Kurze Ehe bei Ehezeit von etwas mehr als vier Jahren
Gericht
OLG Köln
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
16. 07. 1991
Aktenzeichen
4 UF 145/89
Zum angemessenen Selbstbehalt beim nachehelichen Unterhalt.
Eine "kurze Ehe" im Sinne des § 1579 Nr. 1 BGB kann auch bejaht werden, wenn die Ehezeit etwas mehr als vier Jahre betrug.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien haben am 20. 9. 1983 die Ehe geschlossen. Die ASt. ist deutsche Staatsangehörige, der AGg. Türke. Sie ist 52 Jahre alt, der AGg. 36 Jahre. Die letzte gemeinsame Wohnung der Parteien war in S. Im April 1986 ist der AGg. aus der früheren ehel. Wohnung ausgezogen. Seitdem leben die Parteien getrennt. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen.
Mit dem Antrag v. 6. 8. 1987 hat die ASt. auf Scheidung der Ehe angetragen. Gleichzeitig hat sie nachehel. Unterhalt geltend gemacht. Während des Scheidungsverfahrens hat der AGg. aufgrund einer gerichtlichen Vereinbarung der Parteien an die ASt. einen monatlichen Unterhalt während des Getrenntlebens von 800 DM gezahlt. Dieser Unterhalt ist auch nach Rechtskraft der Scheidung weiter vollstreckt worden.
Die ASt. hat vor der Eheschließung eine Lehre als Verkäuferin absolviert. Zuletzt ist sie in den Jahren 1979 oder 1980 berufstätig gewesen. Seit dieser Zeit geht sie einer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nach. Auch während der Ehe war sie nicht erwerbstätig.
Die ASt. hat im Verbund mit der Scheidung neben dem Versorgungsausgleich [VersAusgl] einen nachehel. Unterhalt von 1155 DM beansprucht. Sie hat behauptet, der AGg. habe ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 2658 DM, wovon 90 DM als berufsbedingte Aufwendungen anzuerkennen seien.
Das AmtsG hat durch das angefochtene Urteil die Ehe der Parteien geschieden, den VersAusgl geregelt und den AGg. verurteilt, an die ASt. ab Rechtskraft der Ehescheidung einen monatlichen Unterhalt von 680 DM zu zahlen. Es ist nach vorherigem Abzug der berufsbedingten Unkosten zu einem bereinigten Nettoeinkommen des AGg. von 2080 DM gekommen und hat hiervon den angemessenen Selbstbehalt i. H. von 1400 DM abgezogen. Sonach könne die ASt. den eben genannten Betrag beanspruchen. Die Höhe der Miete könne nicht berücksichtigt werden. Die begehrte zeitliche Beschränkung des Unterhaltsanspruchs sei nach dem Gesetz nicht gerechtfertigt. An der Bedürftigkeit der ASt. bestehe kein Zweifel, da sie schon 52 Jahre alt sei und wegen ihrer aus dem Attest zu ersehenden Krankheit keine Arbeitsstelle bekommen könne.
Gegen dieses ihm am 26. 5. 1989 zugestellte Urteil wendet sich der AGg. mit seiner am 22. 6. 1989 eingegangenen Berufung, die er am 28. 8. 1989 begründet hat.
Auszüge aus den Gründen:
Die zulässige Berufung des AGg. hat teilweise Erfolg, weil er nur einen geringeren Unterhalt zahlen muss und die Unterhaltszahlung zeitlich zu begrenzen ist. Dagegen ist die ebenfalls zulässige Anschlussberufung der ASt. unbegründet.
Mit Recht hat das AmtsG der ASt. gemäß § 1572 BGB Unterhalt wegen Krankheit zugesprochen. Aus dem überzeugenden Gutachten des Professors Dr. K. v. 16. 7. 1990 ergibt sich, dass die 1,62 Meter große und 108 kg schwere ASt. unter den auf Seite ... des Gutachtens aufgezählten Krankheiten leidet und insbesondere aufgrund der kardiopulmonalen Situation derzeit nicht arbeitsfähig ist. Auch das Zusatzgutachten v. 2. 4. 1991 bestätigt im wesentlichen die Diagnosen aus dem ersten Gutachten und kommt zu dem Ergebnis, dass bei der ASt. weiterhin Arbeitsunfähigkeit besteht. Dieses Gutachten hält allerdings eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit der ASt. für möglich. Ob eine Arbeitsfähigkeit bei optimaler Therapie, wozu eine drastische Gewichtsabnahme und Nikotinkarenz gehören, erreichbar ist, sei jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht endgültig zu beurteilen.
Der Senat hält es für überzeugend, dass die ASt. angesichts ihrer Leiden und des immensen Übergewichts seit Rechtskraft der Scheidung arbeitsunfähig krank war. Ob es ihr gelingt, bei einer "optimalen Therapie" in der Zukunft eine Arbeitsfähigkeit zu erreichen, lässt sich derzeit nicht endgültig beurteilen. Fest steht aber, dass sie erwerbsunfähig krank ist, und dies nicht nur vorübergehend. Sollte eine Besserung ihres Zustandes und Erwerbsfähigkeit in Zukunft eintreten, so stände dem AGg. die Möglichkeit des § 323 ZPO zur Seite. Dem Senat erscheint es jedoch ausgeschlossen, dass bei der ASt. eine optimale Therapie in absehbarer Zeit zum Erfolg führt. Es wird aller Voraussicht nach nicht gelingen, die im Rahmen der Therapie nötige drastische Gewichtsreduktion und eine Nikotinkarenz so rasch in die Tat umzusetzen, dass die ASt. noch vor Ablauf von ein bis zwei Jahren einem Gelderwerb nachgehen kann. Wie noch darzulegen sein wird, muss aber der AGg. ohnehin nicht länger als bis zum 31. 10. 1992 Unterhalt zahlen.
Die Höhe ihres Unterhalts richtet sich gemäß § 1572 i. V. mit § 1578 I BGB nach den ehel. Lebensverhältnissen. Gemäß § 1581 BGB bestimmt sich die Höhe des Unterhalts außerdem nach der Leistungsfähigkeit des AGg.
Die ehel. Lebensverhältnisse der Parteien haben sich ausschließlich an dem Einkommen des AGg. orientiert, da die ASt. nicht berufstätig war. Es ist daher für den nachehel. Unterhalt allein heranzuziehen. Da das angefochtene Urteil im Oktober 1989 rechtskräftig geworden ist, ist für die restlichen Monate dieses Jahres auf das Einkommen des AGg. i. J. 1989 abzustellen. Ab 1990 ist dann Grundlage für die Unterhaltsberechnung das Nettoeinkommen des AGg. ab Januar 1990.
Nach der vorgelegten Gehaltsbescheinigung betrug das monatliche Nettoeinkommen des AGg. i. J. 1989 nach vorherigem Abzug des Gewerkschaftsbeitrages und des Beitrags für die Unterstützungskasse 2364,50 DM. An Busfahrtkosten für die Fahrt von der Wohnung zur Arbeitsstätte musste der AGg. i. J. 1989 unstreitig 150 DM monatlich aufwenden. Nach Abzug dieses Betrages bleibt ein bereinigtes Einkommen von 2214,50 DM.
Da der AGg. nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen bei diesem Gehalt außerstande ist, den von der ASt. beanspruchten Unterhalt von 800 DM monatlich ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren, muss er nur insoweit Unterhalt leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und Erwerbs- und Vermögensverhältnisse des geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht.
Der AGg. hat nachgewiesen, dass er eine Bankschuld von beinahe 30 000 DM hat, auf die er monatliche Raten von 467 DM leisten muss. Ferner hat er sich auf eine Reihe von weiteren Schulden berufen.
Grundsätzlich kommen bei der Bemessung des Ehegattenunterhalts nur gemeinschaftliche Schulden der Ehegatten, die der Unterhaltsschuldner allein verzinst und tilgt, für den Abzug vom Gehalt in Frage. Im Zeitpunkt der Trennung der Parteien hatten beide Eheleute eine Schuld von 13 000 DM, die einschließlich der nichtgezahlten Zinsen jedenfalls 15 000 DM betragen hat. Es ist unbillig, auch die Schulden mitzuberücksichtigen, die über 15 000 DM hinausgehen, weil diese Schulden nach der Trennung vom AGg. allein aufgenommen wurden, und zwar aus Gründen, die sich die ASt. nicht zurechnen lassen muss. Bei Berücksichtigung angemessener Raten für die gemeinschaftliche Schuld von 15 000 DM erscheint dem Senat der Ansatz von monatlich 350 DM seit der Trennung angemessen. Dieser Betrag ist deshalb vorweg vom anrechenbaren Einkommen abzuziehen. Das führt dazu, dass das bereinigte Nettoeinkommen des AGg. i. J. 1989 nur 1864,50 DM beträgt. Der Senat hält es für billig, dass dem AGg. der volle angemessene Selbstbehalt von 1400 DM bleibt, da die Bedürftigkeit der ASt. wahrscheinlich auch dann im gleichen Umfang bestände, wenn es nicht zur Eheschließung gekommen wäre.
Zieht man den angemessenen Selbstbehalt von dem eben genannten bereinigten Nettoeinkommen des AGg. ab, so bleibt für das Jahr 1989 ein monatlicher Unterhalt von rund 465 DM.
Im Jahre 1990 hatte der AGg. nach der von ihm vorgelegten Jahresbescheinigung nach Abzug des Geldes für die Unterstützungskasse und für die Gewerkschaft ein Nettoeinkommen von 2461,73 DM. Hiervon sind die Fahrtkosten abzuziehen, die bis Februar 1990 monatlich 150 DM und nach dem Umzug ab März 1990 monatlich 70 DM betrugen. Im Jahresdurchschnitt hatte er sonach Fahrtkosten von monatlich 83 DM. Auch i. J. 1990 sind ferner monatliche Raten von 350 DM in Abzug zu bringen, so dass ein bereinigtes Nettoeinkommen von 2028 DM bleibt. Nach Abzug des angemessenen Selbstbehalts von 1400 DM steht der ASt. ein Unterhalt von 628 DM zu. Bei diesem Unterhalt wird es voraussichtlich auch i. J. 1991 bleiben. Zwar wird das Gehalt des AGg. leicht steigen, und die monatlichen Werbungskosten betragen dann nur noch 70 DM. Auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, dass sich seine Steuerschuld ab Juli 1991 um 7,5 % erhöht.
Dieser Unterhaltsanspruch ist jedoch bis zum 31. 10. 1992 zu begrenzen. Gemäß § 1579 Nr. 1 BGB ist ein Unterhaltsanspruch zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre, weil die Ehe von kurzer Dauer war. Nach heute gefestigter Rechtsprechung rechnet die Dauer der Ehe i. S. des § 1579 Nr. 1 BGB bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages (vgl. BGH, FamRZ 1981, 140 = NJW 1981, 754; KG, FamRZ 1981, 168). Die Parteien haben am 20. 9. 1983 die Ehe geschlossen. Der Scheidungsantrag ist dem AGg. am 13. 10. 1987 zugestellt worden. Die Ehe dauerte also vier Jahre und 23 Tage. Dieser Zeitraum ist angesichts der besonderen Umstände dieses Falles noch als kurz zu bezeichnen. Eine Inanspruchnahme des AGg. über drei Jahre nach Rechtskraft der Scheidung hinaus wäre auch grob unbillig.
Die Billigkeitsklausel des § 1579 Nr. 1 BGB sieht die Möglichkeit der Begrenzung des nachehel. Unterhaltsanspruchs im Falle kurzer Ehedauer vor, ohne dass angegeben wird, was unter "kurzer Dauer" zu verstehen ist. Sie enthält auch keine Anhaltspunkte für die nähere zeitliche Bestimmung dieses Begriffs. Das legt die Annahme nahe, dass das Gesetz dieses Merkmal nicht im Sinne einer für alle Ehen maßgebenden zeitlichen Begrenzung verstanden wissen will. Demgemäss wird auch in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegend die Meinung vertreten, dass der Begriff nicht im Sinne einer abstrakten, für alle Anwendungsfälle maßgeblichen, generellen zeitlichen Abgrenzung definiert werden kann (vgl. BGH, FamRZ 1981, 140 = NJW 1981, 755, m. w. N.).
Wie der BGH in der eben genannten Entscheidung ausgeführt hat, ist entscheidendes Kriterium für eine kurze Ehedauer i. S. des § 1579 BGB das Maß ehebedingter wechselseitiger Verflechtungen und Abhängigkeiten in Ausrichtung auf ein gemeinsames Lebensziel, wie sie sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalles ergeben können (vgl. dazu Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 4. Aufl., Rz. 963).
Eine solche wechselseitige Verflechtung und wechselseitige Abhängigkeit ist bei den Parteien zu verneinen. Durch die Eheschließung hat die ASt. keinerlei ehebedingte Nachteile erlitten. Sie war zur Zeit der Eheschließung schon drei oder vier Jahre ohne Erwerbseinkommen und - wie sich aus dem ärztlichen Gutachten des Professors Dr. K. ergibt - bereits an Asthma bronchiale erkrankt. Es ist anzunehmen, dass sie auch dann, wenn sie die Ehe nicht geschlossen hätte, in gleichem Maße bedürftig wäre. Es ist sonach nicht erkennbar, dass sie infolge der Eheschließung mit dem AGg. irgendwelche Dispositionen getroffen hat, durch die ihre wirtschaftliche Lage nachteilig beeinflusst worden ist. Die Ehe mit dem AGg. hat der ASt. allerdings den wirtschaftlichen Vorteil gebracht, dass er ihren Unterhalt bestreiten musste. In dieser sich aus dem Wesen der Ehe ergebenden Unterhaltspflicht liegt aber für sich allein noch keine ehebedingte wechselseitige Verflechtung.
Deutlich geworden ist auch nicht das weitere Kriterium, das der BGH im Rahmen der Beurteilung einer "kurzen Ehe" i. S. des § 1579 Nr. 1 BGB aufgestellt hat, nämlich die Abhängigkeiten der Parteien in Ausrichtung auf ein gemeinsames Lebensziel. Dagegen spricht schon die kurze Zeit des Zusammenlebens von nur 2 1/2 Jahren. Auch aus dem Vortrag der ASt. ergeben sich keine Anhaltspunkte, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen.
Nach allem erscheint es gerechtfertigt, hier eine Ehedauer von etwas mehr als vier Jahren noch als kurz i. S. des § 1579 Nr. 1 BGB anzusehen (vgl. dazu OLG Köln, FamRZ 1985, 1046; OLG Düsseldorf, FamRZ 1983, 1139, 1140; OLG Frankfurt, FamRZ 1989, 630 = NJW 1989, 3226).
Der Senat hält es aber auch für grob unbillig i. S. des § 1579 Nr. 1 BGB, wenn der AGg. länger als drei Jahre nach Rechtskraft der Scheidung noch Unterhalt an die ASt. zahlen müsste. Dies stände schon aus den bisher genannten Gründen in unerträglichem Widerspruch zum Gerechtigkeitsempfinden. Zu berücksichtigen ist weiter, dass der AGg. durch die Fortdauer der Unterhaltszahlung an die ASt. bei seinem relativ geringen Einkommen evtl. aus wirtschaftlichen Gründen daran gehindert wäre, eine Familie zu begründen. Auch wäre er in seiner Lebensführung unzumutbar eingeschränkt. Bei allem ist noch zu bedenken, dass angesichts des Alters und der Krankheit der ASt. ein Ende der Unterhaltszahlungen nicht absehbar wäre. Dabei ist der AGg. für die andauernde Bedürftigkeit nicht verantwortlich.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hat der Senat die Unterhaltszahlungen des AGg. an die ASt. auf drei Jahre seit Rechtskraft der Scheidung begrenzt. Eine Zahlung von Unterhalt über diesen Zeitraum hinaus wäre nach der Überzeugung des Senats aus den genannten Gründen grob unbillig.
Da die Beurteilung der Frage, ob eine Ehe von kurzer Dauer gegeben ist und auch die Frage der groben Unbilligkeit dem tatrichterlichen Ermessen unterliegt, hat der Senat entgegen der Anregung der ASt. die Revision nicht zugelassen.
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