Opfergrenze bei der Mängelbeseitigungspflicht - Asbestsanierung der Hamburger Trabrennbahn

Gericht

OLG Hamburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

06. 09. 2000


Aktenzeichen

4 U 15/00


Leitsatz des Gerichts

Ein Mängelbeseitigungsverlangen gem. § 536 BGB kann treuwidrig sein, wenn ein krasses Missverhältnis zwischen Reparaturaufwand einerseits und dem Nutzen der Reparatur für den Mieter sowie der Höhe des Mietzinses andererseits besteht, und die Mangelhaftigkeit nicht vom Vermieter verschuldet worden ist (Opfergrenze).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten im Rahmen des Berufungsverfahrens darüber, ob die Bekl. der Kl. für die Sanierung einer asbestbelasteten Tribüne einen Vorschuss auf die Sanierungskosten von DM 3416664 sowie für Nebenkosten von weiteren DM 341666,40 zur Verfügung zu stellen hat. Die Bekl. vermietete der Kl. mit Vertrag vom 2. 3. 1976 bis zum 30. 12. 2005 ein Grundstück nebst Baulichkeiten und Anlagen zur Benutzung als Trabrennbahn. Die Bekl. bewirtschaftet das Grundstück für die Freie und Hansestadt Hamburg, die dieses mit den im Wesentlichen auch heute noch vorhandenen Gebäuden aus der Konkursmasse des A erworben hatte. Der von der Kl. zu zahlende Mietzins beläuft sich seit April 1993 auf ca. 310000 DM jährlich. Er setzt sich aus einer Festmiete von 250000 DM sowie einem nachträglich abzurechnenden Anteil (0,18%) am Totalisatorumsatz zusammen. Zuvor hatten die Parteien durch einen ersten Nachtrag zum Mietvertrag mit Wirkung vom 1. 1. 1981 eine von der Kl. zu zahlende Festmiete in Höhe von 793000 DM jährlich vereinbart. Mit einem zweiten Nachtrag ermäßigten die Parteien 1986 den Mietzins auf 200000 DM jährlich zuzüglich 0,18% vom Totalisatorumsatz und verpflichteten die Kl., für die dach- und fachfeste Instandhaltung sämtlicher Gebäude auf ihre Kosten zu sorgen. Nachdem die Bekl. mit Schreiben vom 24. 3. 1992 die Kündigung der im zweiten Nachtrag enthaltenen Mietzinsregelung erklärt hatte, setzte ein Schiedsgutachterausschuss den Mietzins mit Wirkung ab dem 1. 4. 1993 fest.

Im Jahr 1996 wurde im Bereich der Tribüne Spritzasbest festgestellt, woraufhin das Bezirksamt Altona im Mai 1989 die Stilllegung der asbestbelasteten Tribüne androhte. Im Juni 1999 teilte das Bezirksamt Altona der Kl. mit, dass es eine Nutzung des Tribünengebäudes nur noch bis zum 31. 8. 1999 dulden werde, da eine Asbestsanierung bisher nicht durchgeführt worden sei. Zwischenzeitlich hat die Behörde die Duldung bis zum 31. 12. 2000 verlängert, nachdem die Kl. im Rahmen vorläufiger Maßnahmen die Deckenöffnungen zu den asbestbelasteten Teilen der Tribüne verschließen ließ. Ein von der Kl. im Dezember 1997 eingeholtes Angebot beziffert die Kosten der Asbestsanierung mit DM 2945000 zuzüglich Umsatzsteuer. Die Bekl. hat im Rahmen dieses Rechtsstreits die Kündigung des Mietverhältnisses aussprechen lassen.

Das LG hat durch Teilurteil über den Sanierungskostenvorschuss entschieden und die Klage insoweit abgewiesen. Das LG stützt seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass angesichts unverhältnismäßig hoher Sanierungskosten die Geschäftsgrundlage des Vertrags weggefallen sei und die Bekl. deshalb das Mietverhältnis mit ihrem Schriftsatz vom 2. 12. 1999 wirksam gekündigt habe.

Die Berufung der Kl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Die Verpflichtung des Vermieters zur Wiederherstellung der vermieteten Sache endet dort, wo der dazu erforderliche Aufwand die Opfergrenze übersteigt. Treten solche Umstände ein, so können diese einen Fall der Unmöglichkeit begründen, der den Vermieter unter den Voraussetzungen des § 275 I BGB von seiner Wiederherstellungspflicht befreit. Soweit der Vermieter dementsprechend von seinen Verpflichtungen befreit ist, er insbesondere die zur Unmöglichkeit führenden Umstände nicht zu vertreten hat, liegt bereits kein Fehler der Mietsache vor. Auch die Pflicht zur Mietzahlung orientiert sich dann an den allgemeinen Vorschriften über die Unmöglichkeit gem. §§ 323ff. BGB (BGH, NJW-RR 1991, 204 = WuM 1990, 546 = ZMR 1991, 19 [unter II 2a u. b]; ebenso OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 849 = ZMR 1995, 201 [202]; Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl., § 275 Rdnr. 8; Staudinger/Emmerich, BGB, 13. Bearb., Vorb. § 537 Rdnrn. 8ff.).

Liegt kein Fall einer Unmöglichkeit vor, so kann sich ein Überschreiten der dem Vermieter zumutbaren Opfergrenze aus einer an Treu und Glauben (§ 242 BGB) orientierten Gesamtwürdigung ergeben, die den Vermieter im Ergebnis ebenfalls von der ihm gem. § 536 BGB obliegenden Wiederherstellungspflicht befreit (BGH, WM 1977, 400 unter 3a; BGH, NJW 1957, 826 sowie WuM 1977, 5; Kraemer, in: Bub/Treier, Hdb. d. Geschäfts- u. Wohnraummiete, 3. Aufl., III Rdnr. 1192; Wolf/Eckert, Hdb. d. gewerbl. Miet-, Pacht- u. LeasingR, 7. Aufl., Rdnr. 258). Ein gesetzlicher Anhaltspunkt für eine solche Opfergrenze findet sich in §§ 633 II 3, 251 II BGB. Nach dem in diesen Vorschriften ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedanken kann das Verlangen nach Herstellung eines vertraglich geschuldeten Zustands rechtsmissbräuchlich sein, wenn ihm der in Anspruch Genommene nur unter unverhältnismäßigen, billigerweise nicht zumutbaren Aufwendungen entsprechen könnte (BGH, NJW 1988, 699 [unter III 2b m.w. Nachw.]).

2. Ein Fall von Unmöglichkeit ist vorliegend nicht gegeben. Ist nämlich - wie hier - lediglich ein Teil der Mietsache betroffen, so setzt die Annahme teilweiser Unmöglichkeit i.S. von § 275 BGB voraus, dass die Leistung des Vermieters teilbar ist. Teilbar ist diese Leistung aber nur dann, wenn eine Nutzung der Mietsache auch ohne den beeinträchtigten Teil möglich ist (BGH, WM 1977, 400; BGHZ 116, 334 [337] = NJW 1992, 1036). Vor diesem Hintergrund scheidet für diesen Fall eine Teilbarkeit der Leistung und damit eine teilweise Unmöglichkeit aus. Denn zwischen den Parteien ist unstreitig, dass ohne die Tribüne eine Benutzung des Grundstücks als Trabrennbahn nicht möglich ist, weil diese die Wettannahmestellen sowie die gastronomischen Einrichtungen beherbergt. Deren Funktionsfähigkeit ist aber zur Durchführung des Zuschauerbetriebs nach dem unstreitigen Vortrag der Kl. unbedingt erforderlich.

3. Das Wiederherstellungsverlangen der Kl. stellt sich jedoch als treuwidrig i.S. von § 242 BGB dar.

a) Es liegt nämlich bereits ein krasses Missverhältnis zwischen dem Reparaturaufwand einerseits und dem Nutzen der Reparatur für den Mieter sowie dem Wert des Mietobjekts und den aus ihm zu ziehenden Einnahmen andererseits vor (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 849; Kraemer, in: Bub/Treier, III Rdnr. 1286). Unstreitig beträgt der derzeit von der Kl. jährlich zu entrichtende Mietzins nur 310000 DM. Der von ihr nur für die Tribüne geforderte Sanierungskostenvorschuss übersteigt damit das zwölffache des Mietzinses, den die Kl. für das gesamte Objekt einschließlich aller Baulichkeiten und Anlagen sowie des Parkplatzgeländes zu zahlen hat. Auch wenn sich keine feste wirtschaftliche Grenze ziehen lässt, kann als Orientierungspunkt für die Frage, ob es sich um einen zumutbaren Aufwand handelt, der Gesichtspunkt herangezogen werden, ob die aufzuwendenden finanziellen Mittel innerhalb eines Zeitraums von ca. zehn Jahren durch eine erzielbare Rendite aus dem Mietobjekt ausgeglichen werden können (so für die Beseitigung eines zweckentfremdungsrechtlichen Zustands BVerwG, ZMR 1987, 70 [unter B 1a] m.w. Nachw.) = NVwZ 1987, 56). Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Mietverhältnis der Parteien bis Ende 2005 befristet ist. Nur bis zu diesem Zeitpunkt würde der Kl. die Sanierung zu Gute kommen, wobei auch noch der für die Sanierungsarbeiten erforderliche Zeitraum zu berücksichtigen ist, den die Kl. selbst mit bis zu zwei Jahren angibt. Bereits aus diesen Umständen wird deutlich, dass zwischen Nutzen der Sanierung für die Kl. und dem Sanierungsaufwand sowie den Einnahmen, die die Bekl. aus dem Grundstück ziehen kann bzw. gezogen hat, ein krasses Missverhältnis besteht.

b) Im Rahmen der Würdigung erlangt außerdem der zweite Nachtrag zum Mietvertrag besondere Bedeutung, der mit Wirkung vom 1. 4. 1986 an den jährlichen Mietzins von 793000 DM auf 200000 DM zzgl. 0,18% vom Totalisatorumsatz reduziert hat. Denn im Rahmen der hier vorzunehmenden Prüfung kann von ausschlaggebendem Gewicht sein, dass der Vermieter eine geringere Miete deshalb vereinbart hat, weil der Mieter dafür Instandsetzungsarbeiten übernommen hat. Dieser Umstand vermag dem Wiederherstellungsverlangen des Mieters jedenfalls solange entgegenzustehen, bis dieser wieder die volle Miete zahlt (so BGH, NJW 1959, 2300 [unter b]).

Unabhängig von der Frage, ob Nr. 3 des zweiten Nachtrags auch die Kosten der hier streitigen Asbestsanierung auf die Kl. übertragen hat, wird daraus jedenfalls deutlich, dass nach dem Willen der Parteien der seit dem 1. 4. 1986 von der Kl. gezahlte Mietzins keinen Anteil enthielt, aus dem die Bekl. Rücklagen für Sanierungsmaßnahmen hätte bilden sollen oder können. Denn gem. Nr. 3 des zweiten Nachtrags sollte die Kl. für die Reduzierung der Miete nicht nur die dach- und fachfeste Instandhaltung sämtlicher Gebäude und Anlagen auf ihre Kosten tragen, sondern auch alle zukünftigen Neubaumaßnahmen wie auch notwendige Ersatzbauten für abgängige Gebäude und Anlagen übernehmen. Zudem sollte sie sämtliche Unterhaltungs- und Modernisierungskosten tragen. Soweit Stallgebäude, deren Erhaltung für die Durchführung des Rennbetriebs nicht notwendig erscheint, einen unverhältnismäßig hohen Instandhaltungsaufwand erfordern würden, sollte die Kl. zu deren Abriss ermächtigt sein. Eine Instandhaltung durch die Bekl. sollte auch in diesen Fällen nicht erfolgen. Verstärkt wird dies durch Nr. 4 des zweiten Nachtrags, der nochmals betont, dass unter Nr. 3 keine Kosten bei der Bekl. verbleiben dürfen und festlegt, dass der von der Kl. zu zahlende Mietzins eine reine Vergütung für die Kapitalverzinsung des Anlagevermögens darstellt. Angesichts der detaillierten und individualvertraglich vereinbarten Regelungen in Nr. 3 und 4 spricht alles dafür, dass der zweite Nachtrag zum Mietvertrag unter Berücksichtigung von §§ 133, 157 BGB eine Befreiung der Bekl. von ihrer Instandhaltungspflicht aus § 536 BGB beinhalten sollte.

Vor diesem Hintergrund widerspricht es Treu und Glauben gem. § 242 BGB, wenn die Kl. einen Sanierungskostenvorschuss in Millionenhöhe geltend macht, obwohl es dem Willen beider Parteien entsprach, dass die Bekl. aus dem Mietzins weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft für einen derartigen Aufwand Rücklagen sollte bilden können. Dies gilt um so mehr, als bisher keineswegs feststeht, ob die Kl. die Tribüne nicht auch ohne die verlangten Sanierungsmaßnahmen bis zum Ende der Vertragszeit wird nutzen können. Denn die zuständige Behörde war bereits auf Grund der von der Kl. ausgeführten vorläufigen Maßnahmen bereit, eine weitere Nutzung der Tribüne bis Ende des Jahres 2000 zu dulden, ohne dass weitere Verlängerungen einer solchen Duldung ausgeschlossen erscheinen.

Rechtsgebiete

Mietrecht