Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil - Kontinuitätsgrundsatz

Gericht

OLG Brandenburg


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

04. 03. 2003


Aktenzeichen

10 UF 277/02


Leitsatz des Gerichts

  1. Bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist im Rahmen des Förderungsgrundsatzes von Bedeutung, dass ein Elternteil einem Kleinkind eine saubere Umgebung nicht gewährleistet und es auch bei der Beaufsichtigung des Kindes zu Beanstandungen gekommen ist.

  2. Im Rahmen des Kontinuitätsgrundsatzes steht nicht die Frage im Vordergrund, welcher Elternteil das Kind vor der Trennung überwiegend betreut hat. Vielmehr ist entscheidend, inwieweit sich dessen derzeitige Lebensverhältnisse derart gefestigt haben, dass sie ohne triftige Gründe nicht durch einen Wechsel des Aufenthalts des Kindes verändert werden sollten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die seit dem 11. 6. 2002 dauernd getrennt lebenden verheirateten Parteien streiten um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind R, für das sie das gemeinsame Sorgerecht haben. Das AG wies den Antrag des Ast., ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein zu übertragen zurück. Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen des § 1671 BGB lägen nicht vor.

Hiergegen wandte sich der Ast. mit seiner Beschwerde erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die gem. § 621e ZPO zulässige Beschwerde ist begründet. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind R ist dem Ast. allein zu übertragen. Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge hinsichtlich des Teilbereichs der elterlichen Sorge und die Übertragung desselben auf den Ast. entspricht dem Wohl des Kindes am besten, § 1671 II Nr. 2 BGB.

Ob dem AG, wie der Ast. meint, Verfahrensfehler unterlaufen sind, ob insoweit eine Aufhebung und Zurückverweisung bei Beschwerden nach § 621e ZPO nur in entsprechender Anwendung von § 538 ZPO in Betracht kommt (vgl. hierzu OLG Brandenburg, MDR 2003, 271; Musielak/Borth, ZPO, 3. Aufl., § 621e Rdnr. 26; Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 621e Rdnrn. 76ff.) und ob die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, kann dahinstehen. Denn vorliegend ist eine Entscheidung in der Sache geboten. Nur vorsorglich soll daher darauf hingewiesen werden, dass in Sorgerechtssachen nicht, wie es der Auffassung des Ast. zu entsprechen scheint, stets ein Sachverständigengutachten einzuholen ist (vgl. hierzu Schael, in: FamVerf, § 2 Rdnr. 137). Auch bedarf es nicht in jedem Fall der Bestellung eines Verfahrenspflegers nach § 50 FGG (vgl. hierzu Schael, in: FamVerf, § 2 Rdnr. 126). Ebenso wenig besteht jedenfalls bei Kindern unter drei Jahren, wie hier, die zwingende Notwendigkeit der persönlichen Anhörung (vgl. Keidel/Engelhardt, FGG, 15. Aufl., § 50b Rdnrn. 6ff.).

Entgegen der Auffassung des AG ist eine Entscheidung nicht nach § 1666 BGB, sondern nach § 1671 BGB zu treffen. Gemäß § 1671 I BGB kann, wenn Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt leben, jeder Elternteil beantragen, dass ihm das FamG die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Das AG ist davon ausgegangen, dass Voraussetzung für eine Regelung nach § 1671 BGB eine fehlende Einigung der Eltern über das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei Trennung sei, woran es hier fehle, da sich die Eltern bei Trennung stillschweigend auf einen Verbleib des Aufenthaltsbestimmungsrechts bei der Mutter geeinigt hätten. Diese Auslegung ist vom Wortlaut und Zweck der Vorschrift des § 1671 BGB nicht bedacht.

Für die Frage, ob auf Antrag eine Regelung der elterlichen Sorge oder eines Teilbereichs derselben zu treffen ist, kommt es allein darauf an, dass die Eltern dauernd getrennt leben (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 62. Aufl., § 1671 Rdnr. 10; Johannsen/Henrich/Jaeger, EheR, 3. Aufl., § 1671 BGB Rdnr. 15). Eine solche Trennung ist am 11. 6. 2002 erfolgt. Es besteht auch das gemeinsame Sorgerecht. Auf die Ladungsverfügung des Senats vom 27. 1. 2003 hin hat der Ast. erstmals eine Sorgerechtserklärung nach § 1626a BGB vom 3. 11. 2000 vorgelegt. Diese entspricht den formalen Voraussetzungen der §§ 1626b BGBff. Da nunmehr jeder Elternteil die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für R auf sich begehrt, liegen die Voraussetzungen für eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB vor. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass durch eine stillschweigende Einigung, wie sie das AG hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts angenommen hat, und die schon durch den Tatsachenvortrag der Bet. nicht gestützt wird, das gemeinsame Sorgerecht nicht zum alleinigen Recht eines Elternteils werden kann.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist dem Ast. allein zu übertragen. Denn die Aufhebung der gemeinsamen Sorge für den Teilbereich des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Übertragung desselben auf den Ast. entspricht dem Wohl des Kindes am besten, § 1671 II Nr. 2 BGB. Für die Aufhebung der elterlichen Sorge in dem Teilbereich spricht schon, dass sich die Eltern über den Aufenthalt des Kindes nicht einigen können (vgl. auch Johannsen/Henrich/Jaeger, § 1671 BGB Rdnr. 37).

Bei der Frage, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge in einem Teilbereich und die Übertragung insoweit auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht, sind folgende Gesichtspunkte zu beachten, wobei deren Reihenfolge im Hinblick auf ihren Stellenwert keine Bedeutung zukommt (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, § 1671 BGB Rdnr. 84):

- der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung,

- der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Stetigkeit und die Wahrung der Entwicklung des Kindes abstellt,

- die Bindung des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister sowie

- der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist (vgl. zum Ganzen Palandt/Diederichsen, § 1671 BGB Rdnrn. 21ff.; Johannsen/Henrich/Jaeger, § 1671 BGB Rdnrn. 52ff., 64ff., 68ff., 78ff.).

Der Senat ist bei der unter diesen Gesichtspunkten vorgenommenen Überprüfung nach Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des beteiligten Jugendamts, Anhörung der Eltern sowie Vernehmung der Zeugen F und P zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Wohl von R am besten entspricht, wenn der Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübt.

Unter dem Gesichtspunkt des Förderungsprinzips erscheint der Ast. zur Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts besser geeignet. Der Ast. hat dem Senat nicht nur die Überzeugung vermittelt, dass er bereit und in der Lage ist, seiner Verantwortung für die Erziehung des Kindes gerecht zu werden. Er hat sich insgesamt als der zuverlässigere Elternteil erwiesen. Dagegen hat die Ag. in der Vergangenheit persönliche Defizite erkennen lassen, welche die Befürchtung rechtfertigen, sie werde zukünftig die Versorgung und Betreuung des Kindes nicht durchgängig in der gebotenen Weise gewährleisten.

Allerdings kann der Ag. nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie die für R vorgesehenen Impfungen bis zu dem Zeitpunkt, von dem an sich das Kind beim Vater aufgehalten hat, noch nicht durchgeführt hat. Die Ag. hat dies bei ihrer Anhörung vor dem Senat nachvollziehbar damit erklärt, dass das Kind auf Grund zahlreicher Erkrankungen niemals über einen längeren Zeitraum infektfrei gewesen sei, so dass die jeweils behandelnde Kinderärztin die Impfungen nicht vorgenommen habe. Auch spricht es nicht gegen die Ag., dass sie kurz nach der Trennung ohne R zu einer Freundin nach G. gefahren ist. Der Ast. hat bei seiner Anhörung vor dem Senat eingeräumt, dass er hierzu sein Einverständnis gegeben und auf R aufgepasst hat. Bedenken gegen die Erziehungseignung der Mutter bestehen aber im Hinblick darauf, dass sie in der Vergangenheit den bis zur Trennung gemeinsamen Haushalt vernachlässigt und in der Betreuung R´s Defizite gezeigt hat.

Die Ag. hat bei ihrer Anhörung vor dem Senat eingeräumt, jedenfalls dann, wenn es zu Streit mit dem Ast. gekommen sei, nicht regelmäßig abgewaschen und Staub gewischt, außerdem das Obst liegengelassen zu haben, bis es schimmelte. Gleichzeitig hat sie darauf hingewiesen, dass sie sich immer um das Kind gekümmert, es gebadet, gewaschen und die Windeln gewechselt habe. Schon unter Zu Grunde Legung dieser Angaben ist es aber zu einer Vernachlässigung des Haushalts derart gekommen, die das Kind betroffen hat. Denn Kinder, zumal wenn es sich wie hier um besonders infektionsanfällige Kleinkinder handelt, brauchen eine saubere Umgebung. Eine solche Umgebung ist nicht gewährleistet, wenn Geschirr mit Speiseresten tagelang nicht abgewaschen herumsteht oder, wie der Ast. unwidersprochen angegeben hat, das schmutzige Geschirr zum Teil einfach in die Schränke gestellt wird. Gleiches gilt im Hinblick auf Obst, das, obwohl verschimmelt, nicht entsorgt wird.

Über die von der Ag. eingeräumten Versäumnisse im Haushalt hinaus ist es aber zur Überzeugung des Senats zu weiteren erheblichen Vernachlässigungen gekommen, deren Auswirkungen auf das Kindeswohl naheliegen. Die Zeugin F hat nämlich nicht nur bestätigt, dass überall in der Küche häufig Reste herumgestanden hätten, so dass man dort nur noch ungern etwas gegessen habe. Sie hat vielmehr auch angegeben, dass sie R einmal, im Sommer 2001, bei 30° C viel zu warm bekleidet draußen vorgefunden habe, ein andermal habe das Kind draußen gestanden und eine volle Flasche im Mund gehabt, die Windel sei voll gewesen. In einem dritten Fall habe die Ag. R im Laufgitter eine volle Flasche gegeben. Die Ag. selbst sei jeweils selbst nicht anwesend, sondern bei einem Nachbarn gewesen. Bei der Suche nach frischen Windeln sei sie, die Zeugin, überall auf schmutzige Kleidung gestoßen. R´s Bett habe sie mit Essensresten und Kekskrümeln beschmutzt vorgefunden. Seine Matratze sei verschimmelt gewesen.

An der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin bestehen keine Zweifel. Sie hat das Geschehen nachvollziehbar geschildert. Auch hat sie sich noch an Details erinnern können. Anhaltspunkte dafür, die Zeugin könne mit Rücksicht darauf, dass sie die Mutter des Ast. ist, wahrheitswidrige Angaben gemacht haben, bestehen nicht. Die Ag. hat die Richtigkeit der Aussage der Zeugen im Übrigen nicht in Abrede gestellt.

Auf der Grundlage der Zeugenaussage ist zum einen davon auszugehen, dass die hygienischen Verhältnisse im Haushalt der Ag., gerade auch in Bezug auf R unzureichend waren. Zwar mag es vorkommen, dass Essensreste und Kekskrümel nicht stets sogleich aus dem Bett entfernt werden können. Dass die Matratze des Kindes verschimmelt war, ist aber nicht hinnehmbar. Wird die Bettwäsche regelmäßig gewechselt und dabei auch die Matratze gelüftet, kann es erst gar nicht zu einer Schimmelbildung an der Matratze kommen. Jedenfalls wäre durch regelmäßiges Bettenmachen gewährleistet, dass die Notwendigkeit, eine etwa in Ansätzen doch schadhafte Matratze zu ersetzen durch eine neue Matratze, sogleich erkannt wird.

Der Aussage der Zeugin F ist darüber hinaus zu entnehmen, dass die Ag. R für längere Zeit allein gelassen und sich bei einem Nachbarn aufgehalten hat. Es ist zwar grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass kleine Kinder für kürzere Zeiträume auch einmal allein gelassen werden. In solchen Fällen muss aber sichergestellt werden, dass ihnen nichts zustoßen kann und dass die Bedingungen in der Umgebung, in der sie zurückgelassen werden, für sie günstig sind. Dies ist vorliegend offensichtlich nicht immer der Fall gewesen. So ist es nicht erklärlich, warum die Ag. R im Hochsommer viel zu warm bekleidet allein zurückgelassen hat. Auch hat die Ag. die Windeln des Kindes nicht rechtzeitig gewechselt. Zwar lässt sich ein notwendiger Windelwechsel nicht immer sofort vornehmen. Der Aussage der Zeugin F ist aber zu entnehmen, dass es bei R häufiger zu vollen Windeln gekommen ist, ohne dass die Ag. es für angebracht gehalten hat, die Windeln zu wechseln.

Dass es im Hinblick auf die Hygiene Defizite gegeben hat, die sich auf das Kind ausgewirkt haben, ergibt sich im Übrigen auch aus der Stellungnahme des Jugendamts vom 21. 11. 2002. Dort ist nämlich ausgeführt, dass es wegen der Sauberkeit des Kindes Hinweise der Erzieher der Kindertagesstätte an die Ag. gegeben habe.

Es steht zu befürchten, dass die Ag. auch zukünftig R nicht stets in der gebotenen Weise versorgt und betreut. Soweit es die Vernachlässigung des Haushalts angeht, hat sie bei ihrer Anhörung vor dem Senat angegeben, sie habe wegen der Auseinandersetzungen mit dem Ast. keine Lust gehabt, etwas zu machen. Wenn demnach persönliche Schwierigkeiten dazu führen, dass die Sauberkeit leidet, muss angenommen werden, dass bei erneutem Eintritt solcher Schwierigkeiten, sei es bei etwaigen Konflikten mit dem neuen Lebensgefährten P, sei es aus anderen Gründen, wiederum die Hausarbeit in einer auch für das Kind abträglichen Weise vernachlässigt wird. Im Übrigen hat die Ag., wie sie selbst angegeben hat, hinsichtlich der Haushaltsführung Hinweise von der Zeugin F erhalten, auch hat es diesbezüglich Aussprachen gegeben. Dies hat aber nach der glaubhaften Aussage der Zeugin F nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Sauberkeit im Haushalt geführt.

Bedenken ergeben sich auch insoweit, als die Ag., wie der Beurteilung der Leiterin und der Erzieherin der Kindertagesstätte, die mit dem Jugendamtsbericht vom 20. 2. 2003 vorgelegt worden ist, zu entnehmen ist, Hinweise zur Bewältigung von Problemen mit dem Kind nicht in der gebotenen Weise aufgenommen hat. Danach sind der Ag. Auffälligkeiten im Verhalten von R mitgeteilt und Hinweise zur Gestaltung einer guten Mutter-Kind-Beziehung gegeben worden. Dabei, so die Mitarbeiterin der Kindertagesstätte weiter, sei der Ag. nahe gelegt worden, sich zunächst ausschließlich in der eigenen Wohnung aufzuhalten, damit R sein Zuhause akzeptiere, da der Wechsel zwischen ihrer Wohnung und derjenigen Wohnung ihres Lebensgefährten das Kind sehr belaste. Die Ag. hat bei ihrer Anhörung vor dem Senat zwar bestätigt, dass es diese Hinweise gegeben hat. Ihre Ausführungen machen aber deutlich, dass sie sich mit der Problematik nicht hinreichend auseinandergesetzt hat. Sie hat zum einen nämlich darauf verwiesen, dass R meistens bei ihr in der Wohnung sei, andererseits aber eingeräumt, dass sie sich mit R in der Wohnung des Lebensgefährten P aufhalte, wenn dieser bei seiner Schichtarbeit für zwei bis drei Tage frei habe. Das Ergebnis eines Gesprächs mit ihrem Lebensgefährten sei die Feststellung gewesen, dass es Aufenthaltswechsel auch gebe, wenn R einmal beim Vater, einmal bei der Großmutter sei. Diese Ausführungen lassen erkennen, dass die Ag. das in der Kindertagesstätte angesprochene Problem entweder nicht als solches erkennt oder nicht bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen. Denn ungeachtet des Umstands, dass der Zeuge P nach den Angaben der Ag. nur alle sieben Tage arbeitsfrei hat, tritt der seitens der Kindertagesstätte für problematisch gehaltene Wechsel dann jedenfalls gleich für zwei bis drei Tage ein. Dieser Wechsel lässt sich nicht mit stundenweisen Besuchen des Kindes bei der Großmutter vergleichen. Denn solche Besuche hat es auch in der Vergangenheit gegeben. Der Zeuge P hingegen ist erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit in R´s Leben getreten. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, dass die Ag., auch was das Zusammenleben zu dritt angeht, für Stetigkeit sorgt.

Bestätigt wird der Eindruck mangelnder Bereitschaft oder Fähigkeit der Ag., sich mit R´s Problemen zu befassen, durch die mit dem Jugendamtsbericht vom 20. 2. 2003 übermittelte Beurteilung der Kindertagesstätte. Denn dort ist als Äußerung der Mutter auf die Hinweise der Kita wiedergegeben: „Das machen wir ja schon alles.“

Dass sich die Ag. ausreichend mit der seitens der Kindertagesstätte aufgezeigten Problematik des häufigen Wechsels zwischen den Wohnungen der Ag. und ihres Lebensgefährten auseinandergesetzt hat, ergibt sich auch nicht aus der Aussage des Zeugen P. Dieser hat zwar erklärt, man könne es einrichten, dass er an freien Tagen häufiger in der Wohnung der Ag. sei; im Prinzip sei dies für ihn kein Problem. Zugleich aber hat der Zeuge dem Senat den Eindruck vermittelt, dass die Lösung dieses Problems für ihn nicht von besonderer Bedeutung sei. Er hat bestätigt, mit der Ag. über die von der Kita berichteten Auffälligkeiten gesprochen zu haben, aber sogleich erklärt, er habe das Gefühl, die Mitarbeiter der Kita hätten nicht den rechten Überblick, wer das Kind wann hole und bringe. Damit hat der Zeuge zu erkennen gegeben, dass er auch die Hinweise seitens der Kita nicht ganz ernst nimmt. Der Zeuge selbst ist über die Belange des Kindes seiner Lebensgefährtin kaum informiert. So hat er dem Senat nicht angeben können, wann sich R jeweils beim Vater aufhält und das damit erklärt, er halte sich, was den Aufenthalt des Kindes angehe, aus allem raus. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass sich der Zeuge aktiv an der Problemlösung beteiligt. Erst recht kann sich die Ag. nicht darauf zurückziehen, sie sei gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten zu dem Ergebnis gelangt, dass es einen Aufenthaltswechsel für R auch gebe, wenn er sich mal beim Vater und mal bei der Großmutter aufhalte.

Dem gegenüber hat der Ast. dem Senat einen verlässlichen Eindruck vermittelt. Er hält guten Kontakt zur Kita und holt sich von dort Rat zur Erziehung, wie sich den Angaben der Leiterin der Kita in der mündlichen Verhandlung vor dem AG vom 4. 11. 2002 und der schriftlichen Äußerung seitens der Kita, die mit dem Jugendamtsbericht vom 20. 2. 2003 übermittelt worden ist, entnehmen lässt. Aus der Aussage der Kita-Leiterin ergibt sich ferner, dass sich das Kind, seit es sich beim Vater befindet, gut entwickelt hat. Ob diese günstige Entwicklung, wie die Ag. meint, auch eingetreten wäre, wenn R sich nicht beim Vater, sondern bei ihr aufgehalten hätte, kann dahinstehen. Denn festzustellen ist jedenfalls, dass es bei R, seit er sich wieder bei der Mutter aufhält, zu Auffälligkeiten gekommen ist und dass die Mutter den Vorschlägen seitens der Kita, wie diesem Problem vielleicht begegnet werden könnte, bislang nicht gefolgt ist, während der Vater sich in der Vergangenheit solchen Hinweisen seitens der Kita stets als zugänglich erwiesen hat.

Bedenken hinsichtlich der Erziehungseignung des Ast. bestehen auch unter Berücksichtigung der von der Ag. behaupteten Neigung des Ast. zu Handgreiflichkeiten nicht. Der Ag. hat bei seiner Anhörung vor dem Senat eingeräumt, am 11. 12. 2001 wegen schwerer Körperverletzung zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden zu sein. Hierbei handelte es sich nicht um eine Straftat zum Nachteil der Mutter. Anlass war vielmehr, wie der Ast. unwidersprochen angegeben hat, eine Prügelei mit Jugendlichen. Zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der Ag. ist es allerdings auch gekommen. Der Ast. hat hierzu angegeben, er habe sie einmal geschlagen, als es nicht anders gegangen sei, sie nämlich im betrunkenen Zustand „ausgerastet“ sei. Die Ag. hat bei ihrer Anhörung vor dem Senat erklärt, zu Meinungsverschiedenheiten und Krach sei es meistens gekommen, wenn beide getrunken hätten. Jeder habe dann sein Recht haben wollen und die Situation sei eskaliert. Angesichts dieser Angaben wird deutlich, dass es unter Alkoholeinfluss zu Tätlichkeiten gekommen ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Ast. körperliche Gewalt auch dem Kind gegenüber verübt, bestehen nicht. Dies hat die Ag. auch nicht behauptet.

Der Ast. ist arbeitslos und vor diesem Hintergrund ohne weiteres in der Lage, R den gesamten Tag über zu betreuen und zu versorgen. Dieser Gesichtspunkt allein führt jedoch nicht dazu, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Ast. zu übertragen. Denn ein allein aus dem Zeitfaktor resultierender Vorrang des nicht oder nur teilweise berufstätigen vor dem voll berufstätigen Elternteil besteht nicht (Johannsen/Henrich/Jaeger, § 1671 BGB Rdnr. 56). Im Übrigen bemüht sich der Ast. nach eigenen Angaben um eine neue Arbeitsstelle, so dass er möglicherweise schon bald nicht mehr den gesamten Tag über zu Hause ist. R hat jedoch unabhängig davon, ob er sich beim Vater oder bei der Mutter aufgehalten hat, stets die Kita besucht. Angesichts dessen kann angenommen werden, dass der Ast., sollte er eine neue Arbeitsstelle finden, es einrichten kann, Berufstätigkeit sowie Betreuung und Versorgung des Kindes in Einklang zu bringen.

Der getroffenen Entscheidung steht der Kontinuitätsgrundsatz nicht entgegen. Insoweit kommt es ohnehin nicht darauf an, welches Elternteil das Kind vor der Trennung überwiegend betreut hat. Vielmehr ist entscheidend, inwieweit sich dessen derzeitige Lebensverhältnisse derart gefestigt haben, dass sie nach Möglichkeit nicht durch einen Wechsel des Aufenthalts des Kindes verändert werden sollten. Vorliegend ist das Kind erst seit dem 13. 1. 2003 bei der Mutter. Davor war es seit dem 19. 8. 2002 beim Vater gewesen. Jeder Elternteil hat, solange sich das Kind bei ihm befunden hat, dem jeweils anderen Elternteil großzügig Umgang, auch unter der Woche, gewährt. Eine fortgeschrittene Verstetigung der Lebensumstände des Kindes bei der Mutter, die bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Vergleich zur eingeschränkten Erziehungseignung der Mutter ausschlaggebend wäre, ist angesichts dessen nicht feststellbar. Ein Wechsel der Kindertagesstätte für den Fall, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht vom Vater ausgeübt wird, steht nicht zu erwarten. Denn in der Vergangenheit ist R stets, unabhängig davon, bei welchem Elternteil er sich aufgehalten hat, in die Kindertagesstätte in E. gebracht worden.

Dafür, dass die Bindungen des Kindes an einen Elternteil stärker ausgeprägt sind als an den anderen, bestehen keine Anhaltspunkte. Ein Wille hinsichtlich des Aufenthalts bei den Eltern ist von dem gerade zwei Jahre und drei Monate alten R nicht zu erwarten.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht

Normen

BGB § 1671