Dreimonatige Ausschlussfrist für Rückforderung überzahlter Vergütung

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

11. 06. 1980


Aktenzeichen

4 AZR 443/78


Leitsatz des Gerichts

Die Ausschlussfrist des § 70 BAT erfasst auch Gehaltsüberzahlungen über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Bekl. war bei dem kl. Land in der Zeit vom 9. 9. 1974 bis 31. 10. 1974 als Lehrer im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Auf die Vergütung des Kl. zahlte das kl. Land im Oktober 1974 einen Abschlag in Höhe von 4500 DM netto. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhielt der Kl. ferner Vergütung für November und Dezember 1974 sowie eine Weihnachtszuwendung. Ab Januar 1975 stellte das kl. Land weitere Zahlungen an den Kl. ein. Mit Schreiben vom 7. 10. 1975 verlangte das Land vom Kl. die Rückzahlung überzahlter Vergütungen. Der Bekl. beruft sich auf die Ausschlussfrist des § 70 BAT.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des kl. Landes führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Mit der vom LAG gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Dem LAG ist darin zuzustimmen, dass die Klageforderung von der Ausschlussfrist des § 70 II BAT erfasst wird. Während § 70 I BAT nur Ansprüche des Arbeitnehmers betrifft, müssen nach § 70 II BAT „andere Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden, soweit der Tarifvertrag nichts anderes bestimmt". Auch Ansprüche des öffentlichen Dienstherrn auf Rückzahlung überzahlter Vergütungen fallen nach Wortlaut und Zweck der Tarifnorm unter die dreimonatige Ausschlussfrist des § 70 II BAT, wie der 5. Senat im einzelnen näher begründet hat (BAG, AP § 70 BAT Nr. 6). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Danach ist es unerheblich, aus welchem Rechtsgrund ein Rückzahlungsanspruch geltend gemacht wird. Sowohl ein vertraglicher Rückzahlungsanspruch als auch der hier in Betracht kommende Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung werden von der Ausschlussfrist des § 70 II BAT erfasst. Denn für die Frage, ob ein „Anspruch aus dem Arbeitsvertrag“ i. S. von § 70 II BAT vorliegt, ist nicht die materiellrechtliche Anspruchsgrundlage entscheidend, sondern der Entstehungsbereich des Anspruchs. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Tarifvertragsparteien in tariflichen Ausschlussklauseln den Begriff des Arbeitsvertrages üblicherweise gleichbedeutend mit dem des Arbeitsverhältnisses verwenden (BAG, AP § 4 TVG - Ausschlussfristen - Nr. 64). Somit kommt es darauf an, ob der Entstehungsbereich des Anspruchs auf Rückzahlung überzahlter Vergütungen im Arbeitsverhältnis liegt. Das ist nach der Rechtsprechung des BAG zu bejahen (BAG, AP § 70 BAT Nr. 6; BAG, AP § 4 TVG - Ausschlussfristen - Nr. 64). Das Arbeitsverhältnis ist Anlass und alleiniger Sachgrund der Überzahlung durch den Arbeitgeber.

Diese Rechtsgrundsätze hat das BAG in seiner bisherigen Rechtsprechung auf Rückzahlungsansprüche angewendet, die aus Überzahlungen während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses hergeleitet wurden. Nichts anderes kann aber gelten, wenn der Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Vergütung für Zeiträume zahlt, in denen zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestand, und diese Überzahlung dann zurückverlangt. Denn auch hier leistet er die Überzahlung nur im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis. Zwischen Arbeitsverhältnis und Überzahlung besteht damit ein enger Sachzusammenhang. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt nicht dazu, dass Leistungen des Arbeitgebers nunmehr nicht mehr dem Arbeitsverhältnis zugeordnet werden können. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Parteien des Arbeitsvertrages nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch vertragliche Ansprüche erfüllen. Wenn daher eine Partei des Arbeitsvertrages nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses an den Vertragspartner Leistungen erbringt, kann daraus nicht gefolgert werden, dass die Leistungen mit dem Arbeitsverhältnis nicht in Zusammenhang stehen. Vielmehr ist auch bei solchen Leistungen entscheidend, ob das Arbeitsverhältnis Anlass und Sachgrund für die Leistung ist. Ist dies zu bejahen, ist der Entstehungsbereich aller aus einer nachvertraglichen Leistung entspringenden Ansprüche dem Arbeitsverhältnis zuzuordnen. Mit den Zahlungen des Landes im November und Dezember 1974 sollten Arbeitsleistungen des Bekl. vergütet werden. Das Arbeitsverhältnis war somit Anlass und Sachgrund für die Überzahlung. Dies wird von der Revision und den von ihr angeführten Entscheidungen des LAG Düsseldorf vom 12. 2. 1977 (13 Sa 626/76) und vom 26. 8. 1977 (4 Sa 747/77) übersehen, die zwischen dem Arbeitsverhältnis und dem Bereicherungsanspruch des Arbeitgebers wegen Überzahlungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur einen „lockeren Zusammenhang" oder einen „losen Bezug" erblicken.

Die danach anzuwendende Ausschlussfrist des § 70 II BAT hat das Land versäumt. Der Rückzahlungsanspruch wurde mit den Überzahlungen im November und Dezember 1974 fällig, auch wenn er dem Land unbekannt war (vgl. BAG, AP § 4 TVG - Ausschlussfristen - Nr. 64; BAG, AP § 70 BAT Nr. 2 m. w. Nachw.). Die Wirkung der Ausschlussfrist tritt im Interesse des Rechtsfriedens grundsätzlich auch für unstreitige Ansprüche ein (BAG, AP § 70 BAT Nr. 6). Bei der erstmaligen Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche durch das kl. Land im Oktober 1975 war die dreimonatige Ausschlussfrist des § 70 II BAT demnach längst abgelaufen.

Das LAG weist sodann zutreffend darauf hin, dass der das gesamte Privatrecht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch bei der Anwendung tariflicher Ausschlussfristen gilt (vgl. BAG, AP § 70 BAT Nr. 6 m. w. Nachw.). Es meint aber, die Berufung des Bekl. auf den Ablauf der tariflichen Ausschlussfrist sei nicht treuwidrig. Das LAG führt hierzu aus, der Bekl. habe es nicht pflichtwidrig unterlassen, das Land auf die Überzahlung aufmerksam zu machen oder von sich aus die Rückzahlung in die Wege zu leiten. Die nachwirkende Treuepflicht gehe nicht so weit, dass jeder Vertragspartner eines Arbeitsverhältnisses oder eines ehemaligen Arbeitsverhältnisses immer dann, wenn er erkennen müsse, dass sein Vertragspartner oder sein ehemaliger Vertragspartner ihm Leistungen gewähre, die ihm nicht zustehen, verpflichtet sei, dies entweder anzuzeigen oder die Rückzahlung in die Wege zu leiten. Das gelte auch dann, wenn es sich um die Überzahlung nicht unerheblicher Summen handele und berücksichtigt werde, dass der Bekl. im Dezember 1974 den Irrtum des Landes erkannt habe... .

Damit ist nicht auszuschließen, dass das LAG den Rechtsbegriff von Treu und Glauben bei der Subsumtion verlassen hat. Das LAG geht zwar zutreffend davon aus, dass die Berufung auf die tarifliche Ausschlussfrist nicht nur dann treuwidrig sein kann, wenn eine Vertragspartei den Vertragspartner durch aktives Handeln von der Einhaltung der Ausschlussfrist abhält, sondern auch dann, wenn sie es pflichtwidrig unterlässt, dem Vertragspartner Umstände mitzuteilen, die diesen zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlassen können.

Entgegen der Auffassung des LAG kann aber bei Überzahlungen nicht unerheblicher Beträge nicht generell eine Verpflichtung des Arbeitnehmers verneint werden, die Überzahlung dem Arbeitgeber anzuzeigen. Die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben herzuleitende Treuepflicht gebietet nämlich dem Arbeitnehmer grundsätzlich, dem Arbeitgeber einen drohenden Schaden anzuzeigen, der mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang steht (vgl. Schaub, ArbR-Hdb., 4. Aufl. (1980), S. 231 f.; Hueck-Nipperdey, ArbR I, 7. Aufl. (1963), S. 243). Erkennt ein Arbeitnehmer, dass seinem Arbeitgeber bei der Überweisung der Vergütung ein Irrtum unterlaufen ist, der zu einer erheblichen Überzahlung geführt hat, ist es in der Regel geboten, dem Arbeitgeber die Überzahlung anzuzeigen. Dann obliegt es dem Arbeitgeber zu entscheiden, ob, wann und wie er Rückzahlungsansprüche geltend machen will. Eine Anzeigepflicht des Arbeitnehmers entfällt allerdings dann, wenn diejenige Stelle, die über die Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche zu entscheiden hat, vor Ablauf der tariflichen Ausschlussfrist Kenntnis von der Überzahlung erhält. Dann ist der Zweck, der mit der Anzeige der Überzahlung erreicht werden soll, bereits erfüllt. Wenn die für die Geltendmachung der Rückzahlung zuständige Stelle des kl. Landes vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 70 II BAT Kenntnis von der Überzahlung erhielt, sind alle Voraussetzungen gegeben, die das kl. Land in die Lage versetzten, die Rückzahlungsansprüche innerhalb der Ausschlussfrist geltend zu machen.

Das LAG hat für die Revisionsinstanz bindend festgestellt, dass der Bekl. die Überzahlung und den Irrtum des kl. Landes erkannte. Es wird weiter zu prüfen haben, wann die für die Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche zuständige Stelle des kl. Landes Kenntnis von der Überzahlung erhielt.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht