Sichtschutzzaun: Trennwand wieder entfernen
Gericht
OLG Köln
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
13. 02. 1998
Aktenzeichen
16 Wx 3/98
Auch im Rahmen einer äußerlich in zahlreiche Einfamilienhäuser aufgegliederten Wohnungseigentumsanlage bedarf die Errichtung einer ca. 1,90 m hohen Sichtschutzwand an der Grenze zweier in Sondernutzung befindlicher Gartenflächen der Anlage als bauliche Veränderung der Zustimmung aller Wohnungseigentümer. Das gilt auch dann, wenn in anderen Gärten, die nicht zur Wohnungseigentumsanlage gehören, solche Wände bereits vorhanden sind.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Ast. und die Ag. sowie die weiteren Bet. zu 3 bis 6 sind die Eigentümer der aus sechs Einfamilienhäusern bestehenden Wohnanlage. Einen Verwalter für das Gemeinschaftseigentum haben die Bet. nicht bestellt. Mit den einzelnen Wohnungseigentumsrechten ist ein Sondernutzungsrecht an der jeweils hinter dem Haus gelegenen Gartenfläche verbunden. Die Gartenflächen der Ast. und der Ag. grenzen aneinander. Auf der ca. 12 m langen Grenzlinie steht ein Zaun. Im Juni 1996 errichteten die Ag. unmittelbar neben dem Zaun auf ihrer Sondernutzungsfläche im Anschluss an die - bereits im Jahre 1979 erstellte - ca. 2,50 m lange und 1,96 m hohe Terrassentrennwand (Mauer) eine ca. 3,7 m lange und ca. 1,80 bzw. 1,92 m hohe aus Holz geflochtene Sichtblende. Die Ast. beantragten daraufhin, die Ag. zu verpflichten, die Sichtblende zu entfernen, weil eine ortsübliche Einfriedigung nur eine Höhe von 1,20 m habe, zudem nehme diese hohe und lange Blende dem Grundstück die Sonne.
Das AG hat die Bet. zu 2 antragsgemäß zur Beseitigung der Sichtblende für verpflichtet erklärt und zur Begründung ausgeführt: Die Bet. zu 2 behaupteten selbst nicht, dass die Sichtblende ortsüblich sei, auch sei diesen nicht der Nachweis gelungen, dass die Bet. zu 1 der Errichtung zugestimmt hätten. Auf die fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde der Bet. zu 2 hat das LG den Beschluss abgeändert und den Antrag der Bet. zu 1 abgewiesen mit der Begründung, die Sichtblende sei als Einfriedigung ortsüblich, was sich aus den nunmehr vorgelegten Fotos ergebe, so dass mangels Anwendbarkeit des durch die Gemeinschaftsordnung abgedungenen § 22 WEG die Ag. nicht zur Beseitigung verpflichtet seien. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Bet. zu 1 hat das OLG den Beschluss des LG aufgehoben und die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des AG zurückgewiesen.
Auszüge aus den Gründen:
Der Beseitigungsanspruch der Ast. findet seine gesetzliche Grundlage in den §§ 14 Nr. 1, 15 III, 22 I WEG i.V. mit § 922 BGB. Aus Rechtsgründen zu beanstanden ist, dass das LG seiner Entscheidung nicht die §§ 14 Nr. 1, 22 I WEG zugrundegelegt hat. Die Anwendung der vorgenannten Bestimmungen ist nicht durch eine in der Gemeinschaftsordnung davon abweichende Regelung (§ 10 I 2 WEG) für die vorliegende Fallgestaltung ausgeschlossen. Das ergibt die am Wortlaut und Sinngehalt orientierte Auslegung der Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung, zu der der Senat selbständig auch als RechtsbeschwGer. befugt ist (vgl. OLG Düsseldorf, WE 1997, 344 m.w. Nachw.; OLG Oldenburg, NZM 1998, 39). Insbesondere ist für die dem Sondernutzungsrecht unterliegenden Gemeinschaftsflächen aufgrund der Regelung über die Geltung der nachbarrechtlichen Bestimmungen nicht etwa § 22 I WEG abbedungen. Nach der letztgenannten Vorschrift ist zu allen Maßnahmen eines Wohnungseigentümers, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, die Zustimmung eines Wohnungseigentümers nur insoweit nicht erforderlich, als durch die Veränderung dessen Rechte nicht über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. In den beiden Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung ist aber davon, dass - wie etwa im Fall des BayObLG, WuM 1993, 565 - die in § 22 I 2 WEG vorgesehene Zustimmung anderer Wohnungseigentümer zu außerordentlichen Baumaßnahmen eines Wohnungseigentümers auf der ihm zugewiesenen Sondernutzungsfläche nicht erforderlich ist, ersichtlich weder ausdrücklich noch konkludent die Rede. In § 1 der im Grundbuch als Inhalt des Sondereigentums eingetragenen Gemeinschaftsordnung vom 11. 4. 1978 heißt es:
§ 1.
(1) Den jeweiligen Eigentümern eines Hauses nebst Garage wird die zu dem Haus nebst Garage jeweils gehörende Vorfläche und Gartenfläche zum Zwecke der Nutzung als Weg und als Garten zur ausschließlichen dauernden und ungehinderten Nutzung zugeteilt.
(2) Die Grenzen dieser Flächen sind in dem anliegenden Lageplan rot eingezeichnet, so, als seien selbständige Grundstücke gebildet. Im Übrigen gelten die nachbarrechtlichen Bestimmungen.
Ferner ist anschließend in § 2 zu den Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten festgelegt:
§ 2.
(2) Die Unterhaltskosten und Pflege der zum Haus gehörenden Grundstücksflächen ist ebenfalls Sache des betreffenden Eigentümers. In allen Zweifelsfällen gelten die nachbarrechtlichen Bestimmungen, so, als seien selbständige Grundstücke gebildet.
Auch wenn danach die dem Sondernutzungsrecht unterliegenden Gemeinschaftsflächen - wie im vorgenannten Fall des BayObLG - wie selbständige Grundstücke behandelt werden sollen, folgt deshalb daraus noch nicht, dass für darauf getätigte bauliche Veränderungen konkludent die Vorschriften des WEG abbedungen sind und bei Verstößen des Nachbars gegen nachbarrechtliche Bestimmungen ausschließlich Nachbarabwehrrecht gelten soll, d.h. die Ast., wie diese meinen, auf ihrer Sondernutzungsfläche uneingeschränkt schalten und walten dürfen, solange Maßnahmen bzw. Zustände nicht gegen das Nachbarrecht verstoßen. Mit den beiden Bestimmungen ist nur festgelegt, dass die Wohnungseigentümer die ihnen zugewiesenen Gemeinschaftsflächen nach Nachbarrecht gestalten und bewirtschaften dürfen, d.h. im Einklang mit den nachbarrechtlichen Bestimmungen die ihnen zugeordnete Grundstücksfläche insbesondere einfriedigen und auf dieser Anpflanzungen vornehmen können. Zugleich wird damit allerdings das Maß dessen bestimmt, was ein benachbarter Wohnungseigentümer insoweit an Beeinträchtigung durch eine bauliche Maßnahme hinnehmen muss, ohne sich mit Erfolg auf eine über das Maß des § 14 WEG hinausgehende Beeinträchtigung gem. § 22 I 2 WEG berufen zu können. Entspricht mithin eine Baumaßnahme auf der Grundstücksfläche dem Nachbarrecht, muss der benachbarte Wohnungseigentümer sie hinnehmen, und kann nicht etwa mit dem Einwand mangelnder Zustimmung gem. § 22 I WEG deren Beseitigung verlangen. In allen anderen Fällen kann der beeinträchtigte Wohnungseigentümer bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 14 Nr. 1, 15 III, 22 I WEG die Beseitigung der Baumaßnahme verlangen.
