Zerstörung einer Abwasserleitung durch Baumwurzeln

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

07. 03. 1986


Aktenzeichen

V ZR 92/85


Leitsatz des Gerichts

  1. Wird bei der Beseitigung von Baumwurzeln, die vom Gehweg aus in die Abwasserleitung eines angrenzenden Grundstücks eingedrungen sind und diese verstopft haben, die Leitung zerstört, so hat der Störer auf seine Kosten eine neue Abwasserleitung zu verlegen.

  2. Der in seinem Eigentum beeinträchtigte Grundstückseigentümer, der anstelle des Störers die Beeinträchtigung beseitigt, kann neben den Kosten für die Freilegung der verstopften und Neuverlegung der zerstörten Leitung in der Regel auch Erstattung der Aufwendungen für einen fehlgeschlagenen Reinigungsversuch und für die Untersuchung der Verstopfungsursache verlangen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. sind Eigentümer eines Hauses in B. 1898 wurde das Haus an das städtische Kanalnetz angeschlossen. Die Abwasserleitung auf dem kl. Grundstück bestand, wie bis Mitte der 60er Jahre üblich, aus Steinzeugrohren, deren Muffen mit Teerstrick und Zementmörtel abgedichtet waren. Kurz nach Verlegung der Abwasserleitung pflanzte die bekl. Stadt auf dem Gehweg Kastanien an. Die nächsten Bäume stehen 2,50 m und 3,50 m vom kl. Grundstück entfernt. Im Laufe der Zeit drangen die Wurzeln einer der Kastanien durch die Muffen in die Abwasserleitung im Bereich des Vorgartens der Kl. ein, wuchsen innerhalb der Leitung weiter in Richtung Keller und verstopften schließlich den Wasserabfluss. Im November 1982 versuchten die Kl. vergeblich, die Verstopfung durch Ausfräsen der Rohre zu beseitigen. Die mit der Reinigung beauftragte Firma stellte mittels Kanalfernsehens das starke Ausmaß der Verwurzelung fest. Die Kl. ließen daraufhin im Mai 1983 das Abwasserrohr freilegen. Da eine Reinigung der Leitung nicht möglich war, musste nach Entfernung der Wurzeln im Rohrbereich eine neue Abwasserleitung aus PVC hergestellt werden. Die Kl. haben von der Bekl. Ersatz ihrer Aufwendungen in Höhe von insgesamt 21201,28 DM nebst Rechtshängigkeitszinsen für das Freilegen und Erneuern der Rohrleitung, den fehlgeschlagenen Reinigungsversuch und die Untersuchung durch Kanalfernsehen sowie für die Erstellung von Gutachten über den Grund der Verstopfung und die Haltbarkeit der alten Abwasserleitung verlangt.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das BerGer. hat die Bekl. zur Erstattung der Aufwendungen der Kl. über das Freilegen der alten und die Verlegung der neuen Rohrleitung in Höhe von 17962,85 DM verurteilt. Die zugelassene Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg, die Anschlussrevision der Kl. war teilweise erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat die Auffassung vertreten, die Bekl. sei gem. §§ 812, 818 II BGB verpflichtet, den Kl. die Aufwendungen für das Entfernen der durch das Eindringen der Kastanienwurzeln unbrauchbar gewordenen Leitung und die Neuverlegung des Kanalanschlusses zu erstatten.

Die Kl. hätten nämlich insoweit die Bekl. von der dieser gem. §§ 1004 I, 910 BGB obliegenden Verpflichtung zur Beseitigung einer Eigentumsstörung befreit. Die Bekl. sei Störerin i. S. des § 1004 I BGB, und die Kl. seien nicht zur Duldung der Eigentumsbeeinträchtigung verpflichtet gewesen. Zur Beseitigung der durch die Wurzeln eingetretenen Störung sei allerdings nur die Entfernung der funktionsuntüchtig gewordenen Rohre und die Neuverlegung einer Abwasserleitung notwendig gewesen. Die über die Erstattung der hierfür erforderlichen Aufwendungen hinausgehende Klage sei daher unbegründet.

II. 1. Zur Entscheidung über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung wegen der Befreiung der Bekl. von einer ihr gem. § 1004 I BGB obliegenden Verpflichtung zur Beseitigung der Störung des Eigentums der Kl. sind gem. § 13 GVG die ordentlichen Gerichte berufen. Maßgebend für die Rechtswegzuweisung ist die Rechtsnatur der den Bereicherungsanspruch auslösenden Verpflichtung der Bekl. zur Beseitigung einer Eigentumsstörung (vgl. BVerwG, NJW 1980, 2538 = DVBl 1980, 686 (687)). War die Bekl. gem. § 1004 I BGB zur Beseitigung der durch den Wurzelwuchs herbeigeführten Funktionsunfähigkeit der Abwasserleitung verpflichtet, so ist über einen daraus abgeleiteten Bereicherungsanspruch wegen Befreiung von dieser Verpflichtung dann durch die ordentlichen Gerichte zu entscheiden, wenn es sich bei dem Beseitungsanspruch ebenfalls um eine bürgerl. Rechtsstreitigkeit i. S. des § 13 GVG handelt. Ob durch einen Eingriff in das Eigentum ein privatrechtlicher oder ein öffentlichrechtlicher Beseitigungsanspruch ausgelöst wird, bestimmt sich danach, ob der Eingriff nach seiner Rechtsqualität dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht zugerechnet werden muss und ob mit dem Beseitigungsanspruch die Aufhebung oder Änderung einer hoheitlichen Maßnahme begehrt wird (vgl. BGHZ 41, 264 (266) = NJW 1964, 1472 = LM § 13 GVG Nr. 111a; Senat, LM GVG § 13 Nr. 121). Der Beseitigungsanspruch, von dessen Erfüllung die Kl. die Bekl. befreit haben wollen, war nicht auf die Aufhebung oder Änderung hoheitlicher Maßnahmen gerichtet. Zwar sind die Kastanien, von denen der störende Wurzelwuchs ausging, von der Bekl. auf ihrem Straßengrundstück im Rahmen einer schlichthoheitlichen Maßnahme bepflanzt worden. Die Beseitigung der auf dem kl. Grundstück in die Abwasserleitung eingedrungenen Wurzelteile würde aber nicht zu einer Änderung oder Aufhebung dieser hoheitlichen Maßnahme führen. Die auf hoheitlicher Planung beruhenden Kastanien müssen weder gefällt noch in ihrem Standort verändert werden. Notwendig ist allein die Entfernung von Wurzelteilen, die auf dem Nachbargrundstück in die Abwasserleitung eingedrungen sind und diese funktionsuntüchtig gemacht haben. Mit einem derartigen Beseitigungsverlangen würde in die Entschließungsfreiheit der Bekl., ob und wie sie den Gehweg bepflanzen will, nicht eingegriffen. Damit bildet das private Nachbarrecht und nicht das öffentliche Recht die Grundlage des Beseitigungsanspruches und des aus ihm hergeleiteten Bereicherungsanspruchs.

2. Stand den Kl. gem. § 1004 I BGB ein Beseitigungsanspruch gegen die Bekl. zu, so ist sie dadurch, dass die Kl. die zur Beseitigung der Störung erforderlichen Arbeiten durchführen ließen und bezahlten, von einer ihr obliegenden Verpflichtung befreit und dadurch auf „sonstige Weise" i. S. des § 812 I 1 BGB bereichert worden. Ein rechtlicher Grund dafür ist nicht gegeben. nach den Feststellungen des BerGer. und dem Vorbringen der Parteien haben die Kl. nicht etwa als Geschäftsführer ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) für die Bekl. gehandelt.

3. Entscheidend ist daher, ob die Kl. von der Bekl. nach § 1004 I BGB Beseitigung der Beeinträchtigung ihres Eigentums hätten verlangen können und was bejahendenfalls die Bekl. zur Erfüllung dieses Anspruchs hätte aufwenden müssen.

a) Zutreffend ist das BerGer. davon ausgegangen, dass das Selbsthilferecht des § 910 BGB einem Beseitigungsanspruch nach § 1004 I BGB nicht entgegensteht. Das Selbsthilferecht und der Beseitigungsanspruch bestehen nebeneinander, und zwar ohne Vorrang des einen vor dem anderen (BGHZ 60, 235 (241 ff.) = NJW 1973, 703 = LM § 1004 BGB Nr. 124-127; Senat, NJW 1979, 2515 = LM § 1004 BGB Nr. 156).

b) Die Bekl. war auch Störerin i. S. des § 1004 I BGB. Sie hat die Kastanien gepflanzt, deren Wurzeln in die Abwasserleitung auf dem klägerischen Grundstück eindrangen, sie funktionsuntüchtig machten und damit das Eigentum der Kl. beeinträchtigten.

c) Dem Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung steht nicht § 1004 II BGB entgegen. Die Kl. waren nicht verpflichtet, die das Eigentum störenden Kastanienwurzeln zu dulden:

(1) Im Ergebnis zu Recht hat das BerGer. eine aus § 32 S. 2 NRWStrWG abgeleitete Duldungspflicht verneint. Nach dieser Vorschrift haben die Straßenanlieger alle Maßnahmen zu dulden, die im Interesse der Erhaltung und Ergänzung der auf dem Straßenkörper befindlichen Pflanzungen erforderlich sind. Der natürliche Wurzelwuchs ist keine „Maßnahme“ der Verwaltung. Die Bestimmung räumte den Straßenbaulastbehörden lediglich ein, zu Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen die Anliegergrundstücke zu betreten (vgl. Fritsch-Golz-Wicher, NRWStrWG, § 32 Anm. 2; Kodal, StraßenR, 2. Aufl., S. 360 und 4. Aufl., S. 1184 und 1200). In § 32 II 1 NRWStrWG i. d. F. der Bekanntmachung v. 1. 8. 1983 (GV NW S. 306) ist zwar bestimmt worden, dass die Anlieger neben den Erhaltungsmaßnahmen auch die Einwirkungen von Pflanzen zu dulden haben. Nach S. 3 haben die Anlieger der zuständigen Behörde aber „rechtzeitig vorher anzuzeigen, wenn sie Wurzeln von Straßenbäumen abschneiden wollen". Damit wird das Recht der Anlieger, die Entfernung störender Wurzeln zu verlangen oder selbst vorzunehmen, vorausgesetzt.

(2) Soweit das BerGer. ausgeführt hat, das Recht der Kl. auf Beseitigung störender Wurzeln werde nicht durch die in § 11 II der Entwässerungssatzung der Bekl. v. 22. 12. 1981 auferlegte Pflicht zur Unterhaltung (Reinigung und Ausbesserung) des Hausanschlusses ausgeschlossen, liegt eine das RevGer. nach §§ 549, 562 RevGerndende Auslegung von Ortsrecht vor. Die Annahme der Revision, dass von verschiedenen Gemeinden in der gesamten Bundesrepublik vergleichbare Satzungsbestimmungen erlassen worden seien, vermag ohne konkrete Darlegung entsprechender Satzungen die Bindung des Senats nicht zu beseitigen.

(3) Entgegen der Auffassung der Revision sind die Kl. auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sozialbindung des Eigentums oder sonstiger übergeordneter allgemeiner Interessen zur Duldung der Beeinträchtigung oder zur Beseitigung der Störung auf eigene Kosten verpflichtet. Zwar dienen und nützen die auf Gehwegen bepflanzten Bäume auch den Anliegern. Allein daraus ergeben sich aber für die Straßenanlieger keine über die nachbarrechtl. Beschränkungen hinausgehenden Duldungspflichten. Das gilt insbes. dann, wenn, wie hier, das Abschneiden der Wurzeln die Erhaltung der Bäume auf dem Gehweg nicht gefährdet. § 32 II 2 NRW-StrG i. d. F. von 1983 setzt vielmehr ein Recht auf Entfernung solcher Wurzeln voraus.

d) Entgegen der Auffassung des BerGer. gehörten zur Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung, auch bei Durchführung durch die Bekl., nicht nur das Entfernen der funktionsuntüchtig gewordenen Rohre und die Verlegung einer neuen Abwasserleitung. Die ersten Schritte wären in jedem Fall ein Reinigungsversuch und bei dessen Erfolglosigkeit eine nähere Untersuchung der Rohrleitung zwecks Feststellung der Verstopfungsursache vor Beginn kostspieliger Erdbewegungen gewesen. Die Bekl. behauptet nicht, dass sie anders verfahren wäre. Ohne Freilegung der Rohrleitung war sodann an die Ursache der Abflussbehinderung nicht heranzukommen. Dass bei der Beseitigung dieser Ursache, nämlich der in die Leitung hineingewachsenen Baumwurzeln, die Rohre zerstört werden mussten, ist unstreitig. Die darin liegende erneute Beeinträchtigung des Eigentums der Kl. durch Aufhebung des vorgeschriebenen Anschlusses an das öffentliche Kanalnetz konnte nach den Feststellungen des BerGer. nur durch die Verlegung einer neuen Rohrleitung behoben werden. Diese notwendigen Beseitigungsmaßnahmen haben die Kl. mit einem Kostenaufwand von insgesamt 19277,21 DM ausführen lassen. Die Bekl. hat nicht vorgetragen, dass sie mit einem geringeren Betrag hätte auskommen können. Unter diesen Umständen bedarf es nicht der Abgrenzung zwischen dem Umfang des Beseitigungsanspruches nach § 1004 I BGB und einem verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB (vgl. BGHZ 28, 110 (113) = NJW 1958, 1580 = LM § 1004 BGB Nr. 39). Die Kl. verlangen nur die Erstattung der Aufwendungen, die auch der Bekl. im Falle der Erfüllung des Beseitigungsanspruches selbst entstanden wären. Insoweit ist die Bekl. durch die Kl. rechtsgrundlos von einer eigenen Verpflichtung befreit worden.

Unbegründet ist die Rüge der Revision, das BerGer. habe verfahrensfehlerhaft (§ 286 ZPO) Sachvortrag zu einem möglichen Mitverschulden der Kl. nicht berücksichtigt. Dabei kann offen bleiben, ob sich aus § 254 BGB überhaupt ein Einwand gegen einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB oder einen daraus abgeleiteten Bereicherungsanspruch ergeben kann. Jedenfalls genügt zur Begründung eines solchen Einwands nicht das Vorbringen, dass bereits früher für die Kl. erkennbare Anzeichen einer Schädigung der Abflussleitung durch Wurzelwuchs vorgelegen hätten, die sie der Bekl. hätten mitteilen müssen, wodurch eine leichtere und einfachere Schadensbeseitigung möglich gewesen wäre. Dass früher einfachere Maßnahmen, wie etwa das Ausfräsen der Leitung, die Beeinträchtigung dauerhaft beseitigt und damit zu einer bestimmten Kostenersparnis geführt hätten, ist damit nicht dargetan. Die Revision rügt weiter, das BerGer. habe verfahrensfehlerhaft den unter Beweis gestellten Vortrag der Bekl., die Kl. hätten ohnehin in absehbarer Zeit die Muffendichtungen der früheren Abflussleitung erneuern müssen, als unsubstantiiert angesehen. Der Senat hat diese Rüge geprüft. Er hält sie für nicht gerechtfertigt und sieht gem. § 565a ZPO von einer Begründung ab.

4. Das BerGer. hat demnach mit Recht die Bekl. zur Erstattung der Aufwendungen der Kl. für die Freilegung der Abflussleitung und die Neuverlegung der Rohre verurteilt. Die Anschlussrevision hat dagegen Erfolg. Die Bekl. muss auch die Aufwendungen für den Reinigungsversuch und die Untersuchung der Verstopfungsursache erstatten.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht