Erbausschlagung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

05. 07. 2000


Aktenzeichen

IV ZR 180/99


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB beginnt erst, wenn der Erbe zuverlässige Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grund seiner Berufung hat (Bestätigung von BGH, LM § 2306 BGB Nr. 4).

  2. Dass die Frist abgelaufen und damit das Ausschlagungsrecht des Erben weggefallen ist (§ 1943 BGB), hat der Gegner zu beweisen.

  3. Der ausschlagende Erbe trägt jedoch die Beweislast für seine Behauptung, er sei nicht geschäftsfähig und der Lauf der Frist deshalb gehemmt gewesen (§ 1944 II 3 i.V. mit § 206 BGB).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. macht im Wege der Stufenklage Pflichtteilsansprüche nach der am 18. 8. 1992 gestorbenen Erblasserin geltend. In einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament aus dem Jahre 1965 waren die Kl. und ihre vier Geschwister, darunter die beiden Bekl., als Schlusserben (ersatzweise für ihren vorverstorbenen Vater) zu je 1/5 eingesetzt worden. Der Erblasserin stand es als überlebender Ehefrau frei, das Testament abzuändern; insoweit besteht kein Streit mehr. Mit notariellem Testament aus dem Jahre 1989 setzte sie die beiden Bekl. zu je 1/3 und alle fünf Geschwister zu gleichen Teilen als Ersatzerben für das ihrem Vater zugedachte weitere Drittel ein. Außerdem vermachte sie dem Bekl. zu 1 ihre Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft und der Bekl. zu 2 ihr Haus; den restlichen Nachlass vermachte sie (ersatzweise bei Wegfall des Vaters der Parteien) allen fünf Geschwistern zu gleichen Teilen. Im Jahre 1990 schloss die Erblasserin einen Erbvertrag mit dem Bekl. zu 1. Darin wiederholte sie das ihm zugedachte Vermächtnis und widerrief das notarielle Testament aus dem Jahre 1989, soweit es zu einem anderen, das Vermächtnis zu Gunsten des Bekl. zu 1 beeinträchtigenden Ergebnis führe. Die letztwilligen Verfügungen der Erblasserin wurden am 6. 10. 1992 eröffnet. Dabei gab der für die Kl. erschienene Rechtsanwalt keine Erklärung zur Annahme der Erbschaft ab. Mit Anwaltsschreiben vom 3. 6. 1993 wurde für die Kl. ein Erbschein als Miterbin zu 1/15 auf Grund des Testaments von 1989 beantragt. Mit Schreiben desselben Anwalts vom 8. 6. 1993 wurde ein Erbscheinsantrag für die Kl. als Miterbin zu 1/5 auf Grund des damals noch für bindend gehaltenen Ehegattentestaments von 1965 gestellt. Am 30. 6. 1995 verurteilte das BerGer. in einem anderen Verfahren die Kl. und zwei weitere Geschwister, das Vermächtnis zu Gunsten des Bekl. zu 1 zu erfüllen. In diesem Urteil wird erwogen, dass § 2306 I 1 BGB dem Anspruch auf das Vermächtnis entgegenstehen könne. Denn nach dem Testament aus dem Jahre 1989 erhalte die Kl., deren Pflichtteil 1/10 betrage, nur einen Erbteil von 1/15, der u.a. mit dem Vermächtnis zu Gunsten des Bekl. zu 1 beschwert sei. Der Bekl. zu 1 habe zwar vorgetragen, dass die Summe von Erbteil und Wert des der Kl. zustehenden Vermächtnisses den Pflichtteil übersteige; dabei habe er den Wert der ihm zugedachten Beteiligung an der Kommanditgesellschaft aber nach Ansicht des BerGer. unrealistisch zu gering eingeschätzt. Das bedürfe jedoch keiner Klärung, weil die Erblasserin mit dem Erbvertrag des Jahres 1990 Vorsorge gerade für den Fall getroffen habe, dass § 2306 I 1 BGB eingreife. Dann nämlich sei die Erbeinsetzung im Testament von 1989 widerrufen, so dass gesetzliche Erbfolge zu je 1/5 eintrete und damit § 2306 I 1 BGB ausgeschlossen sei. Erst nach diesem Urteil hat die Kl. mit Schreiben vom 8. 8. 1995 ihren Erbteil aus allen möglichen Berufungsgründen ausgeschlagen und von den Bekl. den Pflichtteil verlangt.

Das LG hat der in der ersten Stufe erhobenen Klage auf Auskunft und Wertermittlung stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hat das OLG teilweise zurückgewiesen, weil der Kl. auch als Miterbin Ansprüche auf Auskunft zustünden. Wegen ihrer weitergehenden Ansprüche, insbesondere auf Wertermittlung auf Kosten des Nachlasses, hat es die Klage jedoch abgewiesen. Die Revision der Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Nach Auffassung des BerGer. stehen der Kl. Ansprüche aus § 2314 BGB nicht zu, weil sie die sechswöchige Ausschlagungsfrist des § 1944 I BGB habe verstreichen lassen; sie habe die Erbschaft daher nicht mehr wirksam ausschlagen können.

Die Frist habe bereits mit Testamentseröffnung am 6. 10. 1992 begonnen. Denn die Kl. sei „im Grundsatz“ davon ausgegangen, testamentarische Erbin zu sein, wie ihre Erbscheinsanträge zeigten. Damit habe sie von Anfall und Grund ihrer Berufung als Erbin Kenntnis gehabt. Auf den weiteren Vortrag der Kl., sie sei von Februar 1992 bis weit in den Sommer 1995 hinein geschäftsunfähig gewesen, komme es nicht an. Die Annahme der Erbschaft nach Ablauf der Ausschlagungsfrist werde nämlich in § 1943 Halbs.2 BGB fingiert.

2. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.

a) Für den Beginn der Ausschlagungsfrist ist gem. § 1944 II 1 BGB Kenntnis von Anfall und Grund der Berufung erforderlich. Die Berufung kraft Testaments, von der das BerGer. ausgeht, ist ein anderer Grund als die Berufung kraft Gesetzes, wie § 1948 I BGB zeigt. Im vorliegenden Fall kommt nach dem Urteil des BerGer. vom 30. 6. 1995 statt einer testamentarischen Berufung in Betracht, dass die Kl. wegen Widerrufs des Testaments von 1989 kraft Gesetzes Erbin geworden ist. Das hängt davon ab, ob auf der Grundlage des Testaments von 1989 ein Fall des § 2306 I 1 BGB gegeben wäre und deshalb der Widerruf der testamentarischen Erbeinsetzung aus dem Jahre 1990 zum Zuge käme.

In anderem Zusammenhang, nämlich bei der Frage, ob die Kl. über den Berufungsgrund im Irrtum gewesen sei (§ 1949 BGB), kommt das BerGer. zu dem Ergebnis, es stehe nach wie vor nicht fest, ob die Kl. auf Grund des Testaments von 1989 Erbin zu 1/15 oder kraft Gesetzes Erbin zu 1/5 geworden sei. Bei dieser Sachlage kann von einer die Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB in Lauf setzenden Kenntnis aber nicht die Rede sein. Kenntnis setzt ein zuverlässiges Verfahren der maßgeblichen Umstände voraus, auf Grund dessen ein Handeln erwartet werden kann. Ein Irrtum im Bereich der Tatsachen kann Kenntnis in diesem Sinne ebenso verhindern wie eine irrige rechtliche Beurteilung, wenn deren Gründe nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind (BGH, LM § 2306 BGB Nr. 4).

b) Das BerGer. wird daher näher zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls wie lange der Kl. die erforderliche Kenntnis des Berufungsgrundes gefehlt hat. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Kl. in ihrer Berufungsbegründung sowie in der ersten Verhandlung vor dem BerGer. behauptet hat, bis zu dem Urteil vom 30. 6. 1995 habe sie die Vermächtnisse zu Gunsten der Bekl. im Testament von 1989 gem. § 2306 I 1 BGB für unwirksam gehalten. Konkrete Zahlen zu den einzelnen Nachlasswerten hat die Kl. allerdings nicht beigebracht.

Es ist jedoch nicht Sache der Kl., das Fehlen ihrer Kenntnis des Berufungsgrundes zu beweisen. Sie stützt sich (für den Anspruch aus § 2314 BGB) zwar auf die Wirksamkeit ihrer Ausschlagung vom 8. 8. 1995. Dafür muss sie deren Existenz, Zeitpunkt und Formwirksamkeit beweisen. Dass das Ausschlagungsrecht aber bereits durch Fristablauf weggefallen sei, hat der Gegner zu beweisen, hier also die Bekl. (Leipold, in: MünchKomm, 3.Aufl., § 1944 Rdnr. 26; Staudinger/Otte, BGB, 13.Aufl., § 1944 Rdnr. 30; Johannsen, in: RGRK, 12.Aufl., § 1944 Rdnrn. 27f.; Baumgärtel/Schmitz, Hdb.d. Beweislast im PrivatR, 2. Aufl., § 1944 Rdnrn. 2f.; alle m.w. Nachw.; a.A. Soergel/Axel Stein, BGB, 12.Aufl., § 1944 Rdnr. 22). Die Vorschrift des § 1949 I BGB steht nicht entgegen, weil sie nur bei einer positiv erklärten Annahme zu einer anderen Verteilung der Beweislast führen kann (Leipold, in: MünchKomm, § 1949 Rdnr. 4; Staudinger/Otte, § 1949 Rdnr. 2).

c) Wenn feststeht, dass der Kl. durch das Testament von 1989 trotz ihrer geringen Erbquote dem Werte nach mehr als ihr Pflichtteil hinterlassen worden ist, greift § 2306 I 1 BGB nicht und wird auch der Widerruf im Erbvertrag von 1990 nicht wirksam. Dann wäre die Kl. über die von ihr angenommene Berufung als testamentarische Erbin nicht im Irrtum gewesen. In diesem Falle käme es jedoch entgegen der Ansicht des BerGer. für den Ablauf der Ausschlagungsfrist auf die Geschäftsfähigkeit der Kl.an.

§ 1944 II 3 i.V. mit § 206 BGB zeigt, dass die Frist nicht abläuft, solange der Erbe geschäftsunfähig ist. Er hat nach Wiedererlangung der Geschäftsfähigkeit sechs Wochen Zeit zur Ausschlagung. Auch Autoren, die § 1943 Halbs. 2 BGB als Fiktion verstehen, fordern für den Beginn der Ausschlagungsfrist Geschäftsfähigkeit des Erben (Staudinger/Otte, § 1943 Rdnr. 13; § 1944 Rdnr. 14; Leipold, in: MünchKomm, § 1943 Rdnr. 6; § 1944 Rdnrn. 14 und 21; a.A. wohl Soergel/Axel Stein, § 1943 Rdnr. 8). Für die Hemmung des Fristablaufs ist der Erbe beweispflichtig.

d) Misslingt der Kl. der Nachweis ihrer Geschäftsunfähigkeit, wäre - vorausgesetzt, die Bekl. habe bewiesen, dass die Kl. über den Berufungsgrund nicht im Irrtum war - von einer Annahme der Erbschaft wegen Ablaufs der Ausschlagungsfrist gem. § 1943 Halbs. 2 BGB auszugehen. Trotzdem wäre noch eine Ausschlagung nach § 2306 I 2 BGB möglich, wenn die Kl. die Beschwerungen durch Vermächtnisse zu Gunsten der Bekl. irrig für unwirksam gehalten hätte (Staudinger/Haas, § 2306 Rdnr. 55). Auch unter diesem Gesichtspunkt bliebe also der Vortrag der Kl. zu prüfen, sie habe die Vermächtnisse zu Gunsten der Bekl. bis zu dem Urteil vom 30. 6. 1995 für unwirksam gehalten. Die Beweislast dafür, dass die Kl. schon vor dem 30. 6. 1995 die Wirksamkeit der Beschwerungen gekannt habe, tragen die Bekl. (BGH, LM § 2306 BGB Nr. 4).

Rechtsgebiete

Erbrecht