Ausnahme vom Regelfahrverbot bei Geschwindigkeitsüberschreitung
Gericht
OLG Düsseldorf
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
19. 03. 1996
Aktenzeichen
2 Ss (OWi) 46/96
Ein Regelfall für die Anordnung eines Fahrverbots liegt nicht vor, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung zur Nachtzeit in einem Verkehrsbereich erfolgt ist, in dem durch Zeichen 274 zu § 41 II Nr. 7 StVO eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h angeordnet ist.
Etwas anderes hat wegen des unterschiedlichen Schutzzwecks dann zu gelten, wenn durch Zeichen 274.1 und 274.2 eine verkehrsberuhigte Zone i.S. des § 45 I 2 Nr. 3, Ib Nr. 5 StVO eingerichtet ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Das AG verurteilte den Betr. zu einer Geldbuße von 250 DM und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an, weil er am 28. 3. 1995 um 2.51 Uhr in W. die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 33 km/h überschritten hatte. Die Rechtsbeschwerde des Betr. wurde als unbegründet verworfen.
Auszüge aus den Gründen:
Das Rechtsmittel ist unbegründet...
1. Dem Senat ist die konkrete Örtlichkeit in W. bekannt. Danach verläuft die ca. 1 km lange Straße "H." durch ein Wohngebiet, welches durchweg mit Einfamilienhäusern bebaut ist. Jeweils am Straßenanfang ist eine verkehrsberuhigte Zone durch Zeichen 274.1 zu § 41 II Nr. 7 StVO eingerichtet. Das jeweilige Ende dieser Zone ist durch Zeichen 274.2 gekennzeichnet. In Höhe des Hauses Nr. ... befindet sich ein Kindergarten. Auf beiden Seiten der Straße wird durch Zeichen 136 zu § 40 VI StVO auf diese Gefahrenstelle besonders hingewiesen, zusätzlich ist eine diesem Gefahrzeichen entsprechende Straßenbemalung angebracht. In Höhe des Hauses Nr. ... ist eine Geschwindigkeitsüberwachungsanlage des Fabrikats Traffipax installiert.
2. Unter Zugrundelegung der VwV zu Zeichen 274 ist eine insoweit angeordnete Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit grundsätzlich nur aus Gründen der Verkehrssicherheit vorgesehen. Der allgemein mit einer innerörtlichen Beschränkung auf 30 km/h verfolgte Zweck des Schutzes von anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere Fußgängern und Kindern, vor den von schnell fahrenden Kfz ausgehenden Gefahren kommt bei realistischer Betrachtung der allgemeinen Verkehrsverhältnisse uneingeschränkt nur zu Tagzeiten - je nach Jahreszeit zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr - zum Tragen. Die spezifischen Gefahrensituationen, denen mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf Tempo 30 durch Zeichen 274 begegnet werden soll, bestehen auch in allgemeinen Wohngebieten zur Nachtzeit nicht. Denn außerhalb der normalen Tageszeiten, insbesondere zur Nachtzeit, ist in Wohngebieten im Regelfall nicht mit einem nennenswerten Aufkommen von Fußgängern, zu deren Sicherheit die Geschwindigkeitsbeschränkung dient, zu rechnen. Insoweit geht der Schutzzweck zu einer Zeit wie im vorliegenden Fall (2.51 Uhr) ins Leere. Zu solchen Zeiten braucht sich ein Kfz-Führer nicht auf ein außergewöhnliches Verkehrsaufkommen gleich welcher Art einzustellen und kann davon ausgehen, dass die durch Anordnung von Tempo 30 beabsichtigte besondere Schutzbestimmung nicht unbedingt zu gewährleisten ist. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrslage und konkreten Örtlichkeit ist eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um mehr als den nach der BKatV relevanten Grenzwert von 31 km/h zur Nachtzeit auf einer in einem Wohngebiet liegenden durchgehenden Straße daher grundsätzlich nicht geeignet, zu einer besonderen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu führen.
Diese Einschätzung hat nach Auffassung des Senats zur Folge, dass derartige Umstände auch bei der vom Bußgeldrichter zu beurteilenden Frage der Verhängung eines Fahrverbots aufgrund von § 2 I Nr. 1 BKatV i.V. mit Tabelle 1a Nr. 5.3 zwingend zu berücksichtigen sind. Denn ein Regelfall in diesem Sinne liegt zu einer nächtlichen Zeit nicht vor.
3. Anders ist die Frage der Verhängung eines Regelfahrverbots indessen dann zu beantworten, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine geschwindigkeitsbeschränkte Zone durch die Zeichen 274.1 und 274.2 eingerichtet ist. Denn solche Zonen werden - im Gegensatz zu Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h durch Zeichen 274 - nicht (nur) aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs vorgesehen. Vielmehr dienen diese verkehrsberuhigten örtlichen Bereiche im Hinblick auf § 45 I 2 Nr. 3, Ib Nr. 5 StVO vornehmlich auch zum Schutz der Anlieger in Wohngebieten vor Lärm und Abgasen. Dass dieser Schutzzweck und die damit einhergehende gesetzgeberische Absicht einer nachhaltigen Reduzierung der von einem Kfz ausgehenden Lärmbelästigungen insbesondere zur Nachtzeit zu gewährleisten sind, versteht sich von selbst.
4. Für die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts spielt auch keine Rolle, dass die Einrichtung der stationären Messstelle in enger örtlicher Nähe zu einem Kindergarten erfolgt ist und auf die besondere, allerdings ersichtlich nur zu Tagzeiten bestehende Gefahrenstelle durch auffällige Zeichen deutlich hingewiesen wird. Abgesehen davon, dass der Standort der Messstelle nicht unbedingt mit einer Gefahrenquelle selbst unmittelbar zusammenhängen muss, ist hier ohne weiteres davon auszugehen, dass mit der ununterbrochenen Überwachung der Geschwindigkeit auch zur Nachtzeit gerade eine Lärmvermeidung während der allgemeinen Ruhe- und Schlafenszeiten erreicht werden soll.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen