Schmerzensgeldhöhe bei Schockschaden

Gericht

OLG Oldenburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

01. 12. 1998


Aktenzeichen

5 U 127/98


Leitsatz des Gerichts

20000 DM Schmerzensgeld können für einen Schockschaden nach Unfalltod der Tochter bei anhaltenden Depressionen angemessen sein.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. nimmt die Bekl. auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 20000 DM in Anspruch und begehrt ferner die Feststellung, dass die Bekl. zum Ersatz aller weiteren materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet sind, die ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 16. 9. 1995 entstehen. Bei diesem Verkehrsunfall kam die Adoptivtochter des Kl., die damals 17jährige A, ums Leben. Sie lebte mit ihrem Vater allein in einem gemeinsamen Haushalt, nachdem die Ehefrau des Kl. vor einigen Jahren an einem Krebsleiden verstorben war. Am 16. 9. 1995 befand sie sich als Mitfahrerin in einem vom Bekl. zu 1 gesteuerten Pkw, der bei der Bekl. zu 2 haftpflichtversichert war. Ausgangs einer Rechtskurve kam der Bekl. zu 1 infolge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit und überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Baum. Dabei wurde das Fahrzeug in zwei Teile zerrissen. Während der Bekl. zu 1 und ein weiterer vorne sitzender Beifahrer nur leicht verletzt wurden, erlitt die Tochter des Kl. schwere innere Verletzungen, an denen sie noch an der Unfallstelle verstarb. Die Benachrichtigung von dem Unfalltod seiner Tochter führte bei dem Kl. zu schweren psychischen Beeinträchtigungen. Er wurde zunächst von einem Notarzt und sodann von seinem Hausarzt mit Beruhigungsmitteln behandelt. Am 22. 9. 1995 kam er in die Behandlung eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, der wegen akuter Selbstmordgefahr die stationäre Einweisung des Kl. in eine psychosomatische Klinik veranlasste. Dort hielt sich der Kl. in der Zeit vom 30. 10. 1995 bis zum 9. 1. 1996 auf. Nach seiner Entlassung blieb er in ärztlicher Behandlung; er ließ sich von seiner Tätigkeit als Bauführer bei der deutschen Telekom in den Innendienst versetzen. Der Kl. hat behauptet, er leide aufgrund des Unfalls unter einer chronischen Depression, die Krankheitswert besitze. Er könne den Tod seiner Tochter nicht überwinden. Sein Leben erscheine ihm sinnlos. Er könne nachts nicht mehr durchschlafen, habe Alpträume und wache dann morgens schweißgebadet auf. Es sei nicht absehbar, wie lange er noch psychiatrischer Behandlung bedürfe.

Das LG hat der Klage mit Ausnahme der Feststellung zum Ersatz weiterer immaterieller Schäden stattgegeben. Es ist - sachverständig beraten - zu der Überzeugung gelangt, dass der Kl. an einer anhaltenden mittelschweren Depression leidet, die auf den Unfalltod seiner Tochter zurückzuführen ist. Die Gesundheitsbeschädigung des Kl. gehe damit deutlich über das hinaus, was Nahestehende in derartigen Fällen erfahrungsgemäß als Beeinträchtigung erlitten. Nach den gesamten zu berücksichtigenden Umständen sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 20000 DM angemessen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Bekl. vergeblich mit der Berufung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das LG hat zu Recht einen Schmerzensgeldanspruch des Kl. in der zuerkannten Höhe bejaht und die Verpflichtung der Bekl. zum Ersatz künftiger materieller Schäden festgestellt.

Grundlage für die Ansprüche des Kl. sind §§ 823, 847 BGB, § 3 PflVersG. Die Gesundheitsbeeinträchtigung, die der Kl. durch die Nachricht vom Unfalltod seiner Tochter erlitten hat, stellt nicht nur eine psychische Belastung dar, die in solchen Fällen bei nahen Angehörigen erfahrungsgemäß auftritt und deshalb dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen ist. Vielmehr handelt es sich um eine Beeinträchtigung, die nach ihrer Art und Schwere weit darüber hinausgeht und die deshalb auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertung in §§ 844, 845 BGB eine Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 I BGB darstellt. Das hat das LG aufgrund der sachverständigen Beratung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M im einzelnen zutreffend festgestellt; auf die entsprechenden Darlegungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

Soweit die Berufung demgegenüber Widersprüche zwischen dem Vortrag des Kl. und den Ausführungen des Sachverständigen rügt, kann ihr nicht gefolgt werden.

Entgegen der Auffassung der Bekl. war das LG somit nicht gehalten, den Sachverständigen zur Klärung von Zweifeln oder Beseitigung von Unklarheiten von Amts wegen mündlich anzuhören. Dies war entgegen dem - erstmals - gestellten Antrag auch im Berufungsverfahren nicht veranlasst, da der geltend gemachte Erläuterungsbedarf nicht besteht.

Ferner können die Bekl. auch nicht mit Erfolg einwenden, dass bei dem Kl. schon vor dem Unfall eine depressive Persönlichkeitsstruktur vorgelegen habe, die Gesundheitsstörung deshalb nicht auf den Tod der Tochter zurückzuführen sei. Dass der Kl. bereits vorher, etwa nach dem Tod seiner Ehefrau, depressiv erkrankt ist, behaupten die Bekl. selbst nicht. Durch eine etwa vorhandene Disposition zur Krankheit wird die Zurechnung des eingetretenen Schadens aber nicht in Frage gestellt. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre (BGH, NJW 1996, 2425 [2426] m.w. Nachw. = LM § 249 [Ba] BGB Nr. 38).

Die Höhe des Schmerzensgeldes hat das LG unter Berücksichtigung der maßgeblichen Faktoren mit 20000 DM angemessen festgesetzt. Der Senat schließt sich auch insoweit den zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie Bezug. Da die ernstzunehmende psychische Erkrankung des Kl. noch nicht abgeschlossen ist und deshalb weitere Kosten und Schäden verursachen kann, ist auch der Feststellungsantrag auf Ersatz solcher künftigen Schäden begründet.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht; Straßenverkehrs- und Straßenrecht