Maßgeblichkeit des Verkaufswerts bei Berechnung des Pflichtteils
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
24. 03. 1993
Aktenzeichen
IV ZR 291/91
Bei der Berechnung des Pflichtteils ist zu ermitteln, welchen Verkaufserlös der Nachlass am Tage des Erbfalles erbracht hätte; dabei ist ein von den Erben tatsächlich bereits erzielter Verkaufserlös zu berücksichtigen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten noch über die Höhe des Pflichtteils der Mutter des Kl. nach ihrem am 3. 11. 1985 verstorbenen Sohn L (Erblasser), dem Bruder des Kl. und der Bekl. zu 2. Der Erblasser hatte vier Geschwister, er war nicht verheiratet und hinterließ keine eigenen Nachkommen. Aufgrund Testaments vom 16. 11. 1984 wurde er von der Bekl. zu 1, der jetzt 14 Jahre alten Tochter des Bekl. zu 2 allein beerbt. Bis zur Volljährigkeit der Erbin besteht Testamentsvollstreckung; Testamentsvollstrecker ist der Bekl. zu 2. Mit der Klage verlangte zunächst die Mutter des Erblassers ihren Pflichtteil in Höhe von einem Viertel des Wertes des Nachlasses. An die Stelle der im Laufe des Rechtsstreits verstorbenen Mutter ist deren Sohn F als einer ihrer Miterben in den Rechtsstreit eingetreten und führt diesen seitdem auf der Klägerseite alleine fort. Zum Nachlass gehörte außer einem Grundstück in M. im Wert von 110000 DM und Inventar im Wert von 86240 DM der 11,6910 ha große Grundbesitz in F., den die (schon damals verwitwete) Mutter auf den Erblasser aufgrund notariellen Übergabevertrages vom 12. 1. 1967 gegen einen Austrag für sie und eine Ausstattung für den Bekl. zu 2 übertragen hatte. 11,4460 ha von diesem Grundbesitz in F. benötigte die Flughafen M. GmbH im Zusammenhang mit der Errichtung des Flughafens M. II. Aufgrund notariellen Vertrages vom 5. 5. 1986 tauschten die Bekl. und die Flughafengesellschaft dieses Gelände gegen einen rund vier Hektar großen Grundbesitz in M. und eine Auszahlung von 3349958,95 DM. Dabei wurde der eingetauschte Grundbesitz des Erblassers einschließlich der dort befindlichen Bodenvorräte (Kies) ausdrücklich mit 3621237 DM bewertet. Aufgrund dessen hat die Mutter den gesamten Nachlass ihres Sohnes L zum Todestag mit 3986240 DM bewertet und ihren Pflichtteil auf insgesamt 996580 DM beziffert. Unter Abzug einer Zahlung von 84156 DM hat sie insoweit beantragt, die Bekl. zu 1 zur Zahlung von 912404 DM nebst Zinsen und den Bekl. zu 2 zur Duldung der Zwangsvollstreckung zu verurteilen. Das LG und zunächst auch das OLG haben den Pflichtteilsanspruch nur in Höhe von 649060 DM nebst Zinsen für begründet gehalten, demgemäß nur zur Zahlung von 564904 DM nebst Zinsen und zu entsprechender Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt.
Auf die dagegen gerichtete Revision hat der erkennende Senat das erste Berufungsurteil aufgehoben (NJW-RR 1991, 900 = WM 1991, 1352). Nunmehr hat das OLG die Bekl. zu 1 zur Zahlung weiterer 347500 DM nebst Zinsen an die Erben der Mutter und den Bekl. zu 2 zu entsprechender Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt. Auch die erneute Revision der Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung, diesmal an einen anderen Senat des OLG.
Auszüge aus den Gründen:
... 1. Das BerGer. begründet seine Entscheidung zunächst wie folgt:
Das angeführte Revisionsurteil des Senats stelle für das BerGer. bindend fest, neben den übrigen Werten sei die gesamte Auszahlung von 3349958,95 DM durch die Flughafengesellschaft der Berechnung des eingeklagten Pflichtteilsanspruchs zugrunde zu legen und dem Kl. daher weitere 347500 DM zuzuerkennen. Die gesamte Wertberechnung durch das LG und durch das erste Berufungsurteil seien bindend festgestellt. Diese Auffassung ist rechtsfehlerhaft.
2. Hebt das Revisionsgericht ein Berufungsurteil auf und verweist es die Sache an das Berufungsgericht zurück, dann ist dieses dadurch zwar in gewisser Weise gebunden. Die Bindung hat aber einen anderen Umfang als das BerGer. meint. Es hat gem. § 565 II ZPO lediglich diejenige rechtliche Beurteilung zugrunde zu legen, auf der die Aufhebung beruht (vgl. z. B. Walchshöfer, in: MünchKomm, § 565 Rdnr. 9 ff.). Das bedeutet hier aber nur, dass das BerGer. auch im vorliegenden Fall nicht auf einen fiktiven „wahren oder inneren“ Wert, sondern auf den so genannten gemeinen Wert abzustellen hat, der dem Verkaufswert entspricht.
Dementsprechend hatte das BerGer. auch hier den Erlös zu berücksichtigen, den die Bekl. aus der Veräußerung an die Flughafengesellschaft erzielt haben. Das bedeutet aber nicht, dass das BerGer. den genannten Erlös schlicht hatte zugrunde legen dürfen. Ihm war vielmehr ausdrücklich aufgegeben zu prüfen, ob und in welchem Umfang der tatsächlich erzielte Erlös mit Rücksicht auf die Entwicklung der Grundstückspreise seit dem Erbfall - auch im Hinblick auf den Landbedarf der Flughafengesellschaft - zu korrigieren ist.
3. Diese Entwicklung hat das BerGer. gleichwohl nicht aufgeklärt. Es hat sich vielmehr damit begnügt, dass der vom LG hinzugezogene Sachverständige bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 2. 12. 1988 angegeben habe, zwischen dem Erbfall am 3. 11. 1985 und dem Tauschvertrag am 5. 5. 1986 seien keine relevanten Änderungen des Grundstückswertes eingetreten. Indessen rügt die Revision hierzu mit Recht, dass der Sachverständige sich damals nicht dazu geäußert hat, wie sich die von der Flughafengesellschaft gezahlten Preise in der entscheidenden Zeit entwickelt haben. Er hat vielmehr deutlich zwischen (innerem) „Wert“ und „Preis“ unterschieden und nur relevante Änderungen des „inneren Wertes" in dem vom BGH verworfenen Sinne verneint. In dem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige die Preisentwicklung aufgrund des Erwerbsinteresses der Flughafengesellschaft als ungewöhnlichen Geschäftsverkehr sogar ausdrücklich unberücksichtigt gelassen.
Die nötige Prüfung fehlt damit nach wie vor. Das BerGer. erklärt es sogar expressis verbis für unerheblich, ob die Flughafengesellschaft am Todestag weniger bezahlt hätte. Der Beweisantrag der Bekl., den das BerGer. abgelehnt hat, ging dahin, dass zu diesem Stichtag nur 2400000 DM zugrunde gelegt worden wären. Im Hinblick darauf, dass die Bekl. selbst zu den von der Flughafengesellschaft gezahlten und angebotenen Preisen in der Zeit zwischen Erbfall und Tauschvertrag nicht viel wissen und vortragen können, kann diese Behauptung noch als erheblich angesehen werden. Dieser Beweis hätte erhoben werden müssen, und zwar gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines erfahrenen Grundstückssachverständigen. Wenn sich das BerGer. zur Ablehnung des Beweisantrages darauf beruft, der BGH habe bindend festgestellt, Ausnahmebedingungen lägen nicht vor, es dürfe sich daher von dem tatsächlich erzielten Erlös nicht lösen, dann ist das ein Missverständnis und rechtsfehlerhaft. Dem BerGer. war vielmehr - wie bereits angeführt - hierzu eine zusätzliche Prüfung aufgegeben worden. Diese hatte sich gerade auch auf die tatsächliche Entwicklung der Grundstückspreise seit dem Erbfall zu erstrecken. Damit wäre die Ebene der tatsächlich erzielten Verkaufserlöse nicht verlassen worden, sondern die erforderliche Beweisaufnahme hätte gerade erst die Möglichkeit geboten, diese Ebene durch entsprechendes Zahlenmaterial zu erreichen. Sind die von der Flughafengesellschaft oder anderen Interessenten in der Zeit zwischen Erbfall und Tauschvertrag vereinbarten oder gebotenen Preise für vergleichbare Grundstücke nennenswert gestiegen, wie das hier behauptet wird, dann wird der Erlös gemäß Tauschvertrag vom 5. 5. 1986 nicht ohne entsprechenden Abschlag zugrunde gelegt werden dürfen. Auf das alles hatten die Bekl. mit Schriftsatz vom 1. 7. 1991 hingewiesen.
4. Die Bekl. haben Gelegenheit, vor dem BerGer. dazu vorzutragen, auf dem Grundbesitz habe eine latente Steuerlast (§§ 14 , 16 EStG) gelegen, die dessen Wert um 800000 DM gemindert habe (vgl. dazu z. B. BGHZ 498, 382 (389) = NJW 1987, 1260 = LM § 2312 BGB Nr. 6/7; NJW 1991, 1547 = LM § 1375 BGB Nr. 13, Bl. 7 unter 9).
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