Maßgeblichkeit des Verkaufswerts bei Berechnung des Pflichtteilsanspruchs

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

13. 03. 1991


Aktenzeichen

IV ZR 52/90


Leitsatz des Gerichts

Bei der Berechnung des Pflichtteils ist grundsätzlich von einem festgestellten Verkaufswert des Nachlasses und nicht von dessen gegebenenfalls niedrigeren „wahren oder inneren“ Wert auszugehen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten noch über die Höhe des Pflichtteils der Mutter des jetzigen Kl. nach ihrem am 3. 11. 1985 verstorbenen Sohn (Erblasser), dem Bruder des Bekl. zu 2. Der Erblasser hatte vier Geschwister, er war nicht verheiratet und hinterließ keine eigenen Nachkommen. Aufgrund Testaments vom 16. 11. 1984 wurde er von der Bekl. zu 1, der jetzt 12 Jahre alten Tochter seines Bruders allein beerbt. Bis zur Volljährigkeit der Erbin besteht Testamentsvollstreckung; Testamentsvollstrecker ist der Vater der Erbin, der Bekl. zu 2. Mit der Klage verlangte die Mutter des Erblassers ihren Pflichtteil in Höhe von einem Viertel des Wertes des Nachlasses. Zum Nachlass des Sohnes gehörte außer einem Grundstück in M. im Wert von 110000 DM und Inventar im Wert von 86240 DM der 11,6910 ha große Grundbesitz in F., den die (schon damals verwitwete) Mutter auf den Erblasser aufgrund notariellen Übergabevertrages vom 12. 1. 1967 gegen einen Austrag für sie und eine Ausstattung für den Bekl. zu 2 übertragen hatte. 11,4460 ha von diesem Grundbesitz in F. benötigte die Flughafen München GmbH im Zusammenhang mit der Errichtung des Flughafens München II. Aufgrund notariellen Vertrages vom 5. 5. 1986 tauschten die Bekl. und die Flughafengesellschaft dieses Gelände gegen einen rund 4 ha großen Grundbesitz in M. und eine Auszahlung von 2349958,95 DM. Dabei wurde der eingetauschte Grundbesitz des Erblassers einschließlich der dort befindlichen Bodenvorräte (Kies) ausdrücklich mit 3621237 DM bewertet. Aufgrund dessen hat die Mutter den gesamten Nachlass ihres Sohnes L zum Todestag mit 3986240 DM bewertet und ihren Pflichtteil auf insgesamt 996580 DM beziffert. Unter Abzug einer Zahlung von 84156 DM hat sie insoweit beantragt, die Bekl. zu 1 zur Zahlung von 912404 DM nebst Zinsen und den Bekl. zu 2 zur Duldung der Zwangsvollstreckung zu verurteilen.

LG und OLG haben den Pflichtteilsanspruch nur in Höhe von 649060 DM nebst Zinsen für begründet gehalten, demgemäß nur zur Zahlung von 564904 DM nebst Zinsen und zu entsprechender Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt. Die Revision verfolgt den Zahlungs- und den Duldungsanspruch wegen des aberkannten Pflichtteils von weiteren 347500 DM nebst Zinsen weiter. Im Laufe des Revisionsverfahrens ist die Mutter verstorben und von ihren vier Söhnen J, L, F und dem Bekl. zu 2 kraft Gesetzes beerbt worden. F setzt den Rechtsstreit auf der Klägerseite allein fort. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung, soweit die Berufung der früheren Kl. zurückgewiesen worden ist.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Fortsetzung des Rechtsstreits durch nur einen von mehreren Miterben der früheren Kl. ist rechtlich unbedenklich (§ 2039 BGB, vgl. BGHZ 14, 251 = NJW 1954, 1523 = LM § 239 ZPO Nr. 3; BGHZ 23, 207 = LM 1957, 906 = LM § 355 ZPO Nr. 1). Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer., soweit die Berufung der früheren Kl. zurückgewiesen worden ist.

Bei der Bewertung des an die Flughafen München GmbH übereigneten Grundbesitzes legt das BerGer. in Übereinstimmung mit dem LG und dem von diesem beauftragten Sachverständigen nicht die Zahlen zugrunde, die in dem Tauschvertrag vom 5. 5. 1986 angeführt sind. Stattdessen gehen beide Vorinstanzen von dem „gemeinen wahren oder inneren Wert“ aus, den sie nach Abzug der dinglichen Belastungen mit 2400000 DM ansetzen. Dabei legt das BerGer. Wert auf den Umstand, dass nur ein einziger Anbieter vorhanden gewesen sei, nämlich die Flughafengesellschaft. Diese habe möglichst rasch in den Besitz der Grundstücke kommen wollen und sei daher bereit gewesen, auch mehr zu zahlen, als dem inneren Wert entsprochen habe. Der innere Wert könne auch niedriger sein als der tatsächlich erzielte Erlös. In dem Urteil des LG heißt es dazu weiter, der Verkaufsmarkt im Zusammenhang mit der Errichtung des Flughafens München II sei ein vorübergehender Sondermarkt gewesen, der nicht den inneren Wert der Grundstücke widerspiegele und somit auch nicht zum Maßstab herangezogen werden könne. Den hiergegen gerichteten Angriffen der Revision der Klägerseite kann der Erfolg nicht versagt werden.

Das Pflichtteilsrecht gewährleistet dem Pflichtteilsberechtigten einen Geldanspruch in Höhe der Hälfte des Wertes seines gesetzlichen Erbteils (§ 2303 I 2 BGB). Für die Bemessung des Anspruchs stellt § 2311 I 1 BGB auf den Bestand und den Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalles ab. Entsprechend dem Grundgedanken des Gesetzes (BGHZ 14, 368 (376) = NJW 1954, 1764 = LM § 2311 BGB Nr. 3) ist der Pflichtteilsberechtigte demnach wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tode des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Abzustellen ist demgemäß auf den so genannten gemeinen Wert, der dem Verkaufswert entspricht (BGHZ 14, 376 = NJW 1954, 1764 = LM § 2311 BGB Nr. 3). Deshalb hat der Senat ausgesprochen, dass der Tatrichter sich bei der Bewertung eines Unternehmens, das etwa ein Jahr nach dem Bewertungsstichtag verkauft worden ist, an dem Verkaufserlös orientieren darf, wenn wesentliche Veränderungen des Marktes in der Zwischenzeit nicht ersichtlich sind (NJW 1982, 249 = LM § 2311 BGB Nr. 14). Dementsprechend hätte auch im vorliegenden Fall der Erlös berücksichtigt werden müssen, den die Bekl. aus der Veräußerung des Grundbesitzes an die Flughafengesellschaft etwa sechs Monate nach dem Erbfall erzielt haben.

Wenn das BerGer. demgegenüber auf den „wahren oder inneren“ Wert abstellen will, dann kann der Senat das nicht billigen. Der „wahre innere Wert“ ist eine Denkfigur, mit deren Hilfe der BGH bei außergewöhnlichen Preisverhältnissen unter Ausnahmebedingungen (Stopp-Preise; Chruschtschow-Ultimatum und Berliner Grundstückspreise) unangemessenen Ergebnissen im Interesse der Pflichtteilsberechtigten entgegenzuwirken versucht hat (BGHZ 13, 45 (47) = NJW 1954, 1037 = LM § 2311 BGB Nr. 2; BGH, NJW 1965, 1589 = LM § 2311 BGB Nr. 6; aber BGHZ 13, 378 (392)). Einer Herabsetzung eines festgestellten Verkaufswertes auf einen darunter liegenden fiktiven „inneren“ Wert zum Nachteil von Pflichtteilsberechtigten ist der Senat jedoch entgegengetreten (NJW 1987, 1260 (1262 unter C II) = LM § 2312 BGB Nr. 6/7, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 98, 382). Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes.

Ausnahmebedingungen, die es rechtfertigen könnten, im erbrechtlichen Bewertungsrecht die (relativ) gesicherte Ebene tatsächlich erzielter Verkaufserlöse zu verlassen, liegen überdies nicht vor. Es liegt auf der Hand, dass der Grundstücksbedarf für das Großprojekt Flughafen München II die Grundstückspreise in E. und Umgebung in die Höhe getrieben und auch sonst preissteigernde Auswirkungen gehabt hat und noch haben kann. Das ist aber kein Grund, den Pflichtteilsberechtigten von dem Vorteil auszuschließen, der dem betreffenden Grundstückserben infolgedessen mit dem Tode des Erblassers zugefallen ist.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der tatsächlich erzielte Erlös mit Rücksicht auf die Entwicklung der Grundstückspreise seit dem Erbfall - auch im Hinblick auf den Grundstücksbedarf der Flughafengesellschaft - zu korrigieren ist.

Rechtsgebiete

Erbrecht