Beeinträchtigung durch herüberragende Äste in Wohnviertel mit altem Baumbestand

Gericht

AG Frankfurt


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

28. 07. 1989


Aktenzeichen

32 C 2723/88 - 19


Leitsatz des Gerichts

Beruht die hohe Wohnqualität eines Viertels im wesentlichen auf altem Baumbestand, kann es dem Nachbarn zugemutet werden, Laub- und Samenbefall von überhängenden Ästen entschädigungslos hinzunehmen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. nimmt die Bekl., ihre Grundstücksnachbarin, wegen der Abwehr von Beeinträchtigungen ihres Grundstücks durch Laub- und Samenbefall eines Ginkgo-Baumes in Anspruch. Auf dem Grundstück der Bekl. steht, etwa drei Meter vom Grundstück der Kl. entfernt, ein - dem Alter und der Höhe nach streitiger (Kl.: 80 Jahre, 18 m hoch; Bekl.: 100 Jahre, 30 m hoch) Gingko-Baum. Zwei Äste (Kl.), zumindest aber ein Ast dieses Baumes (Bekl.) ragen in das Grundstück der Kl. hinein. Im März 1988 forderte die Kl. die Bekl. mit anwaltlichem Schreiben auf, bis zum 31. 3. 1988 die zwei in ihr Grundstück hineinragenden Äste zu beseitigen. Nach einem weiteren Schriftwechsel der Parteien mit dem Versuch eine gütliche Beilegung des Nachbarschaftsstreits zu erreichen, lehnte die Bekl. schließlich mit Schreiben vom 11. 5. 1988 sowohl eine Beseitigung der beiden Äste als auch eine Übernahme der Kosten der Dachrinnenreinigung ab. Nunmehr begehrt die Kl. mit der Klage Beseitigung von zwei Ästen des Gingko-Baumes von der Bekl., hilfsweise eine Ausgleichszahlung für die Beseitigung der Beeinträchtigungen (Reinigungsaufwand). Sie behauptet, durch den Gingko-Baum, insbesondere die besagten beiden Äste werde ihr Grundstück stark in Mitleidenschaft gezogen. Wenn der Gingko-Baum im Herbst im Laufe von sechs bis acht Wochen seine Blätter verliere, fielen erhebliche Laubmengen auf ihr Grundstück, insbesondere in die beiden übereinandergelegenen Dachrinnen an der Straßenfront des Mehrfamilienhauses. Diese, insbesondere die obere Dachrinne, ließen sich nur mit hohem Kostenaufwand reinigen, weil die Reiniger angeseilt werden müßten. Die Kl. vertritt die Auffassung, die Beeinträchtigung durch die beiden Äste des Gingko-Baumes sei so erheblich, daß eine Duldungspflicht nicht mehr in Betracht kommen könne. Die Bekl. behauptet, seit mehr als 20 Jahren falle in geringem Maße, und zwar nur von einem Ast des Gingko-Baumes, Laub und Samen auf das Grundstück der Kl., ohne daß diese dies bisher beanstandet hätte. Das Viertel, in dem die Grundstücke der Parteien liegen, sei das exklusivste Wohngebiet in der Innenstadt von Frankfurt a. M. Die jahrhundertalten Bäume gehörten zu einem solchen Wohngebiet. Die Bekl. ist der Auffassung, die Kl. habe die Beeinträchtigung durch Laubabfall bereits wegen der Geringfügigkeit zu dulden, aber auch deshalb, weil die alten Bäume im H.-Viertel seinen Charakter als Wohnviertel, seine besondere Wohnqualität ergäben und der Laubbefall daher als ortsüblich von der Kl. hinzunehmen sei.

Das AG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Daß in gewissem Maße eine Beeinträchtigung des Grundstücks der Kl. durch Laubabfall des Gingko-Baumes gegeben ist, ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Bekl. nimmt jedoch zutreffend an, daß die Kl. verpflichtet ist diese Beeinträchtigung entschädigungslos zu dulden (§§ 1004 II, 910 II, 906 I, II 1 BGB).

Zwar steht der Kl. grundsätzlich das Recht zu, bei einer Beeinträchtigung ihres Eigentumsrechts, die nicht in einer Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes besteht, deren Beseitigung von dem Störer (hier: der Bekl.) zu verlangen (§ 1004 I BGB). Vom Nachbargrundstück der Bekl. herüberragende Zweige darf die Kl., wenn sie zuvor der Bekl. erfolglos eine Frist zur Beseitigung gesetzt hat, abschneiden (§ 910 I 2 BGB). Auch schließt das Selbsthilferecht nach § 910 BGB den Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB nicht aus (vgl. BGHZ 60, 235 = NJW 1973, 703 = LM § 1004 BGB Nrn. 124-127). In beiden Fällen ist der Beseitigungsanspruch jedoch dann ausgeschlossen, wenn der Eigentümer (hier: die Kl.) die Beeinträchtigung gem. § 906 I, II BGB, aber auch nach § 910 II BGB (vgl. LG Saarbrücken, NJW-RR 1986, 1341) zu dulden hat. Nach § 906 I BGB besteht für den Eigentümer eine solche Duldungspflicht dann, wenn die Zuführung von z. B. Gerüchen, Rauch, Geräuschen und ähnlichen von einem anderen Grundstück ausgehenden Einwirkungen die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Vorliegend ist letzteres gegeben. Daß unter dem Begriff „ähnliche beeinträchtigende Einwirkungen" i. S. von § 906 BGB auch pflanzliche Immissionen, insbesondere Blüten- und Laubfall fallen, entspricht inzwischen gefestigter Rechtsprechung (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 1988, 204; zuletzt OLG Frankfurt, NJW 1988, 2618).

Die Kl. behauptet zwar, daß, wenn der Gingko-Baum im Verlaufe von sechs bis acht Wochen seine Blätter verliere, erhebliche Laubmengen auf ihr Grundstück fallen würden, sie hat es jedoch an jeglichen konkreten Angaben hierzu fehlen lassen. Insbesondere ist nicht dargetan, wie häufig welche Laubmengen die Kl. zu beseitigen gezwungen ist. Das gleiche gilt hinsichtlich der behaupteten Verstopfung beider Dachrinnen und der Abflußrohre der Balkone. Auch hierzu hat die Kl., trotz entsprechender Aufforderung der Bekl., nicht vorgetragen, wie häufig und in welchen zeitlichen Abständen in ihrem Auftrag eine Dachrinnenreinigung vorgenommen worden sein soll ...

Ohne Erfolg beruft sich die Kl. auch darauf, daß durch die beanstandeten beiden Äste des Gingko-Baumes einer der Wohnungen in ihrem Hause Licht entzogen werde und deshalb bereits ein Mietinteressent von der Anmietung dieser Wohnung Abstand genommen habe. Abgesehen davon, daß es auch hierzu an einem substantiierten Vortrag fehlt, insbesondere nicht dargetan ist in welchem Maße eine Verschlechterung der Lichtverhältnisse eingetreten sein soll, brauchte dem hierzu von der Kl. angetretenen Zeugenbeweis auch deshalb nicht nachgegangen zu werden, weil die Entziehung von Licht durch Bäume grundsätzlich nicht abwehrbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1979, 2618 = MDR 1980, 54). Hinzu kommt, daß die vorgelegten Lichtbilder eine wesentliche Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse nicht erkennen lassen.

Nach alledem ist eine wesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks der Kl. durch den Gingko-Baum weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Aber selbst dann, wenn man dem nicht folgen und eine wesentliche Beeinträchtigung annehmen wollte, müßte die Bekl. diese entschädigungslos dulden, weil die Beeinträchtigung, worauf die Bekl. zutreffend hinweist, durch eine ortsübliche Benutzung herbeigeführt wird.

Daß die Grundstücke der Parteien in einem exklusiven Wohnviertel in Frankfurt am Main gelegen sind, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Zutreffend nimmt die Bekl. an, daß die Wohnqualität dieses Viertels im wesentlichen durch den Baumbestand, hierunter viele alte Bäume, geprägt wird. Auch ist heute allgemein anerkannt, daß von Bäumen eine erhebliche Wohlfahrtswirkung (Sauerstoffproduktion, Luftreinigung, Luftkühlung usw.) ausgeht. Es versteht sich jedoch von selbst, daß in Wohngegenden - wie vorliegend demjenigen der Parteien - mit erhöhtem Baumbestand auch mit einer vermehrten Einwirkung der Natur und somit auch mit pflanzlichen Immissionen zu rechnen ist. Diese sind deshalb hinzunehmen (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1988, 2618; OLG Stuttgart, NJW-RR 1988, 204; LG Saarbrücken, MDR 1988, 54; OLG Frankfurt, NJW-RR 1987, 1101; OLG Stuttgart, NJW 1986, 2768; LG Saarbrücken, NJW-RR 1986, 1341; LG Ulm, NJW 1985, 440; LG Karslruhe, MDR 1984, 401 LG Cleve, MDR 1982, 230; LG Stuttgart, NJW 1980, 2087).

Soweit zwischen den Parteien streitig ist, ob vor etwa acht Jahren ein auf das Grundstück der Kl. herüberragender Ast des Gingko-Baumes gestutzt wurde, kann dies letztlich für die vorliegende Entscheidung dahingestellt bleiben; denn gegebenenfalls folgt hieraus nicht schon ohne weiteres eine Verpflichtung der Bekl., eine Stutzung der beanstandeten Äste des Gingko-Baumes vorzunehmen. Hinzu kommt, daß erhebliche Zweifel bestehen, ob eine solche Maßnahme geeignet wäre, einen nennenswerten Erfolg herbeizuführen. Angesichts der Höhe des Gingko-Baumes und seiner Nähe zum Grundstück der Kl. genügt zur Zeit des Laubfalles ein Windstoß, um im gleichen Maße wie bisher das Laub des Gingko-Baumes, wie auch anderer benachbarter Bäume, auf das Grundstück der Kl. zu wehen. Bei dieser Sachlage braucht der Frage, ob, wie die Bekl. unter Beweisantritt vorträgt, das Abschneiden der beiden beanstandeten Äste zu einem Schaden des gesamten Gingko-Baumes führen würde, nicht mehr nachgegangen zu werden.

Vielmehr kommt nach alledem auch ein Ausgleichsanspruch der Kl. wegen der Ortsüblichkeit der Beeinträchtigung nicht in Betracht. Hiernach kann vorliegend unentschieden bleiben, ob ein Ausgleichsanspruch der Kl. auch deshalb zu versagen wäre, weil es sich bei dem Gingko-Baum um einen Naturschutzbaum oder zumindest aber einen satzungsgeschützten Baum handelt (vgl. LG Aschaffenburg, NJW 1987, 1271; LG Dortmund, NJW-RR 1987, 1101). Zwar ist der Gingko-Baum unstreitig bis heute nicht im Naturschutzbuch der Stadt Frankfurt a. M. als Naturdenkmal eingetragen. Hieraus folgt aber noch nicht, daß der Gingko-Baum nicht zu den sogenannten „Naturschutzbäumen“ der Stadt Frankfurt a. M. gehört; denn, wie sich aus dem Schreiben der Stadt Frankfurt a. M. vom 26. 9. 1988 ergibt, steht die Katalogisierung des Baumbestandes in dem von den Parteien bewohnten Stadtbezirk noch aus. Seiner Ausmaße nach fällt der Gingko-Baum jedenfalls aber unter die sogenannte Baum-Satzung der Stadt Frankfurt a. M.

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht