM § 909 BGB Nr. 28 L; BGH, NJW-RR 1997, 1374 = LM H. 2/1998 § 906 BGB Nr. 96 = WM 1997, 2262). Bei der Beeinträchtigung der gewerblichen Nutzung eines Grundstücks, um die es hier geht, kann dem Ausgleich, wie seitens des Kl. geschehen, unmittelbar der Ertragsverlust zu Grunde gelegt werden. Der BGH hat dies für Fälle der vorübergehenden Beeinträchtigung wiederholt ausgesprochen (BGHZ 57, 349 [U-Bahnbau]; BGHZ 62, 361 = NJW 1974, 1869 = LM § 906 BGB Nr. 43 [zeitweise Sondernutzung eines Gehwegs]). Für dauernde Beeinträchtigungen gilt im Grundsatz nichts anderes. Nur ist in diesen Fällen dem Ausgleich der Ertragsminderung mit dem Wert des Objekts eine Grenze gesetzt. Denn der Verkehrswert der entzogenen Substanz, nicht die hypothetische Vermögenslage beim Ausbleiben der Beeinträchtigung, ist für die Obergrenze des Ausgleichsanspruchs bestimmend (BGHZ 57, 359 [368] = NJW 1972, 243 = LM Art. 14 [Ea] GrundG Nr. 56).
3. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird sich das BerGer. nicht auf seine hilfsweise Erwägung, dem Vortrag des Kl. zu den Mietausfällen mangele die Substanz, stützen können. Der Kl. hat die Mietausfälle für den in Anspruch genommenen Zeitraum detailliert und rechnerisch nachvollziehbar dargestellt. Den erforderlichen Beweis hat er angetreten. Bei der Feststellung der Ursache der Leerstände wird allerdings dem Vortrag der Bekl., ältere gewerbliche Objekte, zu denen das Anwesen des Kl. zähle, seien in Frankfurt ohnehin nur schwer zu vermieten, nachzugehen sein. Hierbei wird auch der Lage des Grundstücks, einerseits im Bahnhofsviertel, andererseits in Nachbarschaft zu neu erstellten Bürohochhäusern, Rechnung getragen werden müssen.
V. Die Anschlussrevision der Bekl. bleibt ohne Erfolg, soweit sie sich gegen die auf die Hilfsanträge zu a und b erfolgte Verurteilung wendet. Ihre Meinung, die rechtlichen Voraussetzungen einer Haftung der Bekl. als mittelbare Störer lägen nicht vor, trifft aus den zu Abschnitt II 1 dargelegten Gründen nicht zu. Erfolg hat die Anschlussrevision, soweit sie sich gegen die Verurteilung aus dem Hilfsantrag zu c wendet. Insoweit gelten die Ausführungen zu dem mit der Revision weiter verfolgten Hilfsantrag zu e des Kl. (Abschn. III) entsprechend.
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