Samenflug vom brach liegenden Nachbargrundstück

Gericht

OLG Düsseldorf


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

29. 06. 1994


Aktenzeichen

9 U 53/94


Leitsatz des Gerichts

Führt Samenflug von einem brach liegendem Grundstück zu Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks (hier: Schäden an Erika-Kulturen), so steht dem Nachbar wegen der erlittenen Schäden kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zu, wenn der schadensursächliche Samenflug nur auf Grund einer Verquickung außergewöhnlicher Umstände stattgefunden hat.

Tatbestand


Sachverhalt:

Die Kl. betreiben auf ihren Grundstücken einen Gartenbaubetrieb, der sich schwerpunktmäßig mit der Aufzucht von Erika-Kulturen befasst. Der Bekl. war Eigentümer der benachbarten Grundstücke. Der Bekl. hatte die Parzellen im Jahre 1972 erworben. Sie wurden zunächst von einem Dritten etwa 13 Jahre lang landwirtschaftlich genutzt und lagen dann brach und verwilderten. Etwa Mitte Mai 1991 führte Samenflug von den ortsunüblich verwilderten Grundstücken des Bekl. dazu, dass die in Töpfen und Pikierkästen gepflanzten Erika-Kulturen der Kl. mit Unkraut- bzw. Weidenkätzchensämlingen durchsetzt wurden. Ursächlich für den dadurch bei den Kl. entstandenen Schaden war das Zusammenfallen von drei Umständen: Die Weidenkätzchen kamen nach sieben bzw. acht Jahren erstmals zur Blüte, wegen der jahreszeitunüblichen extrem guten Witterung begannen sie statt Ende Mai/Anfang Juni schon Ende April/Anfang Mai zu blühen, und aufgrund des damals ebenfalls für die Jahreszeit unüblichen starken Ostwindes wurden sie auf die Grundstücke der Kl. geweht. Auf der Grundlage des Ergebnisses eines von ihnen eingeleiteten Beweissicherungsverfahren behaupten die Kl., dass ihnen ein Schaden in Höhe von insgesamt 79173,14 DM entstanden sei, den sie mit der von ihnen erhobenen Klage geltend gemacht haben. Der Bekl. hat sich u.a. damit verteidigt, dass ihm sei der verwilderte Zustand seiner Grundstücke nicht bekannt gewesen. Jedenfalls müssten sich die Kl. ein Mitverschulden zurechnen lassen, weil sie gegen das Verwildern seiner Grundstücke nichts unternommen und ihn hierüber nicht unterrichtet hätten.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Den Kl. stehen keine Ansprüche aus § 823 II BGB i.V. mit § 1004 BGB zu, weil jedenfalls von einem Verschulden des Bekl. nicht ausgegangen werden kann. Nach dem eigenen Vortrag der Kl. ist es nur aufgrund des Zusammenfallens mehrerer außergewöhnlicher Umstände zu dem schadensursächlichen Samenflug von den Grundstücken des Bekl. gekommen. Dieser war daher für den Bekl. schon deshalb ebenso wenig absehbar wie für die Kl., zumal auch nicht ersichtlich ist, dass der Bekl. als Laie die Gefährdung der Erika-Kulturen überhaupt erkennen konnte. Überdies kann nach dem Vortrag des Bekl. nicht davon ausgegangen werden, dass dieser die Verwilderung seiner Grundstücke gekannt hat. Die hierfür darlegungs- und beweisbelasteten Kl. haben insoweit keinen Beweis angetreten.

II. Den Kl. steht gegen den Bekl. auch kein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch aufgrund einer unmittelbaren oder rechtsanalogen Anwendung des § 906 II 2 BGB zu. § 906 II 2 BGB ist unmittelbar anwendbar, wenn die ortsübliche Nutzung eines Grundstückes durch von dem Nachbargrundstück ausgehende Einwirkungen i.S. von § 906 I BGB wesentlich beeinträchtigt wird und diese Einwirkungen auf einer ortsüblichen Benutzung des anderen Grundstücks beruhen, die durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen nicht verhindert werden können. Eine entsprechende Anwendung der Bestimmung ist geboten, wenn die von dem Nachbargrundstück ausgehenden Einwirkungen rechtswidrig und daher abwehrbar sind, der betroffene Eigentümer aber aus besonderen - rechtlichen oder tatsächlichen - Gründen gehindert ist, diese Einwirkungen nach § 1004 I BGB zu unterbinden, und wenn er dadurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (vgl. BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2208) = LM § 823 (Aa) BGB Nr. 70; BGHZ111, 158 = NJW 1990, 1911 = LM § 906 BGB Nr. 84; NJW 1990, 3195 (3196) = LM § 1004 BGB Nr. 193).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem von den Kl. betriebenen Gärtnereibetrieb um eine ortsübliche Benutzung ihrer Grundstücke handelt. Darüber besteht auch zwischen den Parteien kein Streit. Die Kl. sind durch den von den Grundstücken des Bekl. ausgehenden Samenflug in der Benutzung ihrer Grundstücke auch beeinträchtigt worden, obwohl die betroffenen Erika-Kulturen eingetopft und in Pikierkästen eingepflanzt waren und daher keine wesentlichen Bestandteile ihrer Grundstücke darstellten. Zwar wird der Anspruch nach § 906 II 2 BGB durch den Bezug zu dem von der Immission betroffenen Grundstück bestimmt und begrenzt, so dass nur solche Schäden erfasst werden, die nicht unmittelbar an beweglichen Sachen entstehen, sondern sich aus der Beeinträchtigung der Substanz oder Nutzung des betroffenen Grundstücks selbst entwickeln (vgl. BGHZ 92, 143 (145); Säcker, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 906 Rdnr. 119). Vorliegend ist der erforderliche Bezug zu den Grundstücken der Kl. gegeben, weil die betroffenen Erika-Pflanzen in den Gewächshäusern der Kl. oder, wenn auch eingetopft, auf den freien Feldflächen eingegraben waren und so eine enge Verbindung zu den Grundstücken der Kl. bestand, die auf diese Weise auch zur Aufzucht der Erika-Pflanzen benutzt wurden.

Trotz der nach dem Beweissicherungsgutachten weitgehend auf den Angaben der Kl. beruhenden, bestrittenen Schadenshöhe dürfte nach den weiteren Feststellungen des Gutachtens wegen des Umfangs der eingetretenen Schäden eine das zumutbare Maß übersteigende Beeinträchtigung des Gewerbebetriebes der Kl. in Betracht kommen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die von ihnen schwerpunktmäßig angepflanzten Erika-Kulturen im Unterschied zu sonstigen Anpflanzungen möglicherweise besonders störanfällig gewesen sind; denn die Frage, ob die Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigt ist, hängt allein davon ab, in welchem Ausmaß die Benutzung nach der tatsächlichen Zweckbestimmung des Grundstückes gestört wird (vgl. BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2208) = LM § 823 (Aa) BGB Nr. 70). Gleichwohl ist ein Anspruch der Kl. nicht gegeben, weil der Samenflug von den Grundstücken des Bekl. und die damit verbundene Beeinträchtigung der Kl. dem Bekl. nicht zurechenbar ist. Es kann dahinstehen, ob es sich bei Samenflug um eine Einwirkung oder gar Beeinträchtigung i.S. von § 906 BGB handelt (vgl. Senat, NJW-RR 1990, 144; OLGZ 93, 451 = OLG-Report Düsseldorf 1993, 151). Soweit dies verneint wird, fehlt es schon deshalb an einer Anspruchsgrundlage.

Aber auch, wenn dies anders gesehen werden sollte, scheidet ein Anspruch gegen den Bekl. aus. Denn der Anspruch aus § 906 II 2 BGB richtet sich gegen den „Benutzer“ des emittierenden Nachbargrundstückes. Daran fehlt es hier schon deshalb, weil die Grundstücke des Bekl. zum Zeitpunkt des Schadenseintritts im Jahre 1991 brach lagen. Von dem früheren Nutzer wurden sie seit etwa sieben Jahren nicht mehr (landwirtschaftlich) genutzt, der Bekl. hatte sie noch nie genutzt. Die behaupteten Schäden bei den Kl. sind ausschließlich durch das Wirken von Naturkräften ausgelöst worden. Diese sind auch nicht wenigstens mittelbar auf den Willen des Bekl. zurückzuführen, weil dieser bestritten hat, vom Verwildern seiner Grundstücke Kenntnis gehabt zu haben, und weil die Kl. das Gegenteil weder substantiiert dargelegt noch unter Beweis gestellt haben. Für Schädigungen aus Naturereignissen, die sich nur über seine Grundstücke vollzogen haben, ohne dass er durch Eingriffe in das Grundstück diese Gefahr erhöht oder kanalisiert hat, hat der Bekl. aber nicht einzustehen (vgl. BGH, NJW 1985, 1773 (1774) = LM § 823 (Dc) BGB Nr. 145; zum Abwehranspruch insoweit auch Senat, NJW-RR 1990, 144; OLG-Report 1993, 151). Vielmehr hat sich hier ein allgemeines Lebensrisiko der Kl. verwirklicht, für das sie von dem Bekl. keinen Ausgleich verlangen können.

Aber auch dann, wenn der Bekl. den Zustand seiner Grundstücke gekannt und diese bewusst hätte verwildern lassen, wäre nicht anders zu entscheiden. Denn dies ist weder nach öffentlichrechtlichen Vorschriften verboten, noch steht einem Nachbarn ein Anspruch darauf zu, die Grundstücke nicht verunkrauten zu lassen (vgl. dazu Dehner, BundesnachbarR, 6. Aufl., S. 359).

III. Schließlich ist auch ein unmittelbar auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis gestützter Anspruch nicht begründet. Einen solchen Anspruch hat der BGH ausnahmsweise in Fällen gewährt, in denen der Betroffene eine bestimmte Rücksichtnahme auf sein Eigentum verlangen konnte und in denen er gehindert war, seinen Anspruch auf eingeschränkte Unterlassung eines bestimmten Vorhabens rechtzeitig geltend zu machen, und in denen er dann infolge negativer Einwirkungen Schäden erlitten hat, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschritten haben (vgl. BGHZ 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1673) = LM H. 1/1992 § 242 (D) BGB Nr. 125 m.Nachw.).

Ein solcher Sachverhalt ist vorliegend jedoch nicht gegeben, weil es sich bei den auf die Grundstücke der Kl. gewehten Unkraut- und Weidenkätzchensämlingen nicht um negative Einwirkungen (vgl. dazu BGHZ 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672) = LM H. 1/1992 § 242 (D) BGB Nr. 125) gehandelt hat und die Kl. von dem Bekl. nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses keine Vorkehrungen gegen fernliegende, nur beim Zusammentreten mehrerer ungewöhnlicher Umstände mögliche und daher nicht vorhersehbare Schäden hätten verlangen können.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht