Nötigung durch dichtes Auffahren
Gericht
OLG Karlsruhe
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
24. 04. 1997
Aktenzeichen
3 Ss 53/97
Zu den Kriterien einer Nötigung im Straßenverkehr insbesondere durch dichtes Auffahren.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Angekl. wurde vom AG wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 60 DM nebst einem Fahrverbot von einem Monat Dauer verurteilt.
Seine Revision führte zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
Auszüge aus den Gründen:
III. Die Feststellungen und Erwägungen des Strafrichters tragen die Verurteilung des Angekl. wegen Nötigung nicht. Das vom AG festgestellte Fahrverhalten des Angekl. begründet kein - über eine mögliche Ordnungswidrigkeit (§§ 1, 4 StVO) hinausgehendes - als Nötigung zu wertendes strafwürdiges Unrecht. Nötigung setzt als Tathandlung gem. § 240 I StGB die Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus, um eine Handlung, Duldung oder Unterlassung zu erzwingen. Als Nötigungsmittel i.S. des § 240 StGB käme im vorliegenden Fall in erster Linie Gewaltanwendung in Betracht. Gewalt ist der physisch vermittelte Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes (vgl. Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 240 Rdnr. 5). Sie kann nicht nur beim Einsatz körperlicher Kraft, sondern auch bei einer im wesentlichen bloß psychischen Zwangseinwirkung gegeben sein, sofern der Täter mit nur geringem Kraftaufwand einen psychisch determinierten Prozess in Lauf setzt und dadurch einen unwiderstehlichen, der körperlichen Einwirkung vergleichbaren Zwang auf das Opfer ausübt (BGHSt 19, 263 = NJW 1964, 1426; BGH, wistra 1987, 212). Im Straßenverkehr - wie im vorliegenden Fall - kann Gewalt hiernach durch die Verursachung einer Gefahrenlage herbeigeführt werden, die geeignet ist, einen anderen, durchschnittlich empfindenden Verkehrsteilnehmer in unüberwindbare Furcht zu versetzen (BGHSt 19, 263; OLG Karlsruhe, NJW 1972, 962; OLG Karlsruhe, VRS 57, 21). Die Entscheidung des BVerfG vom 10. 1. 1995 (NJW 1995, 1141 = NStZ 1995, 275) gibt dem Senat keinen Anlass, diesen im Ergebnis im wesentlichen auf die psychische Zwangseinwirkung bei dem Opfer abstellenden Gewaltbegriff für den Bereich des Straßenverkehrs aufzugeben (so auch BGH, NJW 1995, 2643 = NZV 1995, 453; BGH, NJW 1995, 3131 = NZV 1995, 325 = DAR 1995, 296; vgl. auch zur Abgrenzung BGHSt 41, 231 = NJW 1996, 203 = NZV 1995, 493 (keine Gewaltanwendung durch den Münchener Fahrbahngeher); OLG Stuttgart, Justiz 1995, 206 = NZV 1995, 285; OLG Düsseldorf, NJW 1996, 2245). Das aktive Herbeiführen einer Gefahrenlage im Straßenverkehr, welche auf den Genötigten einen unwiderstehlichen, körperlicher Einwirkung vergleichbaren Zwang ausübt, ist vielmehr nach wie vor als strafbare Gewalt i.S. des § 240 I StGB anzusehen. Bei Anlegung dieses Maßstabs hält die Verurteilung des Angekl. rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Zur Nötigung im Straßenverkehr zählen insbesondere Fälle des andauernden besonders dichten und bedrängenden Auffahrens unter Betätigung von Schall- und Lichtzeichen (vgl. nur BGHSt 19, 263 = NJW 1964, 1426). Abzustellen ist dabei vor allem auf die Intensität, das heißt auf Art und Dauer der Einwirkung, da diese in der Regel je länger sie andauert, um so unausweichlicher, mithin als Zwang empfunden wird (OLG Karlsruhe, NJW 1972, 962; OLG Karlsruhe, VRS 57, 21 mit Beisp.; OLG Köln, NStEStGBB § 240 Nr. 25; Tröndle, § 240 Rdnr. 28 m.w. Nachw.). Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die gefahrenen Geschwindigkeiten, die Abstände der Fahrzeuge zueinander, die Dauer bzw. die Streckenlänge des bedrängenden Auffahrens. Soweit der Strafrichter vorliegend den Tatbestand der Nötigung als durch das Verhalten des Angekl. während der Fahrt im Baustellenbereich erfüllt erachtet, ist diese Annahme nicht hinreichend durch Tatsachen belegt. Die Feststellung, der Angekl. sei „bei Geschwindigkeiten zwischen 60 und 80 km/h mehrfach bis auf mindestens 10 bis 15 Meter auf das Fahrzeug der Zeugin W aufgefahren und habe wiederholt die Lichthupe betätigt“, ist nicht konkretisiert genug, um schon eine Zwangseinwirkung i.S. des § 240 I StGB bejahen zu können, auch bei Berücksichtigung der angeblichen Folge des Fahrverhaltens des Angekl., dass nämlich die Zeugin hierdurch in Angst und Nervosität, die sie allerdings nicht zu schnellerem Fahren zu veranlassen vermochte, versetzt worden sei. So führt der Tatrichter selbst - wenn auch in anderem Zusammenhang - aus, dass die Beweisaufnahme keine zweifelsfreien Feststellungen zur Dauer des dichten Auffahrens und (zur Dauer) der eingehaltenen Abstände ermöglicht hat. Zu keiner anderen Beurteilung führt - auch bei einer Gesamtschau - die weitere Feststellung des Tatrichters, dass die Nervosität der Zeugin dazu geführt habe, dass sie die gefahrenen Geschwindigkeiten nicht mehr gleichmäßig einhielt. Neben der festgestellten Geschwindigkeit und der Auffahrnähe sind nämlich bestimmte Darlegungen zur unschwer feststellbaren Länge des fraglichen einspurigen Baustellenbereichs, in dem es zu den inkriminierten Vorgängen gekommen sei, aber auch zur Häufigkeit und Dauer des jeweiligen Auffahrens und zu dem Zeitraum, in dem der Angekl. die Lichthupe betätigt habe, zu vermissen.
Die Urteilsfeststellungen weisen mithin nicht lückenlos eine schwerwiegende, körperlicher Gewaltanwendung vergleichbare psychische Zwangseinwirkung auf die Zeugin durch den Angekl. aus, wie dies indes für die Annahme der Tatbestandsverwirklichung erforderlich wäre. Dass die getroffenen Feststellungen ein ordnungswidriges Verhalten, nämlich einen Verstoß gegen das Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme (§ 1 StVO), gegen das Gebot zur Einhaltung des Mindestabstands nach § 4 III StVO und darüber hinaus die Nichteinhaltung des gebotenen Sicherheitsabstands (vgl. nur Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 34. Aufl., § 4 StVO Rdnr. 6 m.zahlr. Nachw.) belegen, steht dem nicht entgegen (vgl. OLG Hamm, DAR 1990, 392; OLG Hamm, NJW 1991, 3230; BayObLG, NJW 1993, 2282). Inwieweit in dem Fahrverhalten des Angekl. die Androhung eines empfindlichen Übels liegen und dadurch zumindest der Tatbestand der versuchten Nötigung erfüllt sein könnte, ist vom Strafrichter nicht untersucht worden. Entscheidend wäre hierbei, ob das Fahrverhalten des Angekl. im Baustellenbereich geeignet war, einen besonnenen Durchschnittsmenschen in seiner Entschließung unfrei zu machen und zu dem vom Angekl. gewünschten Verhalten zu bestimmen (BGHSt 31, 195 (201) = NJW 1983, 765; BGHSt 32, 162 (174); BGH, NStZ 1982, 287). Drohung i.S. des § 240 StGB ist das - ausdrückliche oder konkludente - Inaussichtstellen eines Übels, dessen Eintritt davon abhängen soll, dass der Bedrohte sich nicht dem Willen des Drohenden beugt (Tröndle, § 240 Rdnr. 15). Von der Gewalt hebt sich die Drohung dadurch ab, dass der Zwangseffekt nicht durch gegenwärtige Zufügung eines empfindlichen Übels, sondern durch die Ankündigung eines erst zu befürchtenden Übels bewirkt wird. Eine Drohung beinhaltet demnach einen Hinweis auf etwas Zukünftiges. Im vorliegenden Fall besteht allerdings die Besonderheit, dass die Übelszufügung möglicherweise bereits stattfand. Die Zufügung eines empfindlichen Übels ist aber jedenfalls dann eine Nötigungshandlung, wenn die Wirkung des zugefügten Übels auf den Genötigten fortdauern soll und gerade die Befürchtung der Fortdauer geeignet ist, den Genötigten zu dem vom Täter gewollten Handeln zu veranlassen (BGH, NJW 1984, 1632; OLG Hamm, NJW 1983, 1505; Schäfer, in: LK-StGB, 10. Aufl., § 240 Rdnr. 51; Tröndle, § 240 Rdnr. 19). Die Urteilsfeststellungen belegen die Erheblichkeit des in Aussicht gestellten bzw. zugefügten Nachteils in diesem Sinne nicht hinreichend. Auch fehlen Feststellungen dazu, ob der Angekl. durch sein Fahrverhalten schlüssig zu erkennen geben wollte, dieses so lange fortzusetzen, bis die Zeugin W schneller fahre. Selbst wenn eine solche Absicht bei dem Angekl. bestanden haben sollte, hätte es der weiteren Feststellung bedurft, ob der Angekl. eine Fortsetzung seines Fahrverhaltens für so schwerwiegend hielt, dass sie geeignet war, die Zeugin zu veranlassen, ihre Fahrt gegen ihren eigenen Willen zu beschleunigen.
2. Auch soweit der Strafrichter den Tatbestand des § 240 I StGB durch „Ausbremsen“ der Zeugin nach dem Baustellenbereich für verwirklicht erachtet, tragen die Gründe die Entscheidung nicht. Denn es handelte sich nach den Feststellungen nicht um ein so genanntes „Ausbremsen“ im geläufigen Sinne (vgl. hierzu auch BGH, NJW 1995, 3131 (3133)), d.h. darum, dass ein Kraftfahrer einen anderen Kraftfahrer aus verkehrsfremden Gründen absichtlich durch plötzliches Bremsen zum Anhalten zwingt. Zur Intensität des Bremsvorgangs des Angekl. selbst enthält das Urteil ebenso wenig Feststellungen wie zum Abstand beider Fahrzeuge zueinander bei Beginn und bei Beendigung des Bremsvorgangs. Rückschlüsse ermöglicht allenfalls das dadurch bewirkte Verhalten der Zeugin W; diese musste indessen den Feststellungen zufolge keine Vollbremsung durchführen; das Verhalten des Angekl. habe lediglich die Durchführung einer leichten Bremsung erfordert, wodurch die Zeugin „an der von ihr beabsichtigten zulässigen Fortsetzung der Fahrt behindert" worden sei. Wer einen anderen Verkehrsteilnehmer jedoch nicht gefährdet, sondern lediglich in diesem Sinne kurzfristig „behindert“ oder lediglich belästigt, erreicht den der körperlichen Zwangseinwirkung vergleichbaren Grad an psychischer Beeinflussung nicht, wenngleich auch eine solche Verhaltensweise im Einzelfall zu Nervosität oder Fahrunsicherheit führen kann. Zu bedenken ist darüber hinaus, dass eine gegebenenfalls nur kurzzeitig wirkende Beeinträchtigung, auf die durch ein ungefährliches Abbremsen reagiert werden kann, wegen ihres „Bagatellcharakters“ nicht das Verwerflichkeitsurteil gem. § 240 II StGB rechtfertigen würde (vgl. auch OLG Düsseldorf, NJW 1989, 51); auch hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
IV. Nach alledem war das Urteil des AG mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben. Da nach Sachlage weitere, nähere Feststellungen durch den neuen Tatrichter nicht auszuschließen sind, ist dem Senat eine Entscheidung in der Sache selbst (§ 354 I StPO) verwehrt. Die Sache ist daher an eine andere Abteilung des AG Weinheim zurückzuverweisen (§ 354 II StPO), die auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden haben wird. Das Verhalten des Angekl. könnte allerdings, wenn die Verwirklichung eines Straftatbestands nicht erweislich sein sollte, nicht mehr unter dem rechtlichen Gesichtspunkt von Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Die auf die Verfolgung als Straftat gerichteten Unterbrechungshandlungen unterbrachen zwar auch die für die - verdrängten - Ordnungswidrigkeiten geltende kurze Verjährungsfrist (Göhler, OWiG, 11. Aufl., § 33 Rdnrn. 51, 57; OLG Köln, VRS 1970, 27). Die Verfolgung etwaiger Ordnungswidrigkeiten ist jedoch mangels weiterer, auf die erste Vernehmung des Angekl. folgender Unterbrechungshandlungen zum Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls bereits verjährt gewesen.
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