Unterhaltspflicht für ungewolltes Kind aufgrund fehlgeschlagener Sterilisation oder fehlerhafter genetischer Beratung
Gericht
BVerfG
Art der Entscheidung
Beschluss über Verfassungsbeschwerde
Datum
12. 11. 1997
Aktenzeichen
1 BvR 479/92 u. 1 BvR 307/94
Die Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Arzthaftung bei fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung eines Kindes verstößt nicht gegen Art. 1 I GG.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Verfahren 1 BvR 479/92: Der Bf. ist ein niedergelassener Urologe. Er beriet den Ehemann der Kl. des Ausgangsverfahrens in Fragen der Familienplanung und nahm an ihm einen ärztlichen Eingriff zum Zwecke der Sterilisation vor. Die Sterilisation misslang; der Patient wurde hierüber nicht aufgeklärt. Seine Ehefrau gebar im Mai 1984 ihren vierten Sohn. Der Bf. und dessen Haftpflichtversicherung lehnten Schadensersatzansprüche ab. Im Ausgangsverfahren verlangte die Ehefrau Schadensersatz wegen des Unterhaltsaufwands für das Kind sowie ein Schmerzensgeld wegen der ungewollten Schwangerschaft und der Geburt des Kindes. Das LG verurteilte den Bf. zur Leistung des Regelunterhalts für nichteheliche Kinder und zur Zahlung eines Zuschlags von 70% des Regelunterhalts für den Betreuungsaufwand. Da die Mutter allein geklagt hatte, wurde ihr nach dem Rechtsgedanken von § 1360 S. 2 und § 1606 III 2 BGB nur die Hälfte des zu ersetzenden Gesamtunterhaltsaufwands zugesprochen. Daneben hielt das LG ein Schmerzensgeld in Höhe von 6000 DM für angemessen. Im einzelnen führte das LG aus: Zwischen dem Bf. und dem Ehemann der Kl. sei ein Behandlungsvertrag über die Durchführung einer Sterilisation geschlossen worden. Die Kl. sei in den Schutzbereich dieses Vertrages mit einbezogen worden, so dass sie Schadensersatzansprüche aus der Schlechterfüllung des Vertrages habe. Der versprochene Sterilisationseingriff sei zum Zwecke der Familienplanung, nicht aus medizinischen Gründen durchgeführt worden. Einer solchen Arztleistung sei es wesenseigen, dass der vertragliche Schutz gegen Schlechterfüllung jedem Ehegatten zukommen solle, weil er durch seine Unterhaltslast betroffen sei. Der Bf. habe den Behandlungsvertrag schlecht erfüllt, weil er den Ehemann der Kl. nicht ordnungsgemäß und umfassend über den Sterilisationseingriff aufgeklärt habe. Die Zuerkennung des Schadensersatzes verstoße nicht gegen die Menschenwürde des Kindes. Nicht das Kind werde als Schaden im juristischen Sinne betrachtet, sondern die durch seine planwidrige Geburt ausgelöste Unterhaltsbelastung der Eltern. Die Existenz des Kindes sei zwar Voraussetzung für diese Unterhaltsbelastung; die haftungsrechtliche Zurechnung der wirtschaftlichen Belastung durch das Kind und die Existenz des Kindes seien jedoch voneinander zu trennen. Der Überbürdung von Unterhaltslasten auf einen Dritten könne man schwerlich die Bedeutung beimessen, die Eltern dokumentierten damit, dass sie sich fortwährend gegen das Lebensrecht des Kindes stellten. Welche innere Einstellung zwischen Eltern und Kind bestehe, hänge nicht davon ab, ob ein Kind „unerwünscht“ im Sinne von „planwidrig“ gewesen sei. Es habe schon immer unerwünschte Kinder gegeben, die nach ihrer Geburt von ihren Eltern dieselbe Zuwendung erfahren hätten wie sogenannte Wunschkinder. Darüber hinaus sei nicht einzusehen, warum sich der Schädiger unter dem Vorwand einer psychologischen Rücksichtnahme auf das Kind seinen Verpflichtungen solle entziehen können. Die Befreiung von der finanziellen Belastung durch den Schädiger habe eine für das Verhältnis der Kl. zu ihrem Kind förderliche Wirkung, da die infolge der Geburt eingetretenen wirtschaftlichen Belastungen neutralisiert würden. Das OLG wies die Berufung des Bf. zurück. Es schloss sich dabei ausdrücklich der Rechtsprechung des BGH an, wonach Schadensersatzansprüche wegen des Unterhaltsaufwands für ein gesundes eheliches Kind bestehen, wenn durch das schuldhafte Verhalten eines Arztes eine wirtschaftlich motivierte Familienplanung durchkreuzt wird.
Verfahren 1 BvR 307/94: Die Kl. zu 1 und 2 des Ausgangsverfahrens sind die Eltern einer 1982 geborenen von Geburt an geistig und körperlich behinderten Tochter. Weil sie eine genetische Disposition zur Zeugung behinderter Kinder befürchteten, suchten sie im August 1983 die damals vom Bf. geleitete Abteilung für klinische Genetik eines Universitätsinstituts auf, um vor dem Entschluss zu einem weiteren Kind die Gefahr von Erbkrankheiten abklären zu lassen. Der Bf. unterzeichnete einen Arztbrief, der den beiden Kl. abschriftlich zur Kenntnis gebracht wurde. Danach war eine vererbbare Störung äußerst unwahrscheinlich; dem Ehepaar müsse nicht von einer weiteren Schwangerschaft abgeraten werden. Im März 1985 wurde die zweite Tochter mit den gleichen geistigen und körperlichen Behinderungen wie ihre Schwester geboren. Das LG wies die Klage auf Unterhaltsersatz (der Eltern) sowie auf Schmerzensgeld (der Mutter und der behinderten Tochter) mit der Begründung ab, dass den Kl. der Beweis einer pflichtwidrigen Beratung nicht gelungen sei. Das OLG sprach den Eltern auf ihre Berufung den Ersatz des materiellen Schadens zu, der ihnen durch den gesamten Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind entstanden sei und entstehen werde. Der Mutter billigte es darüber hinaus ein Schmerzensgeld zu. Eigene Ansprüche des Kindes lehnte es ab. Die Revision des Bf. wurde vom BGH lediglich hinsichtlich der vertraglichen Haftung auf Schadensersatz angenommen und zurückgewiesen (BGHZ 124, 128 = NJW 1994, 788).
Die Verfassungsbeschwerden hatten keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
B. Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen überschreiten nicht die Grenzen, welche der Entwicklung des Rechts durch richterliche Entscheidungen von Verfassungs wegen gesetzt sind (I). Sie verstoßen auch in ihrem sachlichen Gehalt nicht gegen Grundrechte (II).
I. Die angegriffenen Entscheidungen, mit denen die Bf. zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt worden sind, wahren die Bindung des Richters an Gesetz und Recht, so dass eine Grundrechtsverletzung unter diesem Gesichtspunkt ausscheidet.
1. Die der Verurteilung zugrunde liegenden Vorschriften des zivilen Vertrags- und Deliktsrechts (insbesondere §§ 611, 276, 249 BGB sowie §§ 823 I, 847 BGB) begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie haben von jeher dem Richter als ausreichend bestimmte Grundlage zur Entscheidung von Haftungsfragen gedient.
2. Die Auslegung dieser Vorschriften durch die Zivilgerichte überschreitet nicht die Grenzen richterlicher Entscheidungsbefugnis, die sich aus Art. 20 II und III GG ergeben.
a) Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Methode ist Sache der Fachgerichte und vom BVerfG nicht auf ihre Richtigkeit zu untersuchen. Das BVerfG hat nur zu gewährleisten, dass dabei die Anforderungen des Grundgesetzes eingehalten werden.
Art. 20 II GG verleiht dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck. Auch wenn dieses Prinzip im Grundgesetz nicht im Sinn strikter Trennung der Funktionen und Monopolisierung jeder einzelnen bei einem bestimmten Organ ausgestaltet worden ist (vgl. BVerfGE 9, 268 [279 f.] = NJW 1959, 1171; st. Rspr.), so schließt es doch jedenfalls aus, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen worden sind (vgl. BVerfGE 4, 219 [234] = NJW 1955, 1268; st. Rspr.). Art. 20 III GG bindet die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Damit wäre es unverträglich, wenn sich die Gerichte aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben, also objektiv betrachtet sich der Bindung an Recht und Gesetz entziehen würden (vgl. BVerfGE 87, 273 [280] = NJW 1993, 996 m. w. Nachw.).
Diese Verfassungsgrundsätze verbieten es dem Richter allerdings nicht, das Recht fortzuentwickeln. Angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierung zahlreicher Normen gehört die Anpassung des geltenden Rechts an veränderte Verhältnisse im Gegenteil zu den Aufgaben der Dritten Gewalt. Das gilt insbesondere bei zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzesbefehl und richterlicher Einzelfallentscheidung. Das hat das BVerfG gerade mit Blick auf das BGB ausgesprochen (vgl. BVerfGE 34, 269 [288 f.] = NJW 1973, 1221).
Der Richter darf sich dabei allerdings nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, diesen unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen. Handelt es sich bei den veränderten Bedingungen um neuartige, durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt geschaffene Handlungs- oder Einwirkungsmöglichkeiten, so wird die Rechtsfindung in der Regel in einer Ausweitung des Anwendungsfeldes einer bereits geläufigen Auslegung bestehen. Die Zwecksetzungsprärogative des Gesetzgebers wird dadurch regelmäßig nicht berührt.
Da auch die Rechtsfortbildung das einfache Recht betrifft, obliegt die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang gewandelte Verhältnisse neue rechtliche Antworten erfordern, ebenfalls den Fachgerichten. Das BVerfG darf deren Würdigung daher grundsätzlich nicht durch seine eigene ersetzen. Seine Kontrolle beschränkt sich unter dem Gesichtspunkt von Art. 20 GG darauf, ob das Fachgericht bei der Rechtsfortbildung die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert hat und den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gefolgt ist.
b) Diesem Maßstab halten die angegriffenen Entscheidungen sowohl hinsichtlich der vertraglichen Haftung für den Kindesunterhalt als auch in bezug auf das Schmerzensgeld wegen einer gegen den Willen der Frau eingetretenen Schwangerschaft und Geburt stand.
Hinsichtlich der Vertragshaftung fußen die angegriffenen Entscheidungen auf dem herkömmlichen Verständnis des Vermögensschadens, wonach grundsätzlich auch Unterhaltsverpflichtungen als Schaden i. S. des § 249 BGB angesehen werden können, sowie auf der Schadensermittlung nach der Differenzmethode. Der BGH misst die vertragliche Haftung am Vertragszweck - Vermeidung von Zeugung und Geburt eines ehelichen Kindes auch aus wirtschaftlichen Gründen - und beschränkt den Schutzbereich des Vertrages auf die Ehepartner. Die Entscheidungen beruhen auf den seit langem entwickelten Grundsätzen zur allgemeinen Vertragshaftung, die auf neue Fälle der ärztlichen Berufstätigkeit erstreckt worden sind. Ob eine Fortentwicklung der Schadensersatzrechtsprechung in eine andere Richtung möglich gewesen wäre, bedarf hier keiner Erörterung, da das BVerfG grundsätzlich nicht einfachrechtliche Fragen zur zivilrechtlichen Dogmatik zu überprüfen hat. Es entspricht jedenfalls der Konsequenz des langjährig entwickelten Arzthaftungsrechts, dass in Fällen der vorliegenden Art das Zivilrecht auf neue Einwirkungs- und Steuerungsmöglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin angemessene Antworten gesucht hat. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der BGH zugleich bei der Festlegung des Umfangs der Schadensersatzpflicht rechtsfortbildende Einschränkungen für erforderlich gehalten hat. Der BGH hat richterrechtlich die Haftung des Arztes im Hinblick auf Wertentscheidungen am Schnittpunkt schadens- und familienrechtlicher Probleme eingeengt. Das stellt den Weg für die Schadensermittlung nicht in Frage.
Auch soweit die Entscheidungen den ungewollt schwangeren Frauen Schmerzensgeld für die mit der Schwangerschaft und der Entbindung verbundenen Beschwerden zusprechen, sind die Grenzen richterlicher Rechtsfindung nicht überschritten. Die Rüge einer unzulässigen Ausweitung des § 253 BGB berücksichtigt nicht ausreichend, dass § 847 BGB die Geldentschädigung für immaterielle Schäden ausdrücklich zulässt. Soweit der BGH eine ungewollte Schwangerschaft als unbefugten erheblichen Eingriff in die körperliche Integrität und damit als Körperverletzung bewertet, bewegt er sich im Rahmen herkömmlicher zivilrechtlicher Dogmatik.
II. Die im Wege zulässiger richterlicher Auslegung und Rechtsfortbildung getroffenen Entscheidungen sind auch in ihrem sachlichen Gehalt mit dem Grundgesetz vereinbar.
Prüfungsgegenstand sind insoweit die Auslegung verfassungsrechtlich unbedenklicher Normen sowie Ergebnis und Begründung der Rechtsgewinnung durch zivilgerichtliche Entscheidungen. Die Bf. wenden sich dagegen, dass sie für den Unterhalt eines Kindes haften müssen, wenn sie bei der Sterilisation ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllt haben und deshalb ein Kind zur Welt kommt oder wenn infolge der fehlerhaft durchgeführten genetischen Beratung die Eltern von einer sonst gewählten Verhütung Abstand nehmen und ein behindertes Kind gezeugt und geboren wird. Nach ihrer Ansicht dürfen von Verfassungs wegen weder die Unterhaltspflicht der Eltern als Schaden im Sinne des Vertragsrechts noch die mit der Schwangerschaft und Geburt verbundenen Beschwerden als Schaden im Sinne des Deliktsrechts begriffen werden.
1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums in Art. 14 I GG greift zugunsten der Bf. nicht ein. Der Schutzbereich dieses Grundrechts wird durch die Auferlegung von Geldleistungspflichten grundsätzlich nicht berührt (vgl. BVerfGE 95, 267 [300] = NJW 1997, 1975 = VIZ 1997, 302; st. Rspr.). Die Verurteilung der Bf. zur Zahlung eines Geldbetrages aus Vertragsverletzung oder aufgrund deliktischer Haftung ist kein Eingriff in ein (etwaiges) Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb, so dass offen bleiben kann, ob sich der Schutz des Art. 14 GG darauf erstreckt (vgl. BVerfGE 84, 212 [232] = NJW 1991, 2549).
2. Am Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 I GG sind die zur Prüfung gestellten Entscheidungen ebenfalls nicht zu messen. Die zivilrechtlichen Folgen der Schlechterfüllung von Verträgen und die Haftung für Schäden, die aus unerlaubter Handlung entstehen, treten unabhängig davon ein, ob die Haftungsvoraussetzungen bei Ausübung des Berufs erfüllt werden oder nicht. Weder die zugrunde liegenden Normen des Zivilrechts noch ihre Anwendung in den Ausgangsverfahren betreffen berufsspezifische Sanktionen. Die Verpflichtung zum Schadensersatz kann allenfalls mittelbar Auswirkungen auf die Ausübung der beruflichen Tätigkeit haben, indem sie die Erwartung sorgfältiger Vertragserfüllung unter Einhaltung des beruflichen Standards nachdrücklich unterstreicht und sich auch auf den Umfang der gebotenen Haftpflichtversicherung auswirkt. Vertrags- und Deliktsrecht gehören jedoch nicht zu den Normen, die nur in Randbereichen auch nicht berufsmäßig Handelnde betreffen und daher in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen; sie haben objektiv keine berufsregelnde Tendenz (vgl. BVerfGE 13, 181 [186] = NJW 1961, 2299; BVerfGE 52, 42 [54] = NJW 1980, 33; BVerfGE 70, 191 [214] = NVwZ 1986, 113; BVerfGE 95, 267 [302] = NJW 1997, 1975 = VIZ 1997, 302).
3. Als Prüfungsmaßstab für die Auferlegung von Geldleistungspflichten verbleibt demnach die in Art. 2 I GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit. Das Grundrecht ist allerdings nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Dazu zählen alle Rechtsnormen, die formell und materiell mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Art. 2 I GG ist verletzt, wenn bei Auslegung und Anwendung solcher Normen gegen objektives Verfassungsrecht verstoßen wird. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, inwieweit es Art. 2 I GG in seiner Ausprägung als Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit einem Bf. ermöglicht, sich auf die Verletzung objektiven Verfassungsrechts auch dort zu berufen, wo ihm der Schutzzweck der konkreten Grundrechtsnorm eindeutig nicht zugeordnet werden kann (vgl. hierzu BVerfGE 61, 82 [112 f.] = NJW 1982, 2173; BVerfGE 85, 191 [205 f.] = NJW 1982, 964), diese vielmehr Rechtspositionen zu schützen bestimmt ist, die dem im Ausgangsverfahren obsiegenden Prozessgegner zuzuordnen sind. Denn die Bf. rügen einen Verstoß gegen Art. 1 I GG und damit gegen ein tragendes Konstitutionsprinzip und den obersten Grundwert der freiheitlichen Demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfGE 6, 32 [36, 41] = NJW 1957, 297; BVerfGE 45, 187 [227] = NJW 1977, 1525; BVerfGE 50, 166 [175] = NJW 1979, 1100; BVerfGE 87, 209 [228] = NJW 1993, 1457). Ob eine Verletzung von Art. 6 I oder II GG von den Bf. gerügt werden könnte, bedarf keiner abschließenden Prüfung, weil diesen Vorschriften gegenüber Art. 1 I GG hier kein eigenständiges Gewicht zukommt.
a) Die Antwort auf zivilrechtliche Wertungsfragen wird durch die objektiven Grundsatzentscheidungen beeinflusst, die im Grundrechtskatalog der Verfassung zum Ausdruck kommen. Die Fachgerichte sind danach von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften die Grundrechte als „Richtlinien“ zu beachten. Ebenso wie bei der Auslegung von Generalklauseln ist bei der Rechtsfortbildung in besonderem Maße auf die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen Bedacht zu nehmen. Übersehen oder verkennen die Gerichte deren Ausstrahlungswirkung bei der Entscheidung eines konkreten Falles, so verletzen sie als Träger öffentlicher Gewalt die dadurch betroffene Prozesspartei in ihren Grundrechten (vgl. BVerfGE 89, 214 [229 f.] = NJW 1994, 36, unter Bezugnahme auf BVerfGE 7, 198 [206 f.] = NJW 1958, 257). Für das BVerfG ergibt sich daraus eine Kontrollkompetenz, die allerdings auf verfassungsrechtliche Fragen beschränkt ist. Sie betrifft nur Auslegungsfehler, die eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, erkennen lassen und auch in ihrer materiellen Tragweite von einigem Gewicht sind (BVerfGE 18, 85 [93] = NJW 1964, 1715; BVerfGE 42, 143 [149] = NJW 1976, 1677; BVerfGE 85, 248 [257 f.] = NJW 1992, 2341).
Bei dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle zivilgerichtlicher Urteile ist zudem zu beachten, dass es geboten sein kann, auch auf seiten der durch die angegriffenen Entscheidungen Begünstigten den Schutzgehalt von Grundrechten in die Abwägung einzustellen. Vorliegend geht es um den Schnittpunkt von ärztlicher Verantwortlichkeit und Familiensphäre. Ermöglicht die Weiterentwicklung der Medizin ärztliche Hilfeleistung in dem höchst privaten und von den Geschlechtspartnern autonom zu verantwortenden Bereich der Zeugung, kommt insbesondere dem Delikts- und Vertragshaftungsrecht des BGB die Funktion zu, das hierdurch gefährdete Persönlichkeitsrecht von Eltern und Kind, die körperliche Unversehrtheit der Frau und die persönliche Selbstbestimmung der Eltern abzusichern. Der Ausgleich widerstreitender Interessen im einzelnen fällt hierbei der Rechtsprechung zu, soweit das bestehende Haftungsrecht einer solchen Fortentwicklung zugänglich ist. Dabei darf sie berücksichtigen, dass die Eheleute einseitig mit dem Risiko eines ärztlichen Fehlers belastet würden, wenn schuldhaftes ärztliches Handeln in diesem Bereich weitgehend sanktionslos bliebe.
b) Bei der Ausformung des Haftungstatbestandes hat der BGH der Ausstrahlungswirkung des Art. 1 I GG hinlänglich Rechnung getragen.
(1) Mit der Menschenwürde als oberstem Wert des Grundgesetzes und tragendem Konstitutionsprinzip ist der soziale Wert und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (BVerfGE 6, 32 [36, 41] = NJW 1957, 297; BVerfGE 30, 1 [26] = NJW 1971, 275). Jedem Menschen ist sie eigen ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Verletzbar ist der Wert und Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt (vgl. BVerfGE 87, 209 [228] = NJW 1993, 1457). Was die Achtung der Menschenwürde im einzelnen erfordert, kann von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht völlig gelöst werden (vgl. BVerfGE 45, 187 [229] = NJW 1977, 1525). Eine Verletzung des Achtungsanspruchs kann nicht nur in der Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung oder Ächtung von Personen (vgl. BVerfGE 1, 97 [104] = NJW 1952, 297), sondern auch in der Kommerzialisierung menschlichen Daseins liegen.
(2) Einen danach relevanten Fehler enthalten die angegriffenen Urteile nicht.
Das gilt zunächst für die Annahme, dass Sterilisation und genetische Beratung vor der Zeugung eines Kindes von der Rechtsordnung gebilligt werden und rechtmäßig sind. Unbedenklich ist weiterhin die Annahme, dass ein Arzt, der vertraglich solche Aufgaben übernimmt, für schuldhaftes Fehlverhalten eintreten muss. Die Rechtsprechung des BGH, dass die Unterhaltspflicht für ein Kind in den hier zu beurteilenden Sachverhalten als Schaden anzusehen ist, stellt auch keine Kommerzialisierung dar, die das Kind seines Eigenwertes beraubt. Das Haftungsgefüge des Zivilrechts berührt grundsätzlich auch dort die Menschenwürde nicht, wo ein Schadensersatzanspruch unmittelbar an die Existenz eines Menschen anknüpft. Damit werden nicht Menschen zu Objekten, also zu vertretbaren Größen im Rahmen von vertraglichen oder deliktischen Beziehungen herabgewürdigt. Die zivilrechtlichen Vorschriften und ihre Auslegung durch die Rechtsprechung sind auf eine gerechte Lastenverteilung angelegt. Sie haben nicht zur Folge, dass elementare Persönlichkeitsbereiche kommerzialisiert werden. Die Anwendung des Schadensersatzrechts auf personale Beziehungen macht nicht den Menschen als Person oder seine unveräußerlichen Rechte zum Handelsgut. Ebenso wenig enthält die - teilweise - Verlagerung der Unterhaltslast auf Dritte ein Unwerturteil über den jeweiligen Unterhaltsberechtigten.
Die personale Anerkennung eines Kindes beruht nicht auf der Übernahme von Unterhaltspflichten durch die Eltern. Auch nach bürgerlichem Recht ist die Existenz eines Kindes nur eine der tatbestandsmäßigen Bedingungen für die entstehende Unterhaltslast nach den §§ 1601 ff. BGB. Nicht jedes Kind ist unterhaltsbedürftig (§ 1602 II BGB). Unterhaltspflicht und Elternschaft können auseinanderfallen (vgl. BGHZ 72, 299 = NJW 1979, 418; BGH, NJW-RR 1987, 898; BGHZ 129, 297 = NJW 1995, 2028 = LM § 242 [Bb] BGB Nr. 156 [Hohloch]). Der Adoption der Halbwaisen folgt keine volle Unterhaltsverpflichtung (§ 1755 I 2 BGB i. V. mit § 48 VI SGB VI). Schon das RG unterschied zwischen dem Dasein des Kindes, das nicht als Schaden angesehen wurde, und der den Erzeuger treffenden Unterhaltsverpflichtung, die bei ihm als Vermögensschaden eingeordnet wurde (RGZ 108, 86). Das BGB begründet schadensersatzrechtliche Beziehungen zwischen den zum Unterhalt verpflichteten Familienmitgliedern und einem Schädiger, ohne dass darin eine Herabsetzung oder Vergegenständlichung des Unterhaltsberechtigten zum Ausdruck käme (§ 844 II i. V. mit § 843 IV BGB). Derselbe Ausgleichsgedanke wird in zahlreichen modernen Gesetzen zur Produkt-, Umwelt- und Verkehrshaftung aufgegriffen (vgl. die Nachw. bei Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl. [1998], Vorb. § 249 Rdnr. 137). Auch die Einbeziehung des nasciturus in die Unfallversicherung setzt voraus, dass die Würde des Kindes nicht dadurch verletzt wird, dass die Unterhaltsverpflichteten eine Teilentlastung erfahren (vgl. BVerfGE 45, 376 = NJW 1978, 101).
Es ist nicht darüber zu entscheiden, welche Form des Schadensausgleichs besser mit der zivilrechtlichen Dogmatik in Einklang zu bringen ist. Der BGH hat den Weg über die vertragliche Haftung für materielle Schäden gewählt und nicht den des immateriellen Schadensersatzes, den er ebenfalls erwogen hat. Er hat hierbei darauf abgestellt, dass sowohl die Schadensermittlung über die Differenzmethode als auch die billige Entschädigung in Geld für den durch die ungewollte Zeugung entstandenen Schaden nicht von einem Vergleich der Lebenssituation der Eltern mit oder ohne Kind entbinden. Verfassungsrechtlich ist allein von Belang, dass die vom BGH angestrebte Lastenverteilung unter Einbeziehung der den Eltern erwachsenden gesetzlichen Unterhaltspflichten nicht gegen Art. 1 I GG verstößt.
Es ist auch nicht Aufgabe des BVerfG, die Argumentation des BGH in allen Einzelheiten zu überprüfen. Sie steht nicht in Widerspruch mit Art. 1 I GG. Die zum Schadensersatz verurteilten Ärzte haben freiwillig vertragliche Pflichten übernommen, die von der Rechtsordnung nicht missbilligt werden. Die ärztliche Hilfeleistung bei der Familienplanung durch Sterilisation oder die Beratung über genetisch bedingte Risiken vor der Zeugung eines Kindes berühren Art. 1 I GG nicht. Widerstreitet solche Hilfeleistung den persönlichen ethischen Überzeugungen eines Arztes, so kann er vom Vertragsschluss Abstand nehmen; die Schlechterfüllung einer freiwillig übernommenen Vertragspflicht kann hierin keine Rechtfertigung finden.
Soweit Ärzte in diesem Bereich tätig werden, steht ihre ärztliche Fachkompetenz im Dienst einer von Verantwortung getragenen Elternschaft, wenn die Eltern um der wirtschaftlichen Absicherung bereits geborener Kinder willen oder aus Sorge vor Überforderung - hier durch die Geburt eines zweiten schwerstgeschädigten Kindes - von der Zeugung weiterer Kinder absehen wollen. Zivilrechtliche Haftung für Schlechterfüllung kann in derartigen Fällen die Akzeptanz der Eltern für die dennoch geborenen und in die Familie aufgenommenen Kinder erhöhen, wie der BGH plausibel dargelegt hat.
Die mit den Verfassungsbeschwerden vorgetragenen Argumente, dass die Rechtsprechung des BGH dem System des familienrechtlichen Unterhalts widerspreche oder dass dem Kind psychische Schäden drohen könnten, sofern es davon erfahre, dass seine Zeugung habe vermieden werden sollen, berühren nicht den Grundgedanken des Art. 1 I GG. Insofern wird geltend gemacht, dass eine finanzielle Entlastung der Eltern angesichts der komplexen Familienbeziehungen andersartige Einbußen nicht verhindert. Das betrifft Fragen der zivilrechtlichen Abwägung, mit denen sich der BGH im einzelnen auseinandergesetzt hat.
In den Ausgangsverfahren handelt es sich um Kinder, zu denen sich die Eltern nach Zeugung bekannt haben. Durchkreuzte Familienplanung, die vorliegend vom BGH als Haftungsgrundlage herangezogen worden ist, kann Kindern auf vielfältige Weise bekannt werden. Ob sich hieraus Schäden entwickeln, hängt nicht von der wirtschaftlichen Entlastung der Eltern, sondern von dem Eltern-Kind-Verhältnis nach der Geburt ab. Der zugebilligte Schadensersatzanspruch setzt keine Abwendung vom Kind voraus (vgl. BGHZ 76, 249 [258] = NJW 1980, 1450; BGHZ 76, 259 [264] = NJW 1980, 1452, und die Stellungnahme des BGH in diesem Verfahren). Auch ist nicht zu befürchten, dass die angegriffenen Urteile eine negative Einstellung der Beteiligten gegen das ungeplant gezeugte Leben hervorrufen oder bestärken könnten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ärzte entgegen ihrem ethischen Selbstverständnis nur wegen der drohenden Haftung oder deren Auswirkung auf ihre Berufshaftpflichtversicherung zur Abtreibung raten. Noch ferner liegt, dass sich die Eltern wegen der wirtschaftlichen Belastungen durch ein weiteres oder ein behindertes Kind gegen das Kind entscheiden, wenn ihnen insoweit Entlastung zuteil wird. Eine Verpflichtung zur Schadensminderung durch Abtreibung schließt der BGH gerade aus. Aus der Sicht der Eltern verwirklicht die hier angegriffene Rechtsprechung vielmehr den notwendigen Schutz gegenüber Gefährdungen, die infolge ärztlicher Beteiligung an Sterilisation oder genetischer Beratung für das Persönlichkeitsrecht der Eltern und deren Selbstbestimmung im Rahmen einer geplanten Elternschaft drohen.
C. Die vorstehende Beurteilung zwingt nicht dazu, im Hinblick auf die Entscheidung des Zweiten Senats vom 28. 5. 1993 (BVerfGE 88, 203 [296] = NJW 1993, 1751 und Leitsatz 14) das Plenum des BVerfG anzurufen. Die Voraussetzungen des § 16 BVerfGG und des § 48 I GeschOBVerfG liegen nicht vor.
I. Mit der vom Zweiten Senat im Beschluss vom 22. 10. 1997 (NJW 1998, 523, in diesem Heft) geäußerten Rechtsauffassung hat sich der Erste Senat nicht förmlich zu befassen. Über ein anhängiges Verfahren befinden nur die hierzu nach Gesetz und Geschäftsverteilung berufenen Richter (vgl. BVerfGE 95, 322 [327 ff.] = NJW 1997, 1497 = NVwZ 1997, 681 L). Das gilt auch für die Frage, ob eine Aussage in einer Entscheidung des anderen Senats zu den tragenden Gründen gehört.
II. Nach § 16 BVerfGG entscheidet das Plenum des BVerfG, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will.
1. a) Die Vorschrift unterscheidet sich zwar im Wortlaut von den für die obersten Gerichtshöfe des Bundes maßgeblichen Regelungen für die Anrufung der Großen Senate (vgl. etwa § 132 II GVG). Materiell gelten indessen dieselben Voraussetzungen. Das BVerfG hat § 16 BVerfGG von Anfang an dahin ausgelegt, dass nur eine beabsichtigte Abweichung von einer Rechtsauffassung, die für die Entscheidung des anderen Senats tragend war, die Anrufung des Plenums gebietet (vgl. BVerfGE 4, 27 [28] = NJW 1955, 17; BVerfGE 77, 84 [104] = NJW 1988, 1195). Diese Auslegung trägt der begrenzten Zuständigkeit der Senate Rechnung, die nur über an sie herangetragene Fälle entscheiden dürfen und deren Aussagen daher nur insoweit bindende Wirkung entfalten können, als ihre Entscheidungen hierauf beruhen.
b) Tragend für eine Entscheidung sind jene Rechtssätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele. Nicht tragend sind dagegen bei Gelegenheit einer Entscheidung gemachte Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs zwischen genereller Rechtsregel und konkreter Entscheidung stehen. Bei der Beurteilung, ob ein tragender Grund vorliegt, ist von der niedergelegten Begründung in ihrem objektiven Gehalt auszugehen. Angesichts der besonderen Tragweite, die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen nach § 31 BVerfGG zukommt, müssen ihre rechtlich bindenden Aussagen auf den auch für Außenstehende erkennbaren Gehalt beschränkt sein. Es kommt nicht darauf an, ob den Richtern bestimmte Rechtsauffassungen wichtig erscheinen, sondern ob sie erkennbar im Begründungszusammenhang für die Entscheidung des Falles erheblich geworden sind.
c) Der Zweite Senat hat in seinem Urteil vom 28. 5. 1993 (BVerfGE 88, 203 [296] = NJW 1993, 1751, und Leitsatz 14) ausgeführt, eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle komme von Verfassungs wegen (Art. 1 I GG) nicht in Betracht; die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten, verbiete es, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen. Diese Ausführungen müssen für Verträge über Schwangerschaftsabbrüche und für Verträge über (rechtmäßige) Sterilisationen und genetische Beratungen im Hinblick auf die unterschiedliche rechtliche Bewertung der Vertragsgegenstände nicht notwendig einheitlich gelten. Soweit der Zweite Senat seine Aussage auch auf Fälle rechtmäßiger ärztlicher Tätigkeit ohne Bezug zu einem Schwangerschaftsabbruch erstreckt haben sollte, weicht die vorliegende Entscheidung davon ab.
