Teilweiser Übergang von Unterhaltsansprüchen auf Sozialhilfeträger
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
31. 05. 2000
Aktenzeichen
XII ZR 119/98
Unterhaltsansprüche gehen auf den Sozialhilfeträger insoweit nicht über, als sie auf der Zurechnung fiktiven Erwerbseinkommens des Unterhaltspflichtigen beruhen.
Zur Subsidiarität des Sozialhilfeanspruchs gegenüber Unterhaltsansprüchen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Ag. nimmt als Prozessstandschafterin den Ast. auf Kindesunterhalt ab Scheidung der Ehe in Anspruch. Die 1998 geschlossene Ehe der Parteien, aus der zwei am 18. 10. 1988 und 23. 3. 1990 geborene Kinder hervorgegangen sind, wurde durch Verbundurteil des FamG vom 4. 6. 1997, rechtskräftig seit 23. 12. 1997, geschieden. Seit der Trennung der Parteien im September 1990 leben die Kinder bei der Ag., die für sie Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und ergänzende Sozialhilfe bezieht. Der Ast. arbeitete bis Ende Dezember 1992 als Kraftfahrer bei einem Busreiseunternehmen, wo er zuletzt durchschnittlich monatlich netto 3500 DM verdiente. Seither ist er arbeitslos und bezieht Arbeitslosenhilfe in Höhe von 232,80 DM wöchentlich.
Auf den Antrag der Ag. hat ihr das FamG in dem Verbundurteil u.a. die elterliche Sorge für die beiden Kinder übertragen und den Ast. zur Zahlung eines monatlichen Kindesunterhalts von je 415 DM ab dem 21. 6. 1996 verurteilt, wobei es von einem fiktiven Einkommen in Höhe des früher erzielten Gehalts von 3500 DM, bereinigt um berufsbedingte Aufwendungen auf 3325 DM, ausging. Auf die Berufung des Ast. änderte das OLG das Verbundurteil insoweit ab, als es den Kindesunterhalt von monatlich je 415 DM erst ab Rechtskraft des Scheidungsurteils, dem 23. 12. 1997, zuerkannte und die Klage wegen der zurückliegenden Zeit als unzulässig abwies. Außerdem sprach es auf Antrag der Ag. aus, dass die bis einschließlich März 1998, dem Zeitpunkt der Berufungsverhandlung, fälligen Beträge an das Land Rheinland-Pfalz als Träger der Unterhaltsvorschussleistungen und die künftig fälligen Beträge zu Händen der Ag. zu leisten seien. Im Übrigen wies es die Berufung des Ast. zurück. Dagegen wendet sich der Ast. mit der zugelassenen Revision, mit der er wie zuvor das Ziel einer Klageabweisung verfolgt, soweit er zu einer höheren Unterhaltszahlung als monatlich je 314 DM (Mindestunterhalt) verurteilt wurde. Die Revision des Bekl. hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
II. 2. … a) Die Ag. ist zur Geltendmachung der Unterhaltsansprüche befugt. Das OLG hat festgestellt, dass die Kinder sowohl Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz als auch ergänzende Sozialhilfe erhalten hätten, allerdings nicht, in welcher Höhe. Das ist indes unschädlich. Soweit es sich um ergänzende Sozialhilfe handelt, sind die Kinder Anspruchsinhaber geblieben. Denn gem. § 91 II 1 BSHG gehen die Unterhaltsansprüche nicht auf den Sozialhilfeträger über, soweit sie - wie hier - auf der Zurechnung eines fiktiven Erwerbseinkommens aus zumutbarer Tätigkeit des Unterhaltspflichtigen beruhen (vgl. auch Senat, NJW 1998, 2219 = LM H.10/1998 BSHG Nr. 39 = FamRZ 1998, 818ff.). Die Prozessführungsbefugnis der Ag., die die Ansprüche der Kinder als gesetzliche Prozessstandschafterin gem. § 1629 III BGB auch über die Scheidung hinaus bis zum Abschluss des Unterhaltsprozesses geltend machen kann (vgl. Senat, NJW-RR 1990, 323 = LM § 546 ZPO Nr. 129 = FamRZ 1990, 283 [284]), wird daher hiervon nicht berührt.
Soweit Unterhaltsvorschussleistungen bezogen wurden, sind die Unterhaltsansprüche zwar gem. § 7 I 1 UVG auf das Land Rheinland-Pfalz als Träger dieser Leistungen übergegangen. Da jedoch ausschließlich Ansprüche geltend gemacht werden, die erst nach Rechtshängigkeit des Verbundverfahrens bzw. nach Rechtskraft des Scheidungsurteils entstanden sind, hat dieser Rechtsübergang auf den Prozess keinen Einfluss (§ 265 II 1 ZPO), so dass die Ag. auch weiterhin die Ansprüche verfolgen kann. Die im Senatsurteil vom 22. 9. 1999 (NJW 2000, 812 = LM H.3/2000 UnterhaltsvorschussG Nr. 2 = FamRZ 2000, 221 [222f.]) offen gelassene Frage, ob § 91 II 1 BSHG auf Unterhaltsvorschussleistungen analog angewandt werden sollte, wenn die Unterhaltsansprüche auf der Zurechnung eines fiktiven Erwerbseinkommens beruhen, kann daher auch hier dahinstehen.
Hinsichtlich der bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vor dem OLG aufgelaufenen Unterhaltsansprüche ist die Ag. Prozessstandschafterin des Landes mit der Folge, dass der Klageantrag insoweit auf Leistung an das Land umgestellt werden musste; hinsichtlich der künftigen Unterhaltsansprüche bleibt sie Prozessstandschafterin der Kinder. Dass die Ag. bei der Antragsumstellung nicht beachtet hat, dass gegebenenfalls ein Teil der Unterhaltsansprüche, nämlich soweit ergänzende Sozialhilfe gezahlt worden sein sollte, weder gem. § 7 I UVG auf das Land noch - wegen § 91 II 1 BSHG - auf den Sozialhilfeträger übergegangen ist, sondern bei den Kindern als Rechtsinhabern verblieben ist, ist unschädlich, da dies jedenfalls dem Ast. nicht zum Nachteil gereicht. Denn die Leistung an den Dritten auf Antrag der Ag. erfolgt für den Ast. mit befreiender Wirkung (vgl. §§ 362 II, 185 BGB).
b) Der Ast. vertritt mit seiner Revision die Auffassung, dass den Kindern ein über den Mindestbedarf von je 314 DM monatlich hinausgehender Unterhaltsanspruch (hier in Höhe von restlich 101 DM) nicht mehr zustehe, weil sie insoweit bedarfsdeckende Leistungen des Sozialhilfeträgers erhalten hätten, die auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen seien. Denn da der Rechtsübergang auf den Sozialhilfeträger gem. § 91 II 1 BSHG ausgeschlossen sei, soweit der Unterhaltsanspruch auf der Zurechnung fiktiven Erwerbseinkommens beruhe, sei die Sozialhilfeleistung gegenüber dem Unterhaltsanspruch nicht mehr subsidiär.
Mangels entsprechender Feststellungen des OLG muss in der Revision zu Gunsten des Ast. davon ausgegangen werden, dass die Kinder ergänzende Sozialhilfe bezogen haben und ihre Unterhaltsansprüche insoweit nicht auf den Sozialhilfeträger übergegangen sind. Das verhilft der Revision des Ast. indes nicht zum Erfolg.
