Bestandsschutz des Nachbarüberwuchses in bloßen Ziergarten hinein
Gericht
OLG Köln
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
22. 05. 1996
Aktenzeichen
11 U 6/96
Der Eigentümer hat bei Anlage eines im Grenzüberwuchsbereich liegenden reinen Ziergartens auf die unveränderbare Situation der Grenzbepflanzung entsprechend Rücksicht zu nehmen, wenn er es versäumt hat, rechtzeitig gegen zu nah gepflanzte Bäume nach nachbarrechtlichen Vorschriften vorzugehen.
Die Beseitigung überhängender Zweige kann nur verlangt werden, wenn besondere Umständen dargelegt werden.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die bekl. Grenznachbarn hatten Grenzüberwuchs vom kl. Grundstück abschneiden lassen. Der Senat hat ihnen jedoch das Selbsthilferecht aus § 910 BGB im konkreten Fall abgesprochen.
Auszüge aus den Gründen:
... 3. Die Eigentumsverletzung der Bekl. war auch nicht durch das Selbsthilferecht nach § 910 BGB gerechtfertigt. Gem. § 910 II BGB greift das Selbsthilferecht des Nachbarn nur dann ein, wenn durch die herüberragenden Zweige eine Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks hervorgerufen wird.
a) Nach der zutreffenden Rechtsprechung (OLG Köln, NJW-RR 1989, 1177) liegt eine Beeinträchtigung im Sinne einer Eigentumsstörung gem. § 1004 BGB nur dann vor, wenn unzumutbare oder zumindest nicht ohne weiteres zu duldende Einwirkungen auf die Rechtstellung des Eigentümers erfolgen. Gegenüber der Eigentumsbeeinträchtigung i.S. des § 1004 BGB enthält § 910 II BGB eine weitere Einschränkung, indem sich die Rechtsbeeinträchtigung auf die Grundstücksnutzung beziehen muss. Der historische Gesetzgeber wollte durch diese Formulierung deutlich machen (vgl. Quack, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 910 Rdnr. 6), dass nicht der Entzug von Nahrung und Feuchtigkeit allein zu einem solchen Recht führt. Erst Beeinträchtigungen, die so gravierend sind, dass die „Fruchtgewinnung“ verkürzt oder die Bestellung des Grundstücks erschwert werden, sollen nach Vorstellung des historischen Gesetzgebers zum Abschneiderecht führen. Angesichts der gewandelten sozialen Verhältnisse können diese auf die Fruchtbestellung bezogenen Motive des Gesetzgebers zwar nicht unmittelbar zur Entscheidung des Falls herangezogen werden. Jedoch hat auch schon der Gesetzgeber gewisse Einwirkungen durch Überhang als hinnehmbar angesehen. Dies kann bei der Frage, ob eine Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung bei einem Ziergarten durch Überhang vorliegt, nicht vernachlässigt werden.
Der Begriff der Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung kann insbesondere bei Ziergärten nicht losgelöst von der in den letzten Jahrzehnten gewandelten Sozialanschauung über den Wert gewachsenen größeren Baumbestands gesehen werden. Bei der Frage, ob eine Beeinträchtigung vorliegt, ist nämlich ein objektiver Maßstab anzulegen, der insbesondere durch normative Gesichtspunkte beeinflusst wird. Subjektive Empfindlichkeiten des betroffenen Eigentümers haben außer Ansatz zu bleiben (Staudinger/Beutler, BGB, 12. Aufl., § 910 Rdnr. 6; Säcker, in: MünchKomm, § 910 Rdnr. 6). Es muss daher berücksichtigt werden, dass die Beseitigung der im vorliegenden Fall beschnittenen Bäume schon gem. § 47 NWNachbG nicht mehr verlangt werden kann. Darüber hinaus ist auch durch die Baumschutzssatzung der Stadt D. der größte Teil des hier beschnittenen Baumbestands vor Veränderungen geschützt.
Da die Bekl. weder nach den Vorschriften des BGB, noch nach den zitierten landesrechtlichen Bestimmungen einen Anspruch auf Beseitigung der Bäume auf dem Grundstück des Kl. haben, genießen diese im Verhältnis der Nachbarn untereinander Bestandsschutz. Der Vorzug, in der Nähe größerer Bäume zu wohnen, ist dabei nicht zu trennen von den von diesen Bäumen ausgehenden Einwirkungen.
Die Nutzung als Ziergarten kann damit nicht losgelöst von der durch das Nachbargrundstück vorgegebenen, nicht änderbaren Situation gesehen werden. Die Ästhetik und die Erholungsfunktion eines Ziergartens wird durch einen in größerer Höhe überwachsenden Ast bei objektiver Betrachtung grundsätzlich nicht berührt. Im Gegenteil würde die Gartenlandschaft Schaden nehmen, wenn die Baumkronen entlang der Grundstücksgrenzen unnatürlich begradigt werden müssten. Die Anlage eines Ziergartens wird vernünftigerweise auf die vorgegebene, nicht mehr abänderbare Situation Rücksicht zu nehmen haben. Dies ist die notwendige Konsequenz, wenn es der Eigentümer verabsäumt hat, gegen zu nah an die Grundstücksgrenze gepflanzte Bäume rechtzeitig nach den Bestimmungen des nordrhein–westfälischen Nachbarrechtsgesetzes vorzugehen. Schon vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann nur unter engen Voraussetzungen eine Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung bei einem Ziergarten durch in größerer Höhe überhängende Äste angenommen werden.
Es ist zudem vorliegend nichts dafür ersichtlich, dass die Auswirkungen der größeren Bäume des Kl. auf das Grundstück der Bekl. durch den Überhang quantifizierbar verschärft worden sind. Nur gerade durch den Überhang hervorgerufene Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung rechtfertigen aber Ansprüche aus § 910 BGB. Insbesondere aus den Lichtbildern, die mit der Berufungsbegründung zu den Akten gereicht worden sind, wird deutlich, dass angesichts der Größe der Bäume auf dem Grundstück des Kl. kein nennenswerter Vorteil für die Lichtzufuhr auf das Grundstück der Bekl. dadurch entsteht, dass ein eventueller Überhang beseitigt wird. Gewisse, kaum messbare Beeinträchtigungen der Feuchtigkeitszufuhr durch das überhängende Blattwerk werden die Bekl. als unerhebliche Einwirkungen hinzunehmen haben. Es handelt sich hierbei nämlich um die natürliche Konsequenz der vorgegebenen Bepflanzungssituation.
Die vom BGH in einer Entscheidung aus dem Jahre 1973 (BGHZ 60, 235 (242) = NJW 1973, 703 = LM § 1004 BGB Nrn. 124/125/126/127) vertretene Auffassung, wonach niemand das Recht habe, Zweige seiner Bäume in den Machtbereich seines Nachbarn eindringen zu lassen und insbesondere § 910 BGB dies nicht bestimme, kann im Lichte der neueren Naturschutzbestimmungen nicht mehr aufrechterhalten werden. Einer Entscheidung bedarf vor allem die Rechtsfrage, ob Ansprüche aus § 1004 BGB neben den Rechten aus § 910 BGB in Betracht kommen. Insofern ist es richtig, dass das Selbsthilferecht nach § 910 BGB weiteren Eigentümerrechten nicht entgegensteht. Die Frage, ob bei objektiver Betrachtung eine Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung vorliegt, kann jedoch nicht losgelöst von dem gewandelten normativen Umfeld gesehen werden.
b) Zwar ist grundsätzlich der Eigentümer der Bäume dafür darlegungs– und beweispflichtig, dass von den überhängenden Ästen keine Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung für den Nachbarn i.S. des § 910 II BGB ausgeht. Im vorliegenden Fall sind alle für die Beurteilung dieser Frage maßgeblichen Tatsachen jedoch unstreitig. Nach den von den Parteien überreichten und den vom Sachverständigen gefertigten Lichtbildern haben die entfernten Zweige in über 2.00 m Höhe etwa ebenso weit übergehangen. Als Beeinträchtigung wurde seitens der Bekl. in der vorgerichtlichen Korrespondenz und der Klageerwiderung ausschließlich angeführt, dass der Wuchs eigener Bäume durch Überhang beeinträchtigt werde. Die Wachstumsbehinderung von Bäumen in einem Ziergarten genügt für sich genommen nicht zur Annahme einer Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung i.S. des § 910 II BGB. Bei einem Ziergarten kommt es nämlich nicht auf die optimale Holzgewinnung an. Seine Erholungsfunktion und die Ästhetik werden durch die behaupteten Einwirkungen nicht berührt. Andere objektivierbare Einwirkungen auf die Grundstücksnutzung sind nicht ersichtlich. Die überhängenden Äste stellen insbesondere keine Gefahr dar und führen auch nicht zu einer nachbarordnungsrechtlich relevanten Beeinträchtigung der Lichtzufuhr für das Wohnhaus der Bekl.
Aus den überreichten Fotos wird schließlich deutlich, dass die abgeschnittenen Zweige in größerer Höhe wuchsen und das Begehen des Grundstücks nicht behinderten.
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