Erfolglose Verwertungskündigung nach Wohnungseigentumsbildung

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

07. 11. 1994


Aktenzeichen

67 S 278/94


Leitsatz des Gerichts

  1. Angemessene Verwertung i.S. von § 564b II Nr. 3 BGB kann auch ein Verkauf in vermietetem Zustand sein.

  2. Wenn der Vermieter die Wohnung in vermietetem Zustand erworben hat und ein funktionierender Markt für den Handel mit vermietetem Wohnraum besteht, ist regelmäßig dieser Marktpreis zum Maßstab dessen zu nehmen, was noch als angemessene Verwertung anzusehen ist.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. erwarb ein Mietshaus und wandelte die Wohnungen in Wohnungseigentum um. Sie kündigte das Wohnungsmietverhältnis mit dem Bekl. mit der Begründung, dass sie beim Verkauf der Wohnung in unvermietetem Zustand einen Mehrerlös von 100000 DM erzielen würde. Ihre Räumungsklage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Die Kündigung hat das Mietverhältnis nicht beendet, weil die Kl. keine berechtigten Interessen i.S. von § 564b BGB an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Nach nahezu einhelliger Ansicht wird § 564b BGB durch § 569 BGB nicht verdrängt; auch beim Tod des Mieters kann der Vermieter das Mietverhältnis nur beim Vorliegen berechtigter Interessen kündigen (Palandt/Putzo, BGB, 52. Aufl., § 569 Rdnr. 8)...

Die Kl. wird durch den Fortbestand des Mietverhältnisses nicht an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der Wohnung gehindert. Es mag sein, dass die Kl. beim Verkauf der Wohnung in unvermietetem Zustand ca. 100000 DM mehr erlösen würde als beim Verkauf in vermietetem Zustand. Es gilt aber für alle Wohnungen, dass der Verkaufspreis in unvermietetem Zustand regelmäßig ganz erheblich über dem Verkaufspreis in vermietetem Zustand liegt. Die bloße Herbeiführung der Erzielung eines Mehrerlöses kann keinen tragfähigen Kündigungsgrund bilden. Der Mindererlös mag zwar für die Kl. nachteilig sein, aber darauf darf nicht vorschnell abgestellt werden. Es müssen stets alle Tatbestandsmerkmale des § 564b II Nr. 3 S. 1 BGB kumulativ erfüllt sein. Dabei ist zunächst einmal festzustellen, dass sich aus dem eigenen Vortrag des Kl. ergibt, dass der Fortbestand des Mietverhältnisses einem Verkauf der Wohnung nicht entgegensteht. Als faktisches Hindernis wird allerdings auch angesehen, wenn wegen des zu befürchtenden Mindererlöses der Verkauf wirtschaftlich sinnlos erscheint (BVerfG, NJW 1989, 972 (973); NJW 1991, 3270 (3271); NJW 1992, 361 (362)). Bei objektiver Betrachtung ist ein Mindererlös von ca. 30 bis 40 % sicherlich ein faktisches Verkaufshindernis. Denn ein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch wird sich mit einem Mindererlös dieses Umfanges nicht zufrieden geben, wenn er den höheren Erlös erzielen kann. Solche objektiven Kriterien sind jedoch nicht unbedingt maßgeblich. Es kommt allein darauf an, ob subjektiv für den Vermieter berechtigte Interessen bestehen; es ist auf dessen persönliche Verhältnisse abzustellen. Der Vermieter muss Einbußen erleiden, die die dem Mieter aus dem Verlust der Wohnung erwachsenden Nachteile weit übersteigen (BVerfG, NJW 1989, 972 (973)).

Die Kl. hat die Wohnung in vermietetem Zustand gekauft. Schon dies zeigt deutlich auf, dass ein Handel mit der Streitwohnung in vermietetem Zustand für die Kl. wirtschaftlich keineswegs sinnlos sein muss. Zwar wurde gelegentlich vertreten, dass durch § 564b II Nr. 3 S. 1 BGB sogar Entmietungen zum Zwecke der Erzielung von Spekulationsgewinnen geschützt werden (z.B. Gelhaar, in: RGRK, 12. Aufl., § 564b Rdnr. 29), aber diese Auffassung ist mit der aus Art. 14 II GG fließenden mieterschützenden Funktion des § 564b BGB unvereinbar (vgl. BVerfG, NJW 1985, 75 (76)). Die Sozialbindung des Eigentums von Wohnraum beruht darauf, dass dieser als Lebensmittelpunkt des Mieters anzusehen ist (BVerfG, NJW 1985, 75; BVerfGE 38, 348 (370) = NJW 1975, 727). Das grundgesetzliche Gebot einer am Gemeinwohl orientierten Ausübung der aus dem Eigentum entspringenden Rechte umfasst das Gebot der Rücksichtnahme auf den Nichteigentümer, der der Nutzung des Objektes zu seiner Freiheitssicherung und verantwortlichen Lebensführung bedarf (BVerfG, NJW 1985, 75 (76)).

Einbüßen kann ein Vermieter aber nur etwas, was er schon einmal gehabt hat. Wenn einerseits das Bestehen des Mietverhältnisses als wertminderndes faktisches Verkaufshindernis angesehen wird, dann muss diese wirtschaftliche Betrachtungsweise konsequent verfolgt werden und auch hinsichtlich des Erwerbes des Eigentums Anwendung finden. Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Das Eigentum der Kl. war von vornherein mit dem wertmindernden „Makel“ des Bestehens des jetzt streitbefangenen Mietverhältnisses belastet. Sie hat die Wohnung innerhalb eines funktionierenden Marktes für vermieteten Wohnraum zu einem marktüblichen, dem vermieteten Zustand Rechnung tragenden Kaufpreis erworben. Der wirtschaftliche Wert des Objektes in unvermietetem Zustand stand ihr zu keinem Zeitpunkt zur Verfügung. Sie würde ihn erstmals erlangen und realisieren können, wenn sie durch die Beendigung des streitbefangenen Mietverhältnisses in die Lage versetzt wird, die Wohnung in unvermietetem Zustand zu verkaufen. Entgegen der Ansicht des OLG Koblenz(NJW-RR 1989, 595 = ZMR 1989, 216 (218)) ist dies ein ganz entscheidender Unterschied zu der Fallkonstellation, dass ein Eigentümer ein von ihm selbst erbautes Wohnobjekt vermietet (vgl. auch bereits LG Freiburg, WuM 1991, 183 (184); LG Berlin, GE 1993, 319). Richtig an jener Entscheidung ist lediglich, dass ein auf Verkaufsabsichten gestütztes Kündigungsrecht nach § 564b II Nr. 3 S. 1 BGB nicht notwendig bereits dadurch ausgeschlossen ist, dass der Vermieter das Objekt in vermietetem Zustand gekauft hat. Diese Auffassung teilt die Kammer, und angesichts der vom OLG Koblenz entschiedenen Vorlagefrage ist eine weitergehende Bindungswirkung i.S. von § 541 ZPO nicht gegeben.

Die vorstehenden Überlegungen zeigen auf, dass der Mindererlös bei dem Verkauf einer vermieteten Eigentumswohnung nicht so sehr eine Frage der Hinderung der Verwertung ist, sondern dass das sog. faktische Hindernis eher bei der Prüfung der Angemessenheit der Verwertung zu berücksichtigen ist. Als angemessen i.S. von § 564b II Nr. 3 S. 1 BGB wird - mehr oder weniger im Zirkelschluss zu § 564b I BGB - eine Verwertung angesehen, die von berechtigten Interessen des Vermieters getragen wird (von Staudinger/Emmerich, BGB, 12. Aufl. (2. Bearb.), § 564b Rdnr. 88; Schmidt-Futterer/Blank, WohnraumschutzG, 6. Aufl., B Rdnr. 654; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 6. Aufl., § 564b Rdnr. 58; Sternel, MietR, 3. Aufl., IV Rdnr. 148), die rechtmäßig ist (Grapentin, in: Bub/Treier, Hdb. d. Geschäfts- und Wohnraummiete, 2. Aufl., IV Rdnr. 79) und mit der geltenden Rechts- und Sozialordnung in Einklang steht (Barthelmess, Zweites WohnraumkündigungsschutzG, 4. Aufl., § 564b Rdnr. 92). Zur Klärung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs hilft eher eine negative Abgrenzung weiter ( Sternel, IV Rdnr. 148).

Danach ist eine Verwertung jedenfalls in einer vom Mieter nicht mehr hinzunehmenden Weise unangemessen, wenn sie von spekulativem Gewinnstreben getragen wird (Sternel, IV Rdnr. 148). Aber auch in der anderen Richtung kann negativ abgegrenzt werden, wenn keine tatsächliche, sondern nur eine faktische Hinderung vorliegt; die verbleibende Verwertungsmöglichkeit ist in einer vom Vermieter nicht mehr hinzunehmenden Weise jedenfalls dann unangemessen, wenn dadurch über die durch die Sozialbindung des Eigentums begründete Einschränkung hinausgehend das Zuordnungsverhältnis verletzt oder das Eigentum in seiner Substanz in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, NJW 1985, 75 (76)). Der Vermieter hat keinen Anspruch darauf, sein Eigentum bestmöglich verwerten zu können (BVerfG, NJW 1992, 361 (362)). Es ist stets zu prüfen, ob auch die schlechtere, eingeschränkte Verwertungsmöglichkeit, nämlich der Verkauf in vermietetem Zustand, noch als angemessene Verwertung i.S. von § 564b II Nr. 3 S. 1 BGB angesehen werden kann (ebenso bereits LG Berlin, GE 1993, 319).

Solange es einen funktionierenden Markt für vermietete Eigentumswohnungen (und Miethäuser) gibt, kann jedenfalls dann der marktübliche Erlös für vermietete Eigentumswohnungen zum Maßstab genommen werden, was noch als angemessene Verwertung anzusehen ist, wenn sich - wie vorliegend - die tatsächlichen Möglichkeiten des Vermieters, sein Grundeigentum in Geld zu realisieren, von vornherein ausschließlich in diesem Markt erschöpft haben. Dies muss selbst dann gelten, wenn der Verkaufspreis unter dem Einstandspreis liegt. Derartige Marktschwankungen sind Ausdruck der liberalen Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland; es sind die Risiken der (freien) Marktwirtschaft. Diese typischen unternehmerischen Risiken sollen nicht dem Mieter überbürdet werden; der Mieter ist durch die im Wohnungsmietrecht besonders stark ausgeprägte soziale Komponente der sozialen Marktwirtschaft geschützt. Dass der in vermietetem Zustand zu erzielende Erlös marktüblich sei, hat die Kl. selber behauptet.

Wenn der vorstehenden Auffassung der Kammer nicht gefolgt und nur die von der Kl. angestrebte bestmögliche Veräußerung als angemessen angesehen werden sollte, würde die Kl. bei dem von ihr als unangemessen angesehenen Verkauf in vermietetem Zustand jedenfalls keine erheblichen Nachteile i.S. von § 564b II Nr. 3 S. 1 BGB erleiden. Sie hat nicht bestritten, im Jahre 1987 das Haus für 975000 DM, mithin für 1160,96 DM pro qm gekauft zu haben. Im Falle der Veräußerung in vermietetem Zustand zu dem von der Kl. selbst als realistisch bezeichneten Preis von 150000 bis 200000 DM würde sie für die Wohnung einen Erlös zwischen 2904,16 DM und 3872,22 DM pro qm erzielen. Die Kl. hat auch nach Erörterung dieser Fragen in der Berufungsverhandlung weder behauptet, über die Umwandlung in Wohnungseigentum hinaus weitergehende wertsteigernde Investitionen vorgenommen zu haben, noch dass der Wert der Streitwohnung über dem durchschnittlichen Wert der anderen Wohnungen im Hause liege. Es kann nicht als erheblicher Nachteil angesehen werden, wenn sie sich damit zufrieden geben muss, nur eine Wertsteigerung um 200 % realisieren zu können.

Rechtsgebiete

Mietrecht