Weitergewährung einer Verletztenrente
Gericht
SG Dortmund
Datum
25. 08. 2003
Aktenzeichen
S 23 (11) U 116/02
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung einer Verletztenrente.
Die 1978 geborene Klägerin erlitt am 15.08.1999 bei einem Wegeunfall eine dislozierte komplette rechtsseitige Unterarmfraktur sowie eine perforierende Glassplitter-Verletzung des linken Auges. Im ersten chirurgischen Gutachten von Dr. ... aus wurden die Unfallfolgen mit einer sichtbaren Narbe über dem Griffelfortsatz der rechten Speiche, der endgradigen Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes und der geringgradigen Muskelminderung des rechten Oberarmes beschrieben sowie die die unfallfolgebedingte MdE mit 20 v.H. seit dem 01.01.2000 und mit 10 v.h. seit dem 04.05.2000 eingeschätzt. Im Gutachten der Augenärztin Dr. ... aus ... vom 22.05.2000 wurde wegen der Binde- und Hornhautnarbe nach Kataraktoperation am linken Auge, der Regenbogenhauteinklemmung hinter der Kunststofflinse, der zentralen Nachstarbildung bei deutlich herabgesetzter Sehschärfe und des räumlichen Sehens sowie der Pseudophakie mit 20 v. H. bewertet. Mit dem bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 04.10.2000 übernahm die Beklagte die Gesamt-MdE-Bewertung von Dr. ... vom 25.05.200 0 auf 40 v.H. seit dem 01.01.2000 und 30 v.H. ab 04.05.2000 nur teilweise bis zum 30.09.2003, sondern folgte dem beratenden Chirurgen Dr. ... aus ..., der unter dem 10.08.2000 ab 01.10.2000 eine MdE um 20 v.H. empfohlen hatte und gewährte dementsprechend eine vorläufige Entschädigung.
Im zweiten Gutachten der Chirurgen Dr. ... und Dr. ... aus vom 18.01.2002 gelangten diese Ärzte unter Berücksichtigung der am 22.05.2000 auf augenfachärztlichem Gebiet mit 20 v.H. auf Dauer geschätzten MdE zusammen mit den Unfallfolgen der endgradig eingeschränkten Handgelenksbeweglichkeit rechts mit belastungsabhängigen Schmerzen und einer Teil-MdE von unter 10 v.H. zu einer Gesamt-MdE von 20 v.h. Im zweiten augenärztlichen Gutachten von Prof. Dr. ... und dem Oberarzt aus wurde die MdE wegen der parazentral gelegenen Hornhautnarbe bei ungleichmäßiger Wölbung der Hornhaut und herabgesetzter Sehschärfe der Fernsichtigkeit sowie der Notwendigkeit einer Lesebrille nach Kunstofflinsenimplantation links mit 10 v.H. bewertet. Danach schätzte Dr. ... zusammen mit Dr. ... unter dem 30.04.2002 die Gesamt-MdE auf 10. v.h..
Nach der mit Schreiben vom 02.05.2002 erfolgten Anhörung der Klägerin zum beabsichtigten Auslaufen der Verletztenrente entzog die Beklagte mit Bescheid vom 17.06.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2002 die vorläufige Entschädigung mit Wirkung zum 01.07.2002 und lehnte, gestützt auf die letztgenannten Beurteilungen, die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Dauer wegen der seitdem nicht mehr rentenberechtigenden MdE ab.
Gegen den am 29.08.2002 abgesandten Widerspruchsbescheid hat sich die Klägerin mit der am 30.09.2002 erhobenen Klage gewandt. Wegen der Dauerbeschwerden, nämlich den erheblichen Schmerzen und der Kraftlosigkeit in der rechten Hand und dem Gelenk bei Kältegefühl sowie der durch die Sehkraftminderung, der erheblichen Blendung und des sich entwickelnden grauen Stars bestehenden Schwierigkeiten bei der Arbeit am Computer liege weiterhin eine MdE von mindestens 20 v.H vor.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält diese Bescheide auch im Hinblick auf das Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme für rechtmäßig, weil die auf unfallchirurgischem Fachgebiet eingeschätzte MdE von unter 10 v.H. als nicht messbar gelte und daher zu augenärztlicherseits bestehenden MdE nicht addiert werden dürfe.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines chirurgischen Sachverständigengutachtens, dass der Leiter der Unfallchirurgischen Abteilung des Krankenhauses in am 19.03. und 24.06.2003 zusammen mit Dr. ... unter Berücksichtigung eines augenfachärztlichen Zusatzgutachtens von Prof. Dr. ... und Ass.-Arzt ..., Augenklinik des ... Krankenhauses in ..., vom 14.05.2003 erstattet hat. Der Sachverständige schätzt die Gesamt-MdE auf 20 v.H., zusammengesetzt aus einer Teil-MdE von 15 v.H. von Seiten der Augen und von 5 v.H. chirurgischerseits, weil keine Überschneidung der Unfallfolgen vorliege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und den der Unfallakten der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über das Klagebegehren hat die Kammer ohne mündliche Verhandlung entschieden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 17.06.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2000 zu Unrecht der Klägerin die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Dauer gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) verweigert, die Klägerin wird hierdurch beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Aufgrund der gerichtlichen Beweisaufnahme ist die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die bei der Klägerin seit dem Entzug der vorläufigen Verletztenrente zum 01.07.2002 noch vorliegenden Unfallfolgen eine rentenberechtigende MdE um 20 v. H. (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) hervorgerufen haben, die die Berechtigung zum Bezug einer Verletztenrente auf unbestimmte Dauer zur Folge hat (§ 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VIl).
Bei der Klägerin bestehen noch Unfallfolgen augenfachärztlicherseits am linken Auge im Sinne einer Pseudophakie bei Hornhautnarbe mit dadurch bedingtem Astigmatismus, reduzierte Sehschärfe mit möglicher Kontaktlinsenkorrektur und Gesichtsfeldeinschränkung sowie ein eingeschränktes Dämmerungssehen und erhöhte Blendempfindlichkeit. Daneben liegen unabhängig davon auf unfallchirurgischem Gebiet ein Zustand nach distaler Unterarmfraktur rechts mit endgradiger Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks sowie eine endgradig eingeschränkte Unterarmdrehbeweglichkeit vor. Die Kammer stützt sich dabei auf das augenfachärztliche Sachverständigengutachten von Prof. Dr. ... und das unfallchirurgische Sachverständigengutachten von Prof. Dr. ... . Soweit es die Beschreibung der Unfallfolgen an der rechten oberen Extremität angeht, weicht diese nicht von der Einschätzung des im Wege des Urkundsbeweises gewürdigten, im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. ... nicht ab. Die Unfallfolgen am linken Auge, wie sie von Prof. Dr. ... beschrieben werden, weichen allerdings vom Ergebnis des im Verwaltungsverfahren eingeholten, ebenfalls im Wege des Urkundsbeweises gewürdigten Gutachtens von Prof. Dr. ... ab. Der gerichtliche Sachverständige hat allerdings im Gegensatz zu Prof. Dr. ... darlegen können, dass sowohl die Blendempfindlichkeit als auch die Gesichtsfeldeinschränkung und das erschwerte Dämmerungssehen wegen der Hornhautnarbe als Unfallfolgen zu berücksichtigen sind. Die Kammer gibt dem gerichtlichen Sachverständigengutachten wegen der vollständigeren Beschreibung der Unfallfolgen auf augenfachärztlichem Gebiet den Vorzug.
Die von Seiten der Augen zu schätzende MdE beträgt 15 v.H. und nicht nur 10 v.H., wie dies die Beklagte in ihrem Bescheid vom 17.06.2002 zugrunde gelegt hat. Sie setzt sich zusammen aus der für die Hinterkammerlinsenpseudophakie links anzusetzenden MdE von 10 v.H. und der hornhautbedingten Blendempfindlichkeit und Gesichtsfeldeinschränkung von 5 v.H. Das Gericht folgt insoweit der eingehend begründeten und überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. ..., der die Beklagte nicht entgegengetreten ist, und nicht der angesichts der unvollständigen Beschreibung der Unfallfolgen unzutreffenden MdE-Bewertung auf 10 v.H. durch Prof. Dr. ... .
Die verbliebenen Unfallfolgen wegen der distalen Unterarmfraktur rechts sind zwar mit weniger als 10 v.H. - so die übereinstimmende Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. ... und des Gutachters Dr. ... zu bewerten. Dies bedeutet aber nicht, dass sie als "nicht messbar" und deshalb nicht berücksichtigungsfähig im Rahmen der Gesamt-MdE-Festsetzung anzusehen sind, wie dies die Beklagte unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Neufeststellung von Verletztenrenten gemäß dem bis 31.12.1996 geltenden § 622 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) - ab 01.01. 1997 gilt die gleichgelagerte Regelung des § 73 Abs. 3 SGB VII i.V.m. § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) - ausgeführt hat. Im vorliegenden Fall ist nicht über die Neufeststellung einer Verletztenrente auf unbestimmte Dauer, sondern darüber zu entscheiden, ob bei der erstmaligen Festsetzung eine Entschädigung auf unbestimmte Dauer innerhalb von drei Jahren nach dem Unfall gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 SGG auch eine geringe Teil-MdE von weniger als 10 v.H. zu einer Erhöhung einer auf anderem Fachgebiet ohne Überschneidung von Unfallfolgen vorliegenden Teil-MdE um 15 v.H. auf 20 v.H. führt. Die Kammer hält dies mit dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. ... für geboten, weil die Folgen der rechtsseitigen Unterarmfraktur eben nicht lediglich mit 0 v.H., sondern mit mindestens 5 v.H. zu bewerten sind. Zwar bewirkt ein MdE-Grad in dieser Höhe noch keine Stützrentenberechtigung im Sinne des § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII, jedoch ist sie als Wert im Rahmen der Gesamt-MdE-Schätzung verwertbar. Jedenfalls ist das Gericht der Auffassung, dass bei Vorliegen von Teil-MdE-Sätzen von 15 v.H. einerseits und 5 v.H. andererseits eine Gesamt-MdE um 20 v.H. zutreffender ist, als lediglich von einer nicht rentenberechtigendem MdE im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII von unter 20 v.H. auszugehen. Die Auswirkungen der Unfallfolgen für die Klägerin insgesamt sind als so schwerwiegend anzusehen, dass der Mindestrentenberechtigungsgrad in dieser Höhe dadurch erreicht wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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