Berechnung des Kindesunterhalts bei Betreuung durch beide Eltern

Gericht

OLG Düsseldorf


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

12. 02. 1999


Aktenzeichen

3 UF 102/98


Leitsatz des Gerichts

  1. Verfügen beide getrennt lebenden Ehegatten über Erwerbseinkünfte und teilen die Betreuung ihres minderjährigen Kindes aufgrund ihres gemeinsamen Sorgerechts untereinander auf, kann der Unterhaltsbedarf des Kindes, ausgerichtet an den Erwerbseinkünften beider Ehegatten, aus der Düsseldorfer Tabelle abgelesen werden, erhöht sich jedoch wegen der durch die Betreuung in zwei getrennten Haushalten erwachsenden höheren Vorhaltekosten um einen zu schätzenden Mehrbedarf.

  2. Der so ermittelte Unterhaltsbedarf des Kindes ist zwischen den Ehegatten anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen aufzuteilen und zwar in der Weise, dass das unterhaltserhebliche Einkommen der Ehegatten nach Abzug des angemessenen Selbstbehalts von 1800 DM ins Verhältnis zu setzen ist, im Ergebnis aber kein Ehegatte für einen höheren Barunterhalt einstehen muss, als er nur nach seinem Einkommen berechtigt wäre.

  3. Haben die Ehegatten die Betreuung des Kindes jeweils häufig übernommen, ist die Gewährung des bei der Betreuung geleisteten Naturalunterhalts bei der Bemessung des Kindesunterhalts im Grundsatz pauschal mit der Hälfte des jeweils geschuldeten Barunterhalts abzusetzen.

  4. Für die Berechnung des Ehegatten-Aufstockungsunterhalts ist der jeweils geschuldete Kindesunterhalt einschließlich des gewährten Naturalunterhalts von den beiderseitigen Einkünften in Abzug zu bringen, wobei es bei dem Berechtigten mit einem als solchen nur geringen Haftungsanteil unangemessen sein kann, weil kein Verzug vorliegt, also Barunterhalt nicht geschuldet wird, nur die Hälfte seines durch Naturalunterhaltsleistungen abgegoltenen Haftungsanteils zu berücksichtigen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien haben im Dezember 1980 geheiratet. Aus der Ehe ist die am 2. 3. 1988 geborene Tochter J hervorgegangen. Seit mindestens 1995 leben die Parteien voneinander getrennt. Die Ehe ist seit dem 12. 8. 1997 rechtskräftig geschieden. Beide Parteien sind Inhaber des Sorgerechts. Der Bekl. ist seit dem 29. 12. 1997 wiederverheiratet. Seine Ehefrau hat ein 12 Jahre altes Kind in die Ehe eingebracht und ist nicht erwerbstätig. Die Kl., gelernte Arzthelferin, arbeitet als Verwaltungsangestellte und hat diese Tätigkeit mittlerweile auf eine Arbeitszeit von 25,5 Stunden pro Woche ausgeweitet, wobei die Arbeitszeit an den Wochenenden montags und dienstags in Vollzeitbeschäftigung sowie mittwochs und donnerstags jeweils vormittags halbschichtig ausgeübt wird und der Freitag arbeitsfrei bleibt. Regelmäßig hält sich J montags nach der Schule bis 17 Uhr bei dem Vater auf, ab 17 Uhr bei der Mutter; dienstags nach der Schule bis gegen 17 Uhr bei dem Vater, danach bei der Mutter; mittwochs nach der Schule ganz bei der Mutter, ab 19 Uhr bzw. 19.30 Uhr beim Vater; donnerstags nach der Schule bei der Mutter, freitags nach der Schule bei der Mutter, ab 17 Uhr nach dem Sportunterricht bei ihrem Vater, während sie die Wochenenden abwechselnd in etwa gleichem Maße bei der Mutter und bei dem Vater verbringt. Beide Elternteile kommen während der Betreuung von J auch für den dabei jeweils anfallenden Naturalunterhaltsbedarf des Kindes auf. Die Aufwendungen für die Schule, den Turnverein und die Bücher trägt die Mutter; Kleidung für J kaufen beide ein. Das Kindergeld bezieht die Mutter. Der Bekl. ist Versicherungsvertreter. Streitbefangen sind der Kindesunterhalt für J für die Zeit von Januar bis einschließlich August 1996 in restlicher Höhe von 860 DM sowie der Ehegattenunterhalt ab Januar 1996 für die Zeit der Trennung und die Zeit nach der Scheidung.

Das AG - FamG - hat dem Bekl. zu dem geforderten Trennungs- und nachehelichen Ehegattenunterhalt von monatlich 675,27 DM ab 1. 1. 1996 verurteilt. Dabei hat es entsprechend dem Vortrag der Kl. ein monatliches Nettoeinkommen des Bekl. von 4000 DM unterstellt, weil der Bekl. sein Einkommen nicht ausreichend belegt habe. Den Kindesunterhalt hat es mit Rücksicht hierauf in die Gruppe 5 der Düsseldorfer Tabelle eingestuft und wegen der auch von dem Bekl. geleisteten Kindesbetreuung von einer Erhöhung abgesehen. Der Kl. hat es ein Einkommen von 1854,36 DM angerechnet, ohne Abzüge für Kindesbetreuung vorzunehmen, weil der Bekl. sie während der Berufstätigkeit durch seine Kindesbetreuung entlaste. Mit seiner Berufung wendet sich der Bekl. mit Rücksicht auf die gemeinsame Betreuung des Kindes gegen den geltend gemachten Kindesunterhalt und beanstandet im Übrigen, dass das beiderseitige Einkommen nicht ausreichend ermittelt worden sei. Das Rechtsmittel des Bekl. hatte teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... C. Kindesunterhalt: 1. Ansprüche auf Kindesunterhalt für die Zeit vom 1. 1. bis 30. 8. 1996, geltend gemacht noch mit (470 DM x 8 = 3760 DM abzüglich gezahlter 2900 DM =) 860 DM.

Da die Parteien bei beiderseitiger Berufstätigkeit die Betreuung von J (geb. 2. 3. 1988) unter sich aufgeteilt hatten, war der Unterhaltsbarbedarf von J, an den beiderseitigen Erwerbseinkünften auszurichten. Das rechtfertigt sich daraus, dass sich der Unterhalt von J wären die Parteien zusammengeblieben, auch nach den gemeinsamen Einkünften bestimmt hätte. Hinzu kommt ein Mehrbedarf insofern, als J nicht mehr von beiden Parteien in einer Wohnung, sondern in getrennten Haushalten betreut wird. Den dadurch erwachsenden Mehrbedarf (Vorhaltekosten für zwei Kinderzimmer pp.) bemisst der Senat mit monatlich 150 DM.

Der sich nach diesen Vorgaben aus der Düsseldorfer Tabelle ergebende Regelbedarf zuzüglich 150 DM ist unter den Parteien anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen aufzuteilen (§ 1606 III 1 BGB). Das hat in der Weise zu geschehen, dass das unterhaltserhebliche Einkommen der Parteien nach Abzug des angemessenen Selbstbehalts von 1800 DM ins Verhältnis zu setzen ist, im Ergebnis aber keine Partei für einen höheren Barunterhalt einstehen muss, als er nur nach ihrem Einkommen berechtigt wäre (so auch Scholz, in: Wendl/Staudigl, Das UnterhaltsR in der familienrichterlichen Praxis, 4. Aufl., § 2 Rdnrn. 299 und 300f.).

Allerdings ist die anteilige Haftung aufgrund der J bereits bei der jeweiligen Betreuung erbrachten Naturalunterhaltsleistungen wertend zu verändern. Der Unterhaltsbarbedarf eines Kindes deckt zwar im Grundsatz nur die Bedürfnisse ab, die außerhalb der Betreuung liegen. Teilen die Eheleute die Betreuung des Kindes aber unter sich auf, erbringen sie dabei auch Naturalunterhalt, der den Barunterhaltsbedarf des Kindes mindert und Berücksichtigung finden muss (vgl. hierzu die Empfehlungen des 10. Deutschen Familiengerichtstages in FamRZ 1994, 358 [359]; Scholz, in: Wendl/Staudigl, § 2 Rdnr. 316).

Die Berücksichtigung kann auf zweierlei Weise erfolgen: Entweder wird die aufgrund der Naturalunterhaltsleistung des Bekl. erfolgte konkrete Ersparnis in Abzug gebracht (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1994, 529; AG Hamm, FamRZ 1999, 44) oder es erfolgt eine pauschale, dem Ausmaß der Betreuung entsprechende Quotierung. Letzterer Berechnung gibt der Senat den Vorzug, weil sich die Berechnung der im konkreten Fall erzielten Ersparnis mit den Regelbeträgen der Düsseldorfer Tabelle nicht in Einklang bringen lässt. Es ist nur natürlich, dass der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, diesem tatsächlich höheren Naturalunterhalt zukommen lässt, als er von den Barunterhaltsbeträgen der Düsseldorfer Tabelle erfasst wird. Gleichgültig, welche Barunterhaltsbedürfnisse des Kindes er während seiner Betreuung abdeckt, muss er auch für den angemessenerweise während der Betreuung durch den anderen Elternteil erwachsenden Barbedarf des Kindes eintreten, sofern dies nach den wechselseitigen Einkommensverhältnissen geboten ist. Üben - wie im vorliegenden Falle - beide Elternteile das Sorgerecht gemeinsam aus und teilen auch - wovon hier auszugehen ist - die Betreuung des Kindes im Ergebnis je zur Hälfte auf, ist es ungerechtfertigt, einen Elternteil so zu behandeln, als stelle der Naturalunterhalt, den er bei seiner Betreuung erbringt, eine Ersparnis des von dem anderen Elternteil zu zahlenden Barunterhaltes dar. Beide Eltern erfüllen vielmehr ihre eigene Barunterhaltspflicht, und zwar entsprechend der Gleichwertigkeit von Betreuung und Naturalunterhalt in dem dem Betreuungsausmaß entsprechenden Umfang. Da im vorliegenden Fall beide Parteien je zur Hälfte die Betreuung von J übernommen haben, hat deshalb auch zu gelten, dass durch die mit der Betreuung zusammenhängende Naturalunterhaltsleistung auch der jeweils dem Kind geschuldete Barunterhalt zur Hälfte abgegolten wird.

Vor diesem Hintergrund berechnet sich der dem Kind von dem Bekl. im Jahr 1996 geschuldete Barunterhaltsanspruch wie folgt:

Einkommen der Kl.:
1950,23 DM

Einkommen des Bekl.:
2745,86 DM

zusammen
4696,09 DM

Unterhalt von J nach der Düsseldorfer Tabelle
620,00 DM

Mehrbedarf
150,00 DM

zusammen
770,00 DM

anteilige Haftung:

Kl.: 1950,23 DM - 1800 DM =
150,23 DM

Bekl: 2745,86 DM - 1800 DM =
945,86 DM

zusammen
1096,09 DM.

Haftung des Bekl. für den Unterhalt damit 86,29%. 86,29% von 770 DM sind 664,43 DM. Nach seinen Einkommensverhältnissen hat der Bekl. nach der Düsseldorfer Tabelle aber nur für einen Höchstbetrag von (480 DM + 150 DM =) 630 DM abzüglich anteiliges Kindergeld von 100 DM = 530 DM einzustehen.

Hiernach hatte der Bekl. im Jahr 1996 noch (530 DM : 2 =) monatlich 265 DM zu zahlen. Die andere Hälfte war durch die Naturalunterhaltsleistung abgedeckt. 8 x 265 DM sind 2120 DM. Gezahlt hat der Bekl. aber 2900 DM. Damit war der Anspruch erfüllt. Ein weitergehender Zahlungsanspruch ist nicht mehr gegeben. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob und inwieweit die Kl. unter den gegebenen Umständen für den Kindesunterhalt prozessführungsbefugt ist.

2. Für die Zeit ab September 1996 ist im vorliegenden Rechtsstreit kein Kindesunterhalt eingeklagt. Der Ehegattenunterhalt lässt sich aber nur bei Berücksichtigung des Kindesunterhalts errechnen. Dabei ist der jeweils geschuldete Barunterhalt abzuziehen. Der Abzug des vollen von dem Bekl. geschuldeten Unterhalts ergibt sich bereits daraus, dass der nicht durch Naturalleistungen abgegoltene Kindesunterhalt angemahnt ist. Auf Seiten der Kl. ergibt sich, wie sich zeigen wird, ein insgesamt nur so geringer Haftungsanteil, dass es unangemessen wäre, nur dessen Hälfte als durch Naturalunterhaltsleistungen abgegolten zu berücksichtigen. Erbringt ein unterhaltsberechtigter Ehegatte gesetzlich geschuldeten Unterhalt an sein Kind, bestimmt sich auch danach sein Unterhaltsbedarf, wenn die Unterhaltsleistungen mit den ehelichen Lebensverhältnissen in Einklang stehen (vgl. BGH, NJW 1991, 2703 = FamRZ 1991, 1163). Hier ist der auf die Kl. entfallende Haftungsanteil so gering, dass der volle Einsatz ihres Haftungsanteils für den Naturalunterhalt von J während ihrer Betreuung nahe liegt. Das rechtfertigt - wie auf Seiten des Bekl. - auch bei ihr den vollen Abzug.

Da es auf den geschuldeten Kindesunterhalt (Tabellenunterhalt zuzüglich 150 DM) ankommt, bleibt der Kindergeldbezug für die Einkommensermittlung außer Ansatz; ihn in die Unterhaltsberechnung einzubringen, besteht deshalb auch kein Grund.

D. Berechnung des Ehegattenunterhalts unter Einbeziehung des Kindesunterhalts:

a) 1996: ...

b) 1997:

Einkommen der Kl:
2056,04 DM

Einkommen des Bekl:
3055,19 DM

Kindesunterhalt: Er beträgt nach der Düsseldorfer Tabelle von 5111,23 DM (2056,04 DM + 3055,19 DM) 680 DM zuzüglich Mehrbedarf von 150 DM =
890 DM.

Das Haftungsverhältnis der Parteien beträgt nach Vorabzug von 1800 DM 256,04 DM zu 1255,19 DM = 83,06% seitens des Bekl. Dieser haftet also für 83,06% von 890 DM, das sind 739,23 DM, aber nicht für mehr als für den Unterhalt nach seinem Einkommen im Betrag von (480 DM + 150 DM =) 630 DM. Von dem Bekl. waren damit (890 DM - 630 DM =) 260 DM zu tragen.

Für die Differenzberechnung stehen damit zur Verfügung:

auf Seiten des Bekl:
3055,19 DM

- 630,00 DM

2425,19 DM

und auf Seiten der Kl.
2056,04 DM

- 260,00 DM

1796,04 DM

Die Differenz beträgt (2425,19 DM - 1796,04 DM) 629,15 DM. Hiervon 3/7 sind 269,64 DM. Damit schuldet der Bekl. für die sieben Monate von Januar bis einschließlich Juli 1997 (7 x 269,64 DM =) 1887,48 DM und für die Zeit vom 1. bis einschließlich 11. 8. 1997 95,68 DM = zusammen 1983,16 DM.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht