Berechtigtes Interesse des Vermieters an Wohnraumkündigung - „Überschuldung“

Gericht

BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats)


Art der Entscheidung

Beschluss über Verfassungsbeschwerde


Datum

04. 06. 1998


Aktenzeichen

1 BvR 1575/94


Leitsatz des Gerichts

  1. Mit der verfassungsrechtlich geschützten Dispositionsfreiheit des Eigentümers und dem grundrechtlich verbürgten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz ist es unvereinbar, bei einer auf § 564b II Nr. 3 BGB gestützten Kündigung zu verlangen, der Eigentümer müsse im Kündigungsschreiben darlegen, dass die von ihm genannten Gründe für den Verkauf der Wohnung erst nach Abschluss des Mietvertrags eingetreten sind.

  2. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des vom Eigentümer geltend gemachten Kündigungsrechts in einem gerichtlichen Verfahren wird durch die Annahme verletzt, bereits das Kündigungsschreiben müsse die gerichtliche Feststellung des Vorliegens der Kündigungsvoraussetzungen erlauben.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Bf. wandte sich gegen ein Berufungsurteil des LG Hamburg, mit dem seine auf § 564b II Nr. 3 BGB gestützte Räumungsklage abgewiesen wurde; er rügte die Verletzung des Art. 14 I GG. Er erwarb die damals bereits vermietete Wohnung im Jahre 1978. Der Mietvertrag mit der Bekl. des Ausgangsverfahrens wurde im Jahre 1989 geschlossen.

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Bf. aus Art. 14 I GG angezeigt (§ 93a II lit.b BVerfGG). Dieses Grundrecht ist offensichtlich verletzt; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das BVerfG bereits entschieden (§ 93c I BVerfGG).

1. Die angegriffene Entscheidung verstößt gegen Art. 14 I GG.

a) aa) Das grundgesetzlich geschützte Eigentum gewährt seinem Inhaber das Recht, die Sache zur Grundlage eigenverantwortlicher Lebensgestaltung zu machen und sie zu nutzen, wie er dies nach seinen Plänen für zweckmäßig hält. Das gilt nicht nur für den privaten Bereich des Einzelnen, sondern auch für seine wirtschaftliche Betätigung. Zur Substanz des Eigentums gehört demgemäß auch die Freiheit, den Eigentumsgegenstand zu veräußern (vgl. BVerfGE 52, 1 [30f.] = NJW 1980, 985; BVerfGE 78, 58 [73f.] = NJW 1988, 2594). Das haben die Gerichte zu berücksichtigen, wenn sie in Anwendung des § 564b II Nr. 3 S. 1 BGB über eine Verwertungskündigung zu befinden haben. Sie müssen den Entschluss des Eigentümers zur Veräußerung der Sache grundsätzlich achten und dürfen nicht eigene Vorstellungen an die Stelle der vom Eigentümer getroffenen Dispositionen setzen.

bb) Art. 14 I GG und der mit diesem Grundrecht eng verzahnte Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichten die Fachgerichte, den Rechtsschutz nicht zu Lasten des Vermieters von einer unzumutbar strengen Handhabung der Verfahrensvoraussetzungen abhängig zu machen und den geltend gemachten Anspruch gerichtlich nachzuprüfen (vgl. BVerfGE 79, 80 [84] = NJW 1989, 969; st. Rspr.). Daraus folgt mit Blick auf das Begründungserfordernis gem. § 564b III BGB, dass von einer Sachentscheidung zur Rechtfertigung der Kündigung nur dann abgesehen werden darf, wenn das Kündigungsschreiben nicht dem berechtigten Informationsbedürfnis des Mieters genügt (vgl. BVerfGE 79, 80 [85f.] = NJW 1989, 969 m.w. Nachw.). Dabei ist das Informationsbedürfnis des Mieters zu unterscheiden von den weitergehenden - vom Bestreiten des bekl. Mieters abhängigen - Anforderungen an die substantiierte Darlegung der tatbestandlichen Kündigungsvoraussetzungen im Prozess; erst recht ist die Feststellung des Gerichts, ob die Kündigung gerechtfertigt ist, nicht auf der Grundlage des Kündigungsschreibens, sondern einer umfassenden gerichtlichen Prüfung der Begründetheit der Räumungsklage zu treffen (vgl. BVerfGE 49, 244 [249f.] = NJW 1979, 31; BVerfGE 53, 352 [360ff.] = NJW 1980, 1617). Diesen verfassungsrechtlichen Maßstab hat das LG verfehlt und den Bf. dadurch in seinem Eigentumsgrundrecht verletzt.

b) aa) Das LG stützt seine Entscheidung zum einen auf die Feststellung, der Bf. habe die Gründe für den Verkaufsentschluss im Kündigungsschreiben nicht ausreichend dargelegt. Die dieser Auffassung zugrundeliegenden entscheidungserheblichen Erwägungen halten einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Der Bf. hatte im Kündigungsschreiben insoweit ausgeführt, er sei zur Veräußerung der Immobilie gezwungen, weil diese unrentabel sei, und weil er außerdem mit dem Verkaufserlös die aus seiner Überschuldung herrührenden Belastungen zurückführen wolle. Die Verluste aus der Wohnung hatte er für mehrere Jahre nachgewiesen. Hinsichtlich der Überschuldung hatte er die Schuldsalden auf mehreren Konten angegeben. Das LG hat diese Angaben in Übereinstimmung mit entsprechenden Tendenzen in der mietrechtlichen Rechtsprechung für unzureichend gehalten, weil sie offen ließen, ob die genannten Gründe für den Entschluss zur Veräußerung bereits bei Abschluss des Mietvertrags vorgelegen hätten. Die Kündigung könne nur mit Gründen gerechtfertigt werden, die nach Abschluss des Mietvertrags entstanden seien. Deshalb hätte der Bf. im Kündigungsschreiben auch sein Einkommen offenlegen müssen, um nachvollziehbar zu machen, wie sich seine finanzielle Lage entwickelt habe. Diese Auffassung ist unvereinbar mit der verfassungsrechtlich geschützten Dispositionsfreiheit des Eigentümers; sie stellt zudem unzumutbar hohe Hürden für die gerichtliche Durchsetzung des Kündigungsrechts auf.

(1) Aus Sicht des Eigentümers kann es viele Gründe geben, eine Wohnung zu erwerben und zu vermieten, obwohl sie an sich (noch) unrentabel ist oder der Eigentümer sich in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen befindet. Ein solcher Entschluss wird keineswegs nur aus kurzfristigen spekulativen Absichten heraus getroffen, ihm können vielmehr durchaus langfristige wirtschaftliche Erwartungen oder eine bestimmte Lebensplanung zugrunde liegen. Es ist mit der Verfassung unvereinbar, den Eigentümer in einem solchen Fall an der einmal getroffenen Entscheidung festzuhalten, nur weil von vornherein absehbar war, dass sie mit einem wirtschaftlichen Risiko verbunden ist. Diese Gefahr bergen unternehmerische Investitionen stets in sich; die verfassungsrechtlich garantierte Dispositionsfreiheit des Eigentümers umfasst deshalb gerade auch den Zugriff auf das gesamte Vermögen, um Situationen begegnen zu können, die als wirtschaftlich nicht mehr tragbar angesehen werden (vgl. BVerfGE 79, 283 [290] = NJW 1989, 972). Die Fachgerichte haben einen solchen Entschluss von Verfassungs wegen grundsätzlich zu respektieren und ihrer Rechtsfindung zugrunde zu legen.

Das schließt die gerichtliche Prüfung nicht aus, ob der geltend gemachte Verkaufswunsch willkürlich erscheint oder die Kündigung missbräuchlich ist, weil sie etwa einem spekulativen Verkauf dient. Darauf stellt das LG indessen nicht ab. Vielmehr hält es den Veräußerungswunsch von vornherein für unbeachtlich, wenn die dafür genannten Gründe bereits bei Abschluss des Mietvertrags vorlagen. Damit missachtet das Gericht die Befugnis des Eigentümers, sein Leben unter Gebrauch seines Eigentums so einzurichten, wie er dies für richtig hält. Abgesehen davon gibt es hier auch keinerlei Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Kündigung. Der Bf. hatte die ständig vermietete Wohnung vor Ausspruch der Kündigung bereits 14 Jahre inne; er hatte sie außerdem drei Jahre vor Kündigung erneut vermietet.

(2) Der vom LG aufgestellte allgemeine Grundsatz, der Eigentümer müsse im Kündigungsschreiben darlegen, dass die von ihm genannten Gründe für den Verkauf der Wohnung erst nach Abschluss des Mietvertrags eingetreten sind, ist zugleich unvereinbar mit dem grundrechtlich verbürgten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Er ist geeignet, die Durchsetzung des Kündigungsrechts unzumutbar zu erschweren, ohne dass - wie dargelegt - sachliche Gründe hierfür ersichtlich sind. Das gilt einmal insoweit, als dem Eigentümer nach diesem Grundsatz gerichtlicher Rechtsschutz gänzlich versagt bleibt, soweit er sich „nur„ auf wirtschaftliche Gründe berufen kann, die bereits bei Mietvertragsschluss vorlagen, auch wenn der Verkaufswunsch gleichwohl plausibel gemacht werden könnte. Unabhängig davon ist die vom LG aufgestellte, rein formale Darlegungsregel dazu angetan, dass die Anforderungen an das Kündigungsschreiben überspannt werden und damit der Anspruch auf eine gerichtliche Sachprüfung verkürzt wird. Das zeigt gerade der vorliegende Fall. Das LG verlangt vom Bf., bereits im Kündigungsschreiben eine umfassende Bilanz aufzustellen, aus der sich im einzelnen ergibt, wie sich seine finanzielle Lage seit Abschluss des Mietvertrags entwickelt hat. Dies lässt sich nicht mehr mit dem Zweck des Begründungserfordernisses nach § 564b III BGB rechtfertigen. Vielmehr war vorliegend aufgrund der Angaben im Kündigungsschreiben bereits erkennbar, dass der Bf. erheblich verschuldet war und der Verkaufserlös dazu dienen sollte, die aus der Überschuldung entstehenden Belastungen zurückzuführen. Damit war zunächst eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung gegeben, der Kündigung zu widersprechen oder sie hinzunehmen, zumal hier nichts für eine missbräuchliche Kündigung sprach und es dem Mieter ohnehin regelmäßig nicht möglich sein dürfte, die Vermögensverhältnisse des Vermieters zu überprüfen. Etwaiger weiterer Klärungsbedarf hätte ohne weiteres im Prozess gedeckt werden können, wie das erstinstanzliche Verfahren zeigt.

bb) Die Entscheidung wird überdies von der Erwägung getragen, der Bf. habe im Kündigungsschreiben nicht ausreichend dargelegt, dass die Wohnung nicht zu einem angemessenen Preis veräußert werden könne, solange sie vermietet sei. Die mit der Kündigung vorgelegte Maklerauskunft genüge dem Begründungserfordernis auch insoweit nicht, als sie sich auf Erfahrungen aus Bemühungen zum Verkauf anderer - vermieteter und bezugsfreier - Eigentumswohnungen in derselben Wohnanlage berufe.

Es könne nämlich nur dann festgestellt werden, dass der Bf. bei Fortdauer des Mietverhältnisses tatsächlich einen erheblichen Nachteil erleiden würde, wenn die Angaben in dem Maklerschreiben durch praktische Versuche zur Veräußerung der streitgegenständlichen Wohnung belegt worden wären. Davon könne nur dann abgesehen werden, wenn ein erheblicher Nachteil in hohem Maße wahrscheinlich sei, was hier nicht ohne weiteres ersichtlich sei.

Damit hat das LG die Anforderungen, die an die Begründung eines Kündigungsschreibens zu stellen sind, vom berechtigten Informationsbedürfnis des Mieters gelöst. Es geht der Sache nach davon aus, bereits das Kündigungsschreiben müsse die gerichtliche Feststellung des Vorliegens der Kündigungsvoraussetzungen erlauben. Auf diese Weise wird indes der verfassungsrechtliche Anspruch des Bf. auf umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des von ihm geltend gemachten Kündigungsrechts in einem gerichtlichen Verfahren abgeschnitten.

Soweit sich das LG von dem in der mietrechtlichen Rechtsprechung verbreiteten Grundsatz hat leiten lassen, der Eigentümer könne nur durch (vergebliche) Bemühungen zum Verkauf der Wohnung zu einem angemessenen Preis darlegen, dass dies wegen der Vermietung nicht möglich sei, ist mit Blick auf das weitere Verfahren anzumerken, dass diese Auffassung ebenfalls verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Es gibt keine Vorschrift, aus der sich eine derart formalisierte, von den Umständen des konkreten Falls losgelöste Darlegungsregel herleiten ließe. Der Eigentümer hat vielmehr einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass das Gericht seinen Vortrag auf seine Entscheidungserheblichkeit und - im Bestreitensfalle - auf seine Beweistauglichkeit hin überprüft. Schutzwürdige Mieterinteressen oder verfahrensrechtliche Erfordernisse, die es rechtfertigen könnten, jeden anderen geeigneten Nachweis für das Vorliegen der Kündigungsvoraussetzungen von vornherein auszuschließen, sind nicht erkennbar. Das gilt erst recht, soweit es - wie hier - nur um die inhaltlichen Anforderungen an das Kündigungsschreiben geht.

Außerdem kann die vom LG aufgestellte Darlegungsregel die Durchsetzung des Kündigungsrechts im Einzelfall unzumutbar erschweren. Sie zwingt den Eigentümer nämlich auch dann, sich um den Verkauf der vermieteten Wohnung zu einem angemessenen Preis zu bemühen, wenn er substantiiert (etwa durch Maklerauskunft oder Privatgutachten) darlegen und ggf. beweisen konnte, dass diese Bemühungen aussichtslos sind.

c) Die Entscheidung beruht auch auf der Verletzung des Art. 14 I 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das LG zu einer anderen Entscheidung gelangt, wenn es nach Maßgabe dieses Beschlusses in die weitere Prüfung eintritt.

Rechtsgebiete

Mietrecht