Die Entscheidung des LG kann daher keinen Bestand haben, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§§ 27 I 2, 563 ZPO). Eine Zurückverweisung erübrigt sich aber, weil weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind und der Senat selbst entscheiden kann, ob die Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs gem. §§ 14 Nr. 1, 15 III, 22 I WEG gegeben sind. Die Errichtung der Sichtblende stellt eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums i.S. des § 22 I WEG dar, die über eine ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgeht (vgl. etwa KG, NJW-RR 1997, 713; OLG Düsseldorf, NJWE-MietR 1997, 111). Darüber hinaus werden durch die Sichtblende die Rechte der Ast. über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt, so dass deren Zustimmung zu der baulichen Veränderung erforderlich gewesen wäre (§ 22 I 2 WEG). Es unterliegt zunächst keinen Bedenken, dass die ca. 3,70 m lange und über ca. 1,80 m hohe Sichtblende einem Teil des den Ast. zugeordneten Grundstücks - wie diese geltend machen und auch aus dem vorgelegten Foto ersichtlich wird - nicht nur ganz unerheblich Licht und Sonne nimmt, so dass von daher eine nach WEG grundsätzlich nicht duldungspflichtige Beeinträchtigung der Ast. i.S. des § 22 I 2 WEG zweifelsohne zu bejahen ist. Dass sie gleichwohl die Beeinträchtigung hinnehmen müssten, weil das Nachbarrecht die Sichtblende rechtfertigt, lässt sich indes nicht feststellen.
Das LG hat nach Auswertung der vorgelegten Lichtbilder die Ortsüblichkeit der Sichtblende als Einfriedigung mit der Begründung bejaht, in sämtlichen angrenzenden Straßen würden derartige Holzzäune sowohl als Terrassentrennwände als auch als Grundstücksbegrenzungen verwendet. Mit dieser Begründung lässt sich indes die Maßnahme aus dem Nachbarrecht nicht rechtfertigen, unabhängig davon, ob und inwieweit die Beurteilung zutrifft. Die neben dem auf der Grenzlinie der Grundstücksflächen befindlichen Zaun angebrachte Sichtblende ist vielmehr weder durch die nachbarrechtlichen Bestimmungen des NWNachbG noch des BGB gedeckt. Die Regelungen in den §§ 35, 36 NWNachbG über die - ortsübliche - Beschaffenheit und den Standort einer Einfriedigung gelten nur für diejenige Einfriedigung, die der Nachbar gem. § 32 NWNachbG auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze beanspruchen kann. Für Einfriedigungen, die der Grundstücksnachbar aus eigenem Entschluss und ohne gesetzliche Verpflichtung (§ 32 NWNachbG) - wie hier - auf seinem Grundstück errichtet, enthält dieses Gesetz keine Einschränkungen (vgl. BGH, NJW 1979, 1409). Nur um eine solche Einfriedigung geht es aber bei der Sichtblende, weil diese unstreitig von den Ag. nicht auf der Grenzlinie der beiden Grundstücksflächen, sondern neben dem auf der Grenzlinie bereits vorhandenen Zaun, der nach dem Willen der Wohnungseigentümer zur Abtrennung der Sondernutzungsflächen erstellt worden war, angebracht wurde. Da der bereits vorhandene Zaun als gemeinschaftlich benutzte Grenzeinrichtung i.S. des § 921 BGB anzusehen ist, durften die Ag. den Zaun, auf dessen Erhaltung der Nachbar bestehen kann, nach § 922 S. 3 BGB ohne die Zustimmung der Ast. nicht wesentlich ändern. Dabei ist anerkannt, dass eine Grenzeinrichtung auch in ihrem Erscheinungsbild vor Beeinträchtigungen durch den Nachbarn geschützt ist (vgl. BGH, NJW 1985, 1458 und 1979, 1409; BayObLG, WuM 1993, 565).
Im Entscheidungsfall ist der von den Ag. direkt neben dem Zaun auf ihrer Sondernutzungsfläche errichtete geschlossene Holzflechtzaun geeignet, eine solche Veränderung der Grenzeinrichtung „Zaun„ darzustellen, die die Ast. nicht hinnehmen müssen. Wenn - wie aus dem vorgelegten Foto ersichtlich - direkt neben dem ortsüblichen Zaun ein solcher ca. 3,70 m langer und über ca. 1,80 m hoher Holzflechtzaun nunmehr als Sichtblende gesetzt wird, wirkt dieser auf die vorhandene Einfriedigung so ein, dass diese in der betroffenen Länge in ihrem ortsüblich gestalteten Erscheinungsbild wesentlich verändert wird und damit ihrem Wesen nach nicht mehr dem entspricht, was der Grundstücksnachbar verlangen kann. Deshalb würde sich, wenn nicht das WEG zur Anwendung käme, der Beseitigungsanspruch aus Nachbarrecht herleiten können; §§ 922 S. 3, 1004 BGB, §§ 50, 32, 35 NWNachbG (BGH, NJW 1985, 1458; 1979, 1409).
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