Laubbefall vom Nachbargrundstück
Gericht
OLG Düsseldorf
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
23. 08. 1995
Aktenzeichen
9 U 10/95
Laubbefall vom Nachbargrundstück ist i.d.R. vom Eigentümer des betroffenen Grundstücks entschädigungslos hinzunehmen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. sind Eigentümer des ca. 3000 qm großen Hausgrundstücks in R. Die Bekl. sind Eigentümer des ca. 2400 qm großen Nachbargrundstücks. Im Garten der Kl. befindet sich ein ganzjährig genutzter offener Swimmingpool. Auf dessen Höhe hat der Rechtsvorgänger der Bekl. in der Mitte des jetzigen Grundstücks der Bekl. vor ca. 20 Jahren zwölf Birken und eine Eiche gepflanzt. Die Bäume sind mittlerweile über 15m hoch. Im Herbst fällt bzw. weht Laub von den Birken und der Eiche im Garten der Bekl. auf das Grundstück der Kl. und beeinträchtigt insbesondere die Schwimmbadbenutzung. Mit ihrer Klage haben die Kl. u.a. die Entfernung der zwölf Birken und der Eiche, hilfsweise Verhinderung des Laubfalls auf ihr Grundstück begehrt.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
2. Die Kl. haben keinen Anspruch aus § 1004 1 BGB auf Entfernung der Birken und der Eiche auf dem Grundstück der Bekl. oder auf Maßnahmen zur Verhinderung des Laubbefalls von diesen Bäumen auf ihr Grundstück. Ob und in welchem Umfang von den Bäumen auf dem Grundstück der Bekl. herbstlicher Laubfall auf das Grundstück der Kl. ausgeht, braucht im vorliegenden Streitfall nicht festgestellt zu werden. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, stellt Laubbefall vom Nachbargrundstück als Folge gesetzlicher Nutzung des Eigentums keine nach §§ 906, 1004 BGB abwehrfähige Eigentumsbeeinträchtigung dar.
a) Dass Laub, Blüten oder kleinere Zweige von Bäumen auf einem Nachbargrundstück überhaupt zu den "Beeinträchtigungen" zählen, deren Beseitigung der Eigentümer nach §§ 906, 1004 Abs. 1 BGB verlangen kann, ist im Allgemeinen kaum anzunehmen. Solche rein tatsächlichen Auswirkungen eines Grundstückes, die ausschließlich durch das Wirken von Naturkräften ausgelöst werden, begründen einen Beseitigungsanspruch gem. § 1004 BGB nur dann, wenn die Einwirkung auf das Nachbargrundstück wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgeht, der als Störer in Anspruch genommen wird. Ihm sind daher Einwirkungen, die auf Naturereignissen beruhen, nur dann zuzurechnen, wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht oder durch pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt hat. Zwar geht der von einem Grundstückseigentümer gepflanzte oder geduldete Bewuchs seines Grundstückes auf seinen Willen zurück. Daraus folgt indessen noch nicht, dass ihm auch die natürlichen Einwirkungen des Bewuchses auf das Nachbargrundstück als Störungen zuzurechnen sind.
Die Vorschrift des § 906 BGB verfolgt als Gesetzgebungsziel die Regelung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Handlung des Grundeigentümers, die dazu führt, dass Stoffe, Zustände oder Erscheinungen im Sinne dieser Vorschrift entstehen und dann auf natürlichem Wege über die Grundstücksgrenzen hinauswirken, sich als rechtswidrig darstellt. Aus diesem Regelungszweck folgt, dass ein Verhalten des Grundstückseigentümers nicht bereits deshalb als rechtswidrig anzusehen ist, weil von seinem Grundstück Emmissionen die Grenze zum Nachbargrundstück überschreiten. Vielmehr lässt sich die Frage der Rechtswidrigkeit des Handelns eines Grundstückeigentümers nur bei einer wertenden Betrachtung seines Verhaltens und der darauf beruhenden Auswirkungen beantworten. Ein Grundstück als Teil der Erdoberfläche unterliegt stets dem Wirken der Naturkräfte. Diese sind wertneutral und werden allgemein hingenommen und sogar als erwünscht angesehen, solange sie nicht verändernd oder zerstörend auftreten. Eine sich auf den Ablauf oder Kreislauf der Natur beschränkende Auswirkung einer Grundstücksnutzung kann deshalb nur dann als Beeinträchtigung anderer Grundstücke angesehen werden, wenn sie dort schädliche Veränderungen oder gar Zerstörungen hervorruft. Der Gesetzgeber hat für bestimmte Fälle des Wirkens von Naturkräften Regelungen im Interesse des Nachbarn getroffen. So verbietet § 115 I 1 NWWassG die künstliche Veränderung des Ablaufs wild abfließenden Wassers, wenn dadurch tiefer gelegene Grundstücke belästigt werden. Herüberragende Zweige oder eingedrungene Wurzeln braucht der Nachbar nicht zu dulden; er kann sie gem. § 910BGB selbst entfernen oder gem. § 1004I BGB deren Beseitigung vom Eigentümer des anderen Grundstückes verlangen. Schließlich sind im Interesse des Nachbarn mit Pflanzen und Bäumen außerhalb des Waldes nach §§ 40 bis 46 NWNachbG im einzelnen vorgeschriebene Abstände von den Nachbargrundstücken einzuhalten, bei deren Verletzung dem Nachbarn gem. § 50 NWNachbG ebenfalls ein Abwehranspruch aus § 1004 BGB zusteht.
b) Soweit der Gesetzgeber keine Regelung im Interesse des Nachbarn oder zum Wohle der Allgemeinheit (Art. 14 II 2 GG) getroffen hat, steht die Nutzung des Rechts Eigentum nach § 903 BGB im Belieben des Eigentümers. Er darf insbesondere beliebig hohe und dichte Bäume über der Oberfläche seines Grundstückes haben (vgl. Dehner, NachbG, 6. Aufl., § 22). Eine solche Nutzung ist nicht nur sein Recht, sondern allgemein erwünscht und, wie § 45 NWLandschaftsG und auch die vorliegende Baumschutzsatzung der Stadt zeigen, ein erklärtes Ziel der Gestaltung im Zusammenhang bebauter oder geplanter Ortsteile. Wenn aber die Nutzung selbst erlaubt und erwünscht ist und durch die Baumschutzsatzung Eingriffe in die Natur verboten sind, können auch deren Auswirkungen auf die Nachbarschaft nicht rechtswidrig sein, weil es dann an den Voraussetzungen fehlt, unter denen das Verhalten des Grundstückseigentümers sich als rechtswidrig darstellt. Natürliche Immissionen solcher Pflanzen, die die nach dem Nachbarrechtsgesetz vorgeschriebenen Grenzabstände einhalten, sind deshalb keine Eigentumsbeeinträchtigung, die nach § 1004 BGB abgewehrt werden könnte. Eine im Einzelfall vorliegende Belästigung des Nachbarn hat dieser hinzunehmen, denn sie ist der "Preis", den jeder Eigentümer dafür zahlen muss, dass sein Grundstück nicht von der Umwelt losgelöst, sondern in die Natur eingebunden und deren Wirken ausgesetzt ist.
c) Das Beseitigungsverlangen der Kl. wäre selbst dann nicht berechtigt, wenn die Immissionen der Birken und der Eiche als "Einwirkungen" i.S. des § 906 BGB angesehen würden; denn bei Anwendung dieser Vorschrift wird Laub- oder Blütenbefall entweder als unwesentliche Beeinträchtigung i.S. des § 906 I BGB oder als ortsüblich und nicht zu verhindern i.S. von § 906 II 1 BGB angesehen. Ob Tatbestandsmerkmale wie "unwesentlich", "ortsüblich" und "nicht zu verhindern" geeignet sind, Abläufe in der Natur zu werten, erscheint aus den vorstehend ausgeführten Gründen zweifelhaft. Im Ergebnis ist es jedenfalls, soweit ersichtlich, einhellige Meinung, dass Bäume, mit denen die vorgeschriebenen Abstände eingehalten werden, stehen bleiben dürfen.
Eine andere Entscheidung wäre nur bei außergewöhnlicher, extensiver Nutzung mit einer jedes in der Natur vorkommende Maß übersteigenden Auswirkung auf das Grundstück der Kl. angezeigt. Ein solcher Fall liegt indessen auch unter Zugrundelegung des tatsächlichen Vorbringens der Kl. nicht vor. Die Besonderheit der über die normale Auswirkung eines herbstlichen Laubbefalls hinausgehenden Beeinträchtigung der Schwimmbadbenutzung ändert an der vorstehenden Wertung nichts. Außenschwimmbäder werden in unseren Breitengraden üblicherweise nicht mehr im Herbst genutzt. Wenn der Kl. gleichwohl, sei es auch aus medizinisch indizierten Gründen, sein Außenschwimmbecken ganzjährig nutzen will, hat er auch die naturgegebenen Nachteile in Kauf zu nehmen. Diese liegen nun einmal darin, dass im Herbst von Bäumen fallendes Laub das Schwimmbecken und seine technischen Anlagen verschmutzen und sogar verstopfen kann und auch die Annehmlichkeit des Schwimmens beeinträchtigt ist.
d) Technische Schutzvorrichtungen zur Verhinderung des Laubbefalls entsprechend dem Hilfsantrag der Kl. sind nicht denkbar... Ein den Laubfall verhinderndes Ausästen der Bäume hat nur dann nennenswerten Erfolg, wenn es in einem großflächigen Absägen der Äste bestünde, was zu einer Gefährdung der Bäume führen würde und einer völligen Beseitigung der Bäume, die gerade nicht verlangt werden kann, gleichkäme...
3. Schließlich steht den Kl. auch kein nachbarrechtlicher Ersatzanspruch aus § 906 II 2 BGB auf Erstattung der Aufwendungen für die Beseitigung des Laubs von den Bäumen der Bekl. zu. Sieht man Laub, Blüten und Zweige nicht als Einwirkungen oder jedenfalls nicht als Beeinträchtigungen i.S. von § 906 BGB an, so fehlt es schon an den Anspruchsvoraussetzungen. Jedenfalls wäre ein Ersatzanspruch aber auch nicht begründet, wenn die Anwendbarkeit des § 906 BGB für Fälle dieser Art grundsätzlich bejaht würde. Selbst eine wesentliche Beeinträchtigung würde nach dem tatsächlichen Vorbringen der Kl. noch keinen Anspruch auf Ausgleich in Geld begründen, weil die Einwirkung die ortsübliche Benutzung ihres betroffenen Grundstückes nicht über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt (§906 II 2 BGB). Die Frage der Zumutbarkeit einer wesentlichen Nutzungsbeeinträchtigung bemisst sich entscheidend danach, was in einem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis als sozialadäquat hingenommen werden muss. Die Belange des betroffenen Grundstückseigentümers sind somit nicht nur mit denen des Störers, sondern auch mit denen der übrigen Nachbarschaft, somit der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Der erhöhte Arbeitsaufwand der Kl. für das Entfernen des Laubs sowie die Reinigung des Schwimmbads und seiner technischen Einrichtungen stellt angesichts der vorgetragenen, sich auf zwei Monate im Jahr beschränkenden Belastungen im Verhältnis zu den Vorteilen des Wohnens in einer begrünten Umgebung und des im Allgemeinwohl liegenden Umwelt- und Naturschutzes nur eine Beschwernis dar, die über das für einen verständigen Nachbarn hinzunehmende Maß einer Belästigung nicht hinausgeht. Die Parteien genießen den Vorzug, auf Grundstücken mit - im Verhältnis zur heute üblichen Einfamilienhausbebauung - parkähnlich großem Zuschnitt zu leben. Sowohl ihre eigenen, als auch die Nachbargrundstücke sind geprägt durch ausgedehnte Begrünung, insbesondere alten und hohen Baumbestand. Diese Bepflanzung kennzeichnet Art und Ausmaß der Benutzbarkeit der Grundstücke und gewährt ein gehobenes Maß an Wohn- und Lebensqualität. Der herbstliche Laubfall ist nur die auch von den Kl. als Mitgliedern der Allgemeinheit hinzunehmende Kehrseite der Annehmlichkeit und Nützlichkeit, die ein begrüntes Wohngebiet bietet. Solche Immissionen sind in einer Wohngegend mit Baumbestand nichts Besonderes. Durch sie verursachte Beeinträchtigungen werden daher regelmäßig, auch wenn ihre Beseitigung Geld und Zeit kostet, angesichts der überragenden Nützlichkeit von Bäumen für die Gesellschaft entschädigungslos hinzunehmen sein.
Dies gilt umso mehr, als gerade Laubbäume bekanntermaßen in unserer belasteten Umwelt als Sauerstofflieferanten, Luftbefeuchter und Entgaser erforderlich sind. Unter diesem Blickwinkel hat der Laubbaum eine im eigentlichen Sinne soziale, nämlich das Leben der Gemeinschaft fördernde Funktion. Ihr gegenüber muss den Beschwerlichkeiten, die mit der Beseitigung des jahreszeitlich bedingten Laubfalls verbunden sind, grundsätzlich eine untergeordnete Bedeutung beigemessen werden. Keinesfalls dürfen die Beschwerlichkeiten dazu Anlass geben, zur Vermeidung der naturgegebenen Beeinträchtigung Monokulturen durch ausschließliche Anpflanzung von Nadelbäumen entstehen zu lassen.
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