Beteiligung des Beifahrers an Unfallflucht

Gericht

OLG Köln


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

14. 05. 1991


Aktenzeichen

Ss 193/91


Leitsatz des Gerichts

Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Beifahrer Mittäter der "Unfallflucht" sein kann.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der (wegen dieser Sache bereits rechtskräftig verurteilte) Sohn des Angekl. befuhr in dessen Pkw das Parkhaus B.-Straße. Bei einem Rangiermanöver stieß der vom Sohn des Angekl. gesteuerte Wagen gegen den Pkw des Zeugen F. An dessen Fahrzeug wurden Vorderstoßstange und Frontschürze eingedrückt. Dadurch entstand ein Sachschaden von ca. 1100 DM. Nach dem Zusammenstoß stiegen der Angekl., der auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, sein Sohn sowie der Zeuge F aus. Der Zeuge bat den Angekl. und seinen Sohn um ihre Personalien. Der Angekl., der am Unfallort das Wort führte, während sich der Sohn im Hintergrund hielt, verweigerte die Angabe der Personalien mit der wahrheitswidrigen Behauptung, durch den Anstoß sei kein Schaden entstanden, vielmehr wolle der Zeuge nur einen alten Schaden auf seine (des Angekl.) Kosten beseitigen lassen. Anschließend stiegen der Angekl. und sein Sohn wieder in den Wagen und verließen damit den Unfallort. Das Fahrzeug wurde auf der nächsthöheren Etage des Parkhauses abgestellt, wo schließlich auch der Zeuge F einen Parkplatz für seinen Wagen fand. Dort oder auf dem Weg zur Kasse des Parkhauses traf der Zeuge den Angekl. nebst Sohn und forderte beide erfolglos auf, das Eintreffen der Polizei abzuwarten. Das AG hat aufgrund dieses Sachverhalts sowohl den Angekl. als auch dessen Sohn wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 I Nr. 1 StGB) - begangen in Mittäterschaft - zu je einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen und je einem Monat Fahrverbot verurteilt. Die Revision des Angekl. hatte (vorläufigen) Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Mit Recht wendet sich die Revision dagegen, dass der Angekl. als Mittäter der "Unfallflucht" verurteilt worden ist.

Täter bzw. Mittäter einer "Unfallflucht" kann nur sein, wer selbst verpflichtet ist, am Unfallort Feststellungen über seine Person und seine etwaige Beteiligung am Unfall zu dulden (vgl. BGH, VRS 24, 34 (35); Dreher/Tröndle, StGB, 45. Aufl., § 142 Rdnr. 13; Arloth, GA 1985, 503). Diese Verpflichtung trifft nach § 142 IV StGB jeden, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. Dabei genügt es, dass nach dem äußeren Anschein der nicht ganz unbegründete Verdacht einer irgendwie gearteten - nicht notwendig schuldhaften - Mitverursachung des Unfalls gegen einen zur Unfallzeit am Unfallort Anwesenden erhoben werden kann, mag sich auch bei näherer Prüfung herausstellen, dass sein Verhalten in Wirklichkeit nicht zu dem Unfall beigetragen hat (vgl. BGH, VRS 24, 34; BGHSt 15, 1 (4) = NJW 1960, 2060; OLG Köln, VRS 75, 342 = NZV 1989, 78 (m. Anm. Schild)). Nur dann, wenn kein Zweifel daran bestehen kann, dass sich der Unfall auch ohne ihn ereignet hätte, entfällt die Warte- und Duldungspflicht des § 142 StGB (BGH, aaO). Deshalb kommt nach dieser Vorschrift als Täter jeder in Betracht, der, sei es auch zu Unrecht, in den - nicht ganz unbegründeten - Verdacht gerät, den Unfall verursacht oder mitverursacht zu haben (BGHSt 15, 1 (4)). Für den Insassen eines Fahrzeuges gilt das, falls sein eigenes Verhalten den Umständen nach, sei es auch nur durch pflichtwidriges Unterlassen, die für den Unfall möglicherweise ursächliche Fahrweise des Fahrzeuglenkers beeinflusst haben kann (BGH, aaO).

Diese Grundsätze hat das AG nicht hinreichend beachtet. Da nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe für alle Beteiligten klar gewesen ist, dass der Sohn des Angekl. das unfallverursachende Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt gelenkt hat, während für einen "nicht ganz unbegründeten Verdacht", der Angekl. selbst könne am Steuer gesessen haben, keine Grundlage ersichtlich ist, könnte eine (Mit-) Täterschaft des Angekl. im vorliegenden Fall nur damit begründet werden, dass er durch eigenes Tun oder pflichtwidriges Unterlassen die zum Unfall führende Fahrweise seines Sohnes beeinflusst habe. Konkrete Anhaltspunkte dafür sind den Urteilsfeststellungen jedoch nicht zu entnehmen. Ein "nicht ganz unbegründeter" Verdacht, der Angekl. könne auf die Fahrweise seines Sohnes in irgendeiner Form, sei es auch durch pflichtwidriges Unterlassen, einen für das Unfallgeschehen ursächlichen Einfluss genommen haben, lässt sich aus dem Urteilsinhalt nicht ableiten. Insb. legt entgegen der Auffassung des AG weder die Haltereigenschaft des Angekl. noch dessen bestimmendes Auftreten beim anschließenden Disput mit dem Unfallgegner F den Verdacht nahe, der Angekl. selbst könne irgendetwas mit dem Unfall zu tun haben. Da vom AG Umstände, auf die sich ein "nicht ganz unbegründeter" Verdacht stützen könnte, nicht mitgeteilt worden sind, kann die Verurteilung des Angekl. als Mittäter der "Unfallflucht" wegen materiell-rechtlicher Unvollständigkeit keinen Bestand haben.

Sollten sich Umstände, die eine Täterschaft des Angekl. belegen, nicht feststellen lassen, kommt eine Verurteilung wegen Anstiftung (§ 26 StGB) oder Beihilfe (§ 27 StGB) zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort in Betracht (vgl. Dreher/Tröndle, § 142 Rdnr. 14 m. w. Nachw.). In der Rechtsprechung ist insb. anerkannt, dass Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort durch Unterlassen geleistet werden kann (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1981, 2369 = StVE § 142 StGB m. w. Nachw.). Eine Erfolgsabwendungspflicht nach § 13 StGB besteht namentlich für den mitfahrenden Kfz-Halter, der verpflichtet ist, den unfallverursachenden Fahrzeugführer, dem er das Fahrzeug überlassen hat, an der Weiterfahrt zu hindern (OLG Stuttgart, aaO). Die Teilnahmeformen der Anstiftung und Beihilfe betreffen dieselbe Tat i. S. von § 264 StPO (vgl. Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 264 Rdnrn. 44, 47), so dass keine Nachtragsanklage (§ 266 StPO), sondern nur ein Hinweis (§ 265 StPO) erforderlich ist.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht