Nachgeholte Widmung, Unmöglichkeit der Erfüllung eines Erschließungsvertrags

Gericht

OVG Saarlouis


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

10. 06. 1981


Aktenzeichen

3 R 29/80


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Widmung der Erschließungsanlage, die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde zu ihrer Herstellung wie auch die Bildung einer Erschließungseinheit können noch während des Verwaltungsrechtsstreits über die Beitragserhebung mit heilender Wirkung nachgeholt werden.

  2. Eine Vereinbarung der Gemeinde über die Übernahme der Erschließungskosten durch einen privaten Erschließungsträger hat keine "befreiende Wirkung" zugunsten der Grundstückseigentümer, wenn die Erfüllung des Erschließungsvertrages durch den privaten Unternehmer unmöglich wird; ein Verzicht der Gemeinde auf die Erhebung von Beiträgen für den Erschließungsaufwand, der ihr infolge Nichterfüllung des Vertrages entsteht, ist auch nicht im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung nach § 135 V BBauG zulässig und wirksam.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl., eine Gemeinde, ist Trägerin der Erschließungsmaßnahme P.-Straße. Die Durchführung der Erschließung der P.-Straße hatte auf Grund Erschließungsvertrags vom 21. 7. 1964 zunächst einer Baufirma, Fa. H, auf eigene Kosten oblegen, die jedoch in Konkurs fiel, als die P.-Straße sich noch im Vorstufenausbau befand. Nachdem sie den Endausbau der P.-Straße selbst übernommen hatte, zog die Kl. sodann wegen des ihr entstandenen Aufwands die Beigel. unter einheitlicher Abrechnung des gesamten Erschließungsgebiets zu Erschließungsbeiträgen heran. Die Beigeladenen erhoben gegen ihre Heranziehung Widerspruch. Der Rechtsausschuss gab den Widersprüchen statt. Hiergegen hat die Kl. Klage erhoben, die das VG abgewiesen hat. Während des Berufungsverfahrens fasste der Gemeinderat einen Beschluss über die Widmung der erschlossenen Wegeflächen.

Die Berufung hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Nach § 127 II Nr. 1 BBauG sind Erschließungsanlagen u. a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze. Aus dem Tatbestandsmerkmal "öffentlich" folgt das rechtliche Erfordernis einer Widmung der Wegefläche für den öffentlichen Verkehr (vgl. hierzu BVerwG, Buchholz 406.11 § 131 Nr. 20; Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BBauG, 1980, § 127 Rdnr. 12; Schmidt, Hdb. d. ErschließungsR, 4. Aufl., S. 450); denn erst durch die Widmung erhält eine Straße die Eigenschaft einer öffentlichen Straße (vgl. § 6 I SaarlStrG). Die Widmung ist demgemäss eine selbständige Voraussetzung für die Entstehung der Beitragspflicht (BVerwG, Buchholz 406.11 § 132 Nr. 17 = NJW 1975, 1426). Nach § 6 IV SaarlStrG ist die Widmung mit Rechtsmittelbelehrung öffentlich bekanntzumachen.

Die Erschließungsanlage wurde vorliegend ordnungsgemäß in der vorgeschriebenen Form gewidmet ...

Zwar wurde ... die ... Widmung erst während des Berufungsverfahrens vorgenommen. Es wird jedoch die Ansicht vertreten, dass eine erst während des Verwaltungsstreitverfahrens erfolgte Widmung heilende Wirkung besitzt (vgl. Schmidt, aaO, S. 453; Schrödter, BBauG, 3. Aufl. § 127 Rdnr. 5; a. A. OVG Lüneburg, DVBl 1968, 397). Dies entspricht dem vom BVerwG aufgestellten Grundsatz, dass entscheidend ist, ob im Zeitpunkt der abschließenden mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz alle Voraussetzungen vorliegen, die zur Rechtfertigung des Beitragsanspruchs erforderlich sind (BVerwG, Buchholz 406.11 § 125 Nr. 8 = DÖV 1975, 716 = VerwRspr 27, 700).

Die Regelungen des Saarländischen Verwaltungsverfahrensgesetzes über die Folgen und Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§§ 44 ff.) lassen sich für den von den Beigeladenen eingenommenen gegenteiligen Standpunkt schon deshalb nicht anführen, weil es hier weder um Form- noch um Verfahrensfehler bei der Beitragserhebung geht, sondern um die Frage des Vorliegens materieller Voraussetzungen der Heranziehung ...

Als ihre Beitragspflicht mindernder Umstand kommt für die Beigel. nicht in Betracht, dass die Erschließungsanlage großenteils gemäß Erschließungsvertrag vom 21. 7. 1964 auf Kosten der Baufirma H, als Erschließungsträger hatte hergestellt werden sollen, zu einem nicht unerheblichen Teil auch hergestellt worden ist und dass die betreffenden Beigel. nach ihrer Behauptung bei Erwerb ihres Grundstücks von Fa. H, die vollständige Erschließung "vorfinanziert" haben.

§ 129 II BBauG, auf den sich die Beigel. berufen, regelt diesen Fall nicht. Nach dieser Vorschrift dürfen Kosten, die ein Eigentümer oder sein Rechtsvorgänger bereits für Erschließungsmaßnahmen aufgewandt hat, bei der Übernahme als gemeindliche Erschließungsanlage nicht erneut erhoben werden. Diese zur Vermeidung einer Doppelbelastung des Eigentümers bestimmte Regelung greift nicht ein, wenn der Gemeinde - wie hier gemäß § 2 des Erschließungsvertrages - durch die Übernahme der Erschließungsanlage keine Kosten entstehen (vgl. Ernst-Zinkahn- Bielenberg, aaO, § 129 Rdnr. 28), und sie betrifft insbesondere nicht die Heranziehung wegen des eigenen Erschließungsaufwandes der Kl. für einen völlig anderen Herstellungsvorgang (vgl. Ernst-Zinkahn-Bielenberg, aaO, Rdnr. 29).

Auch nach Vertragsregeln kommt eine Anrechnung von Leistungen an den privaten Erschließungsträger nicht in Betracht. Die in einem Erschließungsvertrag i. S. von § 123 III BBauG vereinbarte Kostenübernahme (hier: § 2 des Erschließungsvertrages) fasst Schrödter (BBauG, § 123 Rdnr. 17a) als Vertrag zugunsten Dritter mit der Folge auf, dass die Gemeinde sich Zahlungen anrechnen lassen muss, welche die Grundstückseigentümer - wie hier die meisten der Beigel. - an den Erschließungsträger geleistet haben. Dieser Auffassung tritt Schmidt (aaO, S. 22) mit beachtlichen Gründen entgegen. Auch das BVerwG hat die Annahme einer in jedem Fall befreienden Wirkung eines im Erschließungsvertrag zugunsten der Grundstückseigentümer ausgesprochenen Verzichts auf die Erhebung von Erschließungsbeiträgen unter Hinweis darauf abgelehnt, dass § 135 V BBauG der Gemeinde eine Freistellung von der Beitragserhebung nur im öffentlichen Interesse gestatte und dass nach § 123 I BBauG die originäre Erschließungspflicht im Falle des Versagens des privaten Erschließungsträgers trotz Erschließungsvertrags bei der Gemeinde verbleibe (Buchholz 406.11 § 123 Nr. 6 = DVBl 1973, 499 = KStZ 1973, 77). Allerdings leitet Schrödter (aaO) gerade aus dem letztgenannten Gesichtspunkt die Annahme her, der Erschließungsträger sei "als eine Art Erfüllungsgehilfe der Gemeinde anzusehen, für den die Gemeinde wie für eigene Verpflichtungen einzustehen" habe - was sie hindere, etwa bei Konkurs des Unternehmens erneut die Erschließungskosten im Beitragsverfahren zu verlangen. Hierbei wird jedoch übersehen, dass die Erschließungslast durch einen Erschließungsvertrag allenfalls unter der Bedingung verlagert werden kann, dass der private Erschließungsträger diesen Vertrag auch erfüllt (so Schmidt aaO); die volle Erschließungslast der Gemeinde lebt darum jedenfalls wieder auf, wenn die Vertragserfüllung durch den Erschließungsträger unmöglich wird (vgl. Förster in Kohlhammer Kommentare BBauG, 1981, § 123 Anm. III 2 baa). Aus diesen Gründen ist auch der Senat der Auffassung, dass dort, wo ein Verzicht auf Beitragserhebung (mit der Folge seiner Nichtigkeit entsprechend § 306 BGB) rechtlich unmöglich ist - d. h. außer in den Fällen des § 135 V BBauG (vgl. dazu BVerwG, Buchholz 406.11 § 135 Nr. 7 ...) - eine vertragliche Vereinbarung der Kostenübernahme durch den Erschließungsträger nur in dem Sinne "befreiende Wirkung" zugunsten der Grundstückseigentümer haben kann, dass eine Beitragspflicht (schon aus Rechtsgründen) solange entfällt, wie die Gemeinde keinen eigenen Erschließungsaufwand hat (gegen die Annahme eines "Verzichts" aus diesen Gründen zutreffend auch Förster, aaO, Anm. III 2e aa). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass die Gemeinde sich bei der Heranziehung eines privaten Erschließungsträgers zur Erfüllung ihrer Erschließungslast eines Mittels bediene, das ihr das Gesetz zur Verfügung stellt (so Ernst-Zinkahn-Bielenberg, aaO, § 123 Rdnr. 28). Die hieraus gezogene Schlussfolgerung, die Rechtsstellung des Anliegers werde dadurch insofern verändert, als keine Anliegerbeitragspflicht entstehe (Ernst-Zinkahn-Bielenberg, aaO), trifft eben nur für den Fall zu, dass der Gemeinde durch die Erfüllung ihrer Erschließungslast selbst kein erstattungsfähiger Kostenaufwand entsteht. Angesichts dieser Gesetzeslage ist auch für Billigkeitserwägungen (wiederum außerhalb des Anwendungsbereichs von § 135 V BBauG) und Gesichtspunkte der Risikozumessung - die sich im übrigen auf beiden Seiten ins Feld führen ließen (vgl. Ernst-Zinkahn-Bielenberg, aaO, und Schrödter, aaO, einerseits; Schmidt, aaO, S. 22 ff. andererseits) - kein Raum.

Bei der Ermittlung des erstattungsfähigen Erschließungsaufwandes ist auch nicht etwa ein "Gemeindeanteil" an dem von Fa. H, getragenen Erschließungsaufwand abzusetzen, wie die Beigel. meinen. Den in § 129 I 3 BBauG bestimmten Anteil hat die Kl. nur auf den ihr entstandenen Erschließungsaufwand zu tragen. Hierzu können zwar gemäß § 128 I Nr. 2 BBauG auch die Kosten für die Übernahme von Anlagen als gemeindliche Erschließungsanlagen zählen. Soweit die Kl. nach dem mit Fa. H geschlossenen Erschließungsvertrag bei einer im übrigen kostenfreien Übernahme einen Gemeindeanteil hätte tragen müssen, kann dies vorliegend aber schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil ein solcher Anteil hier nicht in die Berechnung des Erschließungsaufwandes eingestellt worden ist ...

Rechtsgebiete

Verwaltungsrecht