Ermittlung des Wertes fünf Jahre nach Erbfall verkaufter Grundstücke

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Teilurteil


Datum

14. 10. 1992


Aktenzeichen

IV ZR 211/91


Leitsatz des Gerichts

Wenn Nachlassgrundstücke fünf Jahre nach dem Erbfall erheblich teurer als von Sachverständigen geschätzt veräußert werden, die Pflichtteilsberechtigte im wesentlichen unveränderte Marktverhältnisse seit dem Erbfall nachweist und die Erben keine wesentliche Veränderung der Bausubstanz in der Zwischenzeit darlegen können, ist der Verkehrswert der Grundstücke grundsätzlich aus den tatsächlich erzielten Preisen unter Berücksichtigung der allgemeinen Entwicklung der Bodenpreise rückschließend zu bestimmen (Weiterentwicklung von BGH, NJW-RR 1991, 900 = WM 1991, 1352).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist das einzige Kind des am 1. 8. 1983 gestorbenen Erblassers. Er fordert den Pflichtteil am Nachlass seines Vaters. Die Bekl. sind dessen testamentarische Erben bzw. deren Rechtsnachfolger. Die Parteien streiten vor allem um die Bewertung von Grundstücken, die am 22. 4. 1988 im Wege der Teilungsversteigerung veräußert worden sind. Die dabei erzielten Erlöse liegen weit über den Werten, die von Sachverständigen sowohl für den Zeitpunkt des Erbfalls als auch für den der Versteigerung geschätzt worden waren. Der Kl. meint, für die Berechnung seines Pflichtteils sei von den tatsächlich erreichten Preisen auszugehen. Die Bekl. berufen sich dagegen auf die Sachverständigengutachten für den Zeitpunkt des Erbfalls. Darin sind ihnen die Vorinstanzen gefolgt und haben den weitergehenden Anspruch des Kl. abgewiesen.

Mit der Revision verfolgt er diesen Anspruch in Höhe von 525121,86 DM weiter. Er stützt ihn auch darauf, dass das BerGer. zu Unrecht Mietkaution, ein angebliches Darlehen der Schwester des Erblassers sowie Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten abgesetzt habe. In Höhe von 459475 DM führte die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung; im Übrigen blieb sie erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. 1. Nach Auffassung des BerGer. sind die bei der Teilungsversteigerung erzielten Erlöse hier schon deshalb nicht maßgebend, weil es gem. § 2311 I 1 BGB auf den Wert zur Zeit des Erbfalls ankommt.

Zwar sei es denkbar, diesen Wert zu ermitteln, indem mit Hilfe eines Sachverständigen aus den fünf Jahre später erreichten Versteigerungsergebnissen zurückgeschlossen werde. Dem Gesetz entspreche aber eine unmittelbar auf den Erbfall bezogene Bewertung, die nicht durch Unsicherheiten infolge späterer Veränderungen an den Objekten und am Markt belastet sei. Es gebe auch keinen Erfahrungssatz, dass der Verkehrswert regelmäßig dem bei einer Versteigerung erzielten Erlös entspreche. Jedenfalls stehe im vorliegenden Fall aufgrund der Beweisaufnahme fest, dass die Versteigerungserlöse übersetzt seien. Bei dem Anwesen T-Straße müsse die Spekulation mit der - später tatsächlich erfolgten - Umwandlung in Wohnungseigentum eine Rolle gespielt haben. Die Ersteigerer des mindestens 250 Jahre alten, unter Denkmalschutz stehenden Schlosses H. seien unerfahren und daher bereit gewesen, einen angesichts notwendiger Sanierungsmaßnahmen unrealistischen Preis zu bezahlen. Ob es schon beim Erbfall Interessenten gegeben habe, die dieselben Preise wie bei der Versteigerung im Jahre 1988 zu zahlen bereit gewesen wären oder entsprechend der Entwicklung der Baupreise geringfügig weniger, sei nach Auffassung des Sachverständigen nicht zu beurteilen.

2. Diese Würdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Zwar ist eine bestimmte Wertberechnungsmethode für die Ermittlung des Nachlasswertes gem. § 2311 BGB nicht vorgeschrieben (BGH, NJW 1972, 1269 = LM § 2311 BGB Nr. 7). Nach dem Grundgedanken des Gesetzes ist der Pflichtteilsberechtigte aber wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tode des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Deshalb hat der Senat ausgesprochen, dass sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die bald nach dem Erbfall veräußert worden sind, von außergewöhnlichen Verhältnissen abgesehen, grundsätzlich an dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren muss. Dafür war einmal die Erwägung maßgebend, dass es nicht gerechtfertigt sei, im erbrechtlichen Bewertungsrecht die (relativ) gesicherte Ebene tatsächlich erzielter Verkaufserlöse zu verlassen. Weiter hat der Senat auch keinen Grund gesehen, den Pflichtteilsberechtigten von dem Vorteil auszuschließen, der durch einen tatsächlich erfolgten Verkauf den Grundstückserben zugefallen ist (NJW-RR 1991, 900 = WM 1991, 1352 (1353); vgl. schon NJW 1982, 2497 = LM § 2311 BGB Nr. 14 = WM 1982, 692 unter 4c).

b) Im vorliegenden Fall sind die Grundstücke des Erblassers erst fast fünf Jahre nach seinem Tod veräußert worden. Dieser zeitliche Abstand vom Bewertungsstichtag ist zwar so groß, dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, entsprechende Erlöse hätten schon zur Zeit des Erbfalls erzielt werden können. Wenn der Pflichtteilsberechtigte aber beweist oder es sonst ersichtlich ist, dass die Marktverhältnisse seit dem Erbfall im wesentlichen unverändert geblieben sind, und die Erben auch keine wesentliche Veränderung der Bausubstanz darlegen können, behält der tatsächlich erreichte Verkaufspreis auch nach fünf Jahren noch Aussagekraft für die Ermittlung des Verkehrswerts im Zeitpunkt des Erbfalls. Eine Bewertung, die an einem konkreten Verkauf des betreffenden Gegenstandes anknüpfen kann, verdient den Vorzug vor einer Schätzung, die sich nur an allgemeinen Erfahrungswerten orientiert. Hier ist für den Zeitpunkt des Erbfalls der Verkehrswert des Anwesens T-Straße auf 652000 DM und des Schlosses H. auf 425000 DM geschätzt worden; ersteigert wurde ersteres für 1020000 DM und letzteres für 898000 DM. Wie gerade diese großen Unterschiede belegen, sind auf dem Markt unter Umständen Preise zu erzielen, die auch Sachverständige nicht erwartet haben. Umgekehrt bleibt der tatsächlich erreichte Preis auch dann ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Schätzung des Verkehrswerts gem. § 287 ZPO, wenn er niedriger ausfällt als anhand allgemeiner Erfahrungswerte zu erwarten gewesen wäre.

c) Die hier erzielten Preise sind nicht etwa deshalb für die Schätzung außer Betracht zu lassen, weil sie in einer Versteigerung zustande gekommen sind. Der Gesetzgeber hat zwar in §§ 74a, 85a, 114a ZVG die Möglichkeit ins Auge gefasst, dass eine Versteigerung nicht den nach Anhörung von Sachverständigen festgesetzten Verkehrswert erbringt. Wenn der Versteigerungserlös aber wie hier weit über den von Sachverständigen geschätzten Werten liegt, ist er jedenfalls ein nicht zu vernachlässigender Anhaltspunkt dafür, dass sich ein ähnlicher Preis auch bei freihändiger Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ergeben hätte. Dazu bedarf es näherer Prüfung der Gründe, die zu dem Versteigerungsergebnis geführt haben.

d) Das Miethaus T-Straße in A. ist von dem Ersteigerer in Wohnungseigentum umgewandelt worden. Dazu hat der Kl. ausgeführt, bei einem derartigen Objekt liege die Annahme fern, dass die Nachfrage und der darauf zurückzuführende Preis im Zeitpunkt des Erbfalles wesentlich geringer gewesen sei. Die Bekl. haben dargelegt, dass es in den letzten Jahren zu einem Boom beim Verkauf von Eigentumswohnungen in A. gekommen sei. Bei der Versteigerung seien mehrere Interessenten aufgetreten, die sich ständig überboten hätten, insbesondere außer dem Erwerber auch eine Bietgemeinschaft aus Mietern des Hauses.

Wenn die Umwandlung des Miethauses in Wohnungseigentum in A. schon im Zeitpunkt des Erbfalls rechtlich zulässig war, tatsächlich durchführbar erschien und interessierten Anlegern genügend Anreiz bot, ist sie als wertbildende Nutzungsmöglichkeit dieses Objekts anzuerkennen und bei der Schätzung des Verkehrswerts zu berücksichtigen (in diesem Sinne auch Soergel-Dieckmann, BGB, 12. Aufl., § 2311 Rdnr. 33). Dann kann von einer nur spekulativen Erwartung, von der das BerGer. ohne weitere Feststellungen ausgegangen ist, nicht die Rede sein (zur Abgrenzung vgl. BGHZ 39, 198 (204 f.) = NJW 1963, 1492 = LM Art. 14 (Ea) GrundG Nr. 63a; BGH, NVwZ 1983, 116 = LM § 51 BBauG Nr. 3 = WM 1982, 878 unter II 5).

e) Bei dem Schloss H. handelt es sich um ein historisches Bauwerk, das etwa acht Kilometer vom Stadtzentrum A. entfernt auf dem Land liegt. Ausweislich des Versteigerungsprotokolls gab es neben den Erstehern jedenfalls einen Mitbieter, dem es fast den gleichen Preis wert gewesen wäre. Einer der Ersteher hat als Zeuge ausgesagt, er habe mit dem Erblasser über den Verkauf gesprochen. Danach liegt eher fern, dass der Preis von 898000 DM auf einem ungewöhnlichen, persönlichen Liebhaberinteresse der Erwerber beruhen könnte (dazu vgl. BGHZ, 76, 274 = NJW 1980, 1633 = LM § 57 BBauG Nr. 4 unter II 3e; BGH, NVwZ 1991, 404 = LM Art. 14 (Ea) GrundG Nr. 131 = BGHRBauGBB § 194 - Wertermittlung 1). Vielmehr wird zu prüfen sein, ob für derartige repräsentative Objekte in Großstadtnähe nicht mit finanzkräftigen Kaufinteressenten zu rechnen war, im Hinblick auf die sich eine von allgemeinen Erfahrungswerten abweichende Bestimmung des Verkehrswerts rechtfertigt (vgl. BGH, NJW 1992, 2880, unter 3 e).

3. Bei dieser Sachlage spricht einiges dafür, dass die bei der Versteigerung deutlich gewordenen Kaufinteressen schon im Zeitpunkt des Erbfalls mit wertbestimmend waren und etwaige Kaufpreise ebenfalls weit über die geschätzten Werte hinaus getrieben hätten. Aus dem Gutachten des Sachverständigen B vom 1. 10. 1990 geht hervor, dass die Gebäude seit dem Erbfall baulich nicht verbessert worden sind, sondern Mängel und Überalterungserscheinungen aufweisen, die schon zum Zeitpunkt des Erbfalls vorgelegen haben müssen. Ergeben sich auch nach erneuter Verhandlung der Sache keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine abweichende Würdigung, ist der Verkehrswert der Grundstücke beim Erbfall aus den 1988 erzielten Versteigerungserlösen anhand der allgemeinen Entwicklung der Bodenpreise rückschließend zu bestimmen.

II. 1. Ferner rügt die Revision mit Recht, dass die Feststellungen des BerGer. seine Auffassung nicht tragen, die Kautionen der Mieter des Anwesens T-Straße sowie des Schlosses H. seien vom aktiven Nachlasswert abzusetzen. Aus den Angaben des BerGer. über das als Aktivnachlass berücksichtigte Bankguthaben des Erblassers geht nicht hervor, dass die Mietkautionen dort eingerechnet sind. Es ist auch nicht festgestellt worden, dass der Erblasser die Kautionen etwa für sich verbraucht oder zweckentfremdet hätte. Wenn sie getrennt vom Vermögen des Erblassers angelegt worden sind, wie es § 550b II BGB vorschreibt, der allerdings erst durch das Gesetz vom 20. 12. 1982 (BGBl I, 1912) eingeführt und am 1. 1. 1983 in Kraft getreten ist, bleiben die Kautionen für die Ermittlung des Nachlasswertes außer Betracht. Auch insoweit bedarf es weiterer Aufklärung.

2. Im Übrigen hat das BerGer. nach Vernehmung der Zeugen S und M rechtsfehlerfrei festgestellt, dass als Nachlassverbindlichkeit ein Darlehen der Schwester des Erblassers zu berücksichtigen sei.

3. Schließlich greifen auch die Rügen der Revision gegen den Abzug der Steuerschulden nicht durch.

a) Aus dem Schreiben des Finanzamts vom 19. 8. 1987 konnte das BerGer. entnehmen, dass die Steuerforderungen nicht erst die Erben, sondern schon den Erblasser betrafen. Das kann jedoch offen bleiben. Selbst wenn ein Geschäftsbetrieb erst nach dem Erbfall veräußert oder aufgegeben und damit die Verpflichtung begründet wird, stille Reserven zu versteuern, ist die latente Steuerlast schon bei der Ermittlung des Nachlasswertes zu berücksichtigen, wenn die Veräußerung oder Aufgabe des Geschäftsbetriebs in engem Zusammenhang mit dem Erbfall steht (BGH, NJW 1972, 1269 f. = LM § 2311 BGB Nr. 7; BGHR BGB § 2311 Abs. 1 Satz 1 - Unternehmensbewertung 1; BGHZ 98, 382 ff. = NJW 1987, 1260 = LM § 2312 BGB Nrn. 6/7 unter B III). Da im vorliegenden Fall die Steuerschuld im Hinblick auf die Person des Erblassers festgesetzt worden ist, konnte sie in vollem Umfang wie eine Nachlassverbindlichkeit abgesetzt werden.

b) Dabei ist ohne Belang, inwieweit die Steuerlast auf den Verlagsbetrieb des Erblassers zurückgeht, da er nach den Feststellungen des BerGer. dessen Alleininhaber war. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Auffassung der Vorinstanzen, die Vereinbarung der Parteien über die Bewertung des Verlages mit Null beziehe sich nur auf den Bestand an Büchern und einen etwaigen Geschäftswert, nicht aber auf das Betriebsgrundstück und die Steuerlast, rechtsfehlerhaft wäre.

III. Damit belaufen sich die Nachlassverbindlichkeiten, die der Kl. hingenommen hat (Darlehen Bank 70000 DM und Darlehen Stadtsparkasse 151239,61 DM) und die er ohne Erfolg angreift (Darlehen 33292,12 DM und Finanzamt 98001,59 DM), auf zusammen 352533,32 DM. Den Aktivnachlass beziffert die Revision auf 2505656,75 DM. Demnach errechnet sich der Pflichtteil des Kl. auf (2505656,75 - 352533,32 DM = 2153123,43 DM : 2 =) 1076561,71 DM. Darauf haben die Bekl. 550000 DM gezahlt. Das BerGer. hat sie zu weiteren 67086,71 DM verurteilt. Mithin können sich im weiteren Verfahren nur noch 459475 DM als begründet erweisen. Soweit die Revision mehr fordert (525121,86 DM), bleibt sie ohne Erfolg.

Rechtsgebiete

Erbrecht