Anspruch einer geschlossenen Gruppe auf Aufnahme in eine Gewerkschaft

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

01. 10. 1984


Aktenzeichen

II ZR 292/83


Leitsatz des Gerichts

  1. Zur Frage, ob eine Gewerkschaft verpflichtet ist, Bewerber um die Mitgliedschaft aufzunehmen, die als geschlossene Gruppe von vornherein die Solidarität gegenüber der von der Mehrheit der Mitglieder getragenen inneren Vereinsordnung verweigert und mit der ausdrücklichen Erklärung die Aufnahme verlangt, dass sie als geschlossene Gruppe mit eigenem Publikationsorgan in der Gewerkschaft selbständig und ohne Bereitschaft zur Integration agieren will.

  2. Eine Gewerkschaft ist nicht gehindert, die Begründung für die Ablehnung eines Bewerbers um die Mitgliedschaft im Rechtsstreit nachzuholen (und neue Gründe nachzuschieben), in dem darum gestritten wird, ob die Aufnahme zu Recht verweigert wird. Streitgegenstand ist nicht die förmliche Entscheidung der Gewerkschaft über die Ablehnung des Aufnahmeantrags, sondern die Frage, ob ein materiellrechtlicher Anspruch des Bewerbers auf Aufnahme besteht. Dafür ist der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz festzustellende Sachverhalt maßgeblich.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, ob die Bekl. (IG Metall) verpflichtet ist, die sieben Kl. wieder als Mitglied aufzunehmen. Die Kl. sind Arbeiter der D-AG und Betriebsräte. Sie waren Mitglieder der Bekl. Diese hat sie ausgeschlossen. Eine von den Kl. zu 1 und 2 gegen ihren Ausschluss erhobene Klage hat das LG Frankfurt durch Urteil vom 6. 10. 1975 rechtskräftig abgewiesen. In der darauf folgenden Zeit bemühten sich die Kl. erfolglos, wieder von der Bekl. aufgenommen zu werden. Ihr letzter Antrag vom 3. 1. 1979 wurde durch Beschluss des Vorstandes der Bekl. vom 13. 11. 1979 abgelehnt. Nach § 3 Nr. 1 der ab 1. 1. 1981 gültigen Satzung der Bekl. kann Mitglied der Bekl. werden, wer in den Wirtschaftszweigen der Metallindustrie beschäftigt ist. In § 3 Nr. 4 ist über die Aufnahme von Mitgliedern bestimmt: „Die Aufnahme in die IG Metall kann durch Beschluss der zuständigen Ortsverwaltung verweigert oder innerhalb von 3 Monaten rückgängig gemacht werden, wenn dies im Interesse der IG Metall notwendig erscheint. Nicht aufgenommen werden dürfen: Personen, die durch ihr Verhalten Maßnahmen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterstützt haben, sowie Personen, die Mitglieder einer gegnerischen Organisation sind und Personen, die Vereinigungen angehören oder unterstützen, deren Handlungen und Aktionen gewerkschaftsfeindlich sind. - Nr. 5: Aus der IG Metall ... ausgeschlossene ... Mitglieder können auf besonderen Antrag nur durch den Vorstand aufgenommen werden." Die Kl. haben sich mit anderen Arbeitnehmern in der sog. „Plakat-Gruppe“ zusammengeschlossen, deren Anfänge in die 60er Jahre zurückreichen. Sie geben Informationsschriften für die Belegschaft und die monatlich erscheinende Betriebszeitung „plakat“ heraus. Bei den Betriebsratswahlen 1972 erhielt ihre Liste knapp 28 % der Arbeiterstimmen, 1978 40 % und 1981 30 % aller abgegebenen Stimmen. Die Kl. sind der Ansicht, ihnen stehe ein Anspruch zu, von der Bekl. wieder aufgenommen zu werden. Sie hätten sich stets zu den Zielen der Bekl. bekannt. Ihre Kritik habe sich nur gegen verkrustete, undemokratische Strukturen und Missbräuche, vorwiegend im betrieblichen Bereich, gerichtet. Die Bekl. weigere sich nur deshalb sie aufzunehmen, weil sie sie als innergewerkschaftliche Opposition ausschalten wolle. Dies aber sei kein sachlich gerechtfertigter Grund. Die Kl. haben beantragt, die Bekl. zu verurteilen, sie als ordentliche Mitglieder aufzunehmen. Die Bekl. ist der Klage entgegengetreten. Nach ihrer Auffassung besteht für sie kein Aufnahmezwang. Im Übrigen sei es ihr nicht zumutbar, die Kl. aufzunehmen. Diese hätten sich durch die Aufstellung konkurrierender Listen bei den Betriebsratswahlen und durch ihre Schmähkritik an der bekl. Gewerkschaft schädigend verhalten. Die Bekl. könne nicht gezwungen werden, jemand als Mitglied aufzunehmen, der im Rahmen zentraler gewerkschaftlicher Ziele mit der Art und Weise, wie diese verfolgt werden, nicht einverstanden sei und deshalb eine eigene Politik betreiben möchte.

Das LG hat der Klage stattgegeben, das OLG hat sie abgewiesen. Die - zugelassene - Revision der Kl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Nach Ansicht des BerGer. gewährt zwar die Satzung der Bekl. ein Recht auf Aufnahme als Gewerkschaftsmitglied. Die Kl. könnten aber trotzdem nicht verlangen, wieder aufgenommen zu werden, weil sie einer Vereinigung i. S. von § 3 Nr. 4 IV der Satzung angehörten, deren Handlungen gewerkschaftsfeindlich seien. Dies greift die Revision im Ergebnis ohne Erfolg an. Der Auffassung des BerGer. ist allerdings nicht zu folgen, nach der Satzung der Bekl. bestehe für jeden ein Anspruch, als Gewerkschaftsmitglied aufgenommen zu werden, der in den in § 3 Nr. 1 der Satzung aufgezählten metallverarbeitenden Geschäftszweigen beschäftigt ist. Die Satzung enthält keine Bestimmung, die Außenstehenden ausdrücklich einen Aufnahmeanspruch einräumen würde. Sie ist aber auch nicht in diesem Sinne auszulegen. Die Annahme, ein Verein oder Verband wolle sich verpflichten, unbekannte Dritte ohne weiteres aufzunehmen, ist so ungewöhnlich, dass sich dafür aus der Satzung gesicherte Anhaltspunkte ergeben müssen; im Zweifel ist ein Rechtsanspruch auf Aufnahme nicht gewollt. Solche Zweifel lassen sich hier nicht ausräumen. § 3 Nr. 4 S. 3 der Satzung spricht sogar für das Gegenteil. Danach soll die Aufnahme eines Bewerbers verweigert werden können, „wenn dies im Interesse der IG Metall notwendig erscheint“. Damit hat sich die Bekl. einen Ermessensspielraum vorbehalten, der so wenig bestimmt und so weit gefasst ist, dass das gegen den Willen der Gewerkschaft spricht, Beitrittserklärungen beliebiger Dritter ohne volle eigene Entscheidungsfreiheit über die Aufnahme als verbindlich hinzunehmen. Jene Bestimmung behält auch ohne eine so weitgehende rechtliche Bedeutung ihren Sinn; sie erklärt sich als interne Richtlinie für die Vereinsorgane, die für die Aufnahme neuer Mitglieder zuständig sind, und sie verpflichtet die Organe, soweit sie die Verweigerungsgründe einschränkt, im gewerkschaftlichen Interesse möglichst viele Bewerber aufzunehmen und damit einen hohen Organisationsgrad der Metallarbeitnehmer zu erreichen.

Mit dem Fehlen eines satzungsmäßigen Aufnahmeanspruchs lässt sich die Abweisung der Klage aber nicht rechtfertigen, denn es spricht viel dafür, dass die Bekl., wenn nicht aufgrund der Satzung, so doch aus übergeordneten Gesichtspunkten einem Aufnahmezwang unterliegt. Dies braucht hier aber nicht abschließend entschieden zu werden, da die Bekl. - auch wenn für sie ein Aufnahmezwang bestehen sollte - aus sachlich gerechtfertigten Gründen sich weigern kann, bestimmte Personen als Mitglieder aufzunehmen (vgl. BGHZ 63, 282 (285) = NJW 1975, 771).

Der sachlich gerechtfertigte Grund, die Aufnahme der Kl. abzulehnen, besteht darin, dass diese - wie bisher außerhalb - nunmehr als geschlossene Gruppe innerhalb der Gewerkschaft tätig werden wollen in einer Art und Weise, die die Bekl. nicht zu dulden braucht:

Nach dem unstreitigen Sachverhalt und den Feststellungen des BerGer. haben die Kl. in der Vergangenheit die Bekl. massiv angegriffen und schwere Vorwürfe gegen sie ohne rechtfertigenden Grund erhoben. So haben die Kl. durch ihre Artikel in „plakat“ fortlaufend den Eindruck erweckt, als arbeiteten die Betriebsratsmitglieder und Funktionäre der Bekl. zum Nachteil der Belegschaft mit der Firmenleitung zusammen (vgl. die Artikel in „plakat“ Ausgabe August 80 „Was wollen sie?"; Ausgabe Dezember 80 „Vom Jammer der Jasagerei“ und „Die roten Ohren der IG Metall“; Ausgabe 29. April 1981 „Werktage werden schlechter“; Ausgabe Mai 1981; „Kronzeuge der Direktion?"). In dem Artikel „Tarifbewegung 81“ in der Aprilausgabe 1981 hat der Kl. zu 1 unter anderem geschrieben: „Ohne übermäßig radikal zu sein, sei die Schlussfolgerung erlaubt: Im Zusammenspiel zwischen Gewerkschaftsspitze, Regierung und Unternehmern soll der Reallohn gedrückt werden. Wenn die Gewerkschaftsfunktionäre gegenüber den Unternehmern so radikal auftreten würden wie sie radikal die Mitgliedsbeiträge hochgetrieben haben, wäre die Lohnbewegung 81 schon vergessen." Die Kl. haben sich ferner gegen die Erhebung des satzungsmäßigen Mitgliederbeitrags der Bekl. in Höhe von 1 % des monatlichen Bruttoverdienstes (§ 5 der Satzung) gewandt und in diesem Zusammenhang zum Beispiel ausgeführt (vgl. „plakat“ Ausgabe vom 23. 5. 1979): „... warum lässt man denn die Mitglieder nicht soviel zahlen, wie sie selbst für nötig halten ... aber wahrscheinlich braucht man bei uns das Geld, um den Angestelltenapparat der Gewerkschaft zu füttern. Dann ist es sowieso rausgeschmissen. Die IG Metall hat schon viel zu viel Obrigkeit. ..." In der Ausgabe Oktober 1981 heißt es in diesem Zusammenhang: „... wenn's um's Geld geht, scheinen auch die sonst einfallslosesten Funktionäre eine blühende Phantasie und keinerlei Skrupel zu bekommen ...".

All diesen Angriffen liegt zwar jeweils ein konkreter Vorgang zugrunde. Sie münden jedoch stets in unqualifizierte, mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt nicht mehr zu rechtfertigende Beschimpfungen von Mandatsträgern der Bekl. und ihrer gesamten derzeitigen Organisation. Mit den Vorwürfen, die Bekl. arbeite mit der Firmenleitung zum Nachteil der Arbeitnehmer zusammen und die Gewerkschaftsspitze drücke im Zusammenspiel mit Regierung und Unternehmern die Reallöhne, bringen die Kl. zum Ausdruck, dass die Bekl., so wie sie zur Zeit organisiert ist und geführt wird, ihrer Aufgabe, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, zuwiderhandelt und die Arbeitnehmerschaft verrät. Dieser Vorwurf ist schon vordergründig der schwerwiegendste Angriff, der gegen eine Gewerkschaft geführt werden kann. In ihm verbirgt sich darüber hinaus ein Angriff gegen die Grundzüge der Gewerkschaftspolitik der Bekl., die ihren Auftrag, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, als integrierter Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung wahrnimmt. Die Besorgnis der Bekl., der Kl. zu 1 und seine Gruppe würden zu einer fairen und loyalen, der Solidarität der Gewerkschaftsmehrheit verpflichteten Zusammenarbeit nicht bereit sein, hat daher insoweit eine reale Grundlage.

Dies ergibt sich auch aus dem weiteren vom BerGer. festgestellten Sachverhalt. Danach haben die Kl. erklärt, auch als Mitglieder der Bekl. eine eigene, mit der Liste der Bekl. konkurrierende Kandidatenstelle bei künftigen Betriebsratswahlen aufstellen zu wollen, falls die Bekl. sie nicht auf ihrer Liste kandidieren lasse. Mit dieser, von der Revision nicht angegriffenen Erklärung geben die Kl. zu erkennen, dass sie sich auch einwandfrei zustande gekommenen Mehrheitsentscheidungen der Bekl. bei der Aufstellung von Kandidaten zu Betriebsratswahlen nicht unterwerfen wollen, wenn die Bekl. sie nicht auf ihre Liste setzt. Sie verweigern insoweit von vornherein die grundsätzlich von jedem Gewerkschaftsmitglied geschuldete Verbandssolidarität. Die Kl. können sich zu ihrer Rechtfertigung nicht darauf berufen, dass wegen des Verbots unzulässiger Wahlbeeinflussung gem. § 20 II BetrVG 1972 aus der Gewerkschaft nicht ausgeschlossen werden darf, wer bei den Betriebsratswahlen auf einer Liste kandidiert, die zwar mit der von der Gewerkschaft unterstützten Liste konkurriert, sich aber über den Wettbewerb um Stimmen hinaus nicht gegen die Gewerkschaft richtet (BGHZ 45, 314 = NJW 1966, 1751; BGHZ 71, 126 = NJW 1978, 1370; BGH, NJW 1981, 2178 = LM § 39 BGB Nr. 16). Der Unterschied zwischen Gewerkschaftsmitgliedern, die sich aus der besonderen Situation und den konkreten Verhältnissen vor einer bestimmten Betriebsratswahl zur Kandidatur auf einer konkurrierenden Liste entschließen und den Kl. besteht darin, dass diese ganz generell und von vornherein die Solidarität gegenüber der Bekl. verweigern, wenn diese ihre Forderungen nicht erfüllt, und die Bekl. unter Druck setzen wollen, um ihre Vorstellungen ohne Rücksicht darauf durchzusetzen, ob diese von der Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder getragen werden.

An alldem zeigt sich, dass es sich bei den Kl. um eine geschlossene Gruppe mit eigenem Publikationsorgan handelt, die von vornherein die Solidarität gegenüber der von der Mehrheit der Mitglieder getragenen inneren Vereinsordnung verweigert und mit der ausdrücklichen Erklärung die Aufnahme verlangt, dass sie als Gruppe in der Gewerkschaft selbständig und ohne Bereitschaft zur Integration agieren will. An diesem Sachverhalt gehen die Ausführungen der Revision zum größten Teil vorbei, so dass auf sie im Allgemeinen nicht eingegangen zu werden braucht. Soweit die Verletzung von § 287 ZPO gerügt wird, ist diese Rüge nicht begründet (§ 565a ZPO). Die Bekl. hat allein aufgrund dieses Tatbestandes einen sachlich gerechtfertigten Grund, den Kl. die Aufnahme zu verweigern; dieser schließt die Rechtswidrigkeit der Aufnahmeverweigerung aus, auch wenn man grundsätzlich von einem Aufnahmezwang der Bekl. ausgeht. Auf Art. 9 III GG beruft sich die Revision zu Unrecht. Die individuelle Koalitionsfreiheit kann dem Bewerber nicht zum Eintritt in eine Gewerkschaft verhelfen, wenn zu befürchten ist, dass er den satzungsmäßig bestimmten Vereinsgrundsätzen nachhaltig zuwiderhandeln wird; insofern geht das - ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleistete - Schutzbedürfnis der Gewerkschaft vor.

Der Umstand, dass die Bekl. ihre Entscheidung, die Kl. nicht in ihre Organisation aufzunehmen, nicht mit Gründen versehen hat, ist entgegen der Ansicht der Revision nicht geeignet, den Aufnahmeanspruch zu begründen. Auch wenn es zweckmäßig gewesen wäre, die Gründe für die Ablehnung bekannt zu geben, ist die Gewerkschaft nicht gehindert, die Begründung im Zivilprozess nachzuholen (und neue Gründe nachzuschieben), in dem darum gestritten wird, ob die Gewerkschaft die Aufnahme zu Recht verweigert. Streitgegenstand des Zivilprozessverfahrens ist nicht die förmliche Entscheidung der Gewerkschaften, mit der sie den Aufnahmeantrag abgelehnt hat, sondern die Frage, ob ein materiellrechtlicher Anspruch des Bewerbers auf Aufnahme besteht. Die Gerichte haben diesen Anspruch nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen aufgrund desjenigen Sachverhalts zu beurteilen, der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen festzustellen ist.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht