Örtliche Zuständigkeit des ArbG

Gericht

LAG Rheinland-Pfalz


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

29. 11. 1984


Aktenzeichen

8 Sa 694/84


Leitsatz des Gerichts

  1. Auch bei Rechtsstreitigkeiten eines deutschen Arbeitnehmers mit einem französischen Arbeitgeber wegen des Bestehens oder Nichtbestehens eines Arbeitsverhältnisses oder wegen rückständigen Lohnes etc. sind die Gerichte des Staates zuständig, in dem der Beklagte seinen Sitz hat oder sich der Erfüllungsort befindet.

  2. Im Regelfall ist der Erfüllungsort der Ort, wo nach dem Arbeitsvertrag der Schwerpunkt der tatsächlichen Arbeitsleistung liegt. Lässt sich ein solcher Schwerpunkt nicht finden, ist der Ort maßgebend, von dem aus die tatsächlichen Arbeitsleistungen gelenkt werden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Mit seiner Klage verlangt der Kl. von der Bekl., die ihren Sitz in Lyon/Frankreich hat, 37293,71 DM wegen rückständiger Arbeitsvergütung. Am 23. 6. 1983 traf der Kl. mit dem Inhaber der Bekl. eine Vereinbarung, nach deren wesentlichem Inhalt der Kl. für die Bekl. in Süddeutschland, und zwar in den Postleitzahlgebieten 6, 7, 8 und Teilen von 5, als Repräsentant tätig werden sollte. Seine Aufgabe sollte darin bestehen, Juweliere zum Zwecke des Verkaufs der von der Bekl. vertriebenen Schmuckgegenstände zu besuchen und Verkaufsabschlüsse zu tätigen.

Das ArbG hat seine örtliche Zuständigkeit nach § 29 I ZPO (Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes) bejaht. Die Berufung der Bekl. war erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Die örtliche Zuständigkeit im vorliegenden Verfahren zwischen einem französischen Arbeitgeber und einem deutschen Arbeitnehmer richtet sich nach dem "Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen" (EuGVÜ). Dieses Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der EG findet nach Art. 1 auch Anwendung bei Arbeitssachen (vgl. hierzu Thomas-Putzo; ZPO, 12. Aufl., Vorb. § 1 Anm. 4b). Nach Art. 2, 5 Nr. 1 des Übereinkommens sind bei Streitigkeiten aus Arbeitsverträgen entweder die Gerichte des Staates zuständig, in denen der Bekl. seinen Sitz hat oder das Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden oder zu erfüllen ist. Die Bestimmung des Erfüllungsorts erfolgt nicht vertragsautonom, sondern nach dem inländischen (Kollisions-)Recht des mit der Sache zuerst befassten Gerichts, mithin nach deutschem Recht (vgl. hierzu Zöller, ZPO, 13. Aufl., § 29 Anm. 4). Letzteres steht im Übrigen in Einklang mit dem nach dem übereinstimmenden Parteiwillen anwendbaren materiellen deutschen Arbeitsrecht, worauf die Bekl. zutreffend hinweist. Daneben ist für die Bestimmung des Erfüllungsorts diejenige Verpflichtung maßgebend, die den Gegenstand der Klage bildet (EuGH, NJW 1977, 490 [491 f.]; BGHZ 74, 139). Bei Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Arbeitsvertrages ist Erfüllungsort regelmäßig der Sitz des Arbeitgebers, sofern nicht alle wesentlichen Verpflichtungen aus dem Vertrag an einem anderen Ort zu erfüllen wären. Gleiches gilt für Klagen auf Abwicklung eines inzwischen unstreitig beendeten Vertragsverhältnisses, wie beispielsweise Klagen auf Restlohn, Urlaubsabgeltung, Rückgabe von Arbeitsgeräten und ähnliches (vgl. ebenso Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 2 Rdnr. 39). Ist nämlich ein Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen, so hat die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte (§ 269 I BGB). Nach § 269 II BGB tritt der Ort der gewerblichen Niederlassung des Schuldners an die Stelle des Wohnsitzes, sofern die Verbindlichkeit im Gewerbebetrieb des Schuldners entstanden ist und sein Wohnsitz mit dem der gewerblichen Niederlassung nicht identisch ist. Da der Kl. vorliegend auf Zahlung aus einem Arbeitsvertrag klagt, ist nach § 269 I i.V. mit § 269 II BGB Erfüllungsort der Sitz der Bekl. als Schuldnerin, mithin Lyon/Frankreich.

Nichts anderes gilt, wenn man in Auslegung der Begriffe "Umstände und Natur des Schuldverhältnisses" i.S. des § 269 I BGB der Theorie des einheitlichen Erfüllungsortes folgt. Ein Erfüllungsort für das Arbeitsverhältnis, an dessen ArbG der Kl. klagen könnte, besteht nämlich in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Zwar ist der Erfüllungsort für die Arbeitsleistung nicht unbedingt identisch mit dem Ort der tatsächlichen Arbeitsleistung. Man denke beispielsweise an den Fall wechselnder Baustellen oder an den Fall wechselnder Montagestellen. Entscheidend ist der Ort, der die Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers auf Dauer gesehen bestimmt. Im Regelfall ist das der Ort, wo nach dem Arbeitsvertrag der Schwerpunkt der tatsächlichen Arbeitsleistung liegt. Lässt sich ein solcher Schwerpunkt jedoch nicht finden, wie vorliegend beim Kl., der Juweliere im Raum Süddeutschland, und zwar in den Postleitzahlgebieten 6, 7, 8 und Teilen von 5 aufsuchen und dort Schmuckgegenstände der Bekl. verkaufen sollte, ist der Ort maßgebend, von dem aus die tatsächlichen Arbeitsleistungen gelenkt werden. Hierfür spricht insbesondere, dass das Arbeitsverhältnis durch die Leistung von Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geprägt ist, der Arbeitnehmer dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dem wird bei der Bestimmung des Erfüllungsortes in Vollzug der Berücksichtigung der "Umstände und der Natur des Schuldverhältnisses" Rechnung getragen durch die Annahme des Ortes, von dem aus nach dem Inhalt des Arbeitsvertrag es die Anweisungen erteilt werden können ...

Nach alledem wird klar, dass nur der Sitz der Bekl. der Ort der Lenkung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kl. sein kann. Unstreitig nämlich hat der Kl. von Lyon aus, dem Sitz der Bekl., Anweisungen in Bezug auf seine Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland erhalten, der Kl. hat wegen des Inhalts, der Ausgestaltung und der weiteren Zukunft seines Arbeitsvertrages mit der Bekl. in Lyon korrespondiert und telefoniert sowie seine Reiseberichte dorthin geschickt, was die Bekl. letztlich in die Lage versetzte, sämtliche mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehenden Angelegenheiten von Lyon aus zu entscheiden und dementsprechend Anordnungen zu treffen ...

Nach alledem ist weder das angerufene noch ein anderes ArbG der Bundesrepublik Deutschland international zuständig. Soweit der Kl. dieses Ergebnis als "Verweigerung der deutschen Gerichtsbarkeit" empfindet, ist er darauf hinzuweisen, dass unter anderem gerade für Fälle der vorliegenden Art gem. § 38 II ZPO eine Gerichtsstandsvereinbarung rechtswirksam hätte getroffen werden können.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht