Unrichtige Angaben des Versicherungsnehmers nach Versagung des Versicherungsschutzes

Gericht

OLG Hamm


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

12. 06. 1991


Aktenzeichen

20 U 305/90


Leitsatz des Gerichts

Unrichtige Angaben des Versicherungsnehmers nach endgültiger Versagung des Versicherungsschutzes durch den Versicherer (hier: im Prozess) führen auch bei vereinbarter Leistungsfreiheit bei versuchter arglistiger Täuschung nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers (im Anschluss an OLG Hamm, VersR 1988, 1289 = r + s 1989, 108; BGHZ 107, 368 = NJW 1989, 2472 = LM § 6 VVG Nr. 74 = VersR 1989, 842).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. unterhält bei der Bekl. eine Hausratversicherung, der die VHB 84 zugrundeliegen. Nach ihrer Darstellung wurde ihr in der Nacht vom 20. auf den 21. 2. 1988 zwischen 20.30 Uhr und 04.30 Uhr aus der Wohnung eine Reihe von Einrichtungsgegenständen im Gesamtwert von 29501 DM entwendet. Die herbeigerufene Polizei stellte mehrere, circa 5 mm breite Hebelspuren an der Tür im Bereich des Schlosses fest. Die Wohnung war durchwühlt. Die Kl. hat behauptet, sie habe die Wohnungstür, die Wohnung liegt im zweiten Obergeschoss eines Fünf-Familien-Hauses, ins Schloss gezogen. Die Bekl. lehnte daraufhin mit Schreiben vom 8. 6. 1988 mit der Begründung, dann sei die Wohnungstür nicht ordnungsgemäß verschlossen gewesen, Leistungen ab. Daraufhin erklärte die Zeugin D, dies wurde der Bekl. anschließend zugänglich gemacht, gegenüber dem inzwischen eingeschalteten Anwalt der Kl., dass sie in der fraglichen Nacht bei der Kl. gewesen sei und nach ihr noch einmal die Wohnung betreten habe, um Wasser für den defekten Kühler ihres Fahrzeugs zu holen, und dass sie anschließend die Wohnungstür zweimal umgeschlossen habe. Dies ließ die Kl. dann auch im Prozess vortragen. Vor dem LG als Zeugin vernommen, hat die Zeugin dann erklärt, sie habe den Schlüssel jedenfalls einmal umgedreht, ob zweimal, könne sie nicht sagen. Der vom LG beauftragte Sachverständige S kam dann zu dem Ergebnis, bei zweimaligem Umschließen der Tür seien die von der Polizei vorgefundenen Spuren nicht geeignet gewesen, die Tür zu öffnen, was bei einmaligem Umschließen aber möglich sei.

Das LG hat daraufhin die Klage abgewiesen, weil die Kl. grob fahrlässig den Schadenfall herbeigeführt habe dadurch, dass sie die Wohnungstür nur ins Schloss gezogen habe. Grob fahrlässig sei es aber auch gewesen, dass die Zeugin D, was aufgrund des Gutachtens S feststehe, die Tür nicht mehr als einmal umgeschlossen habe. Die Berufung der Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Die Bekl. ist für den von der Kl. behaupteten Einbruchsdiebstahl aus ihrer Wohnung in der Nacht vom 20. auf den 21. 2. 1988 eintrittspflichtig.

a) Die Kl. hat den ihr obliegenden erleichterten Beweis für einen Einbruchsdiebstahl erbracht. Dazu genügt die Feststellung von Beweisanzeichen, denen hinreichend deutlich das äußere Bild eines bedingungsgemäß versicherten Diebstahls entnommen werden kann (BGH, VersR 1984, 29, st. Rspr.). Dies steht schon aufgrund der von der Polizei gesicherten Spuren fest. Bei deren Eintreffen war die Wohnung durchwühlt, Behältnisse und Schränke waren geöffnet, deren Inhalt lag teilweise auf dem Boden verstreut umher. Ferner war an der Tür manipuliert worden. Die Gummidichtung war herausgerissen. In Höhe des Schlosses befanden sich an der Tür mehrere circa 5 mm breite Hebelspuren. Diese Umstände deuten in ihrer Gesamtheit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen versicherten Einbruchsdiebstahl hin.

b) Die Bekl. hat, was ihr freisteht (BGH, VersR 1984, 24), den ihr obliegenden Nachweis dafür, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Vortäuschung des Versicherungsfalls besteht, nicht erbracht.

aa) Solche Umstände ergeben sich zunächst nicht aus dem Gutachten des Sachverständigen S. Zwar hat dieser Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass ein Eindringen der Täter durch die Tür ausgeschlossen sei. Es spricht aber auch nichts dafür, dass dies der Fall gewesen sein könnte. Zwar hat die Zeugin D entsprechendes gegenüber dem erstinstanzlichen Anwalt der Kl. ausgeführt. In beiden Instanzen als Zeugin vernommen, hat die Zeugin D aber dazu erklärt, das gar nicht zu wissen, es vielmehr daraus hergeleitet zu haben, dass sie ihre eigene Wohnung zweimal umzuschließen pflege. Hier waren die Frauen aber in Eile. Es erscheint deshalb durchaus fraglich, ob die Zeugin, wenn sie überhaupt entsprechend ihrer Aussage nach der Kl. deren Wohnung noch einmal betreten haben sollte, wenigstens einmal umgeschlossen hat oder ob auch sie die Tür nicht - ebenfalls - nur ins Schloss gezogen hat. Tatsachen, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Vortäuschung des Versicherungsfalls durch die Kl. begründen könnten, lassen sich daraus nicht herleiten.

bb) Die Kl. hat stets behauptet, selbst die Tür nur ins Schloss gezogen zu haben. Dass sie nicht vorprozessual schon darauf hingewiesen hat, dass die Zeugin D nach ihrer Darstellung die Tür nachträglich noch abgeschlossen hat, begründet schon deshalb kein Indiz für ein unredliches Verhalten der Kl., weil sie unwiderlegt und nicht einmal unglaubhaft dargetan hat, dass sie davon erst erfahren hat, als sie der Zeugin mitgeteilt hat, dass die Bekl. Leistungen deshalb verweigere, weil sie, die Kl., die Tür nur ins Schloss gezogen habe.

cc) Letztlich ergeben sich durchgreifende Indizien für ein unredliches Verhalten der Kl. auch nicht daraus, dass nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen keiner der übrigen Hausbewohner den Diebstahl bemerkt hat, obwohl im Hinblick auf den Umfang der entwendeten Gegenstände entweder mehrere Täter beteiligt gewesen sein müssen oder ein Täter mehrfach das Treppenhaus passiert haben muss. Die Hausbewohner Frau V und Frau B sind erst Wochen später von der Polizei dazu befragt worden. Beide haben angegeben, von einem Einbruch nichts zu wissen und auch in der fraglichen Nacht nichts gehört zu haben. Wenn aber beide Frauen nichts bemerkt haben, obwohl in der fraglichen Nacht zumindest auch die Polizei mit mehreren Beamten in der Wohnung der Kl. gewesen ist, spricht nichts Entscheidendes gegen die Annahme, dass sie auch den Dieb oder die Diebe überhört haben können.

c) Die Bekl. ist entgegen der Auffassung des LG nicht deshalb leistungsfrei, weil die Kl. den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Leistungsfreiheit setzt, was das LG verkannt hat, nicht nur eine Handlung des Versicherungsnehmers oder eines Repräsentanten voraus, die als grob fahrlässige Herabsetzung des vertragsgemäß vereinbarten Sicherheitsstandards angesehen werden muss, sondern darüber hinaus, dass dieses Verhalten auch ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalls ist. Der Kl. nachteilige Feststellungen lassen sich insoweit zu keinem Punkt treffen.

Ein etwa einmaliges Umschließen der Tür durch die Zeugin D ist schon deshalb unbeachtlich, weil diese nicht Repräsentantin der Kl. ist. Im übrigen wäre der Zeugin auch weder eine erhebliche Herabsetzung des vertragsgemäß vorausgesetzten Sicherheitsstandards vorzuwerfen noch könnte ihr Verhalten als subjektiv unentschuldbar angesehen werden (vgl. etwa BGH, VersR 1989, 141). An der nicht weiter begründeten gegenteiligen Auffassung des LG hält auch die Bekl. in der Berufungsinstanz nicht fest.

Soweit die Kl. selbst unstreitig die Tür nur ins Schloss gezogen hatte, fehlt es am Nachweis der Ursächlichkeit für den Eintritt des Versicherungsfalls. Denn die Bekl. kann nicht beweisen, dass die Zeugin D nicht doch, wie sie ausgesagt hat, die Tür wenigstens einmal umgeschlossen hatte. Der Senat kann nicht feststellen, dass die Zeugin in diesem Punkt die Unwahrheit gesagt hat. Sie hat trotz vielfacher Bemühungen der Prozessvertreter der Bekl. im Senatstermin sich nicht in Widersprüche verwickeln lassen. Ihre Aussage, dass sie nach der Kl. die Wohnung noch einmal betreten hat, um Wasser für den Kühler ihres defekten Autos zu holen, mag in Anbetracht der gesamten Umstände vielleicht als zweifelhaft erscheinen, wie die Bekl. meint. Widerlegt ist die Aussage jedoch sicher nicht.

Im übrigen erscheint auch zweifelhaft, ob das Verhalten der Kl. überhaupt als grob fahrlässig eingestuft werden könnte. Die von der Bekl. gestellten Sicherheitsvorschriften (§ 14 Ic VHB 84) sind nichtig (BGH, NJW 1990, 2388 = LM AVB f. Neuwertvers. d. Hausrats Nr. 13). Ob das Umschließen einer Wohnungstür in einem Mehrfamilienhaus mit in der Regel ohnehin verschlossener Haustür zum vertragsgemäß vorausgesetzten Sicherheitsstandard gehört und ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen ein Verstoß dagegen subjektiv unentschuldbar ist, bedürfte eingehender Prüfung. Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil die Bekl. schon, wie erwähnt, den Nachweis der Ursächlichkeit eines etwa grob fahrlässigen Verhaltens nicht führen kann.

d) Soweit die Bekl. in dieser Instanz sich auch wegen versuchter arglistiger Täuschung zu Grund oder Höhe der Entschädigung für leistungsfrei hält (§ 22 I VHB 84), kann sie auch damit nicht durchdringen.

aa) Soweit die Kl. die entwendeten Gegenstände gegenüber dem Regulierungsbeauftragten der Bekl. als ihr Eigentum bezeichnet haben soll, obwohl unstreitig ein Teil ihrem damaligen Verlobten und heutigen Ehemann gehörte, ist nicht ersichtlich, inwiefern die Kl. arglistig gehandelt haben könnte. Unstreitig waren auch diese Sachen versichert. Dafür, dass die Kl. Gegenteiliges angenommen und deshalb die Unwahrheit gesagt haben könnte, was allerdings Leistungsfreiheit der Bekl. begründen würde, spricht nichts.

bb) Soweit die Bekl. der Kl. vorhält, sie habe im Prozess zu Unrecht behauptet, neben den von der Polizei gesicherten Spuren an der Wohnungseingangstür habe es noch weitere Beschädigungen der Tür gegeben, und soweit sie ihr ferner vorhält, dass sie die widerlegte ursprüngliche Darstellung der Zeugin D, sie habe die Tür zweimal umgeschlossen, als Behauptung im Prozess übernommen habe, kann unterstellt werden, dass die Kl. insoweit die Bekl. zu täuschen versucht hat. Auch dann ist sie nicht nach § 22 I VHB 84 leistungsfrei. Bei beidem handelt es sich um Behauptungen in einem laufenden Prozess, die erstmals erhebliche Zeit nach endgültiger Ablehnung des Versicherungsschutzes durch die Bekl. mit Schreiben vom 8. 6. 1988 aufgestellt worden sind.

Nach endgültiger Ablehnung des Versicherungsschutzes durch den Versicherer führt unrichtiger Sachvortrag des Versicherungsnehmers nicht zur vollständigen Leistungsfreiheit des Versicherers aufgrund von Versicherungsbedingungen, die Leistungsfreiheit für den regulierungs- und deshalb prüfungsbereiten Versicherer vorsehen. Dies hat der Senat für den Fall einer vereinbarten Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzung bereits ausgesprochen (Senat, VersR 1988, 1289 = r + S 1989, 108, zust.: BGHZ 107, 368 = NJW 1989, 2472 = LM § 6 VVG Nr. 74 = VersR 1989, 842 =r + S 1989, 296). Für den vorliegenden Fall der vereinbarten Leistungsfreiheit wegen versuchter arglistiger Täuschung gilt nichts anderes. Auch insoweit ist der Versicherungsnehmer bei Meidung der vertraglich vereinbarten Rechtsnachteile nur gehalten, wahrheitsgemäße Angaben zu machen, um dem Versicherer die Prüfung seiner Verpflichtung zur Leistung zu ermöglichen und/oder zu erleichtern. Der nicht mehr regulierungsbereite Versicherer ist auf solche Angaben nicht mehr angewiesen. Im Prozess stehen sich die Parteien, worauf der Senat schon früher hingewiesen hat, gleichberechtigt gegenüber. Beide Parteien haben dieselbe Chance, mit allen zulässigen Beweismitteln ihren Standpunkt zu vertreten. Die Aufstellung unrichtiger Behauptungen kann deshalb zwar prozessuale Nachteile und auch Schadensersatzansprüche mit sich bringen, führt aber nicht zur vollständigen Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung oder versuchter Täuschung des Prozessgegners.

Gestützt wird dieses Ergebnis durch folgende Überlegung: Der Versicherer, der grundlos Leistungen ablehnt, begeht damit eine schwere Vertragsverletzung. Wer sich aber selbst in erheblichem Maße vertragsuntreu verhält, kann aus einem nachfolgenden, sei es auch ebenfalls schwerwiegenden Vertragsverstoß keine Rechte herleiten, die im Ergebnis dazu führen würden, dass damit der eigene Vertragsverstoß gerechtfertigt würde. Dies wäre aber der Fall, wenn Rechtsfolge einer unrichtigen Angabe gegenüber einem nicht mehr regulierungs- und prüfungsbereiten und damit vertragsungetreuen Versicherer die völlige Leistungsfreiheit eben dieses Versicherers wäre.

Nach allem ist die Bekl. für den Versicherungsfall einstandspflichtig.

2. Die Klage ist auch der Höhe nach in vollem Umfang begründet.

Rechtsgebiete

Versicherungsrecht