Ansprüche bei schädigenden Einwirkungen durch vom Nachbargrundstück hinüberwachsendes Wurzelwerk
Gericht
OLG Düsseldorf
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
11. 06. 1986
Aktenzeichen
9 U 51/86
Dringen Wurzeln einer seit 20 Jahren 80 cm von der Grundstücksgrenze stehenden Birke in die Abwasserleitung des Nachbargrundstücks und verursachen Schäden durch Verstopfung, so hat der geschädigte Nachbar einen Ersatzanspruch für die ihm entstandenen Kosten sowie einen Anspruch auf geeignete Maßnahmen zur Verhinderung zukünftiger gleichartiger Schäden. Er kann aber nicht die Beseitigung des Baumes verlangen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer aneinander grenzender Grundstücke. Der Kl. hat sein Grundstück 1982 erworben. Auf dem Grundstück der Bekl. steht in 0,80 m Abstand von der gemeinsamen Grundstücksgrenze seit einem zwischen 1948 und 1964 liegenden Zeitpunkt eine Birke. Wurzeln dieses Baumes sind im Laufe der Zeit unterirdisch in das Grundstück des Kl. und dort in eine Abwasserleitung eingedrungen. Dies führte - zuletzt - 1984 zu einer Verstopfung der Leitung. Zwei Wochen nach Feststellung der Ursache kam es infolge der Verstopfung nach starken Regenfällen zu einem Rückstau und zu einer Überschwemmung der Erdgeschosswohnung im Anbau des Hauses des Kl. Der Kl. macht geltend, dass die Wurzeln über einen längeren Zeitraum und unbemerkt in das Rohrleitungssystem eingedrungen seien. Auch schon vor dem letzten Schadensfall sei es zu Verstopfungen gekommen, ohne dass er deren Ursache habe ermitteln können. Nach Feststellung der Ursache 1984 habe ein Sachbearbeiter der Bekl. ihn aufgefordert, den Schaden zu beseitigen und zuvor Schadensfotografien anzufertigen und diese der Bekl. mit einer Zusammenstellung der Kosten zum Zweck der Weiterleitung an die Haftpflichtversicherung der Bekl. zuzusenden. Er habe für die Schadensbeseitigung insgesamt 5791,43 DM aufgewendet. Trotz Neuverlegung der Abwasserleitung sei nicht ausgeschlossen, dass erneut Wurzeln in die Leitung eindrängen. Dies könne nur durch eine Beseitigung des Baumes verhindert werden. Er verlangt mit der Klage Zahlung von 5791,43 DM sowie Beseitigung der Birke.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung verlangt der Kl. zusätzlich hilfsweise geeignete Maßnahmen zur Verhinderung ähnlicher Schäden in der Zukunft, weiter hilfsweise die Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden.
Sie hat insoweit Erfolg, als die Klage hinsichtlich des gestellten Zahlungsantrages dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären und im übrigen die Bekl. zur Vornahme von Maßnahmen gegen Einwirkungen des Wurzelwerks der Birke auf die Abwasserkanalisation des Kl. zu verurteilen ist.
Auszüge aus den Gründen:
I. Der geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
1. Wie das LG schon mit Recht ausgeführt hat, schuldet die Bekl. nicht nach § 823 I BGB oder nach § 823 II BGB i. V. mit § 1004 BGB Kostenersatz. Nach beiden Anspruchsgrundlagen wäre ein Verschulden der Bekl. erforderlich. Der Kl. hat hierfür auch in zweiter Instanz trotz des Hinweises in den Gründen des angefochtenen Urteils keine Tatsachen vorgetragen. Ein Verschulden der Bekl. folgt auch nicht bereits aus dem bloßen Schadensereignis selbst: Die Birke stand schon seit etwa 20 Jahren in der Nähe der Grundstücksgrenze, bevor es zu dem Schadensereignis gekommen war. Damit ist jedenfalls insgesamt gesehen nicht festzustellen, dass die Bekl. bei der Anpflanzung der Birke eine Schädigung des jetzt dem Kl. gehörenden Grundstücks vorhersehen konnte.
2. Der Zahlungsanspruch ist dem Grunde nach aber nach §§ 812, 818 BGB gerechtfertigt. Die Bekl. ist auf Kosten des Kl. dadurch bereichert, dass der Kl. die zur Beseitigung der von den Wurzeln des Baumes ausgehenden Störungen erforderlichen Maßnahmen selbst durchgeführt hat. Der Kl. mag zwar einen Erstattungsanspruch aufgrund einer mit der Bekl. etwa getroffenen Vereinbarung nicht schlüssig dargelegt haben. Selbst wenn der Sachbearbeiter der Bekl. eine Regulierung verbindlich zugesagt haben sollte, sind Umstände nicht dargelegt, dass er insoweit gegenüber der Bekl. vertretungsberechtigt war. Für eine Inanspruchnahme der Bekl. nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) ermangelt es der Feststellung, dass das Tätigwerden des Kl. dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen der Bekl. entsprach, und auch für den in § 679 BGB geregelten Fall, dass die Tätigkeit des Kl. im öffentlichen Interesse gelegen hätte, ist nichts ersichtlich.
Nach § 812 BGB hat der Kl. gegen die Bekl. den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch dann, wenn die Bekl. verpflichtet war, die von den Wurzeln der Birke ausgehenden Beeinträchtigungen des Grundstücks des Kl. zu beseitigen. Eine solche Beseitigungspflicht bestand hier nach § 1004 I 1 BGB. Eine Beeinträchtigung des Grundstücks des Kl. lag unstreitig in mehrfacher Hinsicht vor. Unstreitig waren Wurzeln des Baumes in die Abwasserleitung auf dem Grundstück des Klägers eingedrungen und hatten die Leitung in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt, was wiederum die Nutzbarkeit des Grundstücks des Klägers einschränkte. Außerdem war es infolge der Funktionsstörung der Abwasserleitung zur Überflutung einer Wohnung gekommen. Die Bekl. als Störerin war auch zur Beseitigung der Beeinträchtigung des Eigentums des Kl. verpflichtet, weil die Beeinträchtigung von dem in ihrem Eigentum stehenden Baum ausging. Die von der Bekl. nach § 1004 I 1 BGB geschuldete Beseitigung war nicht wegen des in § 910 BGB geregelten Selbsthilferechtes des Kl., die von dem Nachbargrundstück eingedrungenen Wurzeln abzuschneiden, ausgeschlossen. Die Rechte aus § 910 BGB und aus § 1004 BGB bestehen nebeneinander (BGHZ 60, 235 ff. = NJW 1973, 703). Ein Verzicht des Kl. auf sein Recht, von der Bekl. die Beseitigung von Beeinträchtigungen durch die in sein Grundstück eingedrungenen Wurzeln zu verlangen, ist nicht feststellbar. Anhaltspunkte für darauf gerichtete Erklärungen des Kl. liegen nicht vor. Die Ursache der in Rede stehenden Beeinträchtigungen ist unstreitig erst seit 1984 bekannt; der Kl. ist erst seit 1982 Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks. Der Kl. war nicht zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet (§ 1004 II BGB). Eine Duldungspflicht folgt für den Kl. insbes. nicht aus § 47 NRWNachbG. Zwar bestimmt § 47 NRWNachbG, dass der Anspruch auf Beseitigung einer Anpflanzung, mit der ein geringerer als der in den §§ 40 bis 44, 46 NRWNachbG vorgeschriebene Grenzabstand eingehalten wird, sechs Jahre nach dem Anpflanzen ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift betrifft aber nur Beeinträchtigungen des Eigentums durch das Unterschreiten der vorgeschriebenen Grenzabstände als solches (vgl. zum Geltungsbereich des § 47 NachbG: Schäfer, NRWNachbG, 7. Aufl., § 47 Anm. 1). Hier geht es aber nicht um die Beseitigung einer Anpflanzung allein wegen der Unterschreitung des vorgeschriebenen Grenzabstandes, sondern um den von den Regeln des landesrechtlichen Nachbarrechts nicht eingeschränkten Anspruch aus § 1004 I 1 BGB (vgl. Art. 124 EGBGB) ...
3. Für den Umfang des von der Bekl. für ihre Bereicherung zu leistenden Wertersatzes ist unerheblich, ob die Abwasserleitungen auf dem Grundstück des Kl. gegen das Eindringen von Wurzeln der Birke geschützt waren. Der Kl. musste unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt für einen solchen Schutz sorgen. Welche Aufwendungen die Bekl. dadurch erspart hat, dass der Kl. die von den Wurzeln des Baumes ausgehenden Störungen selbst beseitigt hat, hängt allein davon ab, welche Maßnahmen erforderlich waren, um die Beeinträchtigung des Eigentums des Kl. zu beseitigen. Zu dieser zwischen den Parteien streitigen Frage bedarf es weiterer Aufklärung. Denn der Kl. trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die von ihm durchgeführten Arbeiten erforderlich waren. Insoweit ist es Sache des Kl., die Notwendigkeit jeder einzelnen Maßnahme überprüfbar darzulegen und erforderlichenfalls unter Beweis zu stellen. Aus diesem Grund war nur über den Grund des mit der Klage verfolgten Zahlungsantrages zu entscheiden (§ 304 ZPO) und der Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der Forderung an das LG zurückzuverweisen (§ 538 I Nr. 3 ZPO).
II. Der Kl. hat gegen die Bekl. keinen Anspruch auf Beseitigung der Birke.
1. Die Bekl. ist allein wegen eines zu geringen Grenzabstandes der Birke nicht zu deren Beseitigung nach §§ 1004 I 1 BGB, 50 NRWNachbG verpflichtet. Schon das LG hat mit Recht ausgeführt, dass der Beseitigungsanspruch insoweit gem. § 47 NRWNachbG ausgeschlossen ist: Bei Klageerhebung waren seit der Anpflanzung des Baumes mehr als sechs Jahre verstrichen. Unstreitig ist die Birke schon vor dem 1. 7. 1964 angepflanzt worden.
2. Die Bekl. schuldet auch nicht wegen einer anders gearteten Eigentumsbeeinträchtigung die Beseitigung des Baumes nach § 1004 I 1 BGB. Das ergibt sich bereits aus dem eigenen Vorbringen des Kl.: Allein das Wurzelwerk der Birke beeinträchtigt das Eigentum des Kl. Zur Verhinderung so begründeter Beeinträchtigungen bedarf es aber nicht der völligen Beseitigung des Baumes. Auch weniger gravierende Maßnahmen, z. B. Abschotten der Wurzeln an der Grenze, ein regelmäßiges Zurückschneiden der Wurzeln oder ein Durchtränken des Erdreichs entlang der Grenze mit wurzelhemmenden Chemikalien sind erfolgversprechend. III. Dringt der Kl. mit dem Anspruch auf Beseitigung der Birke nicht durch, ist über den - erstmalig im zweiten Rechtszug gestellten - Hilfsantrag auf Verurteilung der Bekl. zu entscheiden, durch geeignete Maßnahmen für die Zukunft Einwirkungen der Wurzeln auf die Kanalisation des Grundstücks des Kl. zu verhindern.
Diese Antragstellung bedeutet eine nachträgliche Klagenhäufung, die wie eine Klageänderung zu behandeln ist (BGH, NJW 1957, 543; BGH, MDR 1981, 1012) und die auch im zweiten Rechtszug grundsätzlich möglich ist (§§ 523, 263 ZPO). Sie ist danach zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht Sachdienlichkeit bejaht. Hier ist die Einwilligung der Bekl. gem. § 267 ZPO anzunehmen, weil sie in der mündlichen Verhandlung rügelos verhandelt hat. Es wäre aber auch Sachdienlichkeit zu bejahen gewesen, weil die Zulassung des - entscheidungsreifen - Hilfsantrages dem Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit entspräche. In der Sache hat der Hilfsantrag Erfolg. Der Kl. hat gegen die Bekl. gem. § 1004 I 1 BGB einen Anspruch auf Durchführung von Maßnahmen, mit denen für die Zukunft Einwirkungen des Wurzelwerks der Birke auf seine Kanalleitungen vermieden werden können. Es ist bereits zu Einwirkungen auf die Kanalisation durch die Wurzeln der Birke gekommen. Schon deswegen besteht Wiederholungsgefahr, solange keine Maßnahmen gegen das weitere Eindringen der Wurzeln ergriffen werden. Nicht der Kl. muss dafür sorgen, dass die ihm gehörenden Leitungen „wurzelfest“ sind, sondern es ist Sache der Bekl. als Eigentümerin des Baumes, neue Beeinträchtigungen des Kl. zu verhindern. Der Kl. muss die in Betracht kommenden Maßnahmen nicht genau bezeichnen. Bei der Abwehr von Störungen genügt es auszusprechen, welche - genau bezeichneten - Störungen verhindert werden sollen, während die Wahl des Mittels der Beseitigung oder Verhinderung dem Störer überlassen bleiben muss ...
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