Kein Wertermittlungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Erben auf Kosten des Beschenkten
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
04. 10. 1989
Aktenzeichen
IV a ZR 198/88
Der pflichtteilsberechtigte Erbe, der den vom Erblasser Beschenkten auf Pflichtteilsergänzung in Anspruch nimmt, kann gegen diesen einen Anspruch auf Wertermittlung aus § 242 BGB haben; auf Kosten des Beschenkten kann die Wertermittlung aber nicht verlangt werden.
Ist der auf Pflichtteilsergänzung in Anspruch genommene Beschenkte selbst pflichtteilsberechtigt, dann kann er von dem Erben Auskunft gem. § 2314 BGB über pflichtteilserhebliche Schenkungen aller Art auch dann verlangen, wenn sein eigener Pflichtteils-(ergänzungs-)anspruch verjährt ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. ist die Witwe des am 13. 1. 1983 verstorbenen Erblassers; sie war seine zweite Ehefrau, lebte mit ihm in Gütertrennung und ist seine Alleinerbin. Der Bekl. ist ein Sohn des Erblassers aus dessen erster Ehe. Die Kl. hat vorgetragen, außer dem notwendigen Hausrat und persönlichen Gebrauchsgegenständen habe der Nachlass keine vermögenswerten Gegenstände enthalten. Sie verlangt von dem Bekl. Pflichtteilsergänzung und hat Stufenklage erhoben mit den Anträgen, den Bekl. zur Auskunft über Schenkungen des Erblassers an ihn in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall und dazu zu verurteilen, den Wert von Anteilen an einer KG und deren Komplementär-GmbH, die der Erblasser ihm unstreitig im Jahre 1982 geschenkt hat, ermitteln zu lassen; ferner ihn zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und zu nicht näher bezifferten Zahlungen zu verurteilen. Der Bekl. verlangt ebenfalls Pflichtteilsergänzung, hat Widerklage erhoben und im Wege der Stufenklage beantragt, die Kl. ihrerseits zur Auskunft über Schenkungen des Erblassers an sie in den letzten zehn Jahren, zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung sowie zur Zahlung zu verurteilen.
Das LG hat den beiderseitigen Auskunftsbegehren durch Teilurteil stattgegeben und hat die Klage auf Wertermittlung abgewiesen. Auf die Berufung der Kl. hat das OLG den Bekl. zusätzlich verurteilt, den Wert der ihm geschenkten Beteiligungen auf seine Kosten durch einen unabhängigen Sachverständigen ermitteln zu lassen; die Widerklage hat es wegen Verjährung in vollem Umfang abgewiesen, auch soweit Verurteilung zur Zahlung begehrt worden ist. Die auf Klageabweisung gerichtete Anschlussberufung hat das OLG zurückgewiesen. Die Revision des Bekl. erstrebt ein Urteil nach seinen Anträgen vor dem OLG. Der erkennende Senat hat die Revision nur angenommen, soweit der Bekl. den Ausspruch über die Wertermittlung auf seine Kosten bekämpft und seinen eigenen Auskunftsanspruch gegen die Kl. weiterverfolgt. Insoweit hatte das Rechtsmittel überwiegend Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
I. 1. Mit Recht hat das BerGer. der Kl. einen Anspruch auf Ermittlung des Wertes der Unternehmensbeteiligungen, die der Erblasser dem Bekl. geschenkt hat, aus § 2314 BGB versagt. Diese Vorschrift scheidet als Anspruchsgrundlage aus, weil sie dem Pflichtteilsberechtigten nur dann Rechte zuspricht, wenn er nicht selbst Erbe ist. § 2314 BGB ist seinem Wortlaut und seinem Zweck nach auf den Nichterben zugeschnitten. Deshalb kommt auch eine entsprechende Anwendung auf den pflichtteilsberechtigten Erben gegen den Beschenkten nicht in Betracht (BGHZ 61, 180 (183 f.) = LM § 2314 BGB Nr. 8; Senat, NJW 1981, 2051 = LM § 2314 BGB Nr. 11 = JZ 1981, 229).
2. Das BerGer. billigt der Kl. den eingeklagten Wertermittlungsanspruch aber im Anschluss an ein Urteil des II. Zivilsenats des BGH vom 8. 7. 1985 (NJW 1986, 127 = LM § 2314 BGB Nr. 14 = FamRZ 1985, 1249 = WM 1985, 1346) aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu und legt dem Bekl. zugleich die Kosten der Wertermittlung auf. Dem vermag der Senat nicht uneingeschränkt zu folgen.
Richtig ist allerdings, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung seit langem aus den Grundsätzen von Treu und Glauben einen nicht normierten „allgemeinen“ Auskunftsanspruch ableitet, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte entschuldbar über das Bestehen und den Umfang seines Rechtes im unklaren und deshalb auf Auskünfte des Verpflichteten angewiesen ist, die dieser unschwer und ohne unbillige, unzumutbare Belastung erteilen kann. Nach diesen allgemein anerkannten Grundsätzen hat der BGH auch dem pflichtteilsberechtigten Erben einen Anspruch gegen den vom Erblasser Beschenkten zugesprochen, wonach dieser ihm Auskunft über pflichtteilserhebliche Schenkungen des Erblassers an ihn, den Beschenkten, zu erteilen hat (BGHZ 61, 180 (184 f.) = LM § 2314 BGB Nr. 8), falls der Erbe sich die erforderlichen Informationen nicht auf andere ihm zumutbare Weise beschaffen kann. Ein solcher Auskunftsanspruch geht aber nicht auch auf Wertermittlung (vgl. dazu schon das oben unter Ziffer 1 a. E. erwähnte Senatsurteil, NJW 1981, 2051 = LM § 2314 BGB Nr. 11) und löst einen Wertermittlungsanspruch auch nicht automatisch, gewissermaßen als bloßes Anhängsel zum Auskunftsanspruch aus. Während der Auskunftsanspruch lediglich auf die Weitergabe von Wissen gerichtet ist, das der Verpflichtete hat oder sich verschaffen muss (BGHZ 89, 24 (28) = LM § 2314 BGB Nr. 12 (L)), ist eine Wertermittlung von dem Wissen und den Vorstellungen die die Verpflichtete über den Wert hat, unabhängig (BGHZ 89, 24 (28) = LM § 2314 BGB Nr. 12 (L); für deutliche Unterscheidung auch Senat NJW 1985, 384 = LM § 2314 BGB Nr. 13 = FamRZ 1985, 589 m. Anm. Dieckmann) und ist auf eine vorbereitende Mitwirkung anderer Art gerichtet. Der Auskunfts- und der Wertermittlungsanspruch müssen daher bereits nach ihrem Inhalt deutlich auseinandergehalten werden.
Der erkennende Senat hat die Frage, ob der pflichtteilsberechtigte Erbe gegen den vom Erblasser Beschenkten aus § 242 BGB einen Anspruch auf Wertermittlung haben kann, noch nicht entschieden. Der II. Zivilsenat des BGH hat die Frage in einem Fall bejaht, in dem der (wider-) klagende Erbe die Kosten von vornherein über den Nachlass selbst tragen wollte (NJW 1986, 127 = LM § 2314 BGB Nr. 14 = FamRZ 1985, 1249). Auf Kosten des Beschenkten kommt eine derartige Wertermittlung jedenfalls nicht in Betracht. Wie der Senat durch Urteil vom 19. 4. 1989 inzwischen entschieden hat (BGHZ 107, 200 = NJW 1989, 2887), haftet der (zuletzt) Beschenkte in den Fällen des § 2329 BGB mit dem Erlangten nur bis zur Höhe des Fehlbetrages i. S. von § 2329 II BGB; der früher Beschenkte haftet nur bis zur Höhe des Fehlbetrages i. S. von § 2329 II BGB. Damit ist die den Beschenkten gesetzte Opfergrenze erreicht; mehr brauchen sie von dem Geschenk, das sie ja mit Rechtsgrund in Händen halten, nicht wieder herauszugeben, auch nicht zur Deckung kostspieliger Ermittlungen oder Auskünfte im Interesse von Pflichtteilsberechtigten. Das kann bei einem Wertermittlungsanspruch, der auf § 242 BGB gestützt ist, nicht anders sein als im Rahmen von § 2314 I 2 BGB. Davon aus Billigkeitsgründen im Einzelfall abzugehen, erscheint nicht gerechtfertigt. Unter diesen Umständen muss die Klage, soweit sie auf Wertermittlung gerade auf Kosten des Bekl. gerichtet ist, abgewiesen werden.
3. Indessen wünscht die Kl. ausdrücklich, dass ihr der Wertermittlungsanspruch notfalls - über den Nachlass - auch auf eigene Kosten zugesprochen werde. Dieses Begehren ist begründet (§ 242 BGB). Bei Anwendung der Grundsätze, die für den „allgemeinen“ Auskunftsanspruch aus § 242 BGB gelten und die im Anschluss an NJW 1986, 127 = LM § 2314 BGB Nr. 14 = FamRZ 1985, 1249 auch hier anzuwenden sind, muss diesem Begehren entsprochen werden. Wie der II. Zivilsenat zutreffend ausgeführt hat, bringt das Rechtsverhältnis zwischen dem pflichtteilsberechtigten Erben und dem Beschenkten es mit sich, dass der Berechtigte unverschuldet selbst dann keine Gewissheit über Bestehen und Umfang seines Rechts auf Pflichtteilsergänzung gewinnen kann, wenn er alle pflichtteilsrelevanten Schenkungen kennt; denn sein Recht ist entscheidend von dem Wert der Zuwendungen bestimmt. Selbst wenn ihm Bilanzen und andere Geschäftsunterlagen vorliegen, wird er seine Pflichtteilsergänzung vielfach nicht berechnen können, weil er daraus die für die Bewertung besonders bedeutsamen stillen Reserven und die Ertragskraft des Unternehmens nicht vollständig erschließen kann. Deshalb ist ein schützenswertes Interesse des Pflichtteilsberechtigten daran anzuerkennen, dass der Wert der verschenkten Gegenstände sachverständig und objektiv ermittelt wird. Demgemäss ist es in solchen Fällen grundsätzlich gerechtfertigt, ihm einen Anspruch auf Ermittlung des Wertes an den maßgebenden Stichtagen (§ 2325 II BGB) einzuräumen.
Dem steht nicht entgegen, dass die Kl. sich darauf beschränken könnte, das von ihr gewünschte Sachverständigengutachten selbst in Auftrag zu geben und den Bekl. lediglich auf Duldung und Vorlage der erforderlichen Unterlagen in Anspruch zu nehmen. Denn ein solches Verlangen wäre nicht ausreichend. Wie der frühere IV. Zivilsenat des BGH in seinem Urteil vom 30. 10. 1974 (NJW 1975, 258 = LM § 2314 BGB Nr. 9) zu § 2314 I 2 BGB zutreffend ausgeführt hat, böte ein Duldungsurteil gegen den Beschenkten keine ausreichend sichere Grundlage dafür, dass der Pflichtteilsberechtigte mit seiner Hilfe ein für seine Zwecke brauchbares Sachverständigengutachten auch tatsächlich erlangt. Wird der Beschenkte dagegen verurteilt, das Gutachten selbst einzuholen, dann bietet § 888 ZPO bessere Möglichkeiten, auch widerstrebende oder böswillige Verpflichtete zu etwa erforderlicher zusätzlicher Mitwirkung bei der Erstellung des Gutachtens im Wege der Zwangsvollstreckung zu veranlassen. Dadurch wird der Verpflichtete nicht unzumutbar und unbillig belastet, falls sichergestellt ist, dass der Schuldner wegen der Kosten für das einzuholende Gutachten von dem Sachverständigen nicht in Anspruch genommen wird, sondern dass der Berechtigte diese ihn treffenden Kosten trägt. Demgemäss wird dem Bekl. durch das vorliegende Urteil nur aufgegeben, einem entsprechenden Sachverständigen ohne Eingehung einer eigenen Vergütungsverpflichtung Auftrag zu erteilen, das erforderliche Gutachten auf Kosten der Klägerin zu erstatten, und den Sachverständigen in den Stand zu setzen und zu veranlassen, das Gutachten zu erstatten. Auf diesem Wege wird die Kl. das von ihr gewünschte Gutachten freilich nur dann erlangen können, wenn sie den Bekl. dazu ermächtigt, entsprechende Vergütungsansprüche des Sachverständigen gegen sie zu begründen, und wenn sie etwa erforderliche Vorschüsse an den Sachverständigen leistet. - Die Verurteilung des Bekl. zu den von ihm geschuldeten Handlungen ist damit nicht von einer Bedingung abhängig, so dass die Vollstreckungsklausel ohne Nachweise i. S. von § 726 I ZPO erteilt werden kann.
II. Nicht bestehen bleiben kann das angefochtene Urteil auch, soweit es dem Bekl. jeglichen Anspruch auf Auskünfte über Schenkungen des Erblassers an die Kl. versagt, weil der ebenfalls abgewiesene Anspruch des Bekl. auf Pflichtteilsergänzung verjährt sei. Das BerGer. hat nicht gesehen, dass die vom Bekl. beanspruchten Auskünfte der Kl. nicht nur für einen Pflichtteilsergänzungsanspruch des Bekl., sondern auch für denjenigen der Kl. von Bedeutung sind.
Nach § 2327 BGB ist ein Geschenk, das der Pflichtteilsberechtigte (hier: die Kl.) selbst erhalten hat, dem Nachlass in gleicher Weise hinzuzurechnen, wie das einem Dritten (hier: dem Bekl.) gemachte Geschenk; zugleich ist es auf seine (etwaige) Ergänzung anzurechnen. Dabei kommt es - anders als im Rahmen von § 2325 III BGB - auf die Zeit des sogenannten Eigengeschenks nicht an (BGH, NJW 19864, 1414 = LM § 2329 BGB Nr. 5/6; LM § 2327 BGB Nr. 1 = MDR 1962, 557). Deshalb kann ein schützenswertes Interesse des Bekl. an entsprechenden Auskünften der Kl. nicht bezweifelt werden. Die Rechtsprechung billigt dem nicht pflichtteilsberechtigten Beschenkten bei derartigen Fallgestaltungen deshalb einen entsprechenden Auskunftsanspruch gegen den Ergänzung fordernden Erben aus § 242 BGB zu (BGH, NJW 1964, 1414 = LM § 2329 BGB Nr. 5/6). Im vorliegenden Fall ist ein Rückgriff auf diese Vorschrift aber nicht erforderlich, weil dem Bekl. als einem selbst pflichtteilsberechtigten Abkömmling des Erblassers gegen die kl. Alleinerbin bereits der Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB zusteht. Dieser Anspruch umfasst auch Auskünfte über pflichtteilserhebliche Schenkungen aller Art (BGHZ 89, 24 (27) = LM § 2314 BGB Nr. 12 (L)).
Der Auskunftsanspruch des Bekl. ist nicht verjährt. Für einen Anspruch aus § 2314 BGB gilt, wie BGHZ 33, 373 (379) = LM § 2314 BGB Nr. 4 anerkannt ist, die allgemeine Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 195 BGB).
Die früher vertretene Auffassung, dieser Anspruch verjähre nicht später als der Pflichtteilsanspruch selbst, hat der Senat durch Urteil vom 3. 10. 1984 (NJW 1985, 384 = LM § 2314 BGB Nr. 13) ausdrücklich aufgegeben. Ansprüche aus § 2314 BGB können zwar nicht mehr erhoben werden, wenn für sie kein Bedürfnis mehr besteht. Sind Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche - wie hier - verjährt, und wird die Verjährungseinrede erhoben, dann kann der Pflichtteilsberechtigte mit Auskünften des Erben im allgemeinen nichts mehr anfangen. Sein dennoch gestelltes Auskunftsverlangen muss dann im allgemeinen als unbegründet abgewiesen werden. Das gilt aber nicht, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Auskünfte des Erben trotz der Verjährung seiner eigenen möglichen Pflichtteilsansprüche noch benötigt, etwa um gem. § 2329 BGB gegen einen Beschenkten (Senat, NJW 1985, 384 = LM § 2314 BGB Nr. 13) oder gegen seinen Prozessbevollmächtigten vorgehen zu können, der die Unterbrechung der Verjährung schuldhaft versäumt hat. Aber auch in den Fällen des § 2327 BGB kann dem selbst pflichtteilsberechtigten Beschenkten ein berechtigter Informationsbedarf nicht abgesprochen werden, wenn er Auskunft über Eigengeschenke des Erben verlangt, der ihn seinerseits auf Pflichtteilsergänzung in Anspruch nimmt. Deshalb kann dem Bekl. der von ihm eingeklagte unverjährte Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB nicht versagt werden.
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