Erhebung von Erschließungsbeiträgen im Beitrittsgebiet
Gericht
BVerwG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
18. 11. 2002
Aktenzeichen
9 C 2/02
War eine Erschließungsanlage im Beitrittsgebiet vor dem 3. 10. 1990 bereits hergestellt worden, kann ein Erschließungsbeitrag auch dann nicht erhoben werden, wenn dieser Anlage nach dem 3. 10. 1990 weitere Teile hinzugefügt werden.
Die Sechs-Monats-Frist des § 113 III 4 VwGO beginnt mit dem Eingang der Behördenakten, die auf die erstmalige Verfügung des Verwaltungsgerichts gem. § 99 VwGO vorgelegt werden. Sie beginnt nicht in jeder Instanz neu.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 113 III 1 VwGO sind eng auszulegen und deshalb auf besonders gelagerte Fälle beschränkt.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. wendet sich gegen die Erhebung eines Erschließungsbeitrags für die Herstellung der Radwege der H.-Straße im Stadtteil Pieschen der bekl. Stadt Dresden. Sie ist Eigentümerin des Grundstücks H.-Straße 59. Dieses Grundstück ist 780 qm groß und mit einem viergeschossigen, überwiegend zum Wohnen genutzten Gebäude bebaut. Es liegt außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans und grenzt neben der H.-Straße auch an die D.-Straße. Die H.-Straße verbindet die D.-Straße und den H.-Platz. Von ihr zweigen in westlicher Richtung zwei ca. 35 bis 40 m lange Stichstraßen ab, die unter anderem zu zwei teilweise mit Garagen bebauten Grundstücken und zu einem Kleingartengelände führen. Spätestens seit den 30er Jahren weist die H.-Straße eine Fahrbahn, beidseitige Gehwege, Beleuchtungsanlagen und eine Straßenentwässerung auf. Von November 1993 bis März 1994 ließ die Bekl. auf beiden Straßenseiten einen Radweg mit Unterbau und einer Decke aus Betonpflastersteinen herstellen. Hierfür wurden ein Teil der bisherigen Gehwegfläche und bisher ungenutzte Bereiche der Straße in Anspruch genommen. Die beiden Stichstraßen erhielten keine Radwege. Die letzte Unternehmerrechnung ging bei der Stadt am 10. 8. 1994 ein. Die Bekl. war der Ansicht, dass die Herstellung der Radwege erschließungsbeitragspflichtig sei. Mit Verfügung vom 11. 8. 1994 entschied der Abteilungsleiter Beitragswesen des Dezernats Stadtentwicklung und Bau, dass der Hauptzug der H.-Straße in Bezug auf die Radwege einen Abrechnungsabschnitt bilden solle. Für den Bau der Radwege ermittelte die Stadtverwaltung beitragsfähige Kosten von 268030,50 DM, die sie abzüglich des 10%igen städtischen Anteils ausschließlich auf die Anlieger des Hauptzugs der Straße verteilte. Dabei wurden die am Hauptzug und an einer der Stichstraßen liegenden Eckgrundstücke lediglich anteilig im Verhältnis der an den jeweiligen Straßenabschnitt grenzenden Frontlängen zum Erschließungsbeitrag herangezogen. Mit Bescheid vom 2. 6. 1998 erhob die Bekl. von der Kl. für die Herstellung der Radwege einen Erschließungsbeitrag von 6952,47 DM. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos. Auf die Klage der Kl. hat das VG Dresden nach Beiziehung der Behördenakten mit Urteil vom 3. 2. 2000 (ZMR 2002, 81) den Bescheid aufgehoben.
Die Berufung der Bekl. wurde vom OVG zurückgewiesen. Die - vom BVerwG zugelassene - Revision der Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Auszüge aus den Gründen:
II. Die Revision, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht. Zwar trifft die Auffassung des BerGer. zu, dass § 242 IX 1 Alt. 1 BauGB die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung der Radwege an der H.-Straße ausschließt, weil die Anlage bereits in den 30er Jahren insgesamt hergestellt worden ist (1). Das BerGer. hätte jedoch gem. § 86 I i.V. mit § 113 I 1 VwGO ermitteln müssen, in welcher Höhe der angefochtene Beitragsbescheid durch die irrevisiblen Regelungen des Straßenausbaubeitragsrechts des Freistaates Sachsen (§§ 26 ff. SächsKAG) gedeckt ist (2). Die in § 113 III 1 VwGO vorgesehene Möglichkeit der Aufhebung des angegriffenen Bescheides ohne weitere Sachaufklärung schied aus. Zum einen war im Zeitpunkt der Entscheidung des BerGer. die Sechs-Monats-Frist des § 113 III 4 VwGO bereits abgelaufen. Zum anderen lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 113 III 1 VwGO nicht vor. Der Rechtsstreit ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen.
1. Entgegen der Ansicht der Bekl. beruht das angefochtene Urteil auf keiner Verletzung von § 242 IX BauGB. Diese Überleitungsvorschrift lautet in ihren hier allein interessierenden Sätzen 1 und 2 wie folgt:
„Für Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind, kann nach diesem Gesetz ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden. Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertig gestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen“.
Diese Regelung verdrängt im Beitrittsgebiet die allgemeinere Überleitungsvorschrift des § 242 I BauGB, wonach für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum In-Kraft-Treten des Sechsten Teils des Bundesbaugesetzes geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, auch nach dem Baugesetzbuch kein Beitrag erhoben werden kann. Als Sonderregelung für die neuen Bundesländer gilt sie in deren Gebiet auch dann, wenn - wie hier - Erschließungsanlagen bereits vor der Teilung Deutschlands hergestellt worden sind.
Die Revision ist der Auffassung, dass § 242 IX 1 BauGB wegen der ausdrücklichen Erwähnung von „Teilen von Erschließungsanlagen“ eine isolierte Betrachtung aller Teileinrichtungen in erschließungsbeitragsrechtlicher Hinsicht gebiete. Dies habe zur Folge, dass die Kosten einer Teileinrichtung, die - wie hier die Radwege - einer vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellten Erschließungsanlage nach dem Wirksamwerden des Beitritts hinzugefügt werde, nach dem Erschließungsbeitragsrecht abzurechnen seien (ebenso OVG Frankfurt/Oder, Mitt. StGB Bbg 2000, 213 [221f.]; VG Magdeburg, Finanzwirtschaft 1996, 261 [263]). Die vom VG und vom OVG vertretene Gegenansicht hält demgegenüber zusätzlich eine Gesamtbetrachtung der Anlage für geboten: War eine Erschließungsanlage vor dem Wirksamwerden des Beitritts i.S. von § 242 IX 2 BauGB „bereits hergestellt“ worden, kann danach ein Erschließungsbeitrag auch dann nicht erhoben werden, wenn dieser Anlage nach dem Wirksamwerden des Beitritts weitere Teile hinzugefügt werden (so auch OVG Greifswald, LKV 1997, 225 [226]; VG Leipzig, VerwaltungsRechtsReport Mittel-Ost [VwRR MO] 2000, 184 [186]; Becker, LKV 1999, 489 [491]; Driehaus, ZMR 2002, 241 [242], unter Aufgabe seiner früheren gegenteiligen Auffassung; Ernst, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 242 Rdnr. 20; Fischer, in: Hoppenberg, Hdb. des öffentlichen BauR, Kap. F Rdnr. 501; Neumann/Müller, DWW 2000, 214; Otto, NJ 2000, 299 [300]).
Der erkennende Senat schließt sich der letzteren Auslegung an. Für sie sprechen der Wortlaut der Vorschrift, von dem jede Auslegung auszugehen hat, und ihr Regelungszusammenhang mit § 242 I BauGB. Absatz 9 Satz 1 enthält - wie die Konjunktion „oder“ ergibt - zwei Alternativen. Es reicht also für den Ausschluss des Rechts zur Erhebung eines Erschließungsbeitrags aus, dass eine von ihnen erfüllt ist: Für Erschließungsanlagen, die vor dem 3. 10. 1990 bereits im Sinne des Satzes 2 hergestellt waren, kann in den neuen Bundesländern kein Erschließungsbeitrag erhoben werden. Dasselbe gilt dort für einzelne Teileinrichtungen, die vor dem 3. 10. 1990 bereits im Sinne des Satzes 2 hergestellt worden waren, selbst wenn die Anlage insgesamt noch nicht in diesem Sinne hergestellt war. § 242 I BauGB stellt demgegenüber in den alten Bundesländern ausschließlich darauf ab, ob die Anlage an dem dort geltenden Stichtag (29. 6. 1961) insgesamt vorhanden und damit nach dem bis dahin geltenden Anliegerbeitragsrecht der Länder beitragsfrei war. Waren dagegen nur einzelne Teileinrichtungen hergestellt, ist auch für diese in den alten Bundesländern die nachträgliche Erhebung von Erschließungsbeiträgen grundsätzlich noch möglich. Insoweit sind die Anlieger in den neuen Bundesländern privilegiert. Die Ansicht der Revision hätte dagegen eine Schlechterstellung der Anlieger in den neuen Bundesländern gegenüber der in den alten Bundesländern geltenden Rechtslage nach § 242 I BauGB zur Folge.
Dort ist es in Fällen wie dem vorliegenden gerade nicht mehr möglich, noch Erschließungsbeiträge zu erheben. Vielmehr käme bei einer Erweiterung einer bis zum 29. 6. 1961 endgültig hergestellten Anlage um weitere Teileinrichtungen nur die Erhebung eines Straßenausbaubeitrags für eine Erweiterung oder Verbesserung der Einrichtung in Betracht. Darüber hinaus würden auch innerhalb des Beitrittsgebiets kaum zu rechtfertigende Unterschiede auftreten: Wird eine Anlage, mit deren Bau erst nach dem 3. 10. 1990 begonnen wurde, nach ihrer endgültigen Herstellung um weitere Teileinrichtungen erweitert, könnten Erschließungsbeiträge für diese Erweiterung nicht mehr erhoben werden. Für die bereits vorher hergestellten Anlagen würde dies dagegen bei nachträglicher Hinzufügung einer Teileinrichtung nicht gelten. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber diese Folgen in Kauf nehmen wollte. Im Beitrittsgebiet wollte der Gesetzgeber vielmehr die Kostenerhebung für einen weiteren Ausbau von im Zeitpunkt des Beitritts bereits vorhandenen Erschließungsanlagen ohne Ausnahme dem Straßenausbaubeitragsrecht zuweisen.
2. Entsprach hiernach die Auffassung des BerGer., die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für den Bau der Radwege sei nach § 242 IX BauGB ausgeschlossen, der sich aus dem Bundesrecht ergebenden Rechtslage, so hat es im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. BVerwGE 80, 96 [97ff.] = NJW 1989, 471 = NVwZ 1989, 471, und BVerwG, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 256) zu Recht die Frage aufgeworfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der angefochtene Bescheid nach dem sächsischen Straßenausbaubeitragsrecht (§§ 26 ff. SächsKAG) aufrechterhalten werden kann. Es ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass der Beitragsbescheid hiernach teilweise rechtswidrig sei, weil die Abschnittsbildung gegen das aus Art. 3 I GG folgende Willkürverbot verstoße. Damit sei es nämlich nicht vereinbar, mittels entsprechender Abschnittsbildung die an den beiden Stichstraßen liegenden Grundstücke nicht zu den Herstellungskosten der Radwege heranzuziehen, obwohl auch diese Grundstücke einen Vorteil durch die Radwege hätten.
Soweit die genannte Beurteilung des BerGer. auf irrevisiblem Landesrecht beruht, ist sie für das BVerwG gem. § 173 VwGO i.V. mit § 562 ZPO a.F. (jetzt § 560 ZPO n.F.) bindend. Die von der Bekl. vorgenommene Abschnittsbildung findet ihre Grundlage in § 27 III SächsKAG („Der Aufwand kann insgesamt für mehrere Verkehrsanlagen, die für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit bilden, oder für bestimmte Abschnitte einer Verkehrsanlage ermittelt werden.“). Diese Norm gehört dem irrevisiblen Landesrecht an. Der von der Revision als verletzt gerügte § 130 II BauGB ist insoweit nicht einschlägig.
Allerdings hat das OVG die Rechtmäßigkeit der Abschnittsbildung anhand des aus Art. 3 I GG folgenden Willkürverbots geprüft und wegen Verstoßes hiergegen verneint. Insoweit beruht seine Entscheidung auf der Auslegung und Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts und ist dabei revisionsgerichtlicher Prüfung zugänglich.
Es entspricht der Rechtsprechung des BVerwG, Abschnittsbildungen im Erschließungsbeitragsrecht (§ 130 II BauGB) am Willkürverbot zu messen. Gründe, dies im Straßenausbaubeitragsrecht anders zu sehen, sind nicht erkennbar. Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 I GG verbietet, ohne sachlichen Grund wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln. Allerdings ist den Behörden im Abgabenrecht ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, für den das Willkürverbot nur eine äußerste Grenze darstellt. Diese Grenze ist erst erreicht, wenn einer Regelung jeder vernünftige oder einleuchtende Grund fehlt.
Ob - gemessen an diesem Maßstab - die Ungleichheit der Vorteilslage zwischen den am Hauptzug der H.-Straße belegenen und damit auch durch die dortigen Radwege unmittelbar erschlossenen Gründstücken einerseits und den an den Stichstraßen belegenen, von den Radwegen nur mittelbar erschlossenen Grundstücken andererseits eine Ungleichbehandlung bei der Erhebung von Ausbaubeiträgen rechtfertigen kann, hängt wesentlich davon ab, wie der Begriff der „Vorteile“ i.S. von § 26 I 1 und § 28 I 1 SächsKAG auszulegen ist. Hierzu enthält das angefochtene Urteil keine näheren Ausführungen, so dass nicht ausreichend klar wird, innerhalb welchen durch das Landesrecht bestimmten Vergleichssystems es das BerGer. als willkürlich angesehen hat, die an der Stichstraße belegenen Grundstücke mittels Abschnittsbildung von der Heranziehung zu den Herstellungskosten der Radwege zu befreien. Dem ist jedoch hier nicht weiter nachzugehen, weil das angefochtene Urteil bereits aus einem anderen Grunde aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen ist.
Das angefochtene Urteil verstößt in doppelter Hinsicht gegen § 113 III VwGO und leidet damit an einem erheblichen Verfahrensmangel, der von der Revision auch rechtzeitig und ordnungsgemäß gerügt wurde und auf dem die Entscheidung beruht. Gemäß § 86 I i.V. mit § 113 I 1 VwGO sind die Verwaltungsgerichte grundsätzlich verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen und deshalb die Höhe, in der ein Abgabenbescheid aufrechterhalten bleiben kann, selbst festzustellen und diesen Bescheid nur aufzuheben, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Nach der Ausnahmeregelung des § 113 III 1 VwGO kann das VG allerdings, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid auch aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. § 113 III 4 VwGO bestimmt, dass eine solche Entscheidung nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen darf. Dem BerGer. war es hier schon deshalb versagt, von der Möglichkeit des § 113 III VwGO Gebrauch zu machen, weil diese Frist bereits im erstinstanzlichen Verfahren abgelaufen war und im Berufungsverfahren nicht erneut zu laufen begann. Der Wortlaut des § 113 III 4 VwGO gibt keinen Anhaltspunkt dafür, den Beginn der dort bestimmten Frist, wie das BerGer. meint, von der materiell-rechtlichen Beurteilung des Falles durch das jeweilige Instanzgericht abhängig zu machen. Er spricht vielmehr dafür, schon aus Gründen der im Verfahrensrecht unabdingbaren Rechtsklarheit die Frist mit dem Eingang der Behördenakten beginnen zu lassen, die auf die erstmalige Verfügung des VG gem. § 99 VwGO vorgelegt werden, so dass § 113 III VwGO im Rechtsmittelverfahren keine praktische Bedeutung hat (vgl. Demmel, Das Verfahren nach § 113 III VwGO, 1997, S. 50; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 50; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. [2000], § 113 Rdnr. 168; Kuntze, in: Bader, VwGO, 2. Aufl. [2002], § 113 Rdnr. 94; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 13. Aufl. [2000], § 113 Rdnr. 27; Spannowsky, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 113 Rdnr. 206). Nach der gesetzgeberischen Vorstellung ist das Gericht nach Ablauf der Frist des § 113 III 4 VwGO verpflichtet, im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens die notwendigen Feststellungen selbst zu treffen. Die zeitliche Begrenzung soll im Interesse der Beteiligten die unbefriedigende Situation verhindern, dass das Gericht trotz längerer Prozessdauer von einer abschließenden Sachentscheidung absieht. Diesem Zweck würde es widersprechen, den Lauf der Frist in jeder Instanz neu beginnen zu lassen.
Abgesehen davon lagen die Anwendungsvoraussetzungen des § 113 III 1 VwGO auch in der Sache nicht vor. Im Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Entlastung der Gerichte von umfangreichen Sachverhaltsermittlungen und dem Bedürfnis der Beteiligten nach einer abschließenden und verbindlichen gerichtlichen Beurteilung des Rechtsstreits soll nach den diese Vorschrift tragenden Vorstellungen des Gesetzgebers das Interesse an der Entlastung der Justiz nur in besonders gelagerten Fällen überwiegen (vgl. BT-Dr 11/7030, S. 29; Gerhardt, Rdnr. 46). Deshalb sind die hierfür genannten Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen: Nur dann, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung eine Sachverhaltsermittlung besser durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, die Behörde tätig werden zu lassen, soll die Vorschrift heranzuziehen sein (BT-Dr 11/7030, S. 30).
Daran gemessen waren die nach Auffassung des BerGer. noch erforderlichen Ermittlungen nach Art und Umfang nicht erheblich. Die Feststellung, welche Grundstücke an den Stichstraßen liegen, wie sie nutzbar sind und wie hoch der von der Kl. zu zahlende Straßenausbaubeitrag ist, hätte von der Bekl. auf entsprechende Verfügung des Gerichts mit Hilfe des Liegenschaftskatasters zügig festgestellt werden können. Dies gilt selbst dann, wenn auch etwaige Außenbereichsgrundstücke am Hauptzug der H.-Straße oder an den Stichstraßen, etwa die Kleingärten, anders als im Erschließungsbeitragsrecht durch die Radwege einen Vorteil i.S. des § 26 I SächsKAG haben sollten und deshalb bei der Beitragsverteilung zu berücksichtigen sind. Bei vorausschauender, das heißt nicht erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung einsetzender Terminsvorbereitung hätte das Gericht die Behörde sicherlich veranlassen können, eine entsprechende Hilfsberechnung noch rechtzeitig vorzulegen. Auch die gerichtliche Überprüfung solcher Unterlagen wird regelmäßig weder besonderen Zeitaufwand noch erhebliche Kosten verursachen.
Unzutreffend ist schließlich die Auffassung des BerGer., die vollständige Aufhebung des Beitragsbescheids ohne Entscheidung in der Sache selbst sei auch unter Berücksichtigung der Interessen der Bet. sachdienlich. Bei der erforderlichen Abwägung sind die voraussichtliche Dauer der gerichtlichen und einer behördlichen Sachverhaltsermittlung sowie die wirtschaftlichen Interessen der Bet. zu berücksichtigen (vgl. BFH, BFH/NV 2001, 178f.; Gerhardt, Rdnr. 48; Kuntze, Rdnr. 90). Wie ausgeführt, wäre das Gericht voraussichtlich alsbald nach der Vorlage einer Hilfsberechnung der Bekl. in der Lage gewesen, abschließend und verbindlich in der Sache zu entscheiden. Bei einer Aufhebung der Bescheide ohne abschließende Sachentscheidung bestand dagegen die nicht zu vernachlässigende Gefahr, dass es zu einem erneuten, unter Umständen wiederum jahrelang währenden und mit einem weiteren Kostenrisiko für beide Bet. verbundenen Rechtsstreit kommt, weil die Kl. etwa die Nichtberücksichtigung einzelner Grundstücke oder Grundstücksteile für fehlerhaft hält.
3. Da das angefochtene Urteil hiernach auf einem Verstoß gegen § 113 III VwGO beruht, kann es keinen Bestand haben. Eine Entscheidung des BVerwG in der Sache selbst kommt jedoch nicht in Betracht, weil die nach Auffassung des BerGer. noch erforderlichen tatsächlichen Ermittlungen im auf die rechtliche Prüfung beschränkten Revisionsverfahren nicht durchführbar sind und die Würdigung des Ergebnisses dieser Ermittlungen am Maßstab des sächsischen Landesrechts auch grundsätzlich nicht zu den Aufgaben des BVerwG gehört. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen und abschließenden Verhandlung und Entscheidung an das OVG zurückzuverweisen (§ 144 III 1 Nr. 2 VwGO).
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