Mobilfunkantenne als nicht hinzunehmender Nachteil - Anfechtbarkeit gemischtrechtlicher Kostenentscheidung

Gericht

OLG Hamm


Art der Entscheidung

Beschluss über weitere Beschwerde


Datum

03. 01. 2002


Aktenzeichen

15 W 287/01


Leitsatz des Gerichts

  1. Die derzeit bestehende Ungewissheit, ob und in welchem Maße von Mobilfunkantennen für den Betrieb eines oder mehrerer Mobilfunknetze, die für den künftigen UMTS-Betrieb ausgelegt sind, gesundheitliche Gefahren für die in unmittelbarer Nähe zu der Anlage wohnenden Menschen führt, reicht allein für die Annahme einer tatsächlichen Benachteiligung aus, die ein Wohnungseigentümer nach dem Maßstab des § 14 Nr. 1 WEG nicht hinnehmen muss.

  2. Bei einer gemischtrechtlichen Kostenentscheidung kann auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (WEG-Sache) mit dem Rechtsmittel gegen die in der Hauptsache getroffene Entscheidung auch die den bereits erledigten Teil betreffende Kostenentscheidung angefochten werden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Am 6. 10. 1980 hatte die Wohnungseigentümergemeinschaft unter TOP 4 folgenden Beschluss zur Aufstellung von Funkantennen gefasst: „Ferner beschloss die Eigentümerversammlung einstimmig, dass das Aufstellen von Funkantennen auf dem Gebäude genehmigt wird. Die Genehmigung ist jedoch beim Verwalter einzuholen. Vom Verwalter wird jeweils ein Antennenvertrag abgeschlossen.“

Auf dem Dach des Gebäudes waren in der Folgezeit bis zu drei Amateurfunkantennen installiert, die von Wohnungseigentümern betrieben wurden. Die letzte der drei Antennen ist 1997 abgebaut worden. Im Jahr 2000 erhielt die Eigentümergemeinschaft über den Verwalter das Angebot zum Abschluss eines Mietvertrags zur Aufstellung einer Mobilfunkantenne auf der Dachfläche des Hauses. Am 21. 11. 2000 lud der Verwalter die Wohnungseigentümer zu einer Wohnungseigentümerversammlung zum 12. 12. 2000 ein. Als einziger TOP war die Beschlussfassung über den Abschluss des Mietvertrags zur Aufstellung der Mobilfunkantenne angegeben. In der Niederschrift über die Versammlung heißt es:

„Mit vereinbarungsersetzendem Beschluss vom 6. 10. 1980 hatten die Eigentümer bereits das Aufstellen von Funkantennen jeglicher Art als bauliche Maßnahme einstimmig genehmigt und den Verwalter ermächtigt, entsprechende Antennenverträge abzuschließen. Eine erneute Beschlussfassung musste hierzu also nicht vorgenommen werden. Somit war lediglich Beschluss zu fassen über die Ausgestaltung des abzuschließenden Vertrags als Arbeitsanweisung für den Verwalter. Dieser Antrag - Ausgestaltung eines Vertrags für ein Jahr nach vorgelegtem Entwurf - wurde mehrheitlich angenommen“.

Die Bet. zu 1 hatten sich gegen die Aufstellung ausgesprochen. Nach Zustellung der am 11. 1. 2001 eingegangenen Antragsschrift in der vorliegenden Sache teilte die Mobilfunkbetreiberin dem Verwalter mit, dass sie am Standort nicht mehr interessiert sei.

Die Bet. zu 1 haben beantragt: (1) Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 12. 12. 2000 über den Abschluss eines Mietvertrags zur Aufstellung einer Mobilfunkantenne auf dem Dach des Wohngebäudes wird für ungültig erklärt. (2) Es wird festgestellt, dass das Anbringen der Mobilfunkantenne auf der Eigentumsanlage unzulässig ist. Das AG hat dem Antrag zu 1 stattgegeben. Bezüglich des Antrags zu 2 hat es nach entsprechender Auslegung des Antrags folgenden Beschluss gefasst: „Den Ag. wird untersagt, auf dem Dach der Eigentumsanlage eine Festantenne (Mobilfunkantenne) anbringen zu lassen, solange nicht sämtliche Miteigentümer der Wohnungseigentumsanlage dieser Anbringung zugestimmt haben.“ Gegen diesen Beschluss habe die Bet. zu 2 und 3 (der Verwalter) form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer haben die Bet. den Antrag zu 1 übereinstimmend für erledigt erklärt. Den Antrag zu 2 haben die Bet. zu 1 mit dem Inhalt des Tenors der amtsgerichtlichen Entscheidung weiterverfolgt. Das LG hat festgestellt, dass das Verfahren bezüglich des Antrags zu 1 erledigt ist. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Die sofortige weitere Beschwerde der Bet. zu 2 und 3 ist erfolglos geblieben.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Die sofortige weitere Beschwerde ist nach § 45 I WEG, §§ 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Bet. zu 2 und 3 folgt daraus, dass ihre erste Beschwerde bezüglich des Antrags zu 2 zurückgewiesen worden ist. Das Rechtsmittel der Bet. zu 2 und 3 erstreckt sich in zulässiger Weise auch auf die isolierte Kostenentscheidung, die das LG zu dem Beschlussanfechtungsantrag getroffen hat, den die Bet. übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Das LG hat hier eine sog. gemischte Kostenentscheidung getroffen. Wird in einem solchen Fall gegen die in der Hauptsache ergangene Entscheidung das insoweit zulässige Rechtsmittel eingelegt, so kann zusammen mit diesem auch die isolierte Kostenentscheidung angegriffen werden, die den erledigten Teil des Verfahrens betrifft. Die insoweit für den Zivilprozess entwickelten Grundsätze (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 22. Aufl., § 99 Rdnr. 13) gelten für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend.

In der Sache hält die Entscheidung des LG rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Die Kammer geht zunächst rechtlich einwandfrei davon aus, dass es sich bei der Anbringung der Mobilfunkantenne auf dem Dach der Eigentumsanlage um eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums i.S. des § 22 I 1 WEG handelt. Eine bauliche Veränderung ist jede über die bloße Instandhaltung hinausgehende Umgestaltung des gemeinschaftlichen Eigentums. Nach dem in Aussicht genommenen Mietvertrag war geplant, einen Antennenträger (Höhe ca. 2,20 m) sowie eine Versorgungseinheit (ca. 1,2 x 0,8 m) mit einem Gesamtgewicht von maximal 400 kg auf dem Dach aufzustellen. Hierbei handelt es sich zweifelsfrei um eine bauliche Veränderung (vgl. auch OLG Schleswig, NZM 2001, 1035; OLG Köln, NZM 2001, 293).

2. Das LG hat des Weiteren ohne Rechtsfehler angenommen, dass den Bet. zu 1 ein Anspruch auf Unterlassung (§ 15 III WEG, § 1004 BGB) des Anbringens einer Mobilfunkantenne gegen die übrigen Wohnungseigentümer zusteht. Die dafür erforderliche Gefahr einer erstmals drohenden Beeinträchtigung ergibt sich bereits daraus, dass die Bet. zu 2 und 3 im vorliegenden Verfahren ausdrücklich den Standpunkt einnehmen, bereits auf Grund des Eigentümerbeschlusses vom 6. 10. 1980 zum Aufbau einer Mobilfunkantenne auf dem Dach des Gebäudes berechtigt zu sein. Dass der geplante Abschluss eines Mietvertrags gescheitert ist, hindert die Bet. zu 2 und 3 nicht daran, mit konkurrierenden Netzbetreibern in geschäftlichen Kontakt zu treten.

Soweit die Bet. zu 2 und 3 im Schriftsatz der weiteren Beschwerde zunächst die Auffassung vertreten, dass die vom LG gebilligte Auslegung des Antrags der Bet. zu 1 durch das AG von einem Feststellungsantrag in den Unterlassungsantrag gegen § 308 ZPO verstoße, greift dies schon deswegen nicht durch, da die Bet. zu 1 den Antrag in der vom AG vorgenommenen Auslegung in zweiter Instanz ausdrücklich weiterverfolgt haben.

Ein Unterlassungsanspruch steht den Bet. zu 1 dann zu, wenn die bauliche Veränderung für die übrigen Wohnungseigentümer einen über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidlichen Maß hinausgehenden Nachteil i.S. der §§ 22 I 2, 14 Nr. 1 WEG bedeutet. Hiernach hat ein Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung hinzunehmen, durch die ihm kein Nachteil erwächst, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht. Ausschlaggebend ist danach, ob die bauliche Veränderung andere Wohnungseigentümer in vermeidbarer Weise tatsächlich benachteiligt. Das LG hat hier auf Grund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung mit den Bet. und der bei der Akte befindlichen Lichtbilder eine Beeinträchtigung bejaht und ausgeführt:

Es sei allgemeinkundig, dass über die Möglichkeit gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch derartige Anlagen ernsthaft diskutiert und ein Ausschluss solcher Beeinträchtigungen bislang nicht geklärt sei. Ein Wohnungseigentümer könne nicht verpflichtet sein, lediglich zur Schaffung einer Einnahmequelle die Ungewissheit möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch die Aufstellung einer solchen Antennenanlage hinzunehmen. Darüber hinaus führe das Aufstellen einer solchen Antenne zu einer optischen Veränderung.

Diese tatsächliche Würdigung des LG unterliegt im Verfahren der weiteren Beschwerde nur einer eingeschränkten Prüfung dahin, ob der Tatrichter den maßgebenden Sachverhalt ausreichend erforscht, bei der Erörterung des Beweisstoffs alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und Verfahrensvorschriften sowie gegen die Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. Keidel/Kahl, FGG, 14. Aufl., § 27 Rdnr. 42 m.w. Nachw.). Die Feststellung des LG, dass ein Wohnungseigentümer nicht verpflichtet sei, die Ungewissheit möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch die Aufstellung einer Mobilfunkantennenanlage zu dulden, ist in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Auch dem Senat ist bekannt, dass in der Öffentlichkeit gesundheitliche Gefahren, die von Mobilfunkantennen ausgehen, diskutiert werden. Entgegen der Darstellung der weiteren Beschwerde geht es hier nicht um gesundheitliche Gefahren, die denjenigen vergleichbar sind, wie sie vom Betrieb eines einzelnen Mobilfunkgeräts ausgehen und durch das Nutzungsverhalten des Einzelnen beeinflusst werden können, sondern um eine Antennenanlage für den Betrieb eines oder mehrerer Mobilfunknetze, die ersichtlich auch für den künftigen UMTS-Betrieb mit hohen Übertragungsraten zugeschnitten ist. Bereits die Ungewissheit darüber, ob die von einer solchen Funkanlage ausgehenden elektromagnetischen Strahlungen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen für die in unmittelbarer Nähe zu der Anlage wohnenden Menschen führt, stellt sich als tatsächliche Beeinträchtigung i.S. des § 14 Nr. 1 WEG dar. Denn bereits diese Ungewissheit kann bei verständiger Beurteilung zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität in der Wohnanlage führen. Eine solche Beeinträchtigung braucht ein Wohnungseigentümer nach dem Maßstab des § 14 Nr. 1 WEG jedoch nicht hinzunehmen. Aus dieser Sicht war das LG auch im Rahmen der Amtsermittlungspflicht (§ 12 FGG) nicht gehalten, in eine Beweisaufnahme darüber einzutreten, ob und inwieweit von Mobilfunkanlagen der geplanten Art gesundheitliche Beeinträchtigungen für die Bewohner des Hauses ausgehen können, auf dessen Dach die Anlage installiert wird. Denn verwertbare Ergebnisse sind in dieser Hinsicht erst nach eingehenden wissenschaftlichen Forschungen zu erwarten. Nach dem Maßstab des § 14 Nr. 1 WEG ist es den Bet. zu 1 nicht zuzumuten, bis zu einem ungewissen Abschluss solcher Forschungen den Betrieb einer solchen Mobilfunkanlage in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnräume zu dulden und auf diese Weise praktisch zum Versuchsobjekt solcher Untersuchungen zu werden.

Auf die Frage, ob daneben eine tatsächliche Beeinträchtigung sich auch aus einer sichtbaren nachteiligen Veränderung des optischen Gesamteindrucks der Wohnanlage ergibt, kommt es danach nicht mehr an.

Letztlich hat das LG rechtsfehlerfrei festgestellt, dass das Vorhaben nicht schon auf Grund des Beschlusses von 1980 gedeckt sei. Hierzu hat das LG ausgeführt:

Die Eigentümer seien bei der Beschlussfassung im Jahr 1980 davon ausgegangen, im Privatinteresse anderer Wohnungseigentümer die Errichtung einer Amateurfunkantenne zu genehmigen. Die Vorstellung, ihr Beschluss könne sich auf eine Antenne nach Maßgabe des entworfenen Mietvertrags beziehen, läge außerhalb der Vorstellung der an der Beschlussfassung Beteiligten, jedenfalls hätten die Beteiligten die Beschlussfassung von ihrem Horizont (entsprechend §§ 133, 157 BGB) dahin verstehen dürfen, dass nicht die Errichtung gewerblich genutzter Antennen Dritter (nicht Wohnungseigentümer) gemeint sei.

Der Senat teilt diese Auslegung des Beschlusses. Für die Auslegung von Beschlüssen gelten grundsätzlich die allgemeinen Auslegungsregeln für Rechtsgeschäfte (§§ 133, 157 BGB). Jedoch kann der allgemeine Grundsatz des § 133 BGB, wonach im Wege der Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am Wortlaut zu haften ist, keine uneingeschränkte Anwendung finden. Beschlüsse wirken nach § 10 III WEG ohne Eintragung im Grundbuch für und gegen Sondernachfolger, die die subjektiven Vorstellungen der Abstimmenden nicht kennen und daher auf das objektiv Erklärte vertrauen müssen. Deshalb sind Beschlüsse der Wohnungseigentümer wie im Grundbuch eingetragene Regelungen der Gemeinschaftsordnung „aus sich heraus“ objektiv und normativ auszulegen, ohne dass es auf die subjektiven Vorstellungen der an der Beschlussfassung Beteiligten ankommt (vgl. BGHZ 139, 288 = NZM 1998, 955 = NJW 1998, 3713 [3714] m.w. Nachw.). Maßgeblich sind dabei der Wortlaut und die Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (Bärmann/Pick/Merle, WEG, 8. Aufl., § 23 Rdnr. 44).

Für die Auslegung im Sinne des LG spricht vor allem die Tatsache, dass es im Jahre 1980 weder Mobilfunktelefone noch Mobilfunkantennen gab. Es gab lediglich Amateurfunkantennen. Dass möglicherweise einer der Wohnungseigentümer eine Antenne gewerblich genutzt habe, spielt keine Rolle, da dieser Fall nicht mit der Vermietung einer Mobilfunkantennenanlage vergleichbar ist, die der gewerblichen Nutzung eines oder mehrerer Mobilfunknetze dient.

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht