Wertermittlungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Erben auf eigene Kosten

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

02. 06. 1993


Aktenzeichen

IV ZR 259/92


Leitsatz des Gerichts

Der Anspruch auf Wertermittlung (§ 242 BGB), die der pflichtteilsberechtigte Erbe von einem angeblich vom Erblasser beschenkten Miterben auf seine eigenen Kosten wünscht, setzt nicht voraus, dass sein möglicher Pflichtteilsergänzungsanspruch dem Grunde nach bereits feststeht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien sind Brüder. Sie haben ihren am 15. 2. 1991 verstorbenen Vater kraft Gesetzes zu je einem Siebtel beerbt. Der Erblasser hatte ein Unternehmen für die Herstellung und den Vertrieb von Feuerschutzgeräten und von Gegenständen des Luftschutzbedarfs. Mit Wirkung vom 1. 1. 1968 nahm er den Bekl. in das Geschäft auf. Von dem Kapital der damals gegründeten Kommanditgesellschaft standen dem Erblasser als persönlich haftendem Gesellschafter und dem Bekl. als Kommanditisten je 20000 DM zu. Aufgrund Neufassung des Gesellschaftsvertrages vom 28. 7. 1982 waren seit 1985 der Erblasser mit 34 % und der Bekl. mit 66 % an Gewinn und Verlust beteiligt. In diesem Vertrag ist ferner vereinbart, dass der Erblasser bei seinem Tod „unter Einschluss der Erben“ aus der Gesellschaft ausscheidet und dass der Bekl. das Geschäft alleine fortführt. Die für diesen Fall vorgesehene Zahlung einer Rente an die Mutter des Bekl. (40 % der letzten Tätigkeitsvergütung des Erblassers; 1982: 4200 DM) brauchte nicht gezahlt zu werden, weil diese vorverstorben war. Für die übrigen sechs Kinder des Erblassers war eine Abfindung vorgesehen. Zu diesem Zweck sollte eine Abfindungsbilanz nach Buchwerten und ohne Ansatz für Firma, Kundschaft und schwebende Geschäfte erstellt werden. Der daraus abgeleitete Buchwert des Kapitalanteils (20000 DM) des Erblassers sollte vorab um 20 % zugunsten des Bekl. gekürzt werden. Nur die restlichen 80 % sollten an die übrigen Abkömmlinge des Erblassers gehen, und zwar bei 4%iger Verzinsung in fünf gleichen Jahresraten, beginnend sechs Monate nach dem Tod des Erblassers. Mit dieser Abfindung ist der Kl. nicht einverstanden. Er beansprucht eine Entschädigung nach dem vollen Wert des Gesellschaftsanteils des Erblassers zum Erbfall (15. 2. 1991); der Vertrag vom 28. 7. 1982 enthalte eine Schenkung an den Bekl. Der Bekl. tritt dem entgegen; er beruft sich auf seine Verpflichtung zu Rentenleistungen an die Mutter und zur Abfindung der Geschwister. Überdies seien Ende der 80er Jahre außerordentliche Gewinnsteigerungen eingetreten, die 1982 nicht hätten vorhergesehen werden können. Es müsse auf den Niederstwert am 28. 7. 1982 abgestellt werden.

Das LG hat die Klage, die zunächst auf Vorlage eines Gutachtens über den Verkehrswert des Anteils des Erblassers beim Erbfall auf Kosten des Nachlasses ging, abgewiesen. Dagegen hat das BerGer. den Bekl. verurteilt, einem Sachverständigen ohne Eingehung einer eigenen Vergütungspflicht Auftrag zur Erstattung des gewünschten Gutachtens auf Kosten des Kl. zu erteilten und dem Sachverständigen dessen Erstattung zu ermöglichen. Die zugelassene Revision des Bekl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Wie das BerGer. zutreffend erkannt hat, kann der eingeklagte Anspruch nicht auf § 2314 BGB gestützt werden. Diese Vorschrift ist auf den pflichtteilsberechtigten Nichterben zugeschnitten. Eine Ausdehnung der Norm auf den pflichtteilsberechtigten Erben lehnt die höchstrichterliche Rechtsprechung beständig ab (BGHZ 108, 393 (395) = LM § 2314 BGB Nr. 17; vgl. auch BGHZ 107, 200 (203) = LM § 2314 BGB Nr. 16). In Betracht kommt hier aber ein erbrechtlicher Wertermittlungsanspruch aus § 242 BGB (BGHZ 108, 393 = LM § 2314 BGB Nr. 17). Entgegen der Auffassung der Revision sind die Voraussetzungen für einen derartigen Anspruch nach den Feststellungen des BerGer. erfüllt.

1. Die Revision rügt, das BerGer. habe ausdrücklich offengelassen, ob der Erblasser dem Bekl. mit dem Vertrag vom 28. 7. 1982 überhaupt etwas geschenkt hat, und dem Kl. gleichwohl den Wertermittlungsanspruch zugebilligt. Das sei rechtsfehlerhaft, weil ein Wertermittlungsanspruch gem. § 242 BGB voraussetze, dass der Pflichtteilsergänzungsanspruch, um den es dem Kl. geht, dem Grunde nach bereits feststehe und nur seinem Inhalt nach noch offen sei. Dieser Revisionsangriff ist unbegründet.

Mit Recht hebt die Revision allerdings hervor, dass der Senat in seinem Urteil vom 4. 10. 1989 (BGHZ 108, 393 = LM § 2314 BGB Nr. 17) nicht entschieden hat, ob der Wertermittlungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Miterben gem. § 242 BGB voraussetzt, dass ein möglicher Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den angeblich beschenkten Miterben dem Grunde nach bereits feststeht. Auf diese Frage kam es nicht an, weil die Schenkung, auf die die damalige Kl. sich seinerzeit stützte, unstreitig war. Entschieden worden ist die Frage jedoch vom II. Zivilsenat des BGH. Dieser hat mit Urteil vom 8. 7. 1985 (NJW 1986, 127 (128) = LM § 2314 BGB Nr. 14) ausgesprochen, der (erbrechtliche) Wertermittlungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Erben gegen den Beschenkten aus § 242 BGB setze nicht voraus, dass die angebliche Schenkung bereits feststehe. Da das Verlangen jedoch nicht auf eine reine Ausforschung hinauslaufen dürfe, sei es allerdings geboten, dass der Pflichtteilsberechtigte gewisse Anhaltspunkte für die von ihm behauptete unentgeltliche Verfügung des Erblassers nachweise. Das sei aber auch genügend.

Diese Rechtsauffassung steht mit der Auffassung des erkennenden Senats in Einklang. In seiner Rechtsprechung hat er über den Wortlaut des § 2314 BGB hinaus Ansprüche auf Auskunft und Wertermittlung auch gegen den Beschenkten zugebilligt, und zwar sowohl dem Nichterben als auch dem Erben. Zwar heißt es in BGHZ 89, 24 = LM § 2314 BGB Nr. 12 (L), der Wertermittlungsanspruch könne nicht schon auf den begründeten Verdacht hin, der Erblasser habe einen bestimmten Gegenstand innerhalb der Frist des § 2325 BGB weggeschenkt, zugebilligt werden. Es müsse vielmehr bewiesen werden, dass es sich um eine ergänzungspflichtige Schenkung handele. Indessen liegt dem, wie der II. Zivilsenat zutreffend dargelegt hat (NJW 1986, 128 = LM § 2314 BGB Nr. 14, Bl. 2R), maßgeblich die Überlegung zugrunde, dass in solchen Fällen der Nachlass in unzumutbarer Weise mit Kosten belastet würde. Dieser Gesichtspunkt kann jedoch nicht eingreifen, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Kosten - wie hier - selbst übernehmen will.

2. Die Voraussetzungen für einen Wertermittlungsanspruch sind hier erfüllt. Das BerGer. sieht einen erheblichen Anhaltspunkt für eine Schenkung des Erblassers unter anderem darin, dass der Gesellschaftsvertrag von 1982 eine Abfindung nur auf der Grundlage einer Bilanz nach Buchwerten und ohne Berücksichtigung von Firma, Kundschaft und schwebenden Geschäften vorsieht. Hierin liegt eine deutliche Begrenzung der Abfindungsansprüche. Hinzu kommt, wie die Revisionserwiderung mit Recht betont, dass der Gesellschaftsvertrag die vertragliche Abfindung für den Fall der Geltendmachung zusätzlicher Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüche gänzlich wegfallen lassen will. Schon diese Umstände stellen ausreichende und greifbare Anhaltspunkte dafür dar, dass es sich angesichts der vom Bekl. übernommenen Verpflichtungen zwar nicht um eine unentgeltliche Zuwendung, aber um eine gemischte Schenkung handeln dürfte.

II. 1. Gem. § 2325 II BGB kommt es für eine Pflichtteilsergänzung bei anderen als verbrauchbaren Sachen zunächst auf den Wert an, den der weggeschenkte Gegenstand zur Zeit des Erbfalls hatte. War der Wert aber zur Zeit der Schenkung geringer, dann ist nur dieser in Ansatz zu bringen (Niederstwertprinzip). Dementsprechend hat eine geschuldete Wertermittlung zu diesen beiden Stichtagen stattzufinden (BGHZ 108, 393 (397) = LM § 2314 BGB Nr. 17). Indessen nimmt das BerGer. mit Recht an, dass der Zeitpunkt der Schenkung im Sinne des Niederstwertprinzips der Tag des Schenkungsvollzuges ist (BGHZ 65, 75 (76) = LM § 2325 BGB Nr. 12/13; BGHZ 85, 274 (282) = LM § 1600a BGB Nr. 7 (L); BGHZ 118, 49 (52) = LM H. 2/1993 § 2325 BGB Nr. 26), nämlich der Tag des Eigentumsübergangs oder hier des Übergangs des Gesellschaftsanteils. Dieser Zeitpunkt fällt, wie das BerGer. zutreffend erkannt hat, mit dem Erbfall zusammen. Erst mit dem Tode des Erblassers erlangte der Bekl. zu seinem eigenen Kommanditanteil dessen Gesellschaftsanteil hinzu; erst dann endete die Gesellschaft durch Vereinigung beider Gesellschaftsanteile in der Hand des Bekl.

Von dieser Berechnungsweise hat der Senat in BGHZ 85, 274 (283) = LM § 1600a BGB Nr. 7 (L) eine Ausnahme nur für einen Fall gemacht, in dem das maßgebende Schenkungsversprechen sogar nach dem Erbfall (möglicherweise) noch nicht vollzogen war. So liegt die hier zu entscheidende Sache aber nicht. Die Vollziehung des Schenkungsversprechens fällt vielmehr mit dem Erbfall zusammen. Ob an der damals gefundenen Lösung, die auf Kritik gestoßen ist (Soergel-Dieckmann, BGB, 12. Aufl., § 2325 Rdnr. 50; Frank, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 2325 Rdnr. 21), noch festgehalten werden könnte, ist daher hier nicht zu entscheiden.

2. Die Revision vertritt demgegenüber die Auffassung, die angeführte Rechtsprechung des BGH betreffe lediglich Grundstücksschenkungen. Dabei handele es sich um einen Sonderfall, dessen Grundsätze auf die Schenkung von Gesellschaftsanteilen nicht übertragen werden könnten. Damit unterliegt die Revision einem Irrtum. Die in einem einzelnen Urteil des III. Zivilsenats des BGH (NJW 1970, 1638) vertretene andere Auffassung, auf die die Revision zurückkommt, hat der erkennende Senat in BGHZ 98, 226 (233) = LM § 2325 BGB Nr. 18 „zur Vermeidung schwerwiegender Fehlentwicklungen“ ausdrücklich aufgegeben. Die Besonderheiten des Gesellschaftsrechts und der inneren Verhältnisse in einer Personengesellschaft rechtfertigen keine Ausnahmen von dem zwingenden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsrecht.

3. Die Revision rügt weiter, maßgebender Zeitpunkt für die Wertermittlung könne hier nicht der Erbfall sein. Der Wert des Anteils des Erblassers bei dessen Tod gebe keinen Aufschluss über die vorrangige und bisher nicht entschiedene Frage, ob der Gesellschaftsvertrag vom 28. 7. 1982 aus der damaligen Sicht des Erblassers und des Bekl. eine (gemischte) Schenkung darstelle. Die Bewertung setze gerade die Feststellung voraus, was überhaupt geschenkt sei. Das gelte um so mehr, als der Bekl. vor dem Tatrichter vorgetragen habe, Ende der 80er Jahre seien außerordentliche Gewinnsteigerungen eingetreten, die im Jahre 1982 nicht vorhersehbar gewesen seien. Buch- und Verkehrswert seien am 28. 7. 1982 erheblich geringer gewesen als beim Erbfall.

Hieran ist richtig, dass das dem Kl. zugebilligte Wertermittlungsgutachten, das sich nur auf den Wert des Gesellschaftsanteils des Erblassers beziehen soll, für sich allein nicht geeignet ist zu belegen, der Vertrag vom 28. 7. 1982 enthalte eine gemischte Schenkung des Erblassers an den Bekl. Das ist hier aber nicht entscheidend. Der Kl. ist berechtigt, Wertermittlung auf eigene Kosten zu verlangen als Grundlage für den Entschluss, ob er seinen möglichen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend macht oder nicht.

Rechtsgebiete

Erbrecht