In diesem Umfang ist die Aussage des Zweiten Senats jedoch nach Ansicht des erkennenden Senats jedenfalls nicht tragend. Die Normenkontrollanträge, über die der Zweite Senat zu entscheiden hatte, betrafen Kernvorschriften des Beratungsmodells, deren Verfassungswidrigkeit die Nichtigkeit der Gesamtregelung zur Folge haben konnte. Zur Überprüfung standen Regelungen des Strafrechts sowie die Frage, inwieweit der Gesetzgeber auf strafrechtliche Sanktionen verzichten darf und inwieweit ein solcher Verzicht durch anderweitige Regelungen kompensiert werden muss. Ausgehend von einer Schutzpflicht für das gezeugte, aber noch nicht geborene Leben hat er geprüft, ob die Schutzvorkehrungen des Gesetzgebers ausreichend waren. Im Ausgangspunkt hat er dem Gesetzgeber freigestellt, sich zwischen einer Strafrechts- und einer Beratungslösung zu entscheiden, wenn nur deren jeweilige Ausgestaltung unter dem Gesichtspunkt des Lebensschutzes hinreichend wirksam ist (BVerfGE 88, 203 [258] = NJW 1993, 1751).
Schon dies legt nahe, dass die Aussagen, die sich mit den rechtlichen Auswirkungen des Beratungskonzepts befassen, nicht allgemein, sondern nur insoweit Geltung beanspruchen, als es um das vom Gesetzgeber verwirklichte Beratungskonzept geht. Dafür spricht auch, dass der Senat dabei auf seine Ausführungen unter D I 1 a Bezug genommen und damit an den Gegenstand seiner Entscheidung, den Schwangerschaftsabbruch und den Schutz der Leibesfrucht durch ärztliche Beratung, angeschlossen hat. Auch ärztliche Beratungsfehler sind im Abschnitt D V des Urteils nur im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen erörtert worden. Das Beratungskonzept erfordert nach Auffassung des Zweiten Senats einerseits, Schwangerschaftsabbrüche für rechtswidrig zu erklären und andererseits den Arzt in die Schutzaufgabe einzubeziehen. Auch alle weiteren Aussagen zum Berufs- und Vertragsrecht unter V 1 bis 5 beziehen sich ausschließlich auf Verträge aus Anlass eines Schwangerschaftsabbruchs. Ein rechtlicher Zusammenhang mit der Vertragshaftung nach rechtmäßiger Sterilisation oder genetischer Beratung wird in der Entscheidung selbst - auch über das Schutzkonzept - nicht hergestellt. Die Erwähnung solcher Fälle findet sich nur in den zum Beleg herangezogenen Rechtsprechungsnachweisen. Auch der Umstand, dass der Senat sich darauf beschränkt hat, die Zivilgerichte lediglich zur Überprüfung ihrer Rechtsprechung aufzufordern, spricht nicht für eine tragende Bedeutung der Aussage.
Diese Auffassung über die Tragweite der Aussage des Zweiten Senats wird von der Literatur ganz überwiegend geteilt (Giesen, JZ 1994, 286 [288]; Schöbener, JR 1996, 89; Deutsch, NJW 1994, 776 [777]; Roth, FuR 1993, 305 [307]; Schiemann, in: LM § 249 [A] BGB Nr. 109, Bl. 5; Höfling, in: Sachs, GG, 1996, Art. 1 Rdnr. 27; Boin, JA 1995, 425 [427 f.]; Weiß, JR 1994, 456 [462]; Ratzel, MedR 1994, 200; ausdrücklich offengelassen bei Backhaus, MedR 1996, 201 [202]; ebenso Lange, in: LM § 823 [Aa] BGB Nr. 154; unentschieden Picker, AcP 195 [1995], S. 483 [499, 522, 531 mit Fußn. 133]; vgl. auch Palandt/Heinrichs, 57. Aufl. [1998], Vorb. § 249 Rdnr. 47).
2. Da nach § 16 BVerfGG keine den anderen Prozessordnungen entsprechende Möglichkeit besteht, das Plenum bei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung anzurufen (vgl. etwa § 132 IV GVG), konnte der Senat das Plenum auch nicht zur Klärung der Frage anrufen, ob durch vorsorglich abgegebene Erläuterungen des jeweils anderen Senats bestimmten Rechtsfragen eine grundsätzliche Bedeutung verliehen werden kann, die eine Plenarentscheidung angezeigt erscheinen ließe. Bisher hat das BVerfG diese Auffassung nicht vertreten. Der Erste Senat hält eine erweiternde Auslegung des § 16 BVerfGG nicht für gerechtfertigt (vgl. hierzu auch Lechner/Zuck, BVerfGG, 4. Aufl., § 16 Rdnr. 5). Verfassungsfragen sind häufig von grundsätzlicher Bedeutung, aber gleichwohl den beiden Senaten jeweils nach ihrer Zuständigkeit zur eigenen Entscheidung zugewiesen.
D. Die Entscheidung ist zu Abschnitt B mit 6:2 Stimmen und zu Abschnitt C mit 5:3 Stimmen ergangen.
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