Kein Aufwendungsersatzanspruch (Mindermeinung)

Gericht

LG Bonn


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

03. 07. 1987


Aktenzeichen

4 S 32/87


Leitsatz des Gerichts

  1. Einem Grundstückseigentümer, der von seinem Selbsthilferecht nach § 910 I BGB Gebrauch macht und die vom Nachbargrundstück herüberragenden Äste und Zweige selbst abschneidet, steht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Kostenerstattung zu (entgegen BGH, NJW 1973, 703 ff., und BGH, NJW 1986, 2641).

  2. Zur Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung, dass der Nachbar verpflichtet sei, die von seinem Grundstück künftig herüberragenden Zweige regelmäßig abzu-schneiden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. ist Eigentümerin eines Grundstücks mit Haus. Das ca. 3600 qm große Grund-stück grenzt in einer Länge von ca. 68 m an das ebenfalls bebaute Grundstück des Bekl. In diesem Grenzbereich ist auf dem Grundstück des Bekl. in einem Grenzab-stand von ca. 40 cm eine Bergahornhecke gepflanzt, die längere Zeit über 2 m hoch war. 1985 hatte die Kl. den Bekl. aufgefordert, die Hecke auf 2 m Höhe zurückzu-schneiden und auch den vorhandenen Überhang zu beseitigen; andernfalls werde sie dies auf seine Kosten veranlassen. Der Bekl. kam der Aufforderung nicht nach. Die Kl. ließ daher die Hecke schneiden und sich für diese Arbeiten 1643,34 DM in Rechnung stellen, die sie nun von dem Bekl. verlangt. Das AG hat die Klage abge-wiesen. Die Kosten für die Beseitigung des Überhangs hielt es schon im Hinblick auf § 910 II BGB nicht für erstattungsfähig.

Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die in zweiter Instanz erstmals gestellten weitergehenden Anträge der Kl. sind teil-weise unzulässig, im übrigen unbegründet und haben daher insgesamt ebenfalls kei-nen Erfolg.

I. Für die Beseitigung des Überhangs steht der Kl. kein Anspruch auf Zahlung der ihr entstandenen Kosten zu. Der Anspruch entfällt aus Rechtsgründen, unabhängig von der hier nicht weiter aufgeklärten Behauptung des Bekl., dass die herüberhängenden Zweige die Benutzung des Grundstücks der Kl. gar nicht beeinträchtigten (vgl. § 910 II BGB).

1. Die Frage, ob der Eigentümer eines Grundstücks, der von seinem Selbsthilferecht nach § 910 I BGB Gebrauch macht, von seinem Nachbarn die dafür aufgewandten Kosten ersetzt verlangen kann, ist in Rechtsprechung und Schrifttum streitig. Der BGH hat wiederholt die Auffassung vertreten, dass das Selbsthilferecht des § 910 I BGB den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB nicht ausschließe. Hierauf aufbau-end folgert er weiter, dass der Grundstückseigentümer, der die zur Beseitigung der überhängenden Zweige erforderlichen Arbeiten durchführen lässt und bezahlt, den Nachbarn von einer ihm obliegenden Verpflichtung befreit, mit der Folge, dass dem von seinem Selbsthilferecht Gebrauch machenden Eigentümer ein Wertersatzan-spruch nach den §§ 812, 818 II BGB zustünde (BGHZ 60, 235 (241 f.) = NJW 1973, 703 und BGH, NJW 1986, 2641; LG Aachen, NJW 1961, 734; zust. Palandt-Bassenge, BGB, 46. Aufl., § 910 Anm. 1; Soergel-Mühl, BGB, 11. Aufl., § 1004 Rdnr. 47). Nach der Gegenauffassung erfüllt der Grundstückseigentümer mit seiner Selbst-hilfe keine fremde Verpflichtung des Nachbarn, so dass eine Kostenerstattung aus Bereicherungs- oder aus Schadenshaftung nicht in Betracht kommt. Nach dieser An-sicht stellt das Selbsthilferecht des § 910 I BGB neben dem Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB einen zusätzlichen Eigentumsschutz des Gestörten dar. Die Selbst-hilfe nach § 910 I BGB sei also gerade nicht die Realisierung der nach § 1004 BGB bestehenden Haftung des Störers, so dass dieser durch die Selbsthilfehandlung des gestörten Eigentümers auch nicht von einer Verbindlichkeit befreit werde (so Picker, JuS 1974, 357 ff.; ebenso Säcker, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 910 Rdnr. 12; Stau-dinger-Gursky, 12. Aufl., BGB, § 1004 Rdnr. 111 und LG Frankfurt, NJW-RR 1986, 503). Die Kammer vermag sich den Argumenten dieser Gegenauffassung, denen der BGH in seiner jüngsten Entscheidung (NJW 1986, 2640) nichts entgegengesetzt hat, nicht zu verschließen. Neben den insbesondere von Picker (JuS 1974, 357) aufge-zeigten dogmatischen Bedenken spricht auch der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 910 BGB gegen die Auffassung des BGH. Denn Zweck des Selbsthilferechts ist gerade, es dem gestörten Eigentümer in Bagatellfällen auf einfache Weise ohne Ein-schaltung der Gerichte zu ermöglichen, den Rechtsfrieden wiederherzustellen. Die-sem Zweck würde es zuwiderlaufen, wenn sich die Parteien im Anschluss an die Selbsthilfe über deren Kosten auseinanderzusetzen hätten und der Streit, der eigent-lich vermieden werden sollte, dann doch vor die Gerichte getragen würde.

2. Auch andere Anspruchsgrundlagen greifen nicht. Ein Anspruch aus Geschäftsfüh-rung ohne Auftrag nach § 683 BGB scheitert daran, dass die Handlungsweise der Kl. dem Interesse und dem Willen des Bekl. ersichtlich nicht entsprach und dass auch ein Notfall, der ein sofortiges Einschreiten erforderte, nicht vorgelegen hat (vgl. § 679 BGB).

Ein Schadensersatzanspruch aus § 286 BGB scheitert daran, dass es sich bei dem Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB, mit dem der Bekl. in Verzug geraten war, nicht um einen schuldrechtlichen Anspruch handelt.

3. An dem hier gefundenen Ergebnis ändert auch nichts die Tatsache, dass die Kl. in ihrem Schreiben vom 7. 11. 1985 angekündigt hat, die Hecke auf Kosten des Bekl. schneiden zu lassen, falls er ihrer Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkomme. Die Androhung und Vornahme einer privaten Ersatzvornahme vermag einen Kostenerstattungsanspruch nicht zu rechtfertigen. Denn andernfalls würde der Schuldnerschutz aus § 887 ZPO unterlaufen und damit unter Umgehung des § 887 ZPO eine Art privater Vollstreckung ("Selbstjustiz“) zugelassen, ohne dass der ge-störte Eigentümer einen Titel über die Durchsetzung eines Anspruchs aus § 1004 BGB in den Händen hätte.

II. Auch für das Zurückschneiden der Hecke auf eine Höhe von 2 m steht der Kl. kein Anspruch auf Zahlung der ihr entstandenen Kosten zu. Zur Begründung ist im we-sentlichen auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Ergänzend ist festzustellen, dass der durch eine zu hohe Hecke gestörte Eigentümer lediglich einen Beseiti-gungsanspruch nach § 1004 BGB, nicht aber ein Selbsthilferecht nach § 910 I BGB hat. Denn § 910 I BGB gilt nur für den „Überhang“, nicht aber für sonstige Beein-trächtigungen. Handelte die Kl. hier somit, was das Kürzen der Hecke angeht, nicht einmal in erlaubter Selbsthilfe, so kann ihr aus diesem rechtswidrigen Verhalten auf keinen Fall ein Erstattungsanspruch zustehen. Dies käme der Duldung einer „Selbst-justiz“ gleich. Die Kl. hätte vielmehr ihren Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB einklagen und dann nach § 887 ZPO die Zwangsvollstreckung einleiten müssen.

III. Dem Feststellungsbegehren der Kl. ist ebenfalls der Erfolg zu versagen. Soweit sich das erstmals in zweiter Instanz geltend gemachte Feststellungsbegehren auf den Überhang bezieht, ist es mangels besonderen Feststellungsinteresses bereits unzulässig. Voraussetzung für eine Feststellungsklage ist nämlich, dass ein Rechts-verhältnis durch eine tatsächliche Unsicherheit gefährdet ist und dass ein Urteil ge-eignet ist, die Unsicherheit zu beseitigen, insbesondere Klarstellung des bestehen-den Streits zu bringen (vgl. Thomas-Putzo, ZPO, § 256 Anm. 5a und b). Dies ist hier nicht der Fall. Zwar kann der Kl. in Zukunft, wenn erneut Zweige in ihr Grundstück herüberwachsen, ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB zustehen. Indessen stellt bereits der Begriff der „Beeinträchtigung“ in § 1004 I BGB klar, dass ein Beseiti-gungsanspruch nicht schon bei jeder geringen Belästigung besteht. Es muss viel-mehr eine Belästigung von einigem Gewicht vorliegen. Im Ergebnis ist ein Beseiti-gungsanspruch nach § 1004 I BGB nur dann zu bejahen, wenn im konkreten Fall ein Selbsthilferecht nach § 910 II BGB nicht ausgeschlossen wäre. Ob indessen eine Beeinträchtigung von erheblichem Gewicht vorliegt und damit nach § 1004 I BGB beachtlich ist, kann indessen heute noch nicht festgestellt werden. Bei einem Über-hang weniger Zweige um wenige Zentimeter wäre dies sicherlich nicht der Fall, wohl aber bei einem solchen von beispielsweise 2 m.

Soweit sich das Feststellungsbegehren auch darauf bezieht, dass die Hecke in Zu-kunft erneut eine Höhe von 2 m überschreitet, ist es zulässig, aber unbegründet. Der an sich bestehende Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB i. V. mit § 42 NRWNachbG ist nämlich im konkreten Fall durch § 47 I NRWNachbarG ausge-schlossen. Denn der nachbarrechtswidrige Zustand besteht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme schon länger als 6 Jahre. Nach den übereinstimmenden Aussagen aller Zeugen war die Hecke schon länger als 6 Jahre vor dem erstmaligen Beschnei-den durch die von der Kl. beauftragte Firma mehr als 2 m hoch. Übereinstimmend haben alle vernommenen Zeugen bekundet, dass die Hecke seit ihrer Anpflanzung etwa im Jahre 1964 niemals richtig geschnitten worden ist und spätestens Mitte der 70iger Jahre eine Höhe von 2 m erreicht hatte.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht