Aufwendungsersatzanspruch bei Beseitigung herabfallender Früchte
Gericht
AG Backnang
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
31. 03. 1989
Aktenzeichen
3 C 35/89
Einem Grundstückseigentümer steht ein Aufwendungsersatzanspruch gegen den benachbarten Grundstückseigentümer selbst dann zu, wenn er Eigentümer der herübergefallen Früchte geworden ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Wohn-Grundstücke. Auf dem Grundstück des Bekl. steht ein großer ca. 60 Jahre alter Mostbirnenbaum, von dem ein Hauptast mehrere Meter in das Grundstück des Kl. hineinragt. Im September/Oktober jeden Jahres fallen erhebliche Mengen Mostbirnen von diesem Ast auf das Grundstück des Kl. über. Der Kl. forderte den Bekl. durch Schreiben vom 25. 9. 1988, 28. 9. 1988 und erneut durch Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 4. 10. 1988 auf, die übergefallenen Mostbirnen zu beseitigen. Nachdem eine dem Bekl. hierfür gesetzte Frist bis zum 7. 10. 1988 verstrichen war, ließ der Kl. die übergefallenen Mostbirnen, es handelte sich um 0,75 Kubikmeter, durch ein Gartenbau-Unternehmen beseitigen. Hierdurch entstanden dem Kl. Kosten in Höhe von 213,75 DM. Er trägt vor, der Bekl. sei verpflichtet, ihm die entstandenen Aufwendungen zu erstatten. Der Bekl. meint, der Kl. werde gem. § 911 BGB selbst Eigentümer der Mostbirnen. Er könne daher auch die Kosten ihrer Beseitigung nicht von ihm ersetzt verlangen.
Das AG hat den Bekl. antragsgemäß zur Zahlung von 213,75 DM verurteilt.
Auszüge aus den Gründen:
Der Kl. hat gegen den Bekl. einen Aufwendungsersatzanspruch nach den §§ 1004, 812, 818 II BGB. Dazu nun im einzelnen:
1. Die vom Grundstück des Bekl. überragenden Äste und die davon herabfallenden Früchte beeinträchtigen die Nutzung des im Eigentum des Kl. stehenden Wohngrundstücks in erheblichem Umfang. Wie die vom Kl. vorgelegten Lichtbilder zeigen, ist der Boden während der Tragezeit des Baumes mit Mostbirnen geradezu übersät. Man kann praktisch keinen Schritt tun, ohne auf herumliegende Früchte zu treten. Dadurch wird auch die Nutzung der zum Wohnhaus des Kl. gehörenden Terrasse erheblich beeinträchtigt. Der Zeitaufwand für das Einsammeln der Früchte ist beträchtlich, wie sich der vom Kl. vorgelegten Rechnung ohne weiteres entnehmen lässt. Werden die Mostbirnen nicht in kurzen Zeitabständen (alle 1 oder 2 Tage) eingesammelt, so beginnen sie naturgemäß zu faulen und lösen dadurch Geruchsbelästigungen aus. Es ist auch ohne weiteres glaubhaft, dass durch die am Boden liegenden Früchte Wespen und Bienen angezogen werden. Auch dies beeinträchtigt die Nutzung des kl. Grundstücks, ohne dass es auf die zwischen den Parteien streitig gebliebene Frage ankommt, ob der Sohn des Kl. unter einer Bienen-/Wespenallergie leidet.
2. Der Kl. braucht die dargelegte Beeinträchtigung seines Eigentums i. S. des § 1004 I BGB, die vom Nachbargrundstück des Beklagten ausgeht, nicht hinzunehmen (§ 1004 II BGB):
a) Allerdings weist der Bekl. zu Recht darauf hin, dass der Kl. gem. § 911 BGB Eigentümer der überfallenden Mostbirnen wird. Daraus ergibt sich aber entgegen der Auffassung des Bekl. nicht, dass der Kl. die Beeinträchtigung seines Eigentums, die von den auf seinem Grundstück überragenden Ästen und den davon herabfallenden Mostbirnen ausgeht, hinzunehmen hat. Die Vorschrift des § 911 BGB soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers (Prot. III, S. 149) Streitigkeiten über die Abholung des Fallobstes vermeiden, indem das Ausschließungsinteresse des Grundstückseigentümers gegenüber dem Verfolgungsinteresse des Baumeigentümers privilegiert wird (Säcker, in: MünchKomm, § 911 Rdnr. 1). Die Rechte des Grundstückseigentümers sollen durch § 911 BGB somit nicht verkürzt, sondern im Gegenteil erweitert werden. Es lag allerdings außerhalb der Vorstellungswelt des Gesetzgebers, dass der Eigentümer des Nachbargrundstücks die überfallenden Früchte nicht als Geschenk, sondern als Belästigung empfinden könnte.
So liegen die Dinge aber hier:
Der Kl. hat, wie er glaubhaft darlegt, keine sinnvolle Verwendung für die überfallenden Mostbirnen. Auch das Interesse des Bekl. an den Früchten seines Mostbirnenbaumes ist gering, wie sich aus seiner mangelnden Bereitschaft, die überfallenden Mostbirnen regelmäßig selbst einzusammeln, ergibt. Beide Parteien betrachten die große Fruchtbarkeit des Mostbirnenbaumes offensichtlich keineswegs als Segen, sondern als lästige Begleiterscheinung.
Unter diesen Umständen kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Kl. dadurch, dass die Mostbirnen in sein Eigentum übergehen, für die erheblichen Beeinträchtigungen entschädigt wird, die von den Früchten ausgehen. Weil § 911 BGB aber, wie dargelegt wurde, den Grundstückseigentümer privilegieren soll, kann dieser Vorschrift kein Ausschluss weitergehender Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung oder Schadensersatz entnommen werden. Dass die herüberfallenden Früchte Eigentum des Kl. werden, ändert schließlich auch nichts daran, dass die von ihnen verursachte Beeinträchtigung seines Eigentumes letztlich vom Grundstück des Beklagten ausgeht.
b) Es kann auch nicht argumentiert werden, der Kl. habe die überragenden Äste zu dulden und müsse daher auch Beeinträchtigungen, die von den herüberfallenden Früchten ausgehen, hinnehmen. Nach § 910 II BGB, der auch im Rahmen des § 1004 I BGB anzuwenden ist (LG Saarbrücken, NJW-RR 1988, 1341; Harsch, WuM 1984, 56), kann der Eigentümer die Beseitigung überragender Zweige nicht verlangen, wenn sie die Nutzung seines Grundstücks nicht oder jedenfalls nicht wesentlich beeinträchtigen. Davon kann hier keine Rede sein. Das Eigentum des Kl. wird, wie dargelegt wurde, in erheblichem Ausmaß beeinträchtigt.
c) Das Selbsthilferecht des Grundstückeigentümers nach § 910 BGB schließt den Beseitigungsanspruch nach § 1004 I BGB grundsätzlich nicht aus (BGHZ 60, 235 = NJW 1973, 703 = LM § 1004 BGB Nrn. 124 -127).
d) Der Beseitigungsanspruch des Kl. bezüglich der auf sein Grundstück überragenden Zweige und Äste ist auch nicht gem. § 23 I des Gesetzes über das Nachbarrecht in Baden-Württemberg beschränkt. Die überragenden Äste beeinträchtigen die Nutzung eines Wohngrundstücks, so dass der Beseitigungsanspruch gem. § 23 II des Gesetzes über das Nachbarrecht uneingeschränkt besteht.
e) Die Beeinträchtigung, die von den überragenden Ästen und den davon herabfallenden Früchten ausgeht, überschreitet auch den Rahmen dessen, was ein Grundstückseigentümer gem. § 906 II BGB als ortsüblich hinzunehmen hat. Auch in ländlichen Gegenden kann es von einem Grundstückseigentümer nicht erwartet werden, dass er mehrmals in der Woche mehrere Stunden aufwendet, um Früchte, die von einem Baum auf dem Nachbargrundstück überfallen, einzusammeln. Nach alledem ist der Kl. berechtigt, vom Bekl. gem. § 1004 I BGB Beseitigung der dargelegten Beeinträchtigung zu verlangen.
3. Der Kl. hat den Bekl. mehrfach erfolglos zum Zurückschneiden der Äste und zum Einsammeln der Früchte aufgefordert. Erst nach Verstreichen einer hierfür gesetzten Frist hat der Kl. ein Gartenbau-Unternehmen mit dem Einsammeln der Birnen beauftragt, wodurch ihm Aufwendungen in Höhe von 213,75 DM entstanden sind. Diese Aufwendungen hat der Bekl. dem Kl. zu erstatten.
Der Kl. hat nämlich den Bekl. insoweit von der ihm gem. § 1004 I BGB obliegenden Verpflichtung zur Beseitigung einer Eigentumsstörung befreit (so BGHZ 97, 231 (232) = NJW 1986, 2640 = LM § 1004 BGB Nr. 168; OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2648). Dies gilt auch bei Ersatzvornahme durch Dritte (Palandt-Bassenge, § 1004 Anm. 5a cc). Der Bekl. hat nicht vorgetragen, dass er mit einem geringeren Betrag hätte auskommen können. Der Kl. war selbstverständlich nicht verpflichtet, die Mostbirnen selbst einzusammeln.
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