Nachbarschutz gegen Richt- und Mobilfunkantenne

Gericht

OVG Lüneburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

13. 07. 1994


Aktenzeichen

1 L 250/91


Leitsatz des Gerichts

  1. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die für hochfrequente elektromagnetische Strahlungen empfohlenen internationalen Grenzwerte die gesundheitlichen Gefahren unterschätzen. Gesundheitliche Gefahren sind auszuschließen, wenn die Emissionen im konkreten Fall sogar erheblich unter den Grenzwerten liegen.

  2. Die Einführung der Mobilfunktechnik ist nicht von einer parlamentarischen Leitentscheidung abhängig.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. wenden sich gegen die bauaufsichtsbehördliche Zustimmung der Bekl. zur Errichtung eines Antennenträgers der Begel. auf deren (zuvor nur über Fernkabel an das Weitverkehrsnetz angeschlossenen) Knotenvermittlungsstelle am N.-Weg in R. Das Wohngrundstück des Kl. zu 1 liegt 63,50 m nordöstlich vom Antennenträger-Standort, sein Haus rund 75 m. Der Abstand zum annähernd südlich gelegenen Grundstück des Kl. zu 2 beträgt etwa 46 m, zum Wohnhaus rund 81 m. Mit Bescheid vom 27. 4. 1987 erteilte die Bekl. die Zustimmung zur Errichtung des 3 m starken Antennenträgers von 79,90 m Höhe mit zwei Antennenplattformen von je 9,5 m Durchmesser auf der Höhe von 70 m und 77,25 m für eine Richtfunkantennenanlage zur Schaltung von Fernsprechleitungen und die spätere Einrichtung einer Kabelfernsehanlage zur Versorgung der Stadt R. sowie mit weiterem Bescheid vom 30. 6. 1988 die Zustimmung zu einem Aufsatzmast bis zu einer Gesamthöhe von 85,4 m über Gelände zur Aufnahme von Antennen für das Funktelefonnetz D und für Breitbandkabelkommunikation. Nach einer aktualisierten "Standortbescheinigung" des Bundesamtes für Post und Telekommunikation vom 14. 12. 1993, welche die Sicherheitsabstände für den Expositionsbereich 2 nach der DIN VDE 0848 mit maximal 20,1 m angab, sind inzwischen 7 Richtfunkanlagen, je eine Anlage für das C- und das D1-Netz, eine Cityrufanlage und eine Modacomanlage installiert. Auf dieser Grundlage ergänzte die Bekl. ihre bisherigen Zustimmungsbescheide mit Änderungsbescheid vom 3. 1. 1994 in Anlehnung an einen Erlass des Niedersächsischen Sozialministers vom 19. 10. 1992 um einen Widerrufsvorbehalt für den Fall einer zukünftigen Festlegung von Grenzwerten, die von jenen des Normentwurfs DIN VDE 0848 Teil 2, Stand Oktober 1991 abweichen, sowie um den Hinweis, dass jede Änderung der Anlage, die größere Schutzabstände erfordere, zustimmungsbedürftig sei. Das Bundesamt für Post und Telekommunikation erteilte unter dem 7. 7. 1994 eine weitere Standortbescheinigung, wonach der einzuhaltende Sicherheitsabstand nur 7,4 m beträgt.

Die nach erfolglosen Widersprüchen erhobenen Klagen hatten keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Nach § 82 I NdsBauO tritt an die Stelle einer sonst erforderlichen Baugenehmigung die Zustimmung der oberen Bauaufsichtsbehörde, wenn der Bund oder ein Land Bauherr ist und die Leitung der Entwurfsarbeiten sowie die Überwachung der Bauarbeiten durch Beamte mit näher spezifizierter Befähigung durchführen lässt. Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt der Erteilung der angefochtenen Zustimmungen vor. Die damalige Zulässigkeit des Zustimmungsverfahrens wird durch die gesetzliche Neuregelung des Postwesens nicht berührt.

Nach § 82 III NdsBauO werden Baumaßnahmen im Zustimmungsverfahren nur auf ihre Vereinbarkeit mit bestimmten Vorschriften geprüft, unter anderem den §§ 7-13 NdsBauO und dem städtebaulichen Planungsrecht. Auf eine Verletzung der Abstandsvorschriften gehen die Kl. im Berufungsverfahren nicht mehr ausdrücklich ein; der Senat kann sich insoweit darauf beschränken, auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Urteile Bezug zu nehmen (§ 130b VwGO).

Nachbarschützende Vorschriften des städtebaulichen Planungsrechts sind gleichfalls nicht verletzt. Im unbeplanten Innenbereich hat der Nachbar allenfalls dann einen Anspruch auf Bewahrung der vorgegebenen Gebietsart, wenn diese i.S. des § 34 II BauGB einer der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Gebietsarten entspricht (vgl. BVerwG, NJW 1994, 1546 = DVBl 1994, 284 m.Anm. Schmidt-Preuß). Es kann offen bleiben, ob das Baugesetzbuch auf die vor seinem Inkrafttreten erteilte Zustimmung vom 27. 4. 1987 überhaupt anzuwenden ist. Zwar ist dies nach der Überleitungsvorschrift des § 236 I BauGB grundsätzlich der Fall; diese Regelung ist aber älteren Überleitungsbestimmungen nachgebildet worden, die im Hinblick auf Nachbarstreitfälle einschränkend ausgelegt wurden (vgl. BVerwG, NJW 1979, 995 zu Art. 3 § 5 des Gesetzes zur Änderung des Bundesbaugesetzes vom 18. 8. 1976, BGBl I, 2256; s. ferner VGH Kassel, NVwZ-RR 1988, 3 und VGH Mannheim, VBlBW 1989, 343). Danach ist bei Nachbarklagen auf das zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung geltende Recht abzustellen; nur wenn spätere Rechtsänderungen dem Bauherrn günstig sind, sind sie zu berücksichtigen. Die Verbesserung der Abwehrposition des Nachbarn durch § 34 II BauGB im Verhältnis zur vorangegangenen Gesetzesfassung (vgl. BVerwG, NJW 1994, 1546) wirkt sich danach in diesen "Altfällen" nicht aus.

Selbst wenn man der abweichenden Auffassung des BVerwG zu Überleitungsvorschriften anderer Gesetze folgt (vgl. NVwZ1983, 32 zu § 67 IV BImSchG; dazu Schlichter, in: BerlKomm, 1988, § 236 Rdnrn. 3f.; Kleinlein, VerwArch 1990, 149), die Bestimmungen des Baugesetzbuches also uneingeschränkt anwendet, kommt den Kl. die Vorschrift des § 34 II BauGB aus tatsächlichen Gründen nicht zugute. Eine Qualifizierung der näheren Umgebung als faktisches allgemeines Wohngebiet scheitert schon daran, dass die Knotenvermittlungsstelle der Beigel. auch vor ihrer Erweiterung durch den streitigen Antennenträger dem Kreis der nach § 4 BauNVO generell oder ausnahmsweise zulässigen Vorhaben nicht zugeordnet werden konnte (insb. § 4 III Nr. 3 BauNVO: "Anlagen für Verwaltungen"). Sie durfte aber auch nicht als "Fremdkörper" (vgl. BVerwG, NVwZ 1990, 755) unberücksichtigt bleiben, weil sie nach ihrer Ausdehnung den Charakter der Umgebung mitbestimmt. Der Rahmen der in der näheren Umgebung vorhandenen Grundstücksnutzungen reichte schon damit über denjenigen einer bestimmten, in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Gebietsart hinaus, ohne dass es darauf ankommt, ob die nähere Umgebung auch im übrigen noch durch Nutzungen geprägt war, die im allgemeinen Wohngebiet keinen Platz haben.

Beurteilt sich die baurechtliche Zulässigkeit des streitigen Vorhabens mithin nach § 34 I BBauG/BauGB, so kann im Nachbarklageverfahren mit Erfolg nur ein Verstoß gegen das im Begriff des "Einfügens" enthaltene baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme geltend gemacht werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Nachbar in unzumutbarer Weise konkret in schutzwürdigen Interessen betroffen wird. Es bedarf keiner generellen Klärung, ob die Schwelle der Zumutbarkeit sich erhöhen kann, wenn die besondere Zweckbestimmung für bauliche Anlagen des Bundes oder eines Landes i.S des § 37 I BauGB erforderlich macht, von den Vorschriften des Baugesetzbuches abzuweichen. Dies dürfte jedenfalls für eine Betroffenheit in gesundheitlicher Hinsicht zu verneinen sein. Hier fehlt es jedoch schon bei alleiniger Anwendung des § 34 BauGB an einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots, so dass dahinstehen kann, ob das Vorhaben (zusätzlich) die Voraussetzungen des § 37 I BauGB erfüllt.

Soweit eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme unter den Gesichtspunkten der "erdrückenden Wirkung", des Eisfalles, der Gefahr eines Flugzeugaufpralls und vergleichbarer Gesichtspunkte geltend gemacht worden ist, nimmt der Senat auf die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Urteils Bezug. Wie bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausgeführt (OVG Lüneburg, Beschl. v. 20. 4. 1988 - 1 B 31/88 und 1 B 33/88), können nachbarliche Abwehransprüche nach der konkreten örtlichen Situation auf die genannten Gesichtspunkte nicht gestützt werden.

Im Ergebnis gilt das gleiche für gesundheitliche Gefahren durch elektromagnetische Strahlen, die (erst) im Berufungsverfahren in den Vordergrund der rechtlichen Auseinandersetzung gerückt sind. Die Baugenehmigungsbehörde hat allerdings grundsätzlich zu prüfen, ob ein bauliches Vorhaben so betrieben werden kann, dass es den Anforderungen des § 22 I BImSchG genügt (BVerwG, NVwZ 1987, 884). Danach bestimmt sich zugleich - bei einzelfallbezogener Wertung aller seiner Auswirkungen (BVerwG, NVwZ 1989, 666) -, ob dem Vorhaben im Hinblick auf Nachbarbeeinträchtigungen bauplanungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen. Insoweit geht es um die Vereinbarkeit mit dem "städtebaulichen Planungsrecht" i.S. des § 82 III 1 Nr. 2 NdsBauO. Damit unterliegen die Feststellungen des Bundesamtes für Post und Telekommunikation in ihren Standortbescheinigungen (vgl. dazu auch Blümel/Pfeil, VerwArch 1994, 451 (478)) unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage und auch unabhängig davon der Prüfung durch die Gerichte, dass der Erlass des Niedersächsischen Sozialministeriums vom 19. 10. 1992 eine Überprüfung durch die obere Bauaufsichtsbehörde nicht für erforderlich hält. Das bedarf indes keiner Vertiefung, weil die Feststellungen des Bundesamtes sachlich jedenfalls nicht in einer Weise angegriffen worden sind, die zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht Anlass gäbe.

Strahlen sind Immissionen i.S. des § 3 II BImSchG; sie fallen unter die schädlichen Umwelteinwirkungen nach Abs. 1 dieser Vorschrift, wenn sie nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Nach § 22 I 1 Nr. 1 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik (§ 3 VI BImSchG) vermeidbar sind.

Es kommt rechtlich nicht darauf an, ob die Anlagen der Beigel. früher unter die Regelung des § 22 I 2 BImSchG fielen. Danach gilt die Verpflichtung des Satzes 1 für Anlagen, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und nicht im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden, nur, soweit sie auf die Verhinderung oder Beschränkung von schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen oder Geräusche gerichtet ist. Dies beruht allein auf der beschränkten Reichweite der Bundeskompetenz (vgl. Jarass, BImSchG 2. Aufl. (1993), Einl. Rdnr. 18). Das Bundesimmissionsschutzgesetz enthält sich insoweit nur einer Regelung; es steht einer anderweitigen Herleitung entsprechender Verpflichtungen für die genannten Anlagen nicht im Wege. Diese ergibt sich unmittelbar aus dem baurechtlichen Gebot der Rücksichtnahme. Dieses zieht der Zulässigkeit baulicher Maßnahmen dort eine Grenze, wo sie zu unzumutbaren Belastungen des Nachbarn führen. Von dessen Standpunkt her ist es unerheblich, wer der Rechtsträger einer bestimmten Anlage ist; maßgeblich ist nur die Intensität ihrer Einwirkung auf sein Grundstück unter Berücksichtigung der örtlichen Situation. Wird von diesem baurechtlichen Ausgangspunkt her auf die Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes zurückgegriffen, um einen Maßstab für die Zumutbarkeit zu gewinnen, müssen sich mithin auch Anlagen i.S. des § 22 I 2 BImSchG an diesem einheitlichen Maßstab messen lassen.

Gefahren für die Gesundheit der Kl., erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen durch hochfrequente elektromagnetische Strahlungen (hier im Bereich von 426 MHz bis zu 18.7 GHz) lassen sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen. Der Senat ist in der Vergangenheit unter Auseinandersetzung mit den bis dahin vorliegenden Äußerungen davon ausgegangen, dass der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis noch keine endgültigen Antworten auf die Frage erlaubt, bis zu welchen Grenzwerten Auswirkungen solcher Strahlung auf den menschlichen Körper sicher vermieden werden (vgl. OVG Lüneburg, NVwZ 1992, 993, und NVwZ 1993, 1117)). Nach der Erläuterung des Sachverständigengutachtens in der mündlichen Verhandlung verbleibt es bei dieser Beurteilung. Es bestehen indes keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die konkret auf die Grundstücke der Kl. einwirkende Strahlung schädliche Wirkungen haben könnte. Die jetzt empfohlenen Grenzwerte (vgl. dazu Bernhard, in: Internationales Elektrosmog-Hearing, Tagungsbd., Teil K) könnten ganz erheblich verschärft werden, ohne dass der im Bescheid vom 3. 1. 1994 vorbehaltene Widerruf erforderlich würde. Denn nach dem Sachverständigengutachten betragen die Immissionen auf dem Grundstück des Kl. zu 1, über das eine Richtfunkstrecke verläuft, nur etwa 1,3 % dieser Grenzwerte; auf dem Grundstück des Kl. zu 2 werden sogar weniger als 3,5 Promille dieses Grenzwerts erwartet. Eine derartig eindeutige Unterschreitung von Grenzwerten, die der Senat als wichtiges Hilfsmittel zur Abschätzung gesundheitlicher Gefahren heranzieht (vgl. NVwZ 1992, 993), lässt den Schluss zu, dass auch nur entfernte gesundheitliche Gefahren nicht bestehen.

Dabei kann offen bleiben, ob sich die mit der Änderung (Präzisierung) von Berechnungsformeln erklärte Reduzierung der Sicherheitsabstände in der jüngsten Standortbescheinigung vom 7. 7. 1994 auch auf das dem Gutachten zugrundeliegende Rechenwerk auswirkt, das auf den technischen Angaben zur Standortbescheinigung des Bundesamtes für Post und Telekommunikation vom 14. 12. 1993 beruht. Denn die weiteren vom Sachverständigen zugrunde gelegten Annahmen führen ohnehin schon zu einer starken Überschätzung der Exposition. Nach seiner mündlichen Erläuterung dürften die realen Immissionen um den Faktor 10 bis 100 niedriger sein, insbesondere weil der Abstrahlwinkel zur Erdoberfläche vernachlässigt worden ist. Die von ihm ermittelten Werte sind mithin so berechnet, als strahlten die Sender in Bodenhöhe - also unmittelbar in der Ebene der Häuser - ab, nicht in den tatsächlichen Montage-Höhen von 50 bis 90 m.

Auch ohne diese zusätzliche Sicherheitsmarge hat der Sachverständige sich davon überzeugt gezeigt, dass bei Menschen, die sich auf den Grundstücken der Kl. aufhalten, eine Temperaturerhöhung aufgrund der Strahlenbelastung durch den umstrittenen Antennenträger nicht messbar ist. Thermische Wirkungen, die bislang tierexperimentell nur bei Gewebe- oder Körpertemperaturerhöhungen von mehr als 1 °C nachweisbar waren, können unter dieser Voraussetzung praktisch vernachlässigt werden. Die generelle Möglichkeit nichtthermischer Wirkungen elektromagnetischer Strahlung hat der Sachverständige zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch darauf hingewiesen, dass die hier in Rede stehenden Immissionen größenordnungsmäßig hinter anderen Strahlungseinwirkungen des täglichen Lebens (z.B. auch hinter dem Grenzwert für die Leckstrahlung eines Mikrowellenherdes) deutlich zurücktreten.

Der Senat hat keinen Anlass, von den Ergebnissen des überzeugend erläuterten Gutachtens abzuweichen. Soweit in der öffentlichen Diskussion von fachlicher Seite andere Standpunkte vertreten wurden, fehlte es den entsprechenden Äußerungen schon an der Angabe von quantitativen Bezugsgrößen, die es erlauben, ihre Bedeutung für den hier zu entscheidenden Einzelfall abzuschätzen. Jedenfalls für hochfrequente elektromagnetische Strahlungen der hier vorliegenden Art und Intensität - also ganz erheblich unter den Grenzwertempfehlungen - sind jedenfalls keine Beobachtungen mitgeteilt worden, die noch vor der Schwelle des Nachweises von Gesundheitsgefährdungen überhaupt auf biologische Wirkungen schließen lassen.

Der Senat folgt auch nicht der Auffassung, jedenfalls die Einführung der Mobilfunktechnik sei ohne parlamentarische Leitentscheidung generell nicht zulässig (vgl. schon OVG Lüneburg, NVwZ 1994, 157). Sie hat hier ohnehin nur eine geringere Bedeutung, weil auf dem umstrittenen Antennenträger überwiegend Richtfunkanlagen installiert sind; bei der Zustimmung vom 27. 4. 1987 war an Mobilfunkanlagen noch gar nicht gedacht.

Dem Gesetzgeber ist unbenommen, spezielle Regelungen für den Bereich des Mobilfunks zu schaffen. Grundsätzlich werden Mobilfunkanlagen aber ebenso wie andere Anlagen, die elektromagnetische Strahlen aussenden, bereits vom Bundesimmissionsschutzgesetz erfasst. Soweit bisher Zweifel daran bestehen konnten, ob gerade die Anlagen der Beigel. nach § 22 I 2 BImSchG von den in § 22 I 1 BImSchG geregelten Pflichten ausgenommen sein könnten, hat der Gesetzgeber diese Auslegungsfrage durch die 2. Postreform für die Zukunft beseitigt. Der wirtschaftliche Charakter der Tätigkeit der Aktiengesellschaften, in die die Unternehmen der Deutschen Bundespost nach dem Postneuordnungsgesetz umgewandelt werden, liegt auf der Hand. Bei der bisher schon praktizierten Verleihung nach § 2 FAG (vgl. Ossenbühl, Archiv PF 1991, 141 (142)) für den Aufbau eigener Mobilfunknetze Dritter stand der wirtschaftliche Charakter der Tätigkeit dieser Dritten ohnehin außer Frage.

Die inzwischen vom Bundesumweltministerium angekündigte Festlegung von Grenzwerten - offenbar in einer Verordnung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz - scheitert insbesondere nicht daran, dass das Bundesimmissionsschutzgesetz auf die Gefährdung durch Technologien, deren Gefährdungspotential nicht abschließend überschaut werden kann, nicht zugeschnitten wäre. Die Auffassung, das Bundesimmissionsschutzgesetz regele nur die Zulassung solcher Anlagen, deren Risiken für den Menschen nicht nur bekannt, sondern auch technisch beherrschbar seien (so VG Gelsenkirchen, ZUR 1993, 119), findet im Gesetz keine Stütze. Das Bundesimmissionsschutzgesetz soll im Rahmen der Begriffsbestimmungen seines § 3 ersichtlich umfassend gelten, soweit nicht Spezialgesetze eingreifen. Der Einsatz elektromagnetischer Strahlung ist - anders als möglicherweise die Gentechnologie (vgl. dazu VGH Kassel, NJW 1990, 336) - auch nicht grundsätzlich neu. Die durch eine bekannte Technologie gebotenen Möglichkeiten werden lediglich intensiver genutzt. Dem Gesetzgeber war bei Schaffung des Gesetzes das Phänomen elektromagnetischer Strahlung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen mit Richtfunk oder Radar lange bekannt. Der Ungewissheit im Umgang mit Gefahren, die bei einer sich praktisch überstürzenden technischen Fortentwicklung nicht von vornherein übersehen werden können (vgl. dazu Breuer, NuR 1994, 157 (159ff.)), kann bereits durch das herkömmliche verwaltungsrechtliche und prozessrechtliche Instrumentarium Rechnung getragen werden. So ist zum Beispiel denkbar, dass sich die Beweislast gegen den Betreiber einer Anlage kehrt, wenn das mit Erkenntnislücken verbundene Risiko den betroffenen Dritten im Einzelfall nicht zugemutet werden kann. Demgegenüber ist eine generelle Sperre gegenüber technischen Fortentwicklungen, die ein bestimmtes Maß an Innovation überschreiten, der bestehenden Rechtsordnung fremd; diese vertraut vielmehr darauf, dass mögliche Risiken durch eine zweckentsprechende Anwendung der vorhandenen Gesetze im Einzelfall unter Kontrolle gehalten werden.

Die Gegenmeinung nimmt aber auch aus anderen Gründen dem Gesetzgeber die ihm zustehende Einschätzungsprärogative und greift damit in unzulässiger Weise in das Gewaltenteilungsverhältnis ein. Trifft er eine bestimmte gesetzliche Regelung nicht, die von Teilen der Fachwelt für geboten erachtet wird, beruht dies nicht ohne weiteres darauf, dass er sich überhaupt noch kein Urteil über die Erforderlichkeit einer solchen Regelung gebildet hat. Gerade im Hinblick auf die Gefahren elektromagnetischer Strahlung bestehen im Gegenteil eine Vielzahl von Anhaltspunkten dafür, dass der Bundestag das Problem des "Elektrosmogs" auch unabhängig von konkreten Gesetzesvorlagen ständig im Auge behält. Nachdem er Lücken im vorhandenen Regelungsgeflecht durch den Erlass des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten vom 9. 11. 1992 (BGBl I, 1864) geschlossen hat (das im Hinblick auf EG-Richtlinien bereits wieder geändert werden soll, vgl. BT-Dr 12/8006), haben sich eine Reihe von parlamentarischen Anfragen mit der Gefährdungslage für Menschen befasst (vgl. insb. BT-Dr 12/4458). Diese war auch der Gegenstand der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Post- und Telekommunikation (18. Ausschuss) zum Problem der elektromagnetischen Umweltverträglichkeit von Mobil- und Richtfunksendeanlagen und insbesondere damit zusammenhängender möglicher Gesundheitsgefahren vom 24. 5. 1993 (vgl. wib 11/1993, S. 43). Schließlich ergibt die Vorhaltung von Beratungskapazität für "Technikfolgenabschätzung" beim Deutschen Bundestag (vgl. BT-Dr 12/4193), dass der Gesetzgeber gewillt ist, sich von neuen technischen Entwicklungen nicht überraschen zu lassen.

Geht der Gesetzgeber nach sachlicher Befassung mit einer bestimmten Materie ersichtlich davon aus, dass keine Risiken oder Gefahren bestehen, die ihn - nach den mit der "Wesentlichkeitstheorie" beschriebenen Maßstäben - zu (zusätzlichen) gesetzlichen Schutzmaßnahmen verpflichten, dann dürfen die Gerichte ihre eigene Einschätzung nicht ohne Not an die Stelle derjenigen des dazu berufenen Gesetzgebers setzen. Das gilt erst recht, wenn der Gesetzgeber - wie hier mit der Expertenanhörung - für seine Risikoeinschätzung eine breite und solide fachliche Grundlage hat, der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine neueren oder besseren wissenschaftlichen Erkenntnisse entgegenstehen und die auch nicht durch entsprechend substantiiertes Vorbringen der Verfahrensbeteiligten erschüttert wird. Beides ist nicht der Fall. Das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten und dessen Erläuterung in der mündlichen Verhandlung bestätigen vielmehr, dass für eine Gefährdung durch hochfrequente elektromagnetische Strahlen der hier verwendeten Art und Intensität auch im Vorfeld eines wissenschaftlichen Nachweises keine hinreichenden Anhaltspunkte bestehen. Auch die in Angriff genommenen Forschungsprojekte haben bis jetzt - soweit ersichtlich - keine gegenteiligen Ergebnisse erbracht. Dem Sachverständigen, der im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit beim Bundesamt für Strahlenschutz Kontakt zu den an den Forschungen Beteiligten hat, sind neuere Forschungsergebnisse nur für den Bereich der niederfrequenten Felder bekannt geworden. Unter diesen Umständen besteht keine tragfähige tatsächliche Grundlage für eine Korrektur der Risikoeinschätzung des Gesetzgebers (vgl. auch VG Münster, Beschl. v. 14. 3. 1994 - 10 B 176/94).

Rechtsgebiete

Baurecht; Garten- und Nachbarrecht; Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht