Wucherähnliches Rechtsgeschäft und Grundstückskaufverträge in der DDR

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

04. 02. 2000


Aktenzeichen

V ZR 146/98


Leitsatz des Gerichts

Die Rechtsprechung des Senats zum so genannten wucherähnlichen Rechtsgeschäft (§ 138 I BGB) ist grundsätzlich auch auf Kaufverträge über Grundstücke in der DDR anwendbar, die unmittelbar nach Aufhebung der Preisvorschriften (hier 9. 7. 1990) geschlossen worden sind. Ob ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zulässt, bedarf kritischer tatrichterlicher Würdigung.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. waren je zur Hälfte Eigentümer eines Grundstücks in E. Der Bekl. erwarb von ihnen mit einem am 9. 7. 1990 in Heilbronn beurkundeten Vertrag einen hälftigen Miteigentumsanteil an dem Grundstück zum Preis von 15000 DM und wurde als Miteigentümer in das Grundbuch eingetragen. Die Kl. behaupten, der Miteigentumsanteil sei bei Vertragsabschluss 50000 DM wert gewesen und meinen, der Kaufvertrag sei deshalb wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Sie erstreben Berichtigung des Grundbuchs, hilfsweise Aufhebung des Vertrags, und weiter hilfsweise die Feststellung der Nichtigkeit des Vertrags.

Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Die Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. verneint eine Nichtigkeit des Kaufvertrags vom 9. 7. 1990 nach § 138 II BGB. Es lässt die zwischen den Parteien streitige Behauptung der Kl. zum Wert des Miteigentumsanteils bei Vertragsschluss offen, weil es jedenfalls an der subjektiven Tatbestandsseite fehle.

II. Dies hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Zutreffend geht das BerGer. allerdings ohne weiteres davon aus, dass der vor einem westdeutschen Notar beurkundete Vertrag nicht (mehr) formunwirksam ist (vgl. §§ 297 I 2, 67 I 3 DDR-ZGB; § 1 II DDR-NotG). Dieser Mangel ist nach Art. 231 § 7 I EGBGB geheilt.

2. Soweit die Kl., erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, den Vertrag deshalb für unwirksam halten, weil die notarielle „Vollmachtsbestätigung“ erst am 30. 10. 1990 und damit nicht innerhalb der Frist des § 59 I 2 DDR-ZGB abgegeben worden sei, haben sie damit keinen Erfolg. Die Kl. zu 1 hat bei Vertragsabschluss nicht etwa als vollmachtlose Vertreterin ihres Ehemanns gehandelt, sondern nur die notarielle Bestätigung ihrer (schon vorhandenen) Vollmacht nachzureichen versprochen.

3. Rechtsfehlerhaft beurteilt das BerGer. die Wirksamkeit des Vertrags allein am Maßstab von § 138 II BGB. Die Parteien haben das Recht der Bundesrepublik Deutschland vereinbart (§ 13 III des Vertrags), „soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht“. Dies war aber der Fall, weil das Grundstück in der DDR lag und dies nach § 9 und § 12 III RAnwendG (das auch nach dem 1. 7. 1990 weitergalt) zwingend die ausschließliche Geltung von DDR-Recht in Anspruch nahm. Wäre die Rechtswahlvereinbarung nicht ohnehin eingeschränkt, wäre sie nach Art. 27 III EGBGB unwirksam gewesen.

Im Ansatz ist damit die Wirksamkeit des Vertrags nicht nach dem BGB, sondern nach dem DDR-ZGB zu beurteilen (Art. 232 § 1 EGBGB). § 68 I Nr. 2 DDR-ZGB stellt zwar auf die Vereinbarkeit mit den „Grundsätzen der sozialistischen Moral“ ab. Für den hier maßgeblichen Zeitpunkt (9. 7. 1990) entsprach dies aber dem Begriff der guten Sitten i.S. von § 138 I BGB. Nach § 1 II 2 VerfGrdG vom 17. 6. 1990 waren Rechtsvorschriften aufgehoben, die den Einzelnen oder Organe der staatlichen Gewalt auf die sozialistische Staats- und Rechtsordnung, auf das Prinzip des demokratischen Sozialismus, auf die sozialistische Gesetzlichkeit oder das sozialistische Rechtsbewusstsein verpflichten. Die bestehenden Rechtsvorschriften waren insoweit nach einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung auszulegen (§ 1 II 1 u. § 1 I VerfGrdG; BGHZ 118, 34 [42] = NJW 1992, 1757 = LM H. 9/1992 § 70 DDR-ZGB Nr. 1). Entsprechendes folgt aus Art. 2 und 4 des Staatsvertrags über die Herstellung einer Wirtschafts- und Währungsunion vom 18. 5. 1990. Demgemäß wurde in das am 28. 6. 1990 geänderte Gesetz über Wirtschaftsverträge § 12 II eingefügt, der bestimmt, dass Erklärungen nichtig sind, die gegen die guten Sitten verstoßen. Auch nach einhelliger Auffassung in der Literatur ist § 68 I Nr. 2 DDR-ZGB i.S. von § 138 BGB auszulegen (vgl. Heinrichs, in: MünchKomm, EGBGB, Art. 232 § 1 Rdnr. 14; Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl., Art. 232 EGBGB, § 1 Rdnr. 5; Soergel/Hartmann, BGB, 12. Aufl., EGBGB, Art. 232 § 1 Rdnr. 3; Staudinger/Rauscher, BGB, 1996, EGBGB, Art. 232 § 1 Rdnrn. 83, 84).

Auf dieser Grundlage ist im Ansatz auch die Rechtsprechung des BGH, insbesondere des Senats, zu § 138 I BGB einschlägig, die das BerGer. rechtsfehlerhaft nicht in seine Überlegungen einbezogen hat. Danach rechtfertigt ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten mit der Folge, dass ein Vertrag schon nach § 138 I BGB sittenwidrig sein kann. Von einem solchen Missverhältnis kann bereits dann ausgegangen werden, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (vgl. z.B. Senat, NJW-RR 1991, 589; NJW 1992, 899 [890] = LM H. 8/1992 § 138 [Aa] BGB Nr. 40; BGH, NJW 1994, 1475 [1476] = LM H. 8/1994 § 652 BGB Nr. 134). So liegt der Fall hier. Das BerGer. unterstellt den behaupteten und unter Beweis gestellten Wert der Miteigentumshälfte am 9. 7. 1990 mit 50000 DM. Im Übrigen wäre schon bei einem Wert von 30000 DM nach der Rechtsprechung des Senats ein besonders grobes Missverhältnis anzunehmen. Das BerGer. hätte somit den Wert der Miteigentumshälfte nicht offen lassen dürfen, sondern darüber Beweis erheben müssen.

Der Vertrag enthält im Übrigen auch sonstige, die Kl. belastende Regelungen, die bei der notwendigen Gesamtwürdigung (vgl. z.B. BGHZ 107, 92 [97] = NJW 1989, 1276 = LM § 138 [Aa] BGB Nr. 38 m.w. Nachw.) zusätzlich eine Rolle spielen können. Die Kl. waren vorleistungspflichtig. Erst einen Monat nach Eintragung des Bekl. im Grundbuch war der Kaufpreis fällig, die Kl. hatten nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Absicherung durch eine Bürgschaft (§ 2 des Vertrags). Der Bekl. hat sich ein Vorkaufsrecht einräumen lassen (§ 11 des Vertrags) und es wurde wechselseitig ein Ankaufsrecht vereinbart (§ 12 des Vertrags), das schon in Kraft tritt, wenn die hälftigen Kosten für die Renovierung, den Abbruch oder Teilabbruch des bestehenden Gebäudes (insoweit bestand eine Verpflichtung) nicht aufgebracht werden. Bei den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Verkäufer traf diese ein besonders hohes Risiko, dass der Bekl. ein Ankaufsrecht ausüben würde. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung kann auch der bestrittene Vortrag der Kl. Bedeutung gewinnen, sie sei am 9. 7. 1990 vom Bekl. nach Stuttgart eingeladen und dort ohne Vorinformation mit der notariellen Beurkundung konfrontiert worden (Schriftsatz vom 5. 1. 1998). In diesem Zusammenhang ist entgegen der Auffassung des BerGer. nicht von Bedeutung, dass die Kl. auch im Namen ihres Ehemanns handelte „mit dem Versprechen, notarielle Vollmachtsbestätigung nachzureichen und hierfür haftend“. Auch wenn diese Vollmachtsbestätigung erst am 30. 10. 1990 erteilt wurde, ändert dies nichts an der behaupteten Überrumpelung der Kl.

Wäre der Vertrag vom 9. 7. 1990 nichtig, dann beträfe dies - entsprechend dem fehlenden Abstraktionsprinzip nach dem Recht der DDR - auch die Übereignung; damit wäre schon der Hauptantrag der Klage auf Bewilligung der Grundbuchberichtigung (Art. 233 § 2 I EGBGB i.V. mit § 894 BGB) begründet.

Soweit sich die Revisionserwiderung auf die Entscheidung des Senats in BGHZ 131, 209 (= NJW 1996, 990 [991] = LM H. 4/1996 § 68 DDR-ZGB Nr. 7) bezieht, ist diese nicht einschlägig, denn sie betrifft die Vereinbarung eines Stopppreises und dessen preisrechtliche Genehmigung. Im vorliegenden Fall wurde aber der Vertrag nach Aufhebung der Preisvorschriften abgeschlossen. Richtig ist allerdings der Hinweis der Revisionserwiderung, dass es schwierig ist, für einen Zeitpunkt neun Tage nach Einführung der Währungsunion unter Aufhebung der Preisvorschriften die Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt zu beurteilen und von einem etwa festgestellten groben Missverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu schließen. Dies schließt im Ansatz jedoch die Anwendung der angeführten Senatsrechtsprechung nicht aus. Das BerGer. wird allerdings das einzuholende Wertgutachten (Bewertungszeitpunkt 9. 7. 1990) kritisch prüfen und sich nach dem Ergebnis dieses Gutachtens auch die Frage stellen müssen, ob es unter den besonderen Umständen der DDR nach Aufhebung der Preisvorschriften einen Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Bekl. zulässt. Vieles spricht allerdings dafür, dass der unstreitig geschäftserfahrene Bekl. davon ausgehen konnte, es werde nach Aufhebung der Preisvorschriften zu ganz erheblichen Preissteigerungen auf dem Grundstücksmarkt kommen, zumal es hier um ein zentral gelegenes Grundstück in E. geht (vgl. auch Senat, DtZ 1996, 80 = LM H. 4/1996 § 138 [Aa] BGB Nr. 49 = WM 1996, 262 [264]). Dem steht möglicherweise eine Unerfahrenheit der in der DDR wohnenden Kl. auf dem Immobilienmarkt gegenüber, die sich aus der jahrzehntelangen Strangulierung des Marktes durch die staatliche Preislenkung ergab (vgl. auch BGH, NJW 1994, 1475 [1476] = LM H. 8/1994 § 652 BGB Nr. 134).

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht