§ 661a BGB (Gewinnzusage) ist kein allgemeines Strafgesetz
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
16. 10. 2003
Aktenzeichen
III ZR 106/03
§ 661a BGB ist nicht verfassungswidrig.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Bekl. ist eine in den Niederlanden ansässige Versandhandelsgesellschaft. Sie übersandte im September 2001 dem in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Kl. ein Schreiben, in dem es unter anderem hieß: „Lieber Herr A (= Kl.), über drei große Ereignisse kann ich Ihnen als Kunde unseres ‚Spezialitäten‘-Programms berichten:
(1) Es hat am 11. 9. 2001 eine Ziehung stattgefunden.
(2) Es war Ihr Name, sehr geehrter Herr A, den mir der Justiziar nannte.
(3) Es war einer der höchsten Geldbeträge, der Ihnen zugeteilt wurde.
… Also, beginnen wir mit Punkt Eins. Die Ziehung war wie gesagt am 11. 9. 2001, 10.30 Uhr … es ging um die Gesamt-Gewinnsumme von 33000 DM … in bar! … Fünf Hauptgewinne standen zur Vergabe bereit. … Der Justiziar erhob sich, um die Gewinner namentlich zu nennen … Ja, und nun ist es tatsächlich wahr, dass Sie selbst darüber nachdenken können, welchen Herzenswunsch Sie sich erfüllen möchten. Denn Ihr Name ist dabei! … dann kam der Höhepunkt der Ziehung: Die Geldbeträge wurden den genannten Gewinnern zugeteilt. Und als wiederum Ihr Name genannt wurde, konnte ich die Spannung und die Vorfreude kaum noch aushalten … Es sind 9000 DM! Ja, 9000 DM in bar, die Ihnen und Ihrer Ziehungs-Nummer eindeutig zugeteilt wurden! … Meine dringende Bitte: Schicken Sie jetzt Ihren Einlöse-Scheck und Ihre Spezialitäten-Test-Anforderung ein, damit wir die Gewinn-Auszahlung vollziehen können!“. Dem Schreiben der Bekl. war ein von „Herr H, Justiziar“ unterzeichnetes „Gewinn-Ziehungs-Protokoll“ beigefügt, das den Kl. als „Gewinn-Empfänger“ eines „Gewinn-Betrag(s): 9000 DM“ auswies. Entsprechend der im Schreiben der Bekl. gegebenen Anleitung sandte der Kl. den „Einlöse-Scheck“ und die „Spezialitäten-Test-Anforderung“ mit einer Warenbestellung über 78,68 DM zurück. Die Bekl. zahlte den angeblichen Gewinn nicht. Der Kl. macht geltend, die Bekl. schulde ihm auf Grund einer Gewinnzusage (§ 661a BGB) 4601,63 Euro (= 9000 DM) nebst Zinsen. Die Bekl. hat gerügt, die angerufenen deutschen Gerichte seien nicht international zuständig. Im Übrigen sei § 661a BGB verfassungswidrig.
AG und BerGer. haben der Klage stattgegeben. Die zugelassene Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat die deutschen Gerichte für international zuständig erachtet.
Die in den Niederlanden ansässige Bekl. könne vor einem deutschen Gericht verklagt werden, weil in der Bundesrepublik Deutschland sowohl die internationale Zuständigkeit für Verbrauchersachen (Art. 13, 14 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968, BGBl II 1972, 774, im Folgenden: EuGVÜ) als auch der unerlaubten Handlung (Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ) begründet sei. § 661a BGB verstoße nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 III GG), weil es sich bei dieser Vorschrift nicht um ein allgemeines Strafgesetz handele. Die Regelung sei auch nicht wegen aus dem Rechtsstaats-, insbesondere aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herzuleitender Beschränkungen von Doppelsanktionen verfassungswidrig.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand.
1. Die Klage ist zulässig. Die deutschen Gerichte sind international zuständig. Die Revision bringt insoweit keine Rüge vor; die auch unter der Geltung des § 545 II ZPO n.F. von Amts wegen gebotene Prüfung der internationalen Zuständigkeit ergibt keine Bedenken (vgl. EuGH, Slg. 2002, I-6367 = NJW 2002, 2697 [2698f.] Rdnrn. 53ff. - Rudolf Gabriel; Senat, NJW 2003, 426, vorgesehen zum Abdruck in BGHZ; weiter zur Amtsprüfung: BGH, NJW 2003, 2916 = WM 2003, 1542 [1543]; NJW 2003, 2830).
2. Die Klage ist begründet. Der Kl. kann von der Bekl. Zahlung von 4601,63 Euro nebst Zinsen verlangen. Anspruchsgrundlage ist § 661a BGB.
a) Der Streitfall ist nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch zu entscheiden. Die Parteien haben jedenfalls im Prozess deutsches Recht gewählt, indem sie ihrem Vortrag übereinstimmend deutsches Recht zu Grunde gelegt haben.
b) Gemäß § 661a BGB hat ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, dass der Verbraucher einen Preis gewonnen hat, dem Verbraucher diesen Preis zu leisten. Nach den nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen Feststellungen des BerGer. hat die Bekl. dem Kl. eine solche Gewinnzusage über 9000 DM (= 4601,63 Euro) zugesandt.
c) § 661a BGB ist nicht verfassungswidrig; es besteht kein Anlass, gem. Art. 100 I 1 GG die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Die Revision macht unter Bezugnahme auf Schneider (BB 2002, 1653) geltend, § 661a BGB greife unverhältnismäßig in die Grundrechte des betroffenen Unternehmers aus Art. 2 I, 12 GG ein. Die Vorschrift verstoße gegen das Schuldprinzip (Art. 1 I, 2 I, 20 III GG) sowie gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 III GG). Sie genüge nicht dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG. Dieser Auffassung ist indes nicht zu folgen.
aa) § 661a BGB verstößt nicht gegen den im Rechtsstaatsprinzip begründeten Grundsatz, dass jede Strafe - nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht - Schuld voraussetzt („nulla poena sine culpa“, z.B. BVerfGE 20, 323 [331] = NJW 1967, 195, st. Rspr.; Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl. [2002], Art. 20 Rdnr. 99 m.w. Nachw.); er verletzt den betroffenen Unternehmer nicht in seinen Grundrechten aus Art. 2 I, 12 I GG. § 661a BGB ordnet nicht eine Strafe an, das heißt eine Kriminalstrafe oder eine andere staatliche Maßnahme, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten enthält und ein „Übel“ wegen eines rechtswidrigen Verhaltens verhängt (vgl. st. Rspr. des BVerfG zum Begriff der „Strafbarkeit“ i.S. des Art. 103 II GG, z.B. BVerfGE 42, 261 [262f.] = NJW 1976, 1883; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Februar 2003, Art. 103 Rdnr. 195; Jarass/Pieroth, Art. 103 Rdnr. 41). Die Vorschrift kann auch nicht zivilprozessualen Maßnahmen mit pönalem Charakter wie der Verhängung von Ordnungsgeld zur Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen (§ 890 I ZPO) gleichgesetzt werden (anders wohl Schneider, BB 2002, 1657). § 661a BGB handelt von Ansprüchen zwischen Privaten (vgl. Schneider, BB 2002, 1656). Mit der Einführung des § 661a BGB wollte der Gesetzgeber einer verbreiteten und wettbewerbsrechtlich unzulässigen Praxis entgegenwirken, dass Unternehmer Verbrauchern Mitteilungen über angebliche Gewinne übersenden, um sie zur Bestellung von Waren zu veranlassen, die Gewinne auf Nachfrage aber nicht aushändigen (vgl. Senat, NJW 2003, 426 [428]). Nach Auffassung des Gesetzgebers hatten die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb die unzulässigen Gewinnspiele nicht zurückgedrängt. Es erschien deshalb erforderlich, diese Vorschriften durch zivilrechtliche Ansprüche zu unterlegen; der Unternehmer sollte beim Wort genommen werden, um den Missbrauch abzustellen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses [6. Ausschuss], BT-Dr 14/3195, S. 33f.; Begr. d. BReg. z. GE über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BT-Dr 14/2658, S. 48f., Gegenäußerung der BReg. z. der Stellungnahme des BR, BT-Dr 14/2920, S. 15; Schmidt-Räntsch, VuR 2000, 427 [434]).
Der durch § 661a BGB begründete Anspruch des Verbrauchers gegen den Unternehmer auf Leistung des Preises wird dementsprechend allgemein als zivilrechtlicher Anspruch aufgefasst; streitig ist allein dessen Einordnung innerhalb des Zivilrechts (für vertragliche, rechtsgeschäftliche oder geschäftsähnliche Einordnung der Gewinnzusage: Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 328 [332]; Lorenz, IPRax 2002, 192 [193]; Pfeiffer, LMK 2003, 79 [80]; Ring, FernabsatzG, 2000, § 661a BGB Rdnr. 172; wohl auch Feuchtmeyer, NJW 2002, 3598 [3599]; ähnl. Mankowski, EWiR 2002, 873 [874]; vgl. auch Kotzian-Marggraf, in: Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 661 Rdnr. 1; Mansel, in: Jauernig, BGB, 10. Aufl. [2003], § 661a Rdnrn. 1f. und 4; Micklitz, in: MünchKomm, 4. Aufl. [2001], § 13 Rdnr. 47 [Fiktion eines einseitigen Rechtsgeschäfts]; für deliktische, deliktsähnliche oder wettbewerbsrechtliche Qualifikation: Fetsch, RIW 2002, 936 [938, 942]; Leible, IPRax 2003, 28 [30f.]; ders., NJW 2003, 407 [408]; Rauscher/Schülke, EuLF 2000/2001, 334 [337]; Simons, EuLF 2003, 41 [43f.]; Schmidt-Räntsch, VuR 2000, 427 [434]; Staudinger, JZ 2003, 852 [856]; wohl auch Schneider, BB 2002, 1656). § 661a BGB kann schließlich nicht - wie von Teilen des Schrifttums (Schneider, EuLF 2000/2001, 1656; Fetsch, RIW 2002, 936 [938]; Leible, IPRax 2003, 31; Rauscher/Schülke, EuLF 2000/2001, 337; Simons, EuLF 2003, 43) erwogen - in die Nähe eines zivilrechtlichen Strafschadensersatzes nach Art der „punitive damages“ des US-amerikanischen Rechts (vgl. BGHZ 118, 312 [334ff.] = NJW 1992, 3096) gerückt und deshalb als Regelung einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion angesehen werden. Der US-amerikanische Strafschadensersatz wird durch die Momente der Bestrafung und Abschreckung geprägt. Maßgebliche Voraussetzung ist allein der gesteigerte Schuldvorwurf. Das Fehlen eines Rechtsanspruchs des Geschädigten zeigt das untergeordnete Gewicht seiner Interessen. Die „punitive damages“ werden - nach dem freien Ermessen des Gerichts - wesentlich nach dem Interesse der Allgemeinheit verhängt (vgl. BGHZ 118, 312 [335f., 343f.] = NJW 1992, 3096). Demgegenüber knüpft § 661a BGB an die - als einseitiges Rechtsgeschäft oder geschäftsähnliche Handlung zu beurteilende (vgl. Senat, NJW 2003, 426 [427]) - Gewinnzusage oder vergleichbare Mitteilung an, nimmt den Unternehmer beim „lauten Wort“ (Mankowski, EWiR 2002, 874). Die Vorschrift gibt dem Verbraucher nicht einen Schadensersatzanspruch, sondern einen Erfüllungsanspruch auf den Preis. Dieser Anspruch ist der Art und der Höhe nach durch die (vermeintliche) Gewinnzusage des Unternehmers bestimmt. Handelt es sich bei dem Leistungsanspruch nach § 661a BGB aber nicht um eine Strafe oder eine sonstige strafähnliche hoheitliche Maßnahme, besteht - wie bei anderen zivilrechtlichen Ansprüchen - von Verfassungs wegen kein Grund für die Anwendung des Schuldprinzips.
bb) Die von der Revision gerügte Verletzung des dem Art. 103 II GG zu entnehmenden Bestimmtheitsgrundsatzes ist zu verneinen. Dieser Grundsatz greift nicht ein, wenn wie im Streitfall zivilrechtliche Verpflichtungen in Rede stehen (vgl. BVerfGE 34, 269 [293] = NJW 1973, 1221; BVerfGE 84, 82 [89] = NJW 1991, 3139 [zivilgerichtliches Verfahren]; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdnr. 41; Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl. [2001], Art. 103 Rdnr. 109; Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rdnr. 195; Rüping, in: BK z. GG [Zweitbearbeitung 1990], Art. 103 Rdnr. 85).
cc) Ebenso wenig verstößt § 661a BGB gegen das Verbot der doppelten Bestrafung auf Grund der „allgemeinen Strafgesetze“ (Art. 103 III GG). Der an ein einseitiges Rechtsgeschäft oder eine geschäftsähnliche Handlung knüpfende Erfüllungsanspruch nach § 661a BGB kann zu diesen Gesetzen nicht gezählt werden.
dd) Der von der Revision herangezogene Grundsatz der angemessenen, verhältnismäßigen Bestrafung ist nicht anwendbar, weil wie ausgeführt § 661a BGB nicht eine Strafe, sondern einen zivilrechtlichen Anspruch regelt. Für diesen Anspruch gelten allerdings die Generalklauseln des BGB (§§ 242, 826 BGB). Der vorliegende Fall bietet jedoch keinen Anhalt für die Möglichkeit eines Rechtsmissbrauchs (vgl. Fetsch, RIW 2002, 941). Es geht um eine Forderung auf Zahlung von rund 4600 Euro gegen ein grenzüberschreitend tätiges Versandhandelsunternehmen.
Das BerGer. hat nicht festgestellt, dass die Bekl. auch von anderen Verbrauchern in Anspruch genommen wird; das wird von der Revision nicht bekämpft. Im Hinblick auf die Zielsetzung des § 661a BGB, unlautere Gewinnspiele wirksam zu unterbinden, würde im Übrigen die Inanspruchnahme des Unternehmers durch mehrere Verbraucher einen Missbrauch noch nicht begründen können. Das BerGer. hat zu Recht ausgeführt, dass der Unternehmer das Risiko, auf Grund versandter Gewinnzusagen den Preis leisten zu müssen, selbst steuern kann.
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