Wie der Senat zwischenzeitlich entschieden hat, gilt der Grundsatz, dass Sozialhilfe gegenüber dem Unterhalt nachrangig ist (§ 2 II 1 BSHG), auch dann, wenn der nach § 91 I 1 BSHG vorgesehene Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger ausnahmsweise gem. § 91 II 1 BSHG ausgeschlossen ist (Senat, NJW 1999, 2365 = LM H.10/1999 § 1361 BGB Nr. 69 = FamRZ 1999, 843 [845ff.] m.w. Nachw.). Da die Zielsetzung des Sozialhilferechts eine andere als die des Unterhaltsrechts ist und der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch durch das Bundessozialhilfegesetz nicht berührt wird, haben die Leistungen nach diesem Gesetz keinen Einfluss auf Inhalt und Umfang des Unterhaltsanspruchs und der Unterhaltsverpflichtung. Die Gewährung von Sozialhilfe ist demgemäss nicht als unterhaltsrechtlich bedarfsdeckende Leistung zu behandeln dergestalt, dass damit die Bedürftigkeit des Unterhaltsgläubigers und zugleich sein Unterhaltsanspruch entfiele. Auch der in § 91 II 1 BSHG verankerte Schuldnerschutz ändert an diesem Grundsatz nichts, weil er sich seiner Zielsetzung nach nur gegen den Sozialhilfeträger wendet. Er soll lediglich gewährleisten, dass der Unterhaltspflichtige im Verhältnis zum Sozialhilfeträger den gleichen Schutz hinsichtlich seines Einkommens und Vermögens genießt, den er hätte, wenn er selbst Hilfeempfänger wäre (Senat, NJW 1999, 2365 = LM H.10/1999 § 1361 BGB Nr. 69 = FamRZ 1999, 843 [846] m.w. Nachw.). Daher sind im Sozialhilferecht - anders als im Unterhaltsrecht - auch keine fiktiven Einkünfte zu berücksichtigen. Demgegenüber schützt das Unterhaltsrecht den Verpflichteten nur nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlich definierten Leistungsfähigkeit im Rahmen der §§ 1581, 1603 BGB, wobei leichtfertig herbeigeführte Leistungsunfähigkeit unbeachtlich sein kann (Senat, NJW 1999, 2365 = LM H.10/1999 § 1361 BGB Nr. 69 = FamRZ 1999, 843). Der Senat hat lediglich erwogen, dass einem nach Gewährung von Sozialhilfe, aber ohne Rechtsübergang auf den Sozialhilfeträger erhobenen Unterhaltsbegehren der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehen könne, wenn andernfalls in Mangelfällen die Gefahr besteht, dass der Unterhaltsschuldner mit derartig hohen Unterhaltsforderungen aus der Vergangenheit belastet wird, dass es voraussichtlich auf Dauer unmöglich ist, diese Schulden neben seinen laufenden Verpflichtungen zu tilgen (vgl. Senat, NJW-RR 1993, 322 = LM H.6/1993 § 1602 BGB Nr. 15 = FamRZ 1993, 417 [419]). Eine solche Korrektur nach § 242 BGB kommt allerdings nicht generell, sondern nur in Einzelfällen und nur bezogen auf Unterhaltsrückstände aus der Vergangenheit in Betracht, weil andernfalls die gesetzlich gewollte Subsidiarität der Sozialhilfe außer Kraft gesetzt würde (Senat, NJW 1999, 2365 = LM H.10/1999 § 1361 BGB Nr. 69 = FamRZ 1999, 843 [847]). Hier kommt eine Anwendung des § 242 BGB schon angesichts des Umstands, dass keine Unterhaltsrückstände für die Zeit vor Rechtshängigkeit zuerkannt worden sind und sich der Ast. auf die Unterhaltsforderungen im Laufe des Verbundverfahrens rechtzeitig einrichten konnte, sowie angesichts der geringen Höhe des Unterhalts nicht in Betracht (vgl. Senat, NJW 2000, 812 = LM H.3/2000 UnterhaltsvorschussG Nr. 2 = FamRZ 2000, 221 [223]).
c) Hilfsweise beruft sich die Revision für ihre Auffassung, ein über den Mindestbedarf hinausgehender Unterhalt könne nicht aus einem fiktiv zugerechneten Einkommen hergeleitet werden, auf die Rechtsprechung des Senats, wonach lediglich gedachte wirtschaftliche Verhältnisse, die keine Grundlage in der tatsächlichen Einkommenssituation des Unterhaltspflichtigen haben, dessen Lebensstellung - und damit auch die des von ihm abhängigen Unterhaltsgläubigers - nicht prägen können (Senat, NJW 1997, 735 = LM H.4/1997 § 1361 BGB Nr. 67 = FamRZ 1997, 281 [283] für Kindesunterhalt; NJW 1992, 2477 = LM H.1/1993 § 1578 BGB Nr. 60 = FamRZ 1992, 1045 [1047] für Ehegattenunterhalt). Diese Aussage bezieht sich indessen auf Fälle, in denen dem Unterhaltspflichtigen diese Einkünfte tatsächlich nie oder jedenfalls nicht so nachhaltig zur Verfügung gestanden hatten, dass auch die Lebensstellung des unterhaltsberechtigten Kindes davon geprägt werden konnte (§ 1610 I BGB), also etwa auf Fälle, in denen die Einkünfte erst aus der Verwertung von Vermögen und anschließendem Verzehr des erzielten Kapitals fließen (Senat, NJW 1997, 735 = LM H.4/1997 § 1361 BGB Nr. 67 = FamRZ 1997, 281 [283]). Im Unterschied dazu hatte im vorliegenden Fall der Ast. das Gehalt als Busfahrer tatsächlich jahrelang bezogen und davon den Lebensunterhalt seiner Familie bestritten. Wenn das OLG den Unterhaltsbedarf der Kinder an diesem zuletzt erzielten Einkommen ausrichtet und davon ausgeht, dass er ein entsprechendes Gehalt bei gehörigem Bemühen wieder erzielen könne, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen wird nicht nur durch die tatsächlich vorhandenen, sondern auch durch solche Mittel bestimmt, die er bei gutem Willen durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit, unter Umständen auch im Wege eines Orts- oder Berufswechsels erreichen könnte. Dabei obliegt ihm auf Grund seiner erweiterten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern nach § 1603 II BGB eine gesteigerte Ausnutzung seiner Arbeitskraft, die es ihm ermöglicht, nicht nur den Mindestbedarf, sondern auch den angemessenen Unterhalt der Kinder sicherzustellen (st.Rspr.; vgl. Senat, NJW 1985, 732 = LM § 1361 BGB Nr. 41 = FamRZ 1985, 158 [159]; NJW-RR 1993, 1283 = FamRZ 1993, 1304 [1306]; NJW 1994, 1002 = LM H.5/1994 § 1603 BGB Nr. 46 = FamRZ 1994, 372 [373]; NJW-FER 1998, 64 = FamRZ 1998, 357 [359]; NJW 1999, 2365 = LM H.10/1999 § 1361 BGB Nr. 69 = FamRZ 1999, 843 [844], jeweils m. Nachw.). Dazu gehört nicht nur die Stellensuche über das Arbeitsamt, sondern auch, dass er sich aus eigenem Antrieb laufend über Zeitungsannoncen, Vermittlungsagenturen und ähnliches um Arbeit bemüht (Senat, NJW 1994, 1002 = LM H.5/1994 § 1603 BGB Nr. 46 = FamRZ 1994, 372 [374]). Notfalls muss er auch andere Tätigkeiten bis hin zu Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten übernehmen. Um seiner Darlegungs- und Beweislast für hinreichende Bemühungen zu genügen, muss der Unterhaltspflichtige auch in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat, um eine Arbeitsstelle zu finden (Senat, NJW 1996, 517 = LM H.4/1996 § 1581 BGB Nr. 10 = FamRZ 1996, 345 [346]).
Die vom Ast. aus der Zeit seiner Arbeitslosigkeit seit Ende 1992 dargelegten Bemühungen hat das OLG zu Recht als unzureichend und im Hinblick auf seine bestehende Unterhaltspflicht als verantwortungslos zurückgewiesen. Denn der Ast. hat lediglich drei Busunternehmen im unmittelbaren Einzugsbereich seines Wohnorts namentlich benannt, ohne dazu konkrete Bewerbungsunterlagen vorzulegen, und sich im Übrigen auf die pauschale Behauptung beschränkt, sich auf einer Vielzahl von Stellen als Busfahrer beworben zu haben. Sein Vortrag ist auch nicht geeignet, davon auszugehen, dass trotz hinreichender Bemühungen für ihn keine reale Beschäftigungschance auf dem Arbeitsmarkt bestanden habe (Senat, NJW 1994, 1002 = LM H.5/1994 § 1603 BGB Nr. 46 = FamRZ 1994, 372 [374]).
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