Pflichtteilsergänzung des Erben
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
21. 03. 1973
Aktenzeichen
IV ZR 157/71
Der Anspruch auf Ergänzung des Pflichtteils kann auch dann bestehen, wenn der Pflichtteilsberechtigte nicht durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen worden ist und er die Erbschaft ausgeschlagen hat.
Übernimmt ein Miterbe nur einen Bruchteil des Eigentums an einem Landgut, so ist für diesen nicht im Zweifel anzunehmen, dass er zu dem Ertragswert angesetzt werden soll.
Der für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs maßgebende Wert eines landwirtschaftlichen Betriebes, den der Erblasser im Jahre 1955 seinem einzigen männlichen Erben übergeben hat, um ihn im Familienbesitz zu erhalten, ist nicht der vorübergehend auf den Stoppreis begrenzte Verkaufswert, sondern der möglicherweise darüber hinausgehende wahre innere Wert (im Anschluss an BGHZ 13, 45 = NJW 54, 1037).
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien und ihre am vorliegenden Rechtsstreit nicht beteiligte Schwester M. sind die Kinder des Landwirts A. (Erblasser), der an) 31. 10. 1956 verstorben ist, ohne eine Verfügung von Todes wegen zu hinterlassen. Die Klägerin hat ebenso wie ihre Schwester die Erbschaft ausgeschlagen und macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung geltend.
Gegenstand des Streites ist der seit mehr als dreihundert Jahre im Familienbesitz befindliche A.-Hof. Als dessen Eigentümer sind der Beklagte zu vier Sechsteln, die Klägerin und ihre Schwester zu je einem Sechstel eingetragen. Dieses Miteigentum nach Bruchteilen hat sich aus zwei notariellen Verträgen ergeben:
Am 29. 6. 1939 schlossen der Erblasser und sein Bruder D., denen der Hof damals in ungeteilter Erbengemeinschaft nach ihren Eltern gehörte, einen Auseinandersetzungsvertrag. Das Eigentum wurde zur Hälfte auf den Erblasser, zu je einem Sechstel auf seine drei Kinder (die Parteien und ihre Schwester) übertragen.
Der Erblasser übertrug durch Übergabevertrag v. 11. 1. 1955 seinen Hälfteanteil auf den Beklagten, so dass dieser Miteigentümer zu vier Sechsteln neben seinen Schwestern wurde. Der Beklagte übernahm in dem Vertrag bestimmte Verbindlichkeiten des Erblassers. Er verpflichtete sich ferner, dem Erblasser auf Lebenszeit Unterhalt zu gewähren und ihm ein monatliches Taschengeld von 100 DM zu zahlen. Desgleichen übernahm er den Unterhalt der Klägerin, solange diese noch unverheiratet auf dem Hofe lebte und mitarbeitete. Schließlich räumte der Beklagte dem Erblasser den lebenslangen Nießbrauch an dem übertragenen Hälfteanteil ein.
Die Klägerin heiratete am 9. 9. 1955 und verließ den Hof. Sie vertritt den Standpunkt, der Übergabevertrag v. 11. 1. 1955 enthalte eine gemischte Schenkung, die von dem Beklagten nach den erbrechtlichen Bestimmungen auszugleichen sei. Zwischen, dem hohen Verkehrswert des halben Hofes und den geringen Gegenleistungen des Beklagten bestehe ein auffälliges Missverhältnis, Die Klägerin hat im ersten Rechtszug beantragt, den Beklagten zur Leistung eines nach sachverständiger Beratung vom Gericht festzusetzenden Pflichtteils zu verurteilen, mindestens aber zur Zahlung von 25000 DM nebst Zinsen.
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat im zweiten Rechtszug einen aus dem Verkehrs- und dem Ertragswert der Hofhälfte gebildeten Mittelwert von 460 000 DM zugrunde gelegt. Am 13. 8. 1962 hat sie den mit der Klage geltend gemachten Anspruch abgetreten. Danach hat die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die neue Gläubigerin 50000 DM nebst Zinsen zu zahlen, hilfsweise deren ZwangsvolIstreckung wegen dieses Betrages in den halben Eigentumsanteil des Beklagten an den Hofgrundstücken zu dulden.
Das Berufungsgericht hat dem Hilfsantrag der Klägerin wegen eines Betrages von 29110,59 DM nebst Zinsen unter Abweisung der Klage im übrigen stattgegeben. Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
1. Das Berufungsgericht hat den auf § 2329 BGB gestützten PflichtteiIsergänzungsanspruch der Klägerin (Hilfsantrag) mit Recht weder daran scheitern lassen, dass die Klägerin nicht durch eine Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen worden ist, noch dass sie die Erbschaft ausgeschlagen hat. Die Revision geht bei ihren Rügen unzutreffend davon aus, dass zunächst ein Anspruch auf den Pflichtteil bestehen müsse, um alsdann nach §§ 2325f. BGB verlangen zu können. Diese Ansprüche bestehen unabhängig voneinander. Der Ergänzungsanspruch steht einem Angehörigen des Erblassers zu, wenn er zum Kreis der in § 2303 genannten Pflichtteilsberechtigten gehört; es wird nicht verlangt, dass er auch tatsächlich einen Pflichtteilsanspruch haben müsse. Deshalb ist eine letztwillige Verfügung des Erblassers, die einen Pflichtteilsanspruch nach § 2303 BGB begründet, nicht Voraussetzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs (BGH, LM Nr. 2 zu § 2325 BGB = MDR 61, 491 = FamRZ 61, 272 = NJW 61, 870 L). Andernfalls könnte der Erblasser nach der zutreffenden Darlegung des Berufungsgerichts das Pflichtteilsrecht dadurch umgehen, dass er sein Vermögen durch Schenkung unter Lebenden weggibt und eine letztwillige Verfügung, die zum Pflichtteilsanspruch führen würde, unterlässt. Die gebotene Unterscheidung zwischen Pflichtteilsberechtigung und tatsächlichem Anspruch führt weiter dazu, dass der Pflichtteilsberechtigte, wenn er die Erbschaft ausschlägt, den Anspruch auf den Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB behält (BGHZ 28, 177 = NJW 58, 1964). Hinsichtlich des Pflichtteilsergänzungsanspruchs kann nichts anderes gelten. Dieser kann sich nur gegebenenfalls um den in § 2326 Satz 2 BGB bezeichneten Mehrwert mindern (JOHANNSEN, WM 70, 236). Das Berufungsgericht hat demnach die erörterten Fragen rechtsirrtumsfrei entschieden.
2. Die Revision wendet sich vergeblich dagegen, dass das Berufungsgericht den Übergabevertrag v. 11. 1. 1955 als gemischte Schenkung gewürdigt hat. Davon ist bei derartigen Verträgen in der Regel auszugehen, BGHZ 3, 206, 211 = NJW 52, 20. Das Berufungsgericht hat schon aus der Natur des Vertrages und dem Fehlen der sonst erforderlichen Wertangaben entnommen, dass der Erblasser und der Beklagte keinen echten, vollen Leistungsaustausch gewollt haben. Darüber hinaus hat es den Gesamtwert des übergebenen Hofanteils mit 260939 DM und den Wert der vom Beklagten übernommenen Leistungen mit 28253,31 DM festgestellt. Es hat ausgeführt, bei einem so groben Missverhältnis könne nicht mir objektiv von einer Gleichwertigkeit der Leistungen keine Rede sein. Sie könne auch in der Vorstellung der Vertragsparteien nicht bestanden haben. Diese Erwägung entspricht der (später ergangenen) Entscheidung des erkennenden Senats BGHZ 59, 132 = NJW 72, 1709.
3. Die Revision rügt zu Unrecht, dass das Berufungsgericht bei der Gegenüberstellung der Leistungen den wahren inneren Wert der übergebenen Hofhälfte zugrunde gelegt hat.
a) Das Berufungsgericht hat dem Verlangen des Beklagten, vom Ertragswert des als Landgut anzusehenden Hofes auszugehen, schon deshalb nicht stattgegeben, weil der Erblasser nur Eigentümer zur Hälfte war und deshalb gar nicht anordnen konnte. dass nur einer der Erben das Landgut übernehmen sollte. Dem ist zuzustimmen. Die in § 2049, 2312 BGB vorgesehene Vergünstigung hat den Zweck, den Hof auch nach dem Erbfall in seinem Bestand zu erhalten und einem der Erben die Weiterführung zu ermöglichen. Die Bestimmungen setzen mithin voraus, dass ein Erbe nach dem Willen des Erblassers das Landgut im ganzen erhalten und behalten soll. Der gewollte Zusammenhalt der wirtschaftlichen Einheit des Hofes in einer Hand soll nicht durch eine Belastung mit erbrechtlichen Ansprüchen gefährdet werden, die über die Ertragskraft hinausgehen würden. Dieser gesetzgeberische Zweck entfällt, wenn das Landgut - wie hier - schon bei Eintritt des Erbfalls unter mehrere Bruchteilseigentümer aufgeteilt ist. Auf die Vererbung oder Übertragung eines solchen Bruchteils lassen sich die genannten Bestimmungen weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinne nach ausdehnen. Dem steht die von der Revision angezogene Entscheidung BGH, LM Nr. 4 zu § 2311 BGB nicht entgegen. Dort ist zwar im Hinblick auf ein landwirtschaftliches Gut ausgesprochen worden, die Bewertung des den Nachlass bildenden Hälfteanteils müsse nach denselben Grundsätzen erfolgen wie die Bewertung der ganzen Sache, falls diese den Nachlass bilden würde. Das bezog sich jedoch nur auf die dort allein erörterte Bewertung nach der allgemeinen Bestimmung des § 2311 BGB. Auf die besonderen Vorschriften der §§ 2049, 2312 BGB lässt sich der Grundsatz aus den dargelegten Gründen nicht übertragen.
b) Das Berufungsgericht hat es auch mit Recht abgelehnt, bei der Bewertung der Hofhälfte von den zur Zeit der Übertragung geltenden gesetzlichen für landwirtschaftliche Grundstücke auszugehen. Die einschlägigen Bestimmungen sollten verhindern, dass Grundstücke bei sinkendem Geldwert zum Gegenstand der Spekulation gemacht und die Preise dementsprechend hochgetrieben wurden. Die Vorschriften galten deshalb für Grundstücksverkäufe und gleichstehende Geschäfte. Eine darüber hinausgehende Bedeutung kam ihnen nicht zu. Der Bundesgerichtshof hat darum entschieden, dass bei der Berechnung des Pflichtteils der wahre innere Wert eines Grundstücks auch dann zugrunde zu legen ist, wenn er über den Höchstpreis hinausgeht, der im Verkaufsfalle zulässig wäre (BGHZ 13, 45 = NJW 54, 1037). Es erschien nicht vertretbar, den Pflichtteilsanspruch deshalb zu verkürzen, weil bei einem lediglich gedachten Verkauf des Grundstücks weniger als der reale Wert zu erzielen gewesen wäre. Das Berufungsgericht hat diese Erwägung mit Recht auf den hier zu entscheidenden Pflichtteilsergänzungsanspruch übertragen. Der Übergabevertrag war keine einem Verkauf gleichzustellende Veräußerung. Er bezweckte die Erhaltung des Hofes im Familienbesitz unter Bevorzugung des einzigen männlichen Erben. Diesem wurde die Hofhälfte übertragen, ohne dass ihm Gegenleistungen auferlegt wurden, die als Kaufpreis verstanden werden könnten. Auch von einer Weiterveräußerung durch den Beklagten konnte nach der Vorstellung der Vertragsparteien keine Rede sein. Unter diesen Umständen ist zutreffend der wahre innere Wert des dem Beklagten Zugewandten zugrunde gelegt worden und nicht der durch vorübergehende gesetzliche Maßnahmen vorgeschriebene Höchstpreis, der bei einem nur vorgestellten Verkauf vor Aufhebung der einschlägigen Bestimmungen im 29. 10. 1960 186 Nr. 65 BBauG) hätte eingehalten werden müssen. Soweit der III. Zivilsenat des BGH in seinem Urt. v. 8. 4. 1968 (III ZE 49/66) zu einem abweichenden Ergebnis mit der Begründung gelangt ist, bei einer Hofübergabe handele es sich um ein tatsächlich abgeschlossenes, nur unter Beachtung des Höchstpreises zulässiges Rechtsgeschäft, hält der nunmehr für das Erbrecht zuständige IV. Zivilsenat hieran nicht fest. ...
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