Zuständigkeit der Arbeitsgerichte: der sic-non-Fall
Gericht
ArbG München
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
16. 01. 2004
Aktenzeichen
37 Ca 17604/03
Beantragt die Klägerin festzustellen, dass die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten unwirksam ist und nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat, handelt es sich um einen sic-non-Fall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Klägerin will dann die Unwirksamkeit der Kündigung nicht unabhängig von ihrem Status festgestellt wissen, sondern nur verbunden mit der weiteren Feststellung, dass es sich bei dem fortbestehenden Rechtsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis handelt. Der Klageerfolg hängt bei dieser Antragstellung folglich auch von Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs entscheidend sind. Wegen dieser Doppelrelevanz sind die Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung über den Antrag wie ihn die Klägerin gestellt hat zuständig, vgl. BAG, 17.1.2001,5 AZB 18/00, in NZA 2001/341.
Das gilt auch für den Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses, da nur ein Arbeitnehmer, nicht aber ein sonstiger Dienstverpflichteter einen solchen Anspruch geltend machen kann. Der Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses ergibt sich nämlich - abgesehen von tarifvertraglichen Vorschriften - aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Eine solche besteht bei Dienstverhältnissen gerade nicht.
Die Rechtswegzuständigkeit des Arbeitsgerichts ergibt sich zusätzlich daraus, dass die Klägerin entweder Arbeitnehmerin oder arbeitnehmerähnliche Person war. Bei arbeitnehmerähnlichen Personen tritt an Stelle der persönlichen Abhängigkeit das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn der Betreffende auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und auf Einkünfte aus der Dienstleistung als Existenzgrundlage angewiesen ist, BAG, 11.6.2003, 5 AZB 43/02, in BB 2003/1908.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten darum, ob durch die Kündigung vom 27.8.2003 das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich aufgelöst wurde. Des Weiteren macht die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses geltend. Die weiteren Ansprüche (Endzeugnis, Weiterbeschäftigung) sind hilfsweise beantragt.
Die Klägerin, eine Architektin, war zunächst als Arbeitnehmerin einer Zeitarbeitsfirma bei der Beklagten vom 10.12. bis 31.12.2002 beschäftigt. Ab Januar 2003 wurde die Klägerin als "freie Mitarbeiterin" zu einem Tagessatz in Höhe von EURO 320,-- zuzüglich Mehrwertsteuer von der Beklagten beschäftigt. Die Klägerin hat ausschließlich für die Beklagte gearbeitet. Hierbei nutzte sie die Büroräume sowie die Büroausstattung der Beklagten. Inwieweit die Klägerin weisungsgebunden, vor allem bezüglich der Arbeitszeit, war, ist zwischen den Parteien streitig.
Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis mündlich fristlos am 22.8.2003. Am 27.8.2003 nahm sie die Arbeit auf Ersuchen eines der Geschäftsführer der Beklagten wieder auf. Am selben Tag wurde sie vom Geschäftsführer Leopold, dem Personalmanager sowie dem Pförtner des Hauses verwiesen. Mit Schreiben des selben Tages wurde ihr schriftlich außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt.
Gegen diese Kündigung wehrt sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage. Sie macht geltend, sie sei Arbeitnehmerin der Beklagten gewesen.
Sie beantragt:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 27.8.2003, zugegangen am 29.8.2003, nicht aufgelöst worden ist.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 27.8.2003 aufgelöst worden ist.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 27.8.2003 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu erstellen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
Hilfsweise für den Fall der Abweisung des Feststellungsantrages zu 1.:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein endgültiges Zeugnis, das sich auf Führung und Leistung erstreckt, zu erteilen.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1. weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung
und rügt den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten.
II.
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß 2 Abs. 1 Nr. 3 b und a, § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG eröffnet.
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, dass die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.8.2003 unwirksam ist und nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien geführt hat. Damit handelt es sich um einen sic-non-Fall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Zwar kann eine fristlose Kündigung auch unabhängig von einem Arbeitnehmerstatus der Klägerin unwirksam sein. Bei dem gegebenen Antragsinhalt war jedoch Streitgegenstand der Klage nicht nur die Frage, ob das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung beendet worden ist, sondern auch, ob dieses Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist. Die Klägerin will die Unwirksamkeit der Kündigung nicht unabhängig von ihrem Status festgestellt wissen, sondern nur verbunden mit der weiteren Feststellung, dass es sich bei dem fortbestehenden Rechtsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis handelt. Dafür dass sie sich gegen die Kündigung auch dann zur Wehr setzen will, wenn sie keine Arbeitnehmerin der Beklagten ist, ergeben sich aus der bisherigen Antragsfassung und Klagebegründung keine Anhaltspunkte. Der Klageerfolg hängt bei dieser Antragstellung folglich auch von Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtsweges entscheidend sind. Wegen dieser Doppelrelevanz sind die Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung über den Antrag, wie ihn die Klägerin gestellt hat, zuständig, vgl. BAG vom 17.1.2001, 5 AZB 18/00, in NZA 2001/341.
Das selbe gilt für den Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Zwar hat gemäß § 630 BGB auch eine freie Mitarbeiterin einen Anspruch auf ein Endzeugnis. Eine Arbeitnehmerin hat Anspruch auf ein Endzeugnis gemäß § 109 Abs. 1 GewO. Die Klägerin verlangt hier jedoch ein Zwischenzeugnis. Die Anspruchsgrundlage hierfür ergibt sich, neben hier nicht einschlägigen tarifvertraglichen Vorschriften, aus der Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers. Eine entsprechende Fürsorgepflicht außerhalb eines Arbeitsverhältnisses ist nicht gegeben. Da die Fürsorgepflicht als Anspruchsgrundlage ein Arbeitsverhältnis voraussetzt, liegt ebenso ein sic-non-Fall vor. Das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ist daher auch für die Erteilung des Zwischenzeugnisses sowohl rechtsweg- als auch anspruchsbegründend und daher doppelrelevant.
Die Rechtswegzuständigkeit des Arbeitsgerichtes ergibt sich zusätzlich daraus, dass die Klägerin entweder Arbeitnehmerin oder arbeitnehmerähnliche Person war. Eine Wahlfeststellung insoweit ist zulässig. Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige und unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Sie sind - in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern schwächeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn der Betreffende auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die Einkünfte aus der Dienstleistung als Existenzgrundlage angewiesen ist, BAG vom 11.6.2003, 5 AZB 43/02, in BB 2003/ 1908, m.w.N. Da die Klägerin zum fraglichen Zeitpunkt ausschließlich für die Beklagte tätig war und auf die Verwendung ihrer Arbeitskraft finanziell angewiesen war, war sie zumindest arbeitnehmerähnlich.
Gegen diese Entscheidung haben die Parteien das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zum Landesarbeitsgericht München nach der folgenden Rechtsmittelbelehrung.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss kann sofortige Beschwerde eingelegt werden.
Die sofortige Beschwerde muss innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses schriftlich beim
Arbeitsgericht München
Winzererstraße 104
80797 München
oder beim
Landesarbeitsgericht München
Winzererstraße 104
80797 München
eingelegt oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts erklärt werden. Die sofortige Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines anderen Gerichts erklärt werden. In diesem Falle muss sie aber innerhalb der Frist beim Arbeitsgericht München eingegangen sein.
Die Frist beginnt spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung bzw. Übergabe des Beschlusses an die Geschäftsstelle.
München, 16.01.04
Die Vorsitzende
Zenger
Richterin am Arbeitsgericht
Den Gleichlaut der Ausfertigung mit der Urschrift bestätigt:
München,
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Göppl, ROS
Das Landesarbeitsgericht bittet, die Beschwerdeschrift in dreifacher Form einzureichen.
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