Pflichtzugehörigkeit zur IHK
Gericht
BVerwG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
21. 07. 1998
Aktenzeichen
1 C 32–97
Die Pflichtzugehörigkeit zu den Industrie- und Handelskammern ist weiterhin mit dem Grundgesetz vereinbar.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl., eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betätigt sich im Bezirk der Bekl. als Versicherungsmaklerin. Die Bekl. veranlagte sie mit der Beitragsbescheid vom 16. 2. 1996 zu einem Kammerbeitrag für das Jahr 1993 von 250 DM und für das Jahr 1996 vorläufig zu einem Beitrag von 400 DM. Mit Bescheid vom 6. 2. 1997 veranlagte sie die Kl. zu Beiträgen für 1994 und 1995 von 400 DM bzw. 430,10 DM und vorläufig für 1997 zu einem Beitrag von 430,10 DM. Die Kl. legte gegen die Bescheide Widerspruch ein. Sie machte geltend, die Zwangsmitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer sei verfassungswidrig. Sie habe keinen Nutzen von der Mitgliedschaft. Außerdem fehle es bei ihr angesichts ihrer Verluste an der erforderlichen Leistungsfähigkeit. Die Bekl. wies die Widersprüche zurück.
Die Kl. hat wegen der für die Jahre 1995 bis 1997 festgesetzten Beiträge Anfechtungsklage erhoben. Das VG hat die Klage abgewiesen (VG Darmstadt, GewArch 1997, 475). Die Kl. hat die vom VG zugelassene Revision eingelegt.
Auszüge aus den Gründen:
II. … 2. Die gem. § 134 I VwGO unter Übergehung der Berufungsinstanz zulässige Revision ist nicht begründet, weil das angefochtene Urteil kein nach § 137 I VwGO revisibles Recht verletzt. Der angefochtene Beitragsbescheid ist rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung ist § 3 II des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. 12. 1956 (BGBl I, 920), hier anzuwenden i.d.F. des Art. 4 des Gesetzes v. 23. 11. 1994 (BGBl I, 3475) - IHKG - in Verbindung mit der Beitragsordnung und der Haushaltssatzung der Bekl. Danach werden die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer, soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, durch Beiträge der Kammerzugehörigen aufgebracht.
b) Nach § 2 I IHKG gehören zur Industrie- und Handelskammer, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind, natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere nicht rechtsfähige Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Bezirk der Industrie- und Handelskammer entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstätte unterhalten (Kammerzugehörige). Dazu zählt auch die Kl. als im Kammerbezirk der Bekl. niedergelassene juristische Person des privaten Rechts (§ 13 I GmbHG), die zur Gewerbesteuer veranlagt wird. Die gegen die Pflichtmitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht durch.
c) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 19. 12. 1962 (BVerfGE 15, 235) auf eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen u.a. § 2 IHKG hin entschieden, dass die Pflichtzugehörigkeit zu den Industrie- und Handelskammern mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, dass Art. 9 GG den einzelnen vor einer gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlichrechtliche Körperschaft nicht schütze und Art. 12 I GG nicht berührt sei, weil die Zugehörigkeit zur Kammer eine einfache Folge der Ausübung eines bestimmten Berufs sei; die Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch die Pflichtmitgliedschaft verstoße nicht gegen Art. 2 I GG, weil das sie anordnende Gesetz, wie in dem Beschluss näher dargelegt wird, Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung sei. Diese Entscheidung hat gem. § 31 I BVerfGG Bindungswirkung für alle Gerichte und Behörden. Eine erneute Befassung des BVerfG mit dieser Frage und damit eine Vorlage nach Art. 100 I GG wäre allenfalls dann veranlasst, wenn rechtserhebliche tatsächliche oder rechtliche Veränderungen oder - möglicherweise - ein Wandel der allgemeinen Rechtsauffassung festzustellen wären (vgl. dazu BVerfGE 33, 199 [204]; BVerfGE 70, 242 [250]; BVerfGE 87, 341 [346]). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Betätigung von Wirtschaftsverbänden, auf welche die Kl. u.a. zum Nachweis der Entbehrlichkeit der Industrie- und Handelskammern in ihrer gegenwärtigen Form hinweist, ist keine erst nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG aufgetretene Erscheinung; vielmehr erwähnt sie das BVerfG in Abgrenzung zu den Aufgaben der Industrie- und Handelskammern (BVerfGE 15, 235 [241]). Desgleichen hat sich diese Tätigkeit nicht in der Folgezeit ihrer Art nach wesentlich verändert. Dafür zeigt auch die Kl. nichts auf. Ebenso wenig stellt die Änderung des § 3 IHKG, auf die sich die Kl. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bezogen hat, einen insoweit relevanten Umstand dar, weil sie die Regelung der Pflichtzugehörigkeit und das System des Kammerrechts nicht betrifft. Auch ein Wandel der allgemeinen Rechtsauffassung ist nicht eingetreten. Namentlich bejaht die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung weiterhin die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtzugehörigkeit (vgl. dazu z.B. BVerwGE 16, 295 [296] ; BVerwGE 55, 1 [6; und BVerwG, Buchholz 451.09 IHKG Nr. 5; auch BVerwG, Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 9; und aus der Rspr. der Oberverwaltungsgerichte OVG Lüneburg, GewArch 1996, 413; VGH München, GewArch 1996, 161; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1998, 305 ; OVG Münster, Urt. v. 17. 9. 1997 - 4 A 2104–97). Der Deutsche Bundestag hält ebenfalls an der Pflichtmitgliedschaft fest, wie sich aus dem Gesetzesbeschluss vom 2. 4. 1998 und der Annahme des Entschließungsantrags vom 1. 4. 1998 (BT-Dr 13–10297, Plenarprot. 13–227, S. 20897) ergibt.
d) Darüber hinaus teilt der erkennende Senat die Auffassung des BVerfG.
aa) Die Pflichtmitgliedschaft lässt sich nicht mit Rücksicht darauf, dass sie den Mitgliedern in der Kammer Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnet sowie die Inanspruchnahme von Kammerleistungen ermöglicht und insofern den Rechtskreis der Betroffenen erweitert, als bloße Rechtsgewährung begreifen. Sie ist mit der grundsätzlichen und im vorliegenden Fall auch gegebenen Verpflichtung zur Zahlung von Mitgliedsbeiträgen verbunden. Außerdem wird die Mitgliedschaft an bestimmte Bedingungen geknüpft, so dass nicht alle Staatsbürger erfasst werden. Anders als die allgemeine Unterwerfung unter die Staatsgewalt, die als solche nicht als Grundrechtseingriff verstanden werden kann, leitet sich die zwangsweise Zugehörigkeit zur Industrie- und Handelskammer aus einer gesetzlichen Anordnung ab und stellt einen Eingriff in die Freiheitssphäre der Betroffenen dar.
bb) Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist Art. 2 I GG, wenn durch die Pflichtmitgliedschaft ein grundgesetzlich speziell geregelter Freiheitsbereich nicht betroffen ist (vgl. BVerfGE 6, 32 [37] = NJW 1957, 297). Entgegen der Auffassung der Revision ist Art. 9 I GG nicht einschlägig.
Nach Art. 9 I GG haben alle Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Diese Norm betrifft allein die privatautonome Gruppenbildung, nicht die Schaffung öffentlichrechtlicher Vereinigungen. Art. 9 I GG gestattet (positiv) die Bildung von Vereinen und Gesellschaften. Damit wird nicht ein Recht auf Bildung öffentlichrechtlicher Verbände begründet. Ein dieses einschließendes Prinzip freier sozialer Gruppenbildung unabhängig von der Rechtsform der Vereinigung ist in Art. 9 I GG nicht verankert. Die freie Bildung öffentlichrechtlicher Organisationsformen steht dem einzelnen Bürger nicht offen. Dem einzelnen ist in Art. 9 I GG nur die grundsätzliche Freiheit garantiert, sich aus privater Initiative mit anderen zu Vereinigungen zusammenzufinden, sie zu gründen, aber auch ihnen fernzubleiben und aus ihnen wieder auszutreten (vgl. BVerfGE 38, 281 [298]; BVerfGE 50, 290 [353f.]; BVerfGE 85, 360 [370]). Insoweit umfasst das Grundrecht auch die „negative“ Vereinigungsfreiheit.
Allerdings mag das Argument, die „negative“ Vereinigungsfreiheit könne nicht weitergehen als die „positive“ und sei schon deshalb auf die Freiheit beschränkt, privaten Vereinen fernzubleiben, nicht im logischen Sinne zwingend sein. Die Beschränkung des Schutzbereichs des Art. 9 I GG auf die Freiheit, privatrechtliche Vereinigungen zu bilden, ihnen beizutreten oder fernzubleiben, wird aber durch die Entstehungsgeschichte des Art. 9 I GG belegt, wie der Senat in seinem Urteil vom 13. 3. 1962 (BVerwG, Buchholz 11 Art. 9 GG Nr. 6 = NJW 1962, 1311 [1312]) eingehend dargelegt hat. Außerdem wird dies durch den systematischen Zusammenhang mit Art. 9 II GG deutlich, der Schranken enthält, die allein auf diesen Schutzbereich zielen und keinen einer negativen Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlichrechtlichen Körperschaften entsprechenden Vorbehalt aufweisen. Wollte man im Sinne der Revision eine negative Vereinigungsfreiheit gegenüber Körperschaften des öffentlichen Rechts annehmen, müssten auch für die Freiheit vor Inanspruchnahme durch eine Pflichtmitgliedschaft in solchen Verbänden Grenzen bestehen. Sonst ließen sich öffentlichrechtliche Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaft verfassungsrechtlich nicht oder unter Rückgriff auf etwaige verfassungsimmanente Schranken allenfalls in äußerst engen Grenzen begründen. Dass das Grundgesetz jedoch diese hergebrachten und bewährten Institutionen grundsätzlich nicht anerkennen wollte, lässt sich nicht erkennen.
cc) Das Grundrecht des Art. 2 I GG gewährt das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es schützt auch davor, durch Zwangsmitgliedschaft von „unnötigen“ Körperschaften in Anspruch genommen zu werden (vgl. BVerfGE 38, 281 [298]). Es darf durch eine Pflichtmitgliedschaft in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nur eingeschränkt werden, wenn das entsprechende Gesetz zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört, d.h. in formeller und materieller Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. BVerfGE 6, 32 [37ff.]; BVerfGE 38, 281 [298]). Das setzt voraus, dass die Errichtung der öffentlichrechtlichen Körperschaft und die Inanspruchnahme der Pflichtmitglieder zur Erfüllung legitimer öffentlicher Aufgaben erfolgt, dazu geeignet und erforderlich ist und die Grenze der Zumutbarkeit wahrt. Diese Maßstäbe wären ebenfalls anzulegen, wenn es sich, was unentschieden bleiben kann, bei der Zwangsmitgliedschaft um einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung handelte und demgemäss Art. 12 I GG maßgebend wäre (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 24. 10. 1990 - 1 BvR 1203–90; vgl. auch BVerwG, Buchholz 430.2 Kammerzugehörigkeit Nr. 7 S. 4 = NJW 1997, 814 [815]).
Die Industrie- und Handelskammern erfüllen legitime öffentliche Aufgaben. Nach § 1 I IHKG haben die Kammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Es obliegt ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für die Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken. Nach § 1 II IHKG können sie Anlagen und Einrichtungen, die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen, begründen, unterhalten und unterstützen sowie Maßnahmen zur Förderung und Durchführung der kaufmännischen und gewerblichen Berufsbildung unter Beachtung der dafür geltenden Rechtsvorschriften treffen. Nach § 1 III IHKG obliegt ihnen ferner die Ausstellung von Ursprungszeugnissen und anderen dem Wirtschaftsverkehr dienenden Bescheinigungen. § 1 V IHKG stellt klar, dass die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen nicht zu den Aufgaben der Industrie- und Handelskammern gehört. Diese Aufgabenbeschreibung hat im Laufe der Zeit zu einem umfangreichen Katalog von Einzelaufgaben geführt (vgl. die Darstellung bei Stober, Die Industrie- und Handelskammer als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, S. 31ff.).
Wie sich unmittelbar aus § 1 V IHKG ergibt, stehen die Industrie- und Handelskammern nicht in Konkurrenz zu frei gegründeten Vereinigungen einschließlich der Koalitionen i.S. des Art. 9 III GG, etwa den Arbeitgeberverbänden. Die Aufgaben sind öffentliche in dem Sinne, dass Anliegen des Gemeinwesens verfolgt werden. Demgemäss hat das BVerfG als legitime öffentliche Aufgabe der Industrie- und Handelskammern angesehen, dass sie die staatlichen Organe und Behörden durch Berichterstattung und Beratung in wirtschaftlichen Fragen unterstützen und ihnen verlässliche Grundlagen für ihre Entscheidungen auf diesem Gebiet liefern können (vgl. BVerfGE 15, 235 [239f.]). Das hat das BVerfG im einzelnen dargelegt. Die seinerzeitigen Erwägungen gelten entgegen der Auffassung der Revision nach wie vor. An der Aufgabenübertragung hat sich nichts Grundsätzliches geändert. Sollten die Industrie- und Handelskammern über die ihnen zugewiesenen Aufgaben hinaus tätig werden, könnte dem der einzelne Kammerzugehörige mit einer Unterlassungsklage entgegentreten (vgl. BVerwGE 59, 231 [238] und BVerwGE 59, 242, [248]; BVerwGE 64, 115 [117]; BVerwGE 64, 298 [301]; BVerwG, Buchholz 430.1 Kammerrecht Nr. 14 S. 29ff; BVerwG, Buchholz 430.1 Kammerrecht Nr. 15 S.3). Etwaige Aufgabenüberschreitungen durch einzelne Kammern rechtfertigen es nicht, die vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben nicht als legitime öffentliche Aufgaben anzusehen. Das Vorbringen der Revision, die Industrie- und Handelskammern erfüllten Aufgaben, die ebenso von staatlichen Stellen wahrgenommen werden könnten, wird dem gesetzgeberischen Anliegen einer durch den Staat institutionalisierten, auf die Gesamtbelange der erfassten Wirtschaftszweige ausgerichteten und als Selbstverwaltungseinrichtung der Wirtschaft organisierten Interessenvertretung und der Aufgabenzuweisung durch § 1 I IHKG nicht gerecht und erlaubt nicht den Schluss, die Zwangsmitgliedschaft sei verfassungswidrig.
Die Revision macht geltend, die Wahrnehmung eines Gesamtinteresses der Pflichtmitglieder stelle sich aufgrund der Unterschiedlichkeit der wirtschaftlichen Betätigungen und der Gegensätzlichkeiten bestimmter Einzelinteressen als bloße Fiktion dar, die dem Wettbewerb unter den Mitgliedern nicht entspreche. Der Vorwurf, die Wahrnehmung eines Gesamtinteresses für eine inhomogene Gruppe sei an der Realität vorbei zur öffentlichen Aufgabe erhoben worden, ist nicht gerechtfertigt. Es liegt im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ein Gesamtinteresse der Mitglieder anzunehmen, obwohl die die Pflichtmitgliedschaft begründende Gewerbesteuerpflicht an zum Teil recht unterschiedliche wirtschaftliche Betätigungen anknüpft. Staatliche Maßnahmen, die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Betätigung setzen, erfordern vielfach eine Gesamtbewertung der Interessen der wirtschaftlich Tätigen, so dass eine - gerade Interessengegensätze der einzelnen Kammermitglieder voraussetzende - ausgleichende Abwägung von Einzelinteressen erforderlich ist. Die Herstellung eines Interessenausgleichs auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts als Selbstverwaltungsorgan der Wirtschaft zu übertragen, also nicht unmittelbar von der staatlichen Verwaltung, sondern von den Betroffenen in Auswertung ihres Sachverstandes wahrnehmen zu lassen, ist zweckmäßig und liegt in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit im Ermessen des Gesetzgebers. Es steht nach allem auch außer Frage, dass der Gesetzgeber zur Verwirklichung seines Anliegens, die Wirtschaft im Interesse einer sachgerechten Aufgabenerfüllung „einzubinden“, durch Schaffung öffentlichrechtlicher Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaft ein geeignetes Mittel gewählt hat, wie das bisherige Wirken der Kammern deutlich macht. Die Befugnis des Staates, zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben öffentlichrechtliche Körperschaften zu bilden, schließt die Befugnis ein, dies mit einer Beitragspflicht zu verbinden, die der Abgeltung der durch die Mitgliedschaft entstehenden Vorteile dient. Der erkennende Senat wertet die von den Pflichtmitgliedern erhobenen Beiträge zur Deckung der Kosten der Kammer als Beiträge im Rechtssinne (vgl. BVerwG, Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22). Der Beitrag ist eine Gegenleistung für den Vorteil, den das Mitglied aus der Kammerzugehörigkeit zieht. Dieser Vorteil besteht insbesondere darin, dass die Kammer ihre gesetzlichen Aufgaben erfüllt. Diese Aufgabenerfüllung kommt vorzugsweise den in der Wirtschaft selbständig Tätigen, also den Kammermitgliedern zugute, deren Gesamtbelange die Kammer zu wahren und fördern hat. Dafür ist nicht erforderlich, dass sich der Nutzen dieser Tätigkeit bei dem einzelnen Mitglied in einem unmittelbaren wirtschaftlichen (finanziellen) Vorteil messbar niederschlägt. Mit ihrer die unterschiedlichen Interessen der Mitglieder sowie der verschiedenen Wirtschaftszweige „bündelnden“ und „ausgleichenden“ Tätigkeit stehen die Kammern in einer Art Mittlerrolle zwischen Staat und Wirtschaft. Deshalb kann auch nicht von einer Verschiebung allgemeiner öffentlicher Lasten vom Staat auf eine bestimmte soziale Gruppe die Rede sein.
Auch sonst fehlt es nicht an der Erforderlichkeit der Zwangsmitgliedschaft. Eine Vereinigung ohne Zwangsmitgliedschaft stellt kein gleich geeignetes Mittel dar, um das Gesamtinteresse der Angehörigen der gewerblichen Wirtschaft gegenüber staatlichen oder kommunalen Entscheidungsträgern zu vertreten. Denn nur die Pflichtmitgliedschaft sichert, wie das BVerfG (BVerfGE 15, 235 [243) ausgeführt hat, eine von Zufälligkeiten der Mitgliedschaft und Pressionen freie sowie umfassende Ermittlung, Abwägung und Bündelung der maßgeblichen Interessen, die erst eine objektive und vertrauenswürdige Wahrnehmung des Gesamtinteresses ermöglicht.
Die Pflichtzugehörigkeit verstößt schließlich nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Sie bedeutet als solche keine erhebliche, die Grenze des Zumutbaren überschreitende Beeinträchtigung der unternehmerischen Handlungsfreiheit der Mitglieder. Im Gegenteil eröffnet sie für die Mitglieder eine Chance zur Mitwirkung in der Kammer und zur Nutzung der Kammerleistungen, lässt aber auch die Möglichkeit offen, davon abzusehen. Die u.a. durch das Äquivalenzprinzip und den Gleichheitssatz begrenzte Belastung der Pflichtmitglieder mit einem Beitrag ist grundsätzlich zumutbar, weil die Kammer mit der Vertretung des Gesamtinteresses der Gewerbetreibenden die wirtschaftlichen Belange der Mitglieder wahrnimmt und fördert.
dd) Die Pflichtmitglieder sind nicht gezwungen, Stellungnahmen einer Kammer mitzutragen, wenn sie von der eigenen Meinung abweichen, wie die Revision geltend macht. Die öffentlichrechtliche Körperschaft ist bei ihren Stellungnahmen an die Willensbildung ihrer Mitglieder gebunden (vgl. § 4 IHKG). Mehrheitsentscheidungen schließen es ein, dass Mitglieder überstimmt werden können. Dadurch werden sie nicht in der eigenen Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) verletzt. Die in Stellungnahmen der Kammern vertretenen Meinungen sind nicht dem einzelnen Mitglied persönlich zuzurechnen. Es bleibt ihnen unbenommen, ihre Meinung eigenständig zu äußern. Unter diesen Umständen lässt sich entgegen der Ansicht der Revision auch aus dem Wertgehalt der Meinungsfreiheit nichts gegen die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft herleiten.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen