Beseitigung eines Baumes mit zu nahem Grenzabstand

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisions-Teil-Versäumnis- und Schlussurteil


Datum

12. 12. 2003


Aktenzeichen

V ZR 98/03


Leitsatz des Gerichts

Ein Störer kann nicht nur dann zu einer konkreten Maßnahme verurteilt werden, wenn allein diese Maßnahme den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet, sondern auch, wenn weitere Maßnahmen zwar möglich sind, vernünftigerweise aber nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden können.


Ergänzende Leitsätze der Kanzlei Prof. Schweizer:

  1. Gehen von einem zu grenznahe gepflanzten Baum zunächst keine Störungen aus, besteht weder ein Unterlassungsanspruch, noch kann ein solcher Anspruch verjähren. Der Abwehranspruch nach § 1004 BGB beginnt erst mit der ersten Störung zu verjähren. Der Unterlassungsanspruch verjährt nicht vor seiner Entstehung.

  2. Der Störer, den eine Unterlassungspflicht trifft, schuldet das erforderliche positive Tun. Der Störer kann in der Regel zwischen verschiedenen zur Abhilfe geeigneten Maßnahmen wählen. Es bleibt dabei grundsätzlich dem Störer überlassen, auf welchem Weg er die bevorstehenden Eigentumsbeeinträchtigungen abwendet. Etwas anderes gilt nur, wenn es keine möglichen Alternativen gibt.

  3. Derjenige, dessen Eigentum beeinträchtigt wird, kann vom Störer nicht nur ein allgemeines Unterlassenen der Störung, sondern ein konkretes Tun verlangen (hier: Entfernung des Baums), wenn es zu diesem konkreten Tun keine anderen vernünftigen Alternativen gibt. In einem solchen Fall ist ein Klageantrag, der auf ein konkretes Tun gerichtet ist, zulässig und begründet.

  4. Verursacht ein zu grenznahe gepflanzte Baum bei bestimmtem Winddruck Risse an der Nachbargarage, kann der Garageneigentümer mangels anderer Alternativen das Entfernen des Baumes einklagen. Der Baumeigentümer ist Störer i. S. v. § 1004 BGB, wenn ihn eine Sicherungspflicht trifft. Dies ist stets dann der Fall, wenn der streitgegenständliche Baum unter Verletzung der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen zum Grenzabstand unterhalten wird.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Kl. werden das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Kassel vom 6. 3. 2003 aufgehoben und das Urteil des AG Kassel vom 21. 11. 2001 abgeändert, soweit diese Urteile zum Nachteil der Kl. ergangen sind.

Über die bereits erfolgte Verurteilung hinaus wird die Bekl. zu 2 verurteilt, den auf dem Grundstück K. straße 3 in K. an der westlichen Grundstücksgrenze im Abstand von ca. 2,75 m zur nördlichen Grundstücksgrenze unmittelbar neben der Garage des Grundstücks H. straße 18 in K. stehenden Nadelbaum zu entfernen.

Die Revisionen der Bekl. werden als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz tragen die Bekl. zu 1 zu 5/8 und die Bekl. zu 2 zu 3/8; die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Bekl. zu 1 zu 6/11 und die Bekl. zu 2 zu 5/11.

Das Urteil ist im Hauptausspruch und hinsichtlich 1/6 der von der Bekl. zu 2 zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand


Tatbestand:

Die Kl. ist Eigentümerin eines Hausgrundstücks in K. . Das benachbarte Grundstück stand zunächst im Eigentum der Bekl. zu 1; seit dem 25. 10. 2000 ist die Bekl. zu 2 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Auf dem Nachbargrundstück befindet sich nahe der gemeinsamen Grundstücksgrenze eine 17,5 m hohe Rotfichte. Von der Stammmitte aus gemessen ist der Baum 0,75 m von der Außenwand einer Garage entfernt, die auf dem Grundstück der Kl. entlang der Grenze errichtet ist.

An der grenzseitigen Garagenwand sowie an einer neben der Garagenzufahrt verlaufenden Stützmauer zu dem höher gelegenen Nachbargrundstück bildeten sich Risse. Deren Ursache sieht die Kl. in dem Wurzelwerk der Fichte auf dem Nachbargrundstück. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt sie beide Bekl. in erster Linie auf Entfernung dieses Baumes und hilfsweise auf geeignete Maßnahmen zur Verhinderung von Schäden durch den Baum und dessen Wurzeln in Anspruch. Daneben hat sie von der Bekl. zu 1 die Zahlung von 2.000 DM sowie gegenüber beiden Bekl. die Feststellung von deren Verpflichtung zu Schadensersatz verlangt. Das AG hat die Bekl. zu 1 zur Beseitigung der Rotfichte und Durchtrennung der im Boden verbleibenden Wurzeln verurteilt; es hat ferner dem Zahlungsantrag und - hinsichtlich der Verzugsschäden - dem Feststellungsantrag gegenüber der Bekl. zu 1 stattgegeben. Die Bekl. zu 2 hat das AG nur auf den Hilfsantrag zu geeigneten Maßnahmen der Schadensverhinderung verurteilt und ferner deren Ersatzpflicht für Schäden seit ihrem Eigentumserwerb festgestellt. Gegen dieses Urteil haben beide Bekl. mit dem Ziel vollständiger Klageabweisung sowie die Kl. mit dem Ziel der Verurteilung der Bekl. zu 2 auf den Hauptantrag jeweils ohne Erfolg Berufung eingelegt. Mit ihrer Revision erstrebt die Kl. weiterhin eine Verurteilung der Bekl. zu 2 zur Entfernung der Fichte. Die von den Bekl. eingelegten Revisionen sind nicht begründet worden.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

I.

Das BerGer. meint, die Bekl. zu 1 sei auf Grund einer Vereinbarung mit der Kl. zur Beseitigung der Fichte und zur Zahlung von 2.000 DM verpflichtet. Da sie mit der Erfüllung ihrer Verpflichtungen in Verzug geraten sei, müsse sie außerdem den hierdurch entstandenen Schaden ersetzen. Gegenüber der Bekl. zu 2 ergebe sich ein Beseitigungsanspruch der Kl. aus § 1004 I BGB. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten habe das Wurzelwerk des Baumes an der Mauer einen „Druckstempel“ ausgebildet, der sich bei Einwirkung von Windenergien auf den Baum gegen die Garagenwand presse. Der Beseitigungsanspruch sei weder durch die Aus- schlußfristen des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes gehindert noch gem. § 195 BGB a.F. verjährt. Hinsichtlich Art und Weise der Beseitigung der Eigentumsbeein-trächtigung habe die Bekl. zu 2 allerdings ein Wahlrecht. Ihre Verpflichtung dürfe nicht auf die Beseitigung des Baumes verengt werden, weil dies nicht die einzige insoweit in Betracht kommende Möglichkeit sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen reiche es etwa aus, den Baum auf hälftiger Höhe zu kappen und in der Folgezeit für einen Rückschnitt zu sorgen, oder auch den Baum mit statisch gesichertem und stabilem Material zu umbauen.

Dies hält den Angriffen der Revision der Kl. nicht stand.


II.

Die Revisionen der Bekl. sind unzulässig, weil beide die erforderliche Begründung ihrer Rechtsmittel (§ 551 ZPO) versäumt haben. Hingegen ist die Revision der Kl. zulässig und begründet.

1. Die Statthaftigkeit der Revision der Kl. scheitert nicht an der fehlenden Zulassung des Rechtsmittels für diese Partei (§ 543 I ZPO). Zwar hätte das BerGer. die Zulassung der Revision auf die Bekl. beschränken können, nachdem es die von ihm als zulassungsrelevant angesehene Rechtsfragen der Verjährung und des Fristablaufs nach dem Hessischen Nachbarrechtsgesetz ausschließlich zu deren Ungunsten entschieden hat (vgl. BGHZ 7, 62, 63; BGHZ130, 50, 59; MünchKomm-ZPO/Wenzel, Aktualisierungsband, § 543 Rdnr. 33). Es hat jedoch in den Tenor eine solche Beschränkung nicht aufgenommen. Auch aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils, die für die Prüfung des Umfangs einer zugelassenen Revision ebenfalls heranzuziehen sind (vgl. BGHZ 48, 134, 136; BGH, Urt. v. 8. 3. 1995, VIII ZR 156/94, NJW 1995, 1481, 1482; Urt. v. 12. 7. 2000, XII ZR 159/98, NJW-RR 2001, 485, 486), ergibt sich eine Beschränkung der Zulassung der Revision nicht mit der gebotenen Deutlichkeit (vgl. Senat, Urt. v. 11. 7. 2003, V ZR 430/02, Umdruck S. 7 f, insoweit in ZOV 2003, 310 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 7. 7. 1983, III ZR 119/82, NJW 1984, 615).

2. In der Sache selbst bejaht das BerGer. zu Recht einen Abwehranspruch der Kl. gegen die Bekl. zu 2. Dieser ergibt sich allerdings nicht aus § 1004 I Satz 1 BGB, sondern als Unterlassungsanspruch aus § 1004 I Satz 2 BGB. Nicht beizutreten ist zudem der Auffassung des BerGer., mit dem Abwehranspruch könne im vorliegenden Fall nicht die Entfernung der Fichte verlangt werden.

a) Eine Beeinträchtigung des Eigentums der Kl. steht im vorliegenden Fall wegen der eingetretenen Substanzverletzung außer Frage (vgl. Senat, BGHZ 142, 66, 68). Nach den rechtsfehlerfreien - und von der Kl. als ihr günstig hingenommenen - Feststellungen des BerGer. führte das Wurzelwerk der Fichte zu Druckschäden an der Mauer der Garage auf dem Grundstück der Kl.. Die bereits eingetretenen Schäden am Mauerwerk begründen allerdings nicht die - für den Beseitigungsanspruch nach § 1004 I Satz 1 BGB erforderliche - Gegenwärtigkeit der Einwirkung. Es handelt sich hierbei vielmehr um die Folgen aus dem störenden Eingriff in das Grundeigentum der Kl., deren Beseitigung ausschließlich im Wege des Schadensersatzes verlangt werden kann (vgl. Senat, Urt. v. 1. 12. 1995, V ZR 9/94, NJW 1996, 845, 846). Demgemäß zielt der geltend gemachte Ab- wehranspruch auch auf die Ursache der Eigentumsbeeinträchtigung, die nach den getroffenen Feststellungen in dem über die Wurzeln abgeleiteten Winddruck auf den Stamm des Baumes zu sehen ist. Insoweit geht es der Kl. darum, künftige weitere Störungen ihres Eigentums in Gestalt zusätzlicher Schäden am Mauerwerk abzuwenden. Hierfür gibt das Gesetz den Unterlassungsanspruch gem. § 1004 I Satz 2 BGB. Hingegen erstrebt die Kl. nicht die Beseitigung von Baumwurzeln, die von dem Grundstück der Bekl. zu 2 her eindringen (vgl. dazu Senat, BGHZ 135, 235, 238 - Tennisplatz/ Pappelwurzel; Urt. v. 28. 11. 2003, V ZR 99/03, Umdruck S. 6, zur Veröffentlichung vorgesehen - Betonplatte/Kirschbaumwurzel). Folgerichtig hat das BerGer. auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Wurzeln der Fichte über die Grenze hinweg in das Grundstück der Kl. gewachsen sind.

Die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 I Satz 2 BGB sind erfüllt. Insbesondere spricht angesichts des bereits erfolgten rechtswidrigen Eingriffs eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der erforderlichen Wiederholungsgefahr (vgl. BGH, Urt. v. 27. 5. 1986, VI ZR 169/85, NJW 1986, 2503, 2505).

b) Der Unterlassungsanspruch richtet sich gegen die Bekl. zu 2 als Störerin. Insoweit ist unerheblich, dass sie den Baum nicht selbst angepflanzt, sondern das Grundstück bereits mit dem Baumbewuchs erworben hat, der eine weitere Beeinträchtigung des Eigentums der Kl. besorgen läßt. Auch Störungen, die allein auf natürlichen Vorgängen beruhen - wie hier der Druck des Wurzelwerks gegen die Garagenwand - können dem Grundstückseigentümer zurechenbar sein. So muss der Grundstückseigentümer z.B. dafür Sorge tragen, dass Baumwurzeln nicht über die Grenzen seines Grundstücks hinauswachsen und die Nutzung des Nachbargrundstücks beeinträchtigen. Das ergibt sich aus § 910 BGB (Senat, Urt. v. 28. 11. 2003, V ZR 99/03, Umdruck S. 7 - Betonplatte/Kirschbaumwurzel). Dringen die Wurzeln dagegen nicht in das Nachbargrundstück ein, üben sie jedoch unter dem Einfluß von Wind als zusätzlichem Naturereignis auf Grund der Hebelwirkung des Baumes einen das Nachbargrundstück schädigenden Druck aus, so kommt es nach der neueren Rechtsprechung des Senats darauf an, ob den Eigentümer des störenden Grundstücks eine „Sicherungspflicht“ trifft (Senat, Urt. v. 14. 11. 2003, V ZR 102/03, Umdruck S. 12, zur Veröffentlichung - auch in BGHZ - vorgesehen - Kiefernadeln; Urt. v. 28. 11. 2003, V ZR 99/03, Umdruck S. 7 - Betonplatte/Kirschbaumwurzel). Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, wobei u.a. entscheidend ist, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält. Von diesem Ansatz aus ist die Störereigenschaft der Bekl. zu 2 allein schon deswegen zu bejahen, weil sie den im Streit befindlichen Baum unter Verletzung der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen zum Grenzabstand (§ 38 Nr. 1 lit. b HNRG) unterhält (vgl. Senat, Urt. v. 14. 11. 2003, V ZR 102/03, Umdruck S. 13 - Kiefernadeln; zur Veröffentlichung - auch in BGHZ - vorgesehen).

c) Aus § 907 II BGB folgt kein Hindernis für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nach § 1004 I Satz 2 BGB. Die Vorschrift nimmt Bäume und Sträucher von dem Anwendungsbereich des § 907 I BGB aus (vgl. Senat, Urt. v. 16. 2. 2001, V ZR 422/99, aaO). Betrifft sie danach lediglich den speziellen Abwehranspruch nach § 907 I BGB, so kann der Regelung nichts für den hier entscheidenden allgemeinen Abwehranspruch aus § 1004 BGB entnommen werden.

d) Zu Recht hat das BerGer. die Verjährung des Unterlassungsanspruchs verneint. Hierfür ist zunächst das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung maßgebend, die vor dem 1. 1. 2002 galt (vgl. Art. 229 § 6 I Satz 2, IV Satz 1 EGBGB). Nach der Rechtsprechung des BGH unterfielen dabei die Abwehransprüche aus § 1004 BGB der dreißigjährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB a.F. (Senat, BGHZ 60, 235, 238; BGHZ 125, 56, 63; Senat, Urt. v. 8. 6. 1979, V ZR 46/78, LM § 1004 BGB Nr. 156 jeweils für den Beseitigungsanspruch; Senat, Urt. v. 22. 6. 1990, V ZR 3/89, NJW 1990, 2555, 2556, insoweit in BGHZ 112, 1 nicht abgedruckt, für den Unterlassungsanspruch). Entscheidend für den Beginn dieser Verjährung ist entgegen der Ansicht der Bekl. zu 2 nicht etwa der Zeitpunkt der Anpflanzung, sondern gem. § 198 BGB a.F. der Zeitpunkt der Entstehung des Unterlassungsanspruchs (Senat, Urt. v. 22. 6. 1990, V ZR 3/89, aaO). Das BerGer. hat hierfür zutreffend auf den Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens von Mauerwerksschäden zu Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts abgestellt. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 2000 war mithin noch keine Verjährung eingetreten, so dass mit der Rechtshängigkeit die Verjährung gem. § 209 I BGB a.F. unterbrochen wurde. Seit dem 1. 1. 2002 ist an die Stelle der Unterbrechung die Hemmung der Verjährung nach § 204 I Nr. 1 BGB n.F. getreten (Art. 229 § 6 II EGBGB). Es führt hier im übrigen zu keinem anderen Ergebnis, wenn mit der Gegenauffassung eine Verjährung des Unterlassungsanspruchs, weil dieser nur künftige Beeinträchtigungen abwenden solle, schlechthin (so etwa Staudinger/ Gursky, BGB [1999], § 1004 Rdnr. 218; MünchKomm-BGB/Medicus, 3. Aufl., § 1004 Rdnr. 83 jeweils m.w. Nachw.) oder mit Blick auf § 902 I BGB nur für Ansprüche aus dem Grundeigentum (so etwa LG Tübingen, NJW-RR 1990, 338; Picker, JuS 1974, 357, 358 f) verneint wird.

e) Zur Erfüllung ihrer mithin zu bejahenden Unterlassungsverpflichtung schuldet die Bekl. zu 2 unter den gegeben Umständen die Entfernung der Rotfichte. Mit Erfolg wendet sich die Revision der Kl. gegen die Auffassung des BerGer., die Bekl. zu 2 sei lediglich verpflichtet, „geeignete Maßnahmen“ vorzunehmen, um eine Beschädigung der Garagenwand durch das Wurzelwerk des Baumes zu verhindern.

aa) Ihrer Verurteilung zur Entfernung des Baumes steht nicht entgegen, dass die Bekl. zu 2 (lediglich) eine Unterlassungspflicht trifft. Läßt sich nämlich die drohende Beeinträchtigung nur durch aktives Eingreifen verhindern, so schuldet der zur Unterlassung Verpflichtete das erforderliche positive Tun (Staudinger/Gursky, aaO, § 1004 Rdnr. 204). Dabei geht das BerGer. im Ansatz zu Recht davon aus, dass der Störer regelmäßig zwischen verschiedenen zur Abhilfe geeigneten Maßnahmen wählen kann. Es bleibt grundsätzlich ihm überlassen, auf welchem Weg er die bevorstehende Eigentumsbeeinträchtigung abwendet (Senat, BGHZ 120, 239, 248; Urt. v. 17. 12. 1982, V ZR 55/82, NJW 1983, 751, 752; vgl. auch Senat, BGHZ 111, 63, 72; Urt. v. 11. 11. 1983, V ZR 231/82, NJW 1984, 1242, 1243). Dies hat seinen Grund in der Überlegung, dass die Rechte des Störers nicht weitergehend eingeschränkt werden sollen, als dies der Schutz des Berechtigten vor Beeinträchtigungen seines Eigentums erfordert (Senat, BGHZ 67, 252, 253). Der Urteilsausspruch kann daher in der Regel nur allgemein auf Unterlassung von Störungen bestimmter Art lauten (Senat, Urt. v. 17. 12. 1982, V ZR 55/82, aaO).

bb) Folgerichtig steht aber einer Verurteilung zu einer konkreten Maßnahme dann nichts im Wege, wenn nur sie den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet (vgl. Senat, BGHZ 67, 252, 254; Urt. v. 11. 11. 1983, V ZR 231/82, aaO). Nichts anderes kann gelten, wenn weitere Maßnahmen zwar möglich sind, vernünftigerweise aber nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden können (so wohl auch MünchKomm-BGB/Medicus, aaO, § 1004 Rdnr. 86). In dieser Lage fehlt es an einem schutzwürdigen Eigeninteresse des Störers, zwischen verschiedenen Abhilfemaßnahmen wählen zu können. Das Beharren auf einer solchen nur formalen Position ohne materiellen Gehalt läßt die Rechtsordnung nicht zu (vgl. Senat, BGHZ 105, 154, 158; BGHZ 100, 95, 105 jeweils zu § 242 BGB).

cc) Im vorliegenden Fall fehlt der Bekl. zu 2 nach vernünftigen Maßstäben das Interesse an anderen Abhilfemaßnahmen als dem Entfernen des Baumes. Zwar kommen nach den Feststellungen des BerGer. zwei weitere Möglichkeiten in Betracht, um den Druck des Wurzelwerks gegen die Garagenwand zu verhindern. Dabei legt aber das BerGer. selbst dem zuerst erwogenen Kappen des Baumes auf hälftiger Höhe „verheerende Folgen“ bei. Es wäre nicht nur das Erscheinungsbild des Baumes unwiederbringlich zerstört, die Bekl. zu 2 müsste vielmehr mit dem Absterben des Baumes binnen weniger Jahre rechnen. Sie müsste zudem ein erneutes Wachsen des Baumes durch wiederholten Rückschnitt verhindern. Ein nachvollziehbarer Vorteil gegenüber einer Fällung der Fichte ist hiernach nicht zu erkennen. Dies gilt erst recht für die zweite vom BerGer. festgestellte Alter- native der „Umbauung des Baumes mit einem statisch gesicherten und stabilen Material.“ Dabei verkennt das BerGer. nicht, dass eine solche Maßnahme für die Bekl. zu 2 „wirtschaftlich und/oder ästhetisch … unsinnig“ sein mag. Für ein gleichwohl vorhandenes vernünftiges Interesse der Bekl. zu 2 am Erhalt der Fichte in umbautem Zustand fehlt jeder Hinweis.

dd) Einer Verurteilung zur Beseitigung des Baumes auf Grund eines Unterlassungsanspruchs stehen die Regelungen des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes (HNRG) nicht entgegen, obwohl nach der - für den Senat insoweit bindenden (§§ 560, 545 I ZPO) - Entscheidung des BerGer. der Ablauf der Frist nach § 43 I HNRG einen Beseitigungsanspruch der Kl. wegen des nicht eingehaltenen Grenzabstandes von 2 m (§ 38 Nr. 1 lit. b HNRG) ausschließt. Eine solche landesgesetzliche Regelung kann - wie Art. 124 EGBGB zeigt - das Grundstückseigentum zugunsten des Nachbarn weitergehenden Beschränkungen unterwerfen, nicht aber umgekehrt dem Nachbarn Rechte nehmen, die sich für ihn aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ergeben (vgl. Staudinger/Albrecht [1997], Art. 124 EGBGB Rdnr. 8; Münch- Komm-BGB/Säcker, 3. Aufl., Art. 124 EGBGB Rdnr. 1; Palandt/Bassenge, BGB, 63. Aufl., Art. 124 EGBGB Rdnr. 1). Vorliegend gewährt das Landesrecht einen Anspruch auf Entfernung des Baumes allein schon deswegen, weil der maßgebende Grenzabstand nicht eingehalten ist. Daneben besteht ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 I Satz 2 BGB, der von zusätzlichen Voraussetzungen, insbesondere einer zu besorgenden weiteren Eigentumsbeeinträchtigung abhängig ist. Der Ausschluß des für den Nachbarn vorteilhafteren landesrechtlichen Anspruchs bleibt mithin auf seinen Anwendungsfall beschränkt und läßt einen konkurrierenden - nur unter strengeren Voraussetzungen begründeten - Anspruch aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch unberührt. Insbesondere ändert die Verwirklichung des Ausschlußtatbestandes des § 43 I HNRG nichts an der Störereigenschaft der Bekl. zu 2 (vgl. Senat, Urt. v. 14. 11. 2003, V ZR 102/03, Umdruck S. 14 - Kiefernadeln) und steht Abwehransprüchen aus § 1004 BGB selbst dann nicht entgegen, wenn sich die nicht zu duldenden Einwirkungen aus dem weiteren Wachstum des Baumes ergeben (vgl. Senat, Urt. v. 14. 11. 2003, V ZR 102/03, Umdruck S. 7 - Kiefernadeln).

3. Das Berufungsurteil hat demnach keinen Bestand, soweit es die Abweisung des in erster Linie verfolgten Antrags auf Entfernung des Baumes bestätigt (§ 562 I ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil der Sachverhalt geklärt ist und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (§ 563 III ZPO). Dies führt zur Verurteilung der Bekl. zu 2 auf den Hauptantrag.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 I Satz 1, 97 I, 100 II ZPO.

Soweit die Entscheidung als Versäumnisurteil ergangen ist, war sie nach § 708 Nr. 2 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.


Wenzel Tropf Krüger Gaier Schmidt-Räntsch

Vorinstanzen

LG Kassel; AG Kassel

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht