Konkrete Gefährdung bei absoluter Fahrunsicherheit - Nötigung durch Ausbremsen StGB §§ 315c I Nr. 1a, 240

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

30. 03. 1995


Aktenzeichen

4 StR 725/94


Leitsatz des Gerichts

Zur konkreten Gefährdung des Mitfahrers in einem Fahrzeug, das von einem alkoholbedingt absolut fahruntüchtigen Fahrer geführt wird.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Das LG hat den Angekl. u.a. wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, sowie wegen vorsätzlicher fortgesetzter Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und außerdem u.a. die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angekl. vor Ablauf von fünf Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die Revision des Angekl. hatte teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Die Verurteilung des Angekl. wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in drei Fällen (II. 1. bis II. 3. der Urteilsgründe) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen befuhr der Angekl., dessen BAK 2,01 Promille betrug, nachts mit seinem Pkw eine Bundesstraße. Seine damalige Lebensgefährtin, Frau B, die zunächst gefahren war, hatte ihm das Steuer überlassen, nachdem der Angekl. sie nachdrücklich dazu aufgefordert und eine drohende Haltung eingenommen hatte, so dass sie befürchtete, bei weiterem Widerstand geschlagen zu werden. Der Angekl. fuhr dann "in so starken Schlangenlinien", dass Frau B "wegen der starken Gefährdung des Gegenverkehrs darauf bestand, sie wieder ans Steuer zu lassen." Dem kam der Angekl. schließlich nach. Im Verlauf der weiteren Fahrt setzte es der Angekl. "aufgrund eines jeweils erneut gefassten Entschlusses noch zweimal durch, wieder jeweils für einige Kilometer auf der Bundesstraße den Pkw zu führen. In beiden Fällen musste er schließlich wegen der gefährdenden Fahrweise in starken Schlangenlinien" wieder seine Lebensgefährtin ans Steuer lassen.

b) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c I Nr. 1a StGB nicht. Zutreffend hat die StrK zwar angenommen, dass der Angekl. aufgrund seiner Alkoholisierung absolut fahruntüchtig war. Dagegen lässt sich ihren Ausführungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass infolgedessen Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet worden sind.

aa) Anders als § 316 StGB, der die Trunkenheitsfahrt wegen der mit ihr verbundenen abstrakten Gefahren unter Strafandrohung stellt, setzt § 315c I StGB - wie allgemein anerkannt ist - in allen seinen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Wann eine solche Gefahr gegeben ist, entzieht sich exakter wissenschaftlicher Umschreibung (BGHSt 18, 271 (272)). Die Tathandlung muss aber jedenfalls über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation geführt haben (Lackner, StGB, 20. Aufl., § 315c Rdnr. 22); in dieser Situation muss - was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist (BGH, NStZ 1985, 263 (264); Lackner, aaO) - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, NStZ 1985, 263; VRS 44, 422 (423); 45, 38; Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl., Vorb. § 306 Rdnr. 5; Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 33. Aufl., § 315c StGB Rdnr. 3). Danach reicht es für die Annahme einer konkreten Gefahr nicht aus, dass sich Menschen oder Sachen in enger räumlicher Nähe zu dem Täterfahrzeug befunden haben (vgl. BGH, VRS 26, 347; OLG Düsseldorf, NZV 1990, 80 = NStE § 315c StGB Nr. 12; Geppert, NStZ 1985, 265). Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete - etwa aufgrund überdurchschnittlich guter Reaktionen oder durch Ausweichen auf einen Mehrzweckstreifen (anders für diesen Fall OLG Düsseldorf, aaO; OLG Hamm, NZV 1991, 158) - noch in Sicherheit bringen konnte oder weil es dem Täter - für den objektiven Beobachter überraschend - gelungen ist, sein Fahrzeug noch rechtzeitig anzuhalten (vgl. Lackner, § 315c Rdnr. 22). Soweit in der neueren Rechtsprechung eine "hochgradige Existenzkrise" für das bedrohte Rechtsgut verlangt wird (OLG Düsseldorf, NJW 1993, 3212 = NZV 1994, 37), darf dies jedenfalls nicht zu einer Überspannung der Anforderungen führen, die an die Annahme einer konkreten Gefahr zu stellen sind (vgl. auch OLG Frankfurt, NZV 1994, 365 (366)).

bb) Dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angekl. zu einer konkreten Gefahr in diesem Sinne geführt hat, lässt sich den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht entnehmen.

Allerdings dürfen auch an die Feststellungen zum Vorliegen einer konkreten Gefahr und die zugrunde liegende Beweiswürdigung keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Es begegnet deshalb Bedenken, wenn tatrichterliche Entscheidungen allein deshalb als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, weil sie sich entsprechend den Angaben der Tatzeugen mit der Beschreibung der Gefahrensituation unter Verwendung wertender Begriffe (wie etwa dem der Notwendigkeit einer Vollbremsung) begnügen (vgl. etwa OLG Hamm, NZV 1991, 158; OLG Düsseldorf, NJW 1993, 3212 = NZV 1994, 37; NZV 1994, 406). Die Forderung, der Tatrichter dürfe nur deskriptive Begriffe verwenden, es müssten die Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge in km/h und die Entfernungen in Metern präzise angegeben werden, hätte letztlich eine unangemessene Zurücknahme des strafrechtlichen Schutzes vor Straßenverkehrsgefährdungen zur Folge. Durch das Ansinnen, sich auf zahlenmäßig genaue Angaben zu Entfernungen, Geschwindigkeiten und Bremsverzögerungen festzulegen, wären Zeugen regelmäßig überfordert. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass durch die Zulassung von Sachverhaltsbeschreibungen in wertenden Begriffen die Verteidigungsmöglichkeiten von Beschuldigten berührt werden. Dem Interesse an Schutz vor Falschbelastungen und Fehlverurteilungen kann aber nicht durch Aufstellen unerfüllbarer Anforderungen an die Präzision von Zeugenaussagen Rechnung getragen werden, sondern nur durch eine besonders sorgfältige, die Gefahren ungenauer Beschreibungen und ihren geringeren Beweiswert berücksichtigende richterliche Beweiswürdigung.

Auch nach diesen Maßstäben genügen die Feststellungen des LG zur Darlegung einer konkreten Gefahr den Anforderungen aber nicht. Ein Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass "das noch einmal gut gegangen sei" - wird in dem Urteil nicht geschildert. Es wird nicht einmal mitgeteilt, ob in den Zeiten, in denen der Angekl. das Fahrzeug führte, überhaupt eine Begegnung mit anderen Fahrzeugen stattgefunden hat. Aus der Feststellung, dass die Lebensgefährtin des Angekl. wegen der "starken Gefährdung des Gegenverkehrs darauf bestand, sie wieder ans Steuer zu lassen" lässt sich dies - zumal unter Berücksichtigung der Tatzeit (4.00 Uhr nachts) - nicht ableiten. Sie lässt auch die Deutung zu, dass Frau B für den Fall, dass ein Fahrzeug entgegenkommen sollte, eine gefährliche Situation befürchtete und das Steuer übernehmen wollte, um eine solche künftige Gefahr zu vermeiden. Selbst wenn Anlass für die Äußerung von Frau B aber eine tatsächlich vorgefallene bedrohliche Begegnung mit einem Fahrzeug des Gegenverkehrs gewesen sein sollte, wird durch die Wiedergabe dieser Äußerung nicht deutlich, was sich ereignet hat und ob der Eintritt eines Schadens nur noch vom Zufall abhing.

Eine konkrete Gefahr ist auch nicht schon dadurch hinreichend belegt, dass der Angekl. nach den Feststellungen in starken Schlangenlinien fuhr. Allerdings kann schon das bloße Fahren in Schlangenlinien, auch wenn es nicht zu einer Begegnung mit anderen Verkehrsteilnehmern kommt, eine konkrete Gefahr für Leib und Leben anderer - zum Beispiel von Insassen des Fahrzeugs - oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert - Verkehrseinrichtungen oder am Fahrbahnrand abgestellte Fahrzeuge - begründen. Ob dies der Fall ist, hängt aber von den Umständen des Einzelfalles ab. Eine konkrete Gefahr wird etwa anzunehmen sein, wenn sich der Trunkenheitsfahrer in bedrohlicher Weise dem unbefestigten Fahrbahnbankett nähert und das Fahrzeug nur durch eine abrupte Lenkbewegung auf die Fahrbahn zurücksteuert. Dagegen kann es an ihr - je nach dem Verlauf und der Ausprägung der Schlangenlinien im einzelnen - fehlen, wenn sich der Täter etwa durchweg in der Mitte der leeren Fahrbahn hält, so dass für einen unbeteiligten Beobachter der Eindruck nicht entsteht, der Eintritt eines Schadens hänge lediglich vom Zufall ab. Die danach für die Bewertung der Gefährlichkeit des Schlangenlinienfahrens erforderlichen Einzelheiten teilt das angefochtene Urteil nicht mit.

cc) Die Annahme einer konkreten Gefahr in den Fällen II. 1.-II. 3. der Urteilsgründe kann auch nicht damit begründet werden, dass sich in dem von dem fahruntüchtigen Angekl. gesteuerten Fahrzeug als - unter den festgestellten Umständen nicht tatbeteiligte - Beifahrerin während der gesamten Dauer der Trunkenheitsfahrten seine Lebensgefährtin befand.

Insofern hat der Senat allerdings in früheren Entscheidungen beiläufig in Erwägung gezogen, ob der Insasse des von einem fahruntüchtigen Fahrer geführten Fahrzeugs wegen des ihn ungleich stärker als jeden anderen Verkehrsteilnehmer treffenden Risikos regelmäßig auch dann konkret gefährdet sein könne, wenn es nicht zu einer gefährlichen Begegnung mit anderen Verkehrsteilnehmern, geparkten Autos oder sonstigen Gegenständen komme (BGH, NStZ 1985, 263 (264); 1989, 73 (74) = NZV 1989, 31 (32)). Er hat dazu die Auffassung vertreten, dass dies jedenfalls dann anzunehmen sei, wenn sich die Fahruntüchtigkeit des Täters in Fahrfehlern, die die Sicherheit des Beifahrers beeinträchtigten, wie beispielsweise im Fahren in Schlangenlinien, in einem auch nur vorübergehenden Abkommen von der Fahrbahn oder in einem sonstigen nicht durch die Verkehrslage bedingten Fahrmanöver, "indiziell nach außen gezeigt habe" (BGH, NZV 1989, 31 (32) = NStZ 1989, 73 (74); NZV 1992, 370 = BGHR StGB § 315c I Nr. 1a Gefährdung 2). Ob die Annahme einer konkreten Gefahr für den Beifahrer allein aufgrund der Mitfahrt auch ohne solche indiziellen Fahrfehler möglich sei, hat der Senat - ebenfalls beiläufig - "im Hinblick auf den mit einer höheren BAK verbundenen überproportionalen Anstieg der Gefährlichkeit des betrunkenen Kraftfahrers gegenüber dem nüchternen Fahrer zumindest bei einem mittelschweren Rausch, jedenfalls bei einer BAK von 2,0 Promille" zwar als nahe liegend bezeichnet, aber letztlich offen gelassen (BGH, NZV 1992, 370 = BGHR StGB § 315c I Nr. 1a Gefährdung 2 ).

Diese Erwägungen sind in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und im Schrifttum auf vielfältige Kritik gestoßen vgl. unter anderem BayObLGSt 1988, 76 = NZV 1988, 70; BayObLGSt 1989, 125 = NZV 1989, 479; BayObLG, NZV 1994, 283 (284 f.) = VRS 87, 125; OLG Köln, NZV 1991, 358 = NJW 1991, 3291; Lackner, § 315c Rdnr. 23; Cramer, in: Schönke/Schröder, § 315c Rdnr. 29a; Jagusch/Hentschel, § 315c StGB Rdnr. 3; Berz, NZV 1989, 414; NStZ 1990, 237; Geppert, NStZ 1985, 265; 1989, 322; Hauf, DAR 1994, 59; Hentschel, JR 1985, 434; NJW 1995, 634; Janiszewski, VerkehrsstrafR, 4. Aufl., Rdnr. 288b; Ströber, DAR 1989, 414; Werle, JR 1990, 76). Sie bedürfen in der Tat der Präzisierung, um die Grenzen zwischen abstrakter und konkreter Gefahr und damit zwischen § 316 StGB und § 315c StGB nicht zu verwischen:

Soweit der Senat erwogen hat, allein aus der sehr hohen BAK des Fahrers auf eine konkrete Gefährdung des Beifahrers zu schließen, hält er hieran nur für den Fall fest, dass die alkoholische Beeinflussung des Fahrers einen solchen Grad erreicht hat, dass er nicht mehr in der Lage ist, kontrollierte Fahrmanöver auszuführen, und damit die Situation einem Fahren ohne die notwendigen technischen Einrichtungen - z.B. ohne intakte Bremsen - vergleichbar ist (so auch Geppert, NStZ 1985, 265; 1989, 322). Diese Feststellung kann aber - trotz des mit einer höheren BAK verbundenen überproportionalen Anstiegs der Gefährlichkeit des betrunkenen gegenüber einem nüchternen Kraftfahrer - nicht an einem bestimmten BAK-Wert festgemacht oder ab einem bestimmten BAK-Wert angenommen werden; erforderlich ist vielmehr die Feststellung der im Einzelfall insoweit gegebenen Umstände, z.B. dass der "Fahrer" nicht mehr zu kontrollierter Betätigung der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs (Lenkung, Bremsen, Gaspedal) in der Lage war. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein.

Der Senat hat im übrigen offen gelassen, inwieweit die Fahruntüchtigkeit des Täters sich "indiziell nach außen gezeigt" haben muss (NZV 1989, 31 (32) = NStZ 1989, 73 (74); NZV 1992, 370; vgl. auch Jähnke, DRiZ 1990, 427 ff.); insofern trifft die Kritik, dass er allein auf die starke Alkoholisierung des Fahrers abgehoben habe, nicht zu. Die Hinweise des Senats bedürfen allerdings der Klarstellung: Zur Annahme einer konkreten Gefahr genügt es nicht, wenn der betrunkene Fahrer lediglich einen folgenlosen Fahrfehler begeht, also etwa in Schlangenlinien fährt oder auf die - fahrzeugleere - andere Fahrbahnseite gerät. Hinzutreten muss vielmehr, dass es dabei "beinahe" zu einem Unfall gekommen wäre (vgl. o. unter 1b bb a.E.). Von einer konkreten Gefährdung des Beifahrers kann demnach nur dann gesprochen werden, wenn der auf der Trunkenheit des Fahrers beruhende Fahrfehler zu einer kritischen Verkehrssituation geführt hat. Auch insoweit hat das LG - wie bereits ausgeführt - hier jedoch keine Feststellungen getroffen.

c) Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung und tateinheitlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in den Fallen II. 1.-3. der Urteilsgründe sowie zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Eine Änderung des Schuldspruchs dahin, dass der Angekl. sich der vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt in drei Fällen schuldig gemacht hat, kommt nicht in Betracht. Die Sache bedarf vielmehr neuer Verhandlung und Entscheidung. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der neue Tatrichter in einzelnen oder allen drei Fällen die für die Annahme einer konkreten Gefahr erforderlichen Feststellungen noch treffen kann. Sollte dies der Fall sein, wird er auch Gelegenheit haben, eingehender als im angefochtenen Urteil geschehen für jeden einzelnen Fall zu prüfen, ob der Angekl. mit Gefährdungsvorsatz gehandelt hat.

2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. ergeben. Der Erörterung bedarf nur folgendes: ...

b) Nicht zu beanstanden ist ... auch der Schuldspruch im Fall II. 5. der Urteilsgründe.

Nach den Feststellungen zu diesem Fall verfolgte der Angekl. im weiteren Verlauf des oben zu 1a geschilderten Geschehens mit dem Pkw einen Lkw, in den sich nach einer körperlichen Auseinandersetzung seine Lebensgefährtin geflüchtet hatte. Er wollte den Lkw durch "Ausbremsen" zum Halten zwingen. Der Angekl. überholte den Lkw und setzte sich vor ihn. Sodann verringerte er sofort seine Geschwindigkeit bis zum Stillstand, so dass der Lkw-Fahrer ebenfalls stark abbremsen und anhalten musste.

Bei diesem Sachverhalt hat das LG den Angekl. im Ergebnis zu Recht einer (tateinheitlich mit vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis begangenen) Nötigung schuldig gesprochen. Der Angekl. hat den Lkw-Fahrer mit Gewalt zum Anhalten gezwungen.

Allerdings hat das BVerfG die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 I StGB durch die Rechtsprechung kritisiert und im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen als mit Art. 103 II GG unvereinbar beanstandet. Zugleich hat das BVerfG den Strafgerichten die notwendige Eingrenzung des Gewaltbegriffs in § 240 I StGB aufgegeben (NJW 1995, 1141 (1143)).

Der hier zu beurteilende Sachverhalt gibt keinen Anlass zu einer umfassenden Erörterung der von der Rechtsprechung als tatbestandsmäßige Nötigung erfassten Verhaltensweisen im Straßenverkehr (vgl. Lackner, § 240 Rdnr. 9). Die Annahme einer tatbestandsmäßigen Nötigung mit Gewalt begegnet auch mit Blick auf die Grenzen, die Art. 103 II GG der tatbestandsausweitenden Interpretation setzt (BVerfG, NJW 1995, 1141 (1143)), und unter Berücksichtigung des Wortsinnes des Gesetzes als äußerster Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (BVerfG, NJW 1995, 1141 (1142)) keinen Bedenken, wenn - wie hier - ein Kraftfahrer einen anderen Kraftfahrer aus verkehrsfremden Gründen absichtlich durch plötzliches Bremsen zum Anhalten zwingt. Das BVerfG hat für die Fälle der Sitzdemonstrationen eine verfassungswidrige Überdehnung des Gewaltbegriffs angenommen, weil dort das Verhalten des Täters "lediglich in seiner Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist" (BVerfG, NJW 1995, 1141 (1143)). Das trifft für die Fälle des absichtlichen "Ausbremsens" nicht zu. Hier beschränkt sich das Verhalten des Täters nicht auf seine bloße Anwesenheit; auch geht von seinem plötzlich abgebremsten Fahrzeug nicht nur eine psychische Zwangswirkung aus, vielmehr wirkt der Täter auf die Entschlussfreiheit des nachfolgenden Fahrers (jedenfalls auch) durch die Errichtung eines physischen Hindernisses ein, sein Verhalten als Gewalt i.S. von § 240 I StGB zu begreifen, bedeutet keine Verletzung der von dem Wortsinn des Begriffs gesetzten Grenzen...

3. ... b) Auch der Ausspruch über die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis kann keinen Bestand haben. Das folgt bereits aus der Aufhebung der Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung in drei Fällen. Im übrigen lässt das Urteil jede Begründung für die Dauer der festgesetzten Frist vermissen; von einer Begründung konnte hier aber, auch wenn die Entscheidung angesichts der festgestellten Vorstrafen nicht unvertretbar erscheint, um so weniger abgesehen werden, als auf die gesetzliche Höchstfrist erkannt worden ist.

Für die Entscheidung des neuen Tatrichters hierzu wird auf die Grundsätze der Entscheidung BGHSt 24, 205 hingewiesen.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht; Strafrecht

Normen

StGB §§ 315c I Nr. 1a